Moslembrüder vor den Scherben ihres Blocks mit der Junta
Generäle opfern Mubaraks rechte Hand, um aussichtsreiche Islamisten
loszuwerden
Von Wilhelm Langthaler (pdf)
Im Countdown um die Präsidentenwahl am Nil folgt ein Paukenschlag auf den
anderen.
Entgegen ihren ursprünglichen Ankündigungen hatten die Muslimbrüder Ende
März doch noch einen Kandidaten für die Präsidentenwahl nominiert,
nämlich den millionenschweren Geschäftsmann Khairat el Shater, der dem
reaktionärsten Flügel der Bewegung angehört.
Darauf folgte Omar Suleiman, der oberste Folterknecht Mubaraks und von ihm
eigenhändig nominierte Nachfolger, seine Kandidatur bekannt zu geben.
Zwischenzeitlich hatte die Justiz die Verfassungskommission als nicht
repräsentativ aufgelöst, die die diversen Islamisten mit Hilfe ihrer
parlamentarischen Mehrheit unter ihre Fittiche gebracht hatten. Alle anderen
Kräfte hatten sich bereits aus Protest aus der Kommission zurückgezogen.
Und dann folgte die Wahlkommission mit dem Ausschluss von zehn Kandidaten,
unter ihnen die größten Tiere, Suleiman selbst, el Shater und der
populistische Salafist Hazem Abu Ismail.
Am Freitag, den 13. April, hatten die Moslembrüder und die salafistische
Tendenz Abu Ismails das erste Mal seit vielen Monaten zum Tahrir gerufen. Die
Linke lehnte es ab, nun auf der Seite jener zu stehen, die bisher mit dem
Militärs unter einer Decke gesteckt hatten. Sie riefen indes für den darauf
folgenden Freitag, den 20. April, zum Tahrir. Muslimbrüder und Salafisten
schlossen sich an (auch wenn gegen den Willen beträchtlicher Teile der
Tahrir-Aktivisten). Seit den Tagen des Umsturzes war es das erste Mal, dass
Muslimbrüder und Linke wieder gemeinsam zum Tahrir mobilisierten. Doch mit
sieben unterschiedlichen Bühnen wurden mehr die Differenzen als die
Gemeinsamkeiten zum Ausdruck gebracht.
Wenn jemand Symbolfigur des alten Regimes ist, dann Omar Suleiman. Ihn als
Kandidaten aufzustellen, wurde als unerhörte Provokation gegen die
Revolution verstanden. Dementsprechend stürmisch waren die Reaktionen. Das
bisher nichtsnutze, machtlose, von den Moslembrüder kontrollierte Parlament
verabschiedete ein Gesetz, dass das Antreten von Figuren des alten Regimes
zur Präsidentschaftswahl untersagt. Viel wichtiger noch, es drohten neue,
große Mobilisierungen, dem sich auch das islamistische Milieu nicht
entziehen würde können.
Die Militärs zogen die Bremse und ließen die Wahlkommission Suleiman vom
Urnengang ausschließen. Doch nicht nur ihn, sondern gleichzeitig mit ihm
auch die zwei wichtigsten islamistischen Kandidaten, nämlich jenen der
Muslimbrüder und jenen der Salafisten. Wenn sie sich mit diesem Zug nicht
selbst geschwächt hätten, wäre man geneigt anzunehmen, dass die Militärs
Suleiman von Anfang an als Gambit ins Rennen geschickt haben.
Immerhin schafften sie sich so ihre wichtigsten Rivalen vom Leib und haben
mit Amr Mousa noch einen Kandidaten im Rennen, der damit auch etwas vom alten
Regime abgesetzt werden konnte. Er wird mit der Karte spielen, die auch
Suleiman zu benutzen versuchte: Sicherheit, Stabilität und Schutz vor den
Islamisten.
Video
Im Herbst noch konnten die Moslembrüder gegen die Straßenproteste des
Tahrir einen Erdrutschsieg zum Parlament einfahren. Die Revolutionäre
argumentierten, dass ein Parlament unter der Herrschaft der Militärs reine
Staffage sei und nur der Fortsetzung ihrer Herrschaft diente. Daher forderten
sie zuerst den Rücktritt des Militärrates und dann Wahlen, denn nur dann
hätten solche frei sein können. Doch die passive Mehrheit wünschte sich
Wahlen, egal zu welchen Bedingungen. Die Moslembrüder verkauften ihren
Wahlsieg als einen Schritt zum sanften Übergang hin zu einem zivilen Staat.
Tatsächlich haben sich die Warnungen der Tahrir-Leute bestätigt. Die
Kooperation der Moslembrüder mit den Generälen hat letzteren Herrschaft
stabilisiert. Bedeutende Teile der Wählerschaft der Moslembrüder beginnen
das zu verstehen und wenden sich ab, denn auch sie wollen die alten
Mubarak-Leute endlich los haben.
Wohin das Stillhalten der Muslimbrüder und ihr Block mit der Junta führen,
zeigt sich an den technischen Details des Ausschlusses von el Shater. Er gilt
nämlich als vorbestraft, weil er unter Mubarak ein politischer Häftling
war. Das hat man davon, denn man die Massen demobilisiert und auf der Basis
des alten Systems für die Elite möglichst schmerzlose Reformen anstrebt.
Die Moslembrüder haben in ihrem Eifer nach Machtbeteiligung verabsäumt,
selbst minimale Reformen wie etwa die Rehabilitierung der Mubarak-Opfer und
die Abschaffung repressiver Gesetze zu fordern. Genau diese unveränderte
Gesetzeslage half den Militärs in ihrer Gegenoffensive.
Der Gegenwind bläst den Moslembrüdern aber nicht nur von Militärs und
Linken ins Gesicht, sondern auch aus dem islamistischen Milieu selbst,
insbesondere von den diversen salafistischen Gruppen. Die hatten mit ihrem
Kandidaten Abu Ismail eine Figur im Rennen, die besonders unter den Ärmsten
großen Anklang fand. Auch sie befinden sich nun auf der Straße gegen den
Militärrat und wollen sich nicht unter die Führung der Moslembrüder
begeben.
Wollen die Moslembrüder ihre zentrale Stellung nicht gänzlich verlieren,
müssen sie sich an der Massenbewegung beteiligen, sich zumindest nicht mehr
so frontal gegen sie stellen und damit auch das De-facto-Bündnis mit der
Junta lockern – sonst kommen andere Islamisten und auch der Tahrir könnte
wachsen.
Was die Wahlen betrifft haben sie noch den Vorsitzenden ihrer Partei Freiheit
und Gerechtigkeit, Mohamed Mursi, im Rennen, der allerdings als wenig
populär gilt und dem daher wenig Chancen auf einen Wahlerfolg eingeräumt
werden. Eine andere Möglichkeit wäre im letzten Moment den aus ihren Reihen
ausgeschlossenen, liberaleren und dem Tahrir näher stehenden Kandidaten,
Abdel Moneim Aboul Fotouh, doch noch zu unterstützen. Doch auch das könnte
als Teilniederlage interpretiert werden.
Wie man es dreht und wendet, die Muslimbrüder werden für ihre Politik der
Kooperation mit den Militärs gegen die demokratische Bewegung eine erste
Teilrechnung begleichen müssen. Das heißt aber nicht, dass sie damit schon
am Ende wären. Dazu sind ihre Verwurzelung und ihr politisches Kapital zu
groß. Von ihnen dürfen daher noch so einige Wendungen zu erwarten sein. Die
jüngste ist die Beteiligung an den gegenwärtigen Demonstrationen.
Revolutionäre Bewegung nicht erkaltet
Der heftige Sturm, der die Kandidatur Suleimans auslöste und letztlich die
Muslimbrüder zur Aufweichung ihres Blocks mit der Junta zwang, zeigt, dass
die demokratische Volksbewegung noch lange nicht am Ende ist. In der
Demonstration vom 20. April wurde nicht nur gegen Suleiman, Mousa und anderen
Regime-Leute geschrieen, sondern auch der Rücktritt des SCAF gefordert –
in Anknüpfung an die Bewegung vor des Parlamentswahlen im Herbst. Aber auch
die Verfassungsgebende Versammlung war Thema. Viele skandierten für ihre
Bestellung nicht durch das Parlament, sondern per Volkswahl. Auch das richtet
sich nicht nur gegen die Militärs, sondern auch gegen die Muslimbrüder, die
die Bedingungen der Junta akzeptiert hatten, da sie sich im Vorteil wähnten.
Die Forderung der Demonstranten lautet gegenwärtig daher ganz im Sinne des
Tahrir: Nieder mit dem SCAF, zuerst eine neue Verfassung am beste durch
Wahlen und dann erst kann sinnvoll über die Präsidentschaft entschieden
werden.
Von den Präsidentschaftswahlen hat die Volksbewegung indes wenig zu
erwarten, sollten sie nun überhaupt stattfinden. Doch sie zeigt auch die
Schwierigkeiten des fragilen Blocks Militärs-Muslimbrüder. Es ist durchaus
möglich, dass weder Mousa noch Mursi den Sieg davontragen, sondern eventuell
Fotouh. Er ist dem Tahrir bis zu einem gewissen Grad in der Pflicht. Das
heißt nicht, dass er nicht ins System gezwungen werden kann, aber die
Unkosten dafür wären höher. Sein Erfolg wäre für die Bewegung sicher
kein schlechtes Zeichen. Aber auch der Kandidat der historischen Linken, der
Nasserist Hamdeen Sabahi, ist für einen Achtungserfolg gut.
Von einem „Islamischen Winter“ oder gar von der glatten Fortsetzung der
Herrschaft der USA kann also nicht die Rede sein. Das Spiel ist gänzlich
offen und es stehen noch viele Runden vor uns.
20. April 2012
+Interview mit Mohamed Wakid, einem führenden Tahrir-Aktivisten, in englisch
vom Februar 2012 über die Rolle der Muslimbrüder.
http://www.antiimperialista.org/interview_wakid_sin+