P.Bernocchi: 20 Jahre COBAS (Gewerkschaftsforum Hannover)

Gewerkschaftsforum Hannover:

Jahrestage sind immer eine gute Gelegenheit, um eine Bestandsaufnahme zu machen, Erfahrungen auszuwerten und sich über die weiteren Perspektiven klar zu werden. In einem der Leitartikel für die Zeitung der eigenständigen, linken, italienischen „Basiskomitees Schule“ COBAS Scuola „COBAS – giornale dei comitati di base della scuola“ Nr. 34 von März / April 2007 (Erscheinungstermin: 21.3.2007) hat Piero Bernocchi, 20 Jahre nach Gründung dieser selbst organisierten Basisgewerkschaft, die u.a. auf die Autonomia-Bewegung von 1977 zurückgeht, genau das getan. Dabei kam auch die Kritik der amtierenden Mitte-Links-Regierung Prodi nicht zu kurz. Im Ergebnis ein guter Überblick über die Lage in Italien und die Antwort der COBAS und der außerparlamentarischen Bewegungen darauf. Angesichts der ungebrochenen sozialpartnerschaftlichen Haltung der DGB-, ver.di-, IG Metall- und IG BCE-Bürokratie, des Strebens der PDS / WASG nach „Regierungsverantwortung“ in einer Mitte-Links-Regierung auch auf nationaler Ebene in Deutschland, den Problemen der hiesigen Gewerkschaftslinken und der durch die Anti-G8-Mobilisierung nur mühsam verdeckten Krise der sozialen Bewegungen (inklusive der Anti-Globalisierungsbewegung) eine auch hierzulande spannende Lektüre, wie wir finden. (Wobei die Teilnehmerzahl an der antimilitaristischen Demonstration vom 17.März 2007 wiederum eine „italienische Zahl“ ist. Tatsächlich waren es nicht „30.000“, sondern ca. 2.000 Leute. Auch das ist unter den gegebenen Umständen allerdings als Erfolg und als Fortschritt gegenüber der fast völligen Passivität in den ersten Monaten der Regierung Prodi zu werten.)

Zur Person: Piero Bernocchi (geboren am 13.9.1947 in Foligno / Umbrien) lebt in Rom, ist Lehrer und nationaler Sprecher der linken Basisgewerkschaft Confederazione Cobas. Piero Bernocchi hat eine lange Vergangenheit in der radikalen Linken, zu deren prominentesten Vertretern er gehört. Er spielte, zunächst der 4.Internationale nahe stehend, in der 68er Bewegung und dann in der Autonomia-Bewegung von 1977 eine wichtige Rolle. Von 1979 – 85 war er Direktor des linken Radiosenders „Radio Città Futura“ (Radio Stadt der Zukunft) und ist Autor mehrerer Bücher über politische und gewerkschaftliche Themen und insbesondere über die Entwicklung der radikalen Linken. Seit ihren Anfängen 1999 zählt er zu den wichtigsten Aktivisten der italienischen Anti-Kriegs- und Anti-Globalisierungsbewegung sowie des Europäischen Sozialforums (ESF).

 

Zwanzig Jahre später

von Piero Bernocchi

Dieses Jahr feiern die COBAS 20jähriges Bestehen. 20 Jahre während derer wir uns gegen die mörderischen Angriffe einer breiten Front verteidigen mussten, die die Existenz einer nicht korrumpierbaren und nicht in das System integrierbaren Organisation nicht erträgt, die pausenlos für die soziale Gleichheit und Gerechtigkeit und gegen die Herrschaft der Kriegs- und jener globalen Vermarktungslogik des Lebens kämpft, die die zentrale Rolle des ökonomischen Profits allen Bewohnern des Globus aufzwingt.

Die Diktatur der Regierungsgewerkschaften

Besonders unerträglich erscheint das Agieren einer in den Arbeitsstätten verankerten und den Konflikt vonseiten der Lohnabhängigen und der Schwächsten aus praktizierende Organisation, die nicht auf der Verteidigung von Standes- oder Partikularinteressen basiert, sondern auf der selbstlosen gewerkschaftlichen, politischen und sozialen Arbeit, den Staatsgewerkschaften, den professionellen „Sozialpartnern“. Während <die drei großen Gewerkschaftszentralen> CGIL-CISL-UIL bis 1986 jede Reglementierung der gewerkschaftlichen Struktur abgelehnt hatten, ist seit dem Entstehen der COBAS eine Fülle von antidemokratischen und schikanösen Regeln auf uns niedergegangen, um uns daran zu hindern die Lohnabhängigen zu verteidigen und uns hinwegzufegen, während große Machtmaschinerien (wie die Staatsgewerkschaften) noch heute wie private Clubs behandelt werden, ohne juristische Verpflichtungen gegenüber den Zehntausenden von Leuten, die für sie arbeiten und mit Jahreseinnahmen von Milliarden Euro.

In den letzten Monaten wurde vonseiten der CGIL in den Massenmedien eine massive Aggression gegen uns gestartet, angefangen bei den im Vorfeld der sehr gelungenen Demonstration gegen Prekarität am 4.November 2006 (die zu einer „Demonstration der COBAS“ wurde) von uns geschalteten Anzeigen (<Arbeitsminister> „Damiano – Unternehmerfreund“) bis hin zu dem <von CGIL-Generalsekretär> Epifani erlassenen Diktat von Gewerkschaftsausschlüssen für diejenigen CGIL-Mitglieder, die sich an COBAS-Streiks oder –Demonstrationen beteiligen. Das Bisschen, was vom Versammlungsrecht in den Schulen übrig geblieben war, wurde während und nach den RSU-Wahlen beseitigt. Und in der Privatwirtschaft weigern sich die Padroni den Gewerkschaftsbeitrag der COBAS-Mitglieder zu überweisen oder entziehen den RSU-Delegierten, die von einer Gewerkschaft zu den COBAS wechseln, sogar das Mandat. Trotz dieser wirklichen und wahrhaftigen Diktatur der Regierungsgewerkschaften, die sich das Monopol der Tarifverhandlungen und der Demokratie gesichert haben, trotz des Entzugs selbst der elementarsten Rechte, wie dem Versammlungsrecht und dem Recht auf Mitgliedschaft in den COBAS gibt es uns noch und zwar lebendig und kämpferisch. Und wir sind immer stärker in den gewerkschaftlichen, politischen und sozialen Entwicklungen dieses immer widersprüchlichen und oftmals nervtötenden Italien sowie in den Aktivitäten auf europäischer und internationaler Ebene präsent.

Die wirtschaftsliberale und militaristische Kontinuität der Regierung Prodi

Umso relevanter und mit größerer Verantwortung erweisen sich die COBAS seitdem die (allerdings nicht von uns!) so sehr herbeigesehnte Regierung Prodi an die Macht gelangt ist. Deren wahres Erfolgsgeheimnis lag im sakrosanten Hass der Massen auf Berlusconi und seinen nicht vorzeigbaren Regierungshofstaat. Auch wenn wir um den Anti-Berlusconi-Drang der Massen wissen, der den „Treibstoff“ für das (allerdings sehr mühsame) Abheben des wackeligen Flugzeugs der Mitte-Links-Union bei den Wahlen lieferte, haben wir das „Volk der Linken“ vor der tödlichen Gefahr eines Berlusconismus ohne Berlusconi gewarnt, d.h. vor einer Fortsetzung der Politik der Mitte-Rechten in punkto Wirtschaft, Arbeit, Prekarität, privatisierte soziale Dienstleistungen und einer verbreiteten Kriegstreiberei in „zivilerem“ Gewand.

Die Wirklichkeit hat unsere Vorhersagen allerdings nicht nur übertroffen, sondern auch die bescheidensten Erwartungen derjenigen enttäuscht, die von der Regierung Prodi außer der Ablösung des Kavaliers zumindest eine minimale politische Wende in Richtung soziale Gerechtigkeit, Stabilisierung der Arbeitsverhältnisse, Lohnausgleich, Verteidigung der sozialen Dienste und der Renten sowie Pazifismus forderten. Wir haben uns nicht der Illusion hingegeben, dass die Mitte-Links-Union auf einen Schlag jede Kriegsbeteiligung beenden würde. Wir hatten allerdings nicht erwartet, dass sie – außer der Bestätigung der Präsenz in Afghanistan – obendrein eine von Italien geleitete militärische Intervention im Libanon (die für das Eindringen der industriell-finanziellen italienischen Lobbys im gesamten Mittleren Osten funktional ist) startet; eine neue US-Militärbasis in Vicenza genehmigt und das in einem allgemeinen Rahmen der Ausdehnung der italienischen Rolle als „terrestrischer Flugzeugträger“ für die USA und überdies eine 15%ige Erhöhung der Militärausgaben vornimmt.

Wir dachten, dass die Mitte-Linke mit der weit verbreiteten Politik der Privatisierungen, der Prekarisierung der Arbeit und der lohnbezogenen Verelendung der Arbeiterinnen und Arbeiter nicht gebrochen habe. Das gravierendste Haushaltsgesetz der Geschichte der Republik (nach dem von Amato <1992>, der jedoch zumindest das Ziel des Beitritts zur Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion verfolgte); das Lanzilotta-Dekret, das allen Gemeinbesitz auf kommunaler Ebene privatisieren will; die Blockade des Lohntarifvertrages mit zweijähriger Laufzeit für die öffentlich Bediensteten; den Raub der Abfindungen (TFR), der um ein Jahr vorgezogen und auch auf den Öffentlichen Dienst und das Schulwesen ausgedehnt wurde; sowie die weitere Verschlechterung der Renten hatten wir allerdings nicht erwartet.

Wir haben den Lehrern und ATA-Beschäftigten gegenüber wiederholt darauf hingewiesen, dass das Programm der Mitte-Links-Union die Abschaffung der Moratti-Gesetze nicht vorsah. Aber dass <der neue, mitte-linke Bildungsminister> Fioroni die Frechheit besitzen würde diese katastrophale „Reform“ nicht nur beizubehalten, sondern die Schulen auch noch geradewegs in Unternehmen bzw. Stiftungen verwandeln und die Finanzmittel für die Privatschulen gegenüber der Moratti-Periode noch aufstocken würde, hatten wir offen gestanden nicht auf der Rechnung.

Wir wussten auch vom Einfluss des Vatikans auf einen Großteil der Mitte-Links-Union. Aber den Kniefall, den die Regierung in Sachen „faktische Partnerschaften“ vor Kirchenhierarchien vollzogen hat, die, angesichts des Verlustes an Ansehen und ideologischem Einfluss, zur „Partei“ geworden sind, dem Staat das Gesetz diktierten und dabei weit über das Konkordat hinausgingen, war ekelhaft und ein nicht geringes Alarmsignal für den Kampf, der geführt werden muss, um die Weltlichkeit der Schule zu verteidigen.

Die letzte (allerdings nicht der Bedeutung nach) Enttäuschung der bescheidensten Erwartungen Vieler war, dass die neue Regierung auch auf der Ebene der Demokratie in den Betrieben die vagesten Versprechungen nicht eingehalten und ein Minimum an Gerechtigkeit und gewerkschaftlicher Freiheit für Alle wiederhergestellt hat. Im Gegenteil ! Der überstürzte Schritt zurück, der unter dem Druck der Regierungsgewerkschaften von den Ministern Fioroni <christdemokratisch-liberale Margerite; Bildung> und Nicolais <Linksdemokraten (DS); Öffentlicher Dienst> bezogen auf die Wiederherstellung des Versammlungsrechts für alle, zumindest während der RSU-Wahlen gemacht wurde, die scharfe Kampagne von CGIL-CISL-UIL gegen die Schulleiter, damit sie keine Versammlungen genehmigen und die immer höheren Hürden für die COBAS-Mitgliedschaft sorgen in Sachen gewerkschaftliche Rechte für eine Situation wie unter einem „Regime“ und zwar infolge der Rolle, die CGIL-CISL-UIL als Regierungspartei mit Ministern und Staatsekretären aus ihrem direkten Einflussbereich spielen.

Im Rahmen der Kontinuität zwischen Mitte-Rechter und Mitte-Linker hat Prodis (als Bedingung für die Wiederherstellung der Regierung nach dem Sturz der „ersten“ Regierung Prodi <Ende Februar 2007> erlassener) 12-Punkte-Katalog den Stand der Dinge geklärt. Diese 12 Punkte sind kein NEUES Programm, sondern der harte Kern, das heißt das – von der politisch-medialen heißen Luft gereinigte – Herz des „Was tun“ der Mitte-Linken. Wobei sie das Scheitern der Strategie der so genannten „radikalen Linken“ (PRC, PdCI und Grüne) beleuchten, die Regierung nach links zu drängen. Vor allem aber zeigen sie die Abschottung gegenüber den Bewegungen, die namentlich herausgefordert werden. In den 12 Punkten nimmt man sich die Kriegsgegner, die Gegner der Hochgeschwindigkeitszugstrecke (TAV) Turin-Lyon, die Gegner des Vatikans, die Umweltschützer und diejenigen zur Brust, die gegen die Zerstörung des Rentensystems, gegen die Prekarität und gegen die Privatisierungen kämpfen.

Die Bewegungen starten neu und die Opposition auf der Linken nimmt zu

Die Auseinandersetzung findet insbesondere beim Thema Krieg (mit Afghanistan an der ersten Stelle), bei den Militärbasen und den Militärausgaben statt. Bei diesen Themen haben die COBAS die Verantwortung übernommen, eine treibende Kraft für die nationale Manifestation am 17.März 2007 in Rom für den Abzug der Truppen, die Schließung der Basen und die Ablehnung der Militärausgaben zu sein, die aus Anlass der Parlamentsabstimmungen über die Weiterfinanzierung der Militärmissionen stattfindet. Das exzellente Gelingen der Demonstration mit 30.000 Menschen in einem friedlichen, den Kriegführenden und für den Krieg Votierenden gegenüber aber unnachgiebigen Demonstrationszug (in Abwesenheit aller Parteien, Gewerkschaften und Verbände, die an der Regierung sind oder diese unterstützen !) ist ein ermutigendes Signal für das Wachstum der Opposition gegen die Regierungspolitik. Sie verstärkt die machtvolle Botschaft, die einen Monat zuvor aus Vicenza von jener riesigen Massendemonstration kam, die ein klares NEIN zur Kriegspolitik verkündet hatte.

Gleichzeitig reift eine Konvergenz, ein „Pakt auf gegenseitige Hilfe“, aber auch einer Ergänzung von Thematiken und Zielen zwischen den Oppositionsbewegungen gegen die kriegstreiberische und wirtschaftsliberale Politik, von den Kriegsgegnern, über die TAV-Gegner und den Gemeinden, die die Umwelt schützen, bis hin zu den Gegnern des Vatikans. Auch die niederträchtige Lynchaktion, unter der die ganz wenigen Parlamentarier zu leiden hatten, die gegen den Krieg stimmten und damit dem Mandat gehorchten, dass ihnen die Wähler/innen und nicht die Parteivorstände ausgestellt haben, haben dazu beigetragen Klarheit über die Rolle der Regierung Prodi und der „radikalen Linken“ zu schaffen und neue Bedingungen für den Dialog und die Zusammenarbeit mit Kräften zu schaffen, die dennoch in den Regierungsparteien aktiv sind. Kurz gesagt, es zeichnet sich eine entstehende gegen die Kriegstreiberei und den Wirtschaftsliberalismus gerichtete Massenopposition ab, die die Mittel finden muss, um zu kooperieren und die verschiedenen Fronten des Potestes miteinander zu verbinden und dies mit inklusiven / einbeziehenden Mechanismen, die das Beste der Erfahrungen der Europäischen und der Weltsozialforen neu lancieren.

Unser 20jähriger Geburtstag fällt also in eine sehr komplexe politische Übergangsphase, die mühselig aber reich an Möglichkeiten ist. Auf den COBAS ballt lastet eine immer größere Verantwortung und Verpflichtung, sowohl in den Schulen wie – über die Aktivitäten der Konföderation der COBAS (deren erhebliche Ausweitung, vor allem in der Privatwirtschaft, auf der letzten Nationalen Versammlung registriert wurde) – unter allen abhängig Beschäftigten. An allen Orten und bei allen Themen des politischen Konflikts, von der Opposition gegen den Krieg über den Kampf um die Weltlichkeit, für die Selbstbestimmung und gegen die Einmischung des Vatikans bis hin zum Schutz der Umwelt und des Territoriums vor den Verwüstungen und den zerstörerischen „großen Bauvorhaben“.

Wir werden uns der unvermeidlichen gewerkschaftlichen und politischen Verantwortung angesichts einer „Linken“, die ihre Banner, ihre Ideale und ihre historischen Ziele fallen lässt, nicht entziehen und vor allem versuchen unsere Verwurzelung an den Arbeitsplätzen (mit den Schulen an erster Stelle) zu verstärken, auch wenn die Bewegung zu schlafen scheint und sehr viele Arbeiter/innen der Versuchung individualistischer Fluchtbewegungen ausgesetzt sind. Wobei wir sie daran erinnern werden, dass das „Wir“ immer stärker ist als das „Ich“.

Angesichts dieser immer drückenderen Aufgaben ist die Rückeroberung jener minimalen gewerkschaftlichen Rechte (vor allem dem Recht auf Versammlung während der Arbeitszeit) entscheidend, ohne die wir gezwungen sind oftmals in der Halb-Klandestinität zu agieren und das angesichts immer arroganterer Staatsgewerkschaften, die immer mehr Nutznießer eines absoluten Monopols sind, das es ihnen erlaubt sich der Überprüfung der Repräsentativität zu entziehen, die leicht messbar wäre, wenn es wirklich freie Wahlen mit landesweiten Listen und einem Versammlungsrecht für Alle geben würde.

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Gewerkschaftsforum Hannover