K. Fischbacher: Die Risse im Damm gegen Faschismus, Krieg und Shoa wurden immer größer

1918/19, 1927, 1933, 1934 …

Die Risse im Damm gegen Faschismus, Krieg und Shoa wurden immer größer.

Haben die heutigen (Sozial-)Demokraten eine couragiertere Wesensart?

 

Achtstundentag, Arbeitslosenunterstützung, Meinungs- und Pressefreiheit, Arbeiterurlaubsgesetze, Betriebsrätegesetz etc. – die gesamte große Sozialgesetzgebung Österreichs (die von Rot-Schwarz-Blau seit über 10 Jahren wieder abgebaut wird) war Produkt der sozialen Revolte der Arbeiterschaft nach dem 1.Weltkrieg! Die Sozialdemokratie im Verein mit den noch etwas schlappen Bürgern mussten diese Sozialgesetzgebung 1918/19 einführen, um ein Überschwappen der proletarischen Revolution vom jungen Sowjetrussland und von Sowjetungarn auf das bürgerliche Österreich zu verhindern. Auf der anderen Seite waren die Linksradikalen, die in den sozialen Kämpfen die antreibenden Elemente darstellten, zu unerfahren und zerstritten und noch dazu jedes Mal von einer revolutionssprachigen Sozialdemokratie derart beiseite gedrängt, dass sie – abgesehen von kurzen Momenten 1918/19 – im Gros der österreichischen Arbeiterklasse keine Rolle spielten. Die KPÖ der Zwanziger Jahre wurde schließlich schon sehr bald durch Stalinismus & ultralinke Politik zur Sekte reduziert. Ihrem Verbot Mai 1933 folgte ab 1934 Österreich-patriotische Politik mit einem temporären Mitgliederaufschwung nach der Februarniederlage 1934. Schutzbund-Militante – auch jene, die politisch zur KPÖ wechselten – mussten bzw. wollten in die Sowjetunion flüchten, wo aber viele von ihnen von Stalins NKWD verhaftet, hingerichtet oder an die Gestapo ausgeliefert wurden (siehe H.Schafranek, 1990).

In diesem Österreich unmittelbar nach dem 1.Weltkrieg mit schwacher radikaler Linker und schwacher Kapitalistenklasse hatte die Sozialdemokratie somit optimale Bedingungen vorgefunden, ihre Strategie eines „wehrhaften Parlamentarismus’“ durchzusetzen! 1919 hatte es die sozialdemokratische Führungsgruppe um Seitz, Deutsch & Friedrich Adler perfekt gelernt, jedes Mal bei proletarischem Aufruhr die radikallinken Forderungen aufzugreifen und dasselbe bzw. nur ´ein bisschen weniger´ zu fordern. Wichtig war dabei, den linken Losungen den revolutionären Stachelstaatsunabhängiger proletarischer Selbstorganisation (Räte) zu ziehen und in staatsbürokratische parlamentarische Bahnen zu leiten! Nicht durchdacht im sozialdemokratischen Konzept war dann natürlich, dass durch die Niederlage der sozialen Revolte das Bürgertum erstarkte, das in der sozialen Krisen- und Aufruhrsituation der Nachkriegsjahre schnell in Richtung Faschismus marschierte! Staatstragend und ängstlich geworden gegenüber einer proletarischen (unkontrollierbareren) Rebellion, musste die Sozialdemokratie unweigerlich Schritt um Schritt zurück weichen vor der bürgerlichen Macht – auf deren Weg zum Faschismus!

Nach 1920 rüsteten Kapitalisten, Kirche und Großgrundbesitzer voll auf. Bundesheer und faschistische Heimwehren positionierten sich rund um das „Rote Wien“ der Sozialdemokratie, die, nachdem sie Arbeiterräte und Volkswehr abgeschafft hatte, nun den Republikanischen Schutzbund aufbauen musste. Stetige Wahlerfolge und letztlich „51%“ SDAP-Stimmenmehrheit im Parlament zu erreichen, war bekanntlich schon vor dem 1.Weltkrieg die Strategie des rechten Mehrheitsflügels der Sozialdemokratie und führte, fortgesetzt in der Ersten Republik, ins nächste historische Fiasko. Schon die ganzen Jahre vor 1927 hatten Heimwehrler, Frontkämpfer herumgeschossen und vier Schutzbündler ermordet. Die Schüsse in Schattendorf waren sozusagen alltäglicher Mord. Doch mit dem provokanten Freispruch der faschistischen Mörder im Juli wurde „1927“ zum ersten großen Test, mit dem Pfaffen & Bürgerliche die Stärke der Arbeiterbewegung ausprobieren wollten. Und tatsächlich, sie mussten Angst haben. Tausende ArbeiterInnen marschieren am 15. Juli spontan ins Wiener Zentrum, Polizisten vor sich hertreibend und zünden das Symbol der austrofaschistischen Justiz, den Justizpalast, an. Und nachdem die Polizei in die ArbeiterInnenreihen hineingeschossen hatte, 85 tötete und über 1000 verletzte, streikte die Wiener ArbeiterInnenschaft und ging zum Österreich-weiten Verkehrsstreik über. ArbeiterInnen- und Schutzbundgruppen verlangten Waffen. Doch die Bourgeoisie konnte aufatmen, die sozialdemokratische Partei- und Schutzbundführung erlangte am Abend des 15.Juli wieder volle Kontrolle über die spontane und führungslose ArbeiterInnen-„Revolution“ (Seipel). Den „unbefristeten“ Verkehrs-Generalstreik, mit dem Bauer & Renner noch schnell die Kontrolle über die spontane Streikbewegung zurück erlangen wollten, brachen sie am 17.Juli gleich wieder ab. Die sozialdemokratische Führung diskutiert nun erregt und signalisiert der rechten Seipel-Regierung grundsätzliche Koalitionsbereitschaft. Den bürgerlich-christlichen Machtcliquen war jetzt klar: Gegenüber dieser lahmen Sozialdemokratie konnte sie mehr wagen! Die entscheidende Aufgabe stand für das Bürgertum ja noch bevor: Die Vernichtung der militärischen Kraft von Schutzbund und ArbeiterInnenschaft!

Trotzdem war die strategische Lage der ArbeiterInnenbewegung noch günstig. Das bürgerliche Lager war zwischen christlich-sozialer Regierungsmacht, Austro-Heimwehrfaschismus und deutsch-nationalistischen Nazis gespalten, während die Arbeiterklasse geeint da stand. Die steirischen Heimwehren unter Pfrimer waren im Gegensatz zu den anderen austrofaschistischen Heimwehren großdeutsch ausgerichtet. Die Heimwehrfaschisten schafften es schließlich doch, sich eine Bundesleitung zu schaffen und begannen nun die Straßen in den Zentren der ArbeiterInnenbewegung zu beherrschen. 1929 setzten sie eine autoritäre Verfassung durch (deren Hauptparagraphen z.B. bez. Bundespräsident, bis heute gelten); ab 1930 dominieren sie Regierung und Exekutive.

1933 war das Jahr der Entscheidung! Der Sieg Hitlers in Deutschland im Jänner trieb die österreichischen Nazis und die Dollfuß-Christlich-Sozialen zur Offensive. Wenn die drei Nationalratspräsidenten am 4.März nicht zurück getreten wären, dann hätte Dollfuß einen anderen Anlass gesucht bzw. konstruiert, um das Parlament auszuschalten. Hitler vor Österreich, Mussolini in Italien, Frankreich in der Krise. Der Heimwehrfaschismus beherrschte die Bundesländer und die deutschnationalistischen Nazis beginnen zu marschieren – gegen links natürlich aber auch gegen die Christlich Sozialen! So war es um Österreich um 1933 bestellt. Dollfuß musste es wagen – trotz kampfbereiter sozialdemokratischer Basis, in der jetzt Vertrauensleute und BetriebsrätInnem die SDAP-Führer bestürmen, zum Generalstreik und Entscheidungskampf überzugehen! Im März 1933 waren Bauer, Seitz & Renner jedoch bereits derart eingeschüchtert und in ihrem Konzept bürgerlicher Demokratie gefangen, sodass sie zu keinerlei Planung und Organisation von militantem ArbeiterInnenwiderstand mehr fähig waren! Bedroht von den deutschen Nazis und von Links, war dem Dollfuß-Regime die sozialdemokratische Schutzbund-Macht die verhasstere: 1.Mai 1933 – verboten! Schutzbund – verboten! Notverordnungen gegen Streiks, Verbot der KPÖ, Zensur, Auflösung des Verfassungsgerichtshofes etc.. Schlag auf Schlag ging es jetzt gegen die Arbeiterklasse mit Abbau von Löhnen und Sozialrechten. „Dagegen“ gab es von Seiten der SDAP nur mehr verbale Proteste. Und sie sammelte eine Million Unterschriften unter eine Petition an Bundespräsident Miklas für die Wiedereinführung des Parlaments… Dollfuß, Starhemberg & Konsorten lachten sich krumm und schief.

Das gebe man sich: Das Parlament, das politische Lebenselixier der Sozialdemokratie, wird ausgeschaltet. Und diese „Antifaschisten“ sammeln Unterschriften und gehen am 1.Mai „spazieren“! Die Linke in der Sozialdemokratie kann diesen Niederlagenkurs nicht ändern, ja passt sich letztlich durch ihr Dogma der Parteieinheit an. 1927 waren es kleine Gruppen von StudentInnen, ArbeiterInnen und Schutzbündlern der „Politischen Arbeitsgemeinschaft“, die gegen den damaligen Rechtsruck in der Parteiführung opponierten. 1929 wurden sie aus der Partei ausgeschlossen. Im selben Zeitraum agierte das „Komitee revolutionärer sozialdemokratischer Arbeiter“, erreichte im Dezember 1929 auf einer Veranstaltung in Wien-Hernals immerhin 1.500 Personen und wurde ebenfalls ausgeschlossen. Schließlich trat bis 1933 die oppositionelle SP-Gruppe um Ernst Fischer auf, die in Kreisen steirischer und Wiener BetriebsarbeiterInnen, von Erwerbslosen und Jugendlichen Einfluss besaß. Nach scharfer Kritik am passiven Parteikurs und Forderungen nach Partei-Arbeiterräten zog diese Opposition schließlich auf dem Parteitag im Oktober 1933 ihre Resolution zu Gunsten der Einheit der Partei zurück (P.Kuleman 1982).

Dollfuß, Ender, Schmitz schreien 1933/34 laut nach der Ausrottung des Marxismus und Auflösung der Gewerkschaften. Schutzbundlager werden der Reihe nach geräumt, regionale Schutzbundführer verhaftet. Der Heimwehrfaschismus drängt nach der endgültigen Vernichtung des Schutzbundes! Sie treffen im Februar 1934 auf eine gelähmte sozialdemokratische Führung und auf breite, spätestens ab März 1933, demoralisierte Schichten der Arbeiterklasse und(!) des Republikanischen Schutzbundes! Nur mehr ein militanter Kern des Schutzbundes führt ab dem 12. Februar 1934 den Abwehrkampf: Gegen den Willen der Partei- und Schutzbundführung, ohne Kampfführung und gemäß den unrealistischen Leitlinien eines defensiven stehenden Heeres. Das musste unvermeidlich zur tragischen Situation isolierter Schutzbundtrupps führen, die zurückgezogen in den Gemeindebauten wehrlos den Kanonenschüssen der Austrofaschisten ausgesetzt sind. Kurz konnten Elektrizitätsarbeiter noch die Stromversorgung unterbrechen, doch der Generalstreik blieb aus! „Der Wiener Aufstand war die einzig mögliche Antwort auf den faschistischen Angriff, eine ungenügende, verspätete Antwort verlassener, von den eigenen Führern desorganisierter und irregeführter Arbeiter, aber eine Antwort, die selbst in dieser Form von unvergänglichem Wert nicht nur für die österreichische, sondern für die ganze, internationale, um ihre Rettung vor dem Faschismus und um ihre Befreiung ringende Arbeiterklasse.“ (Erwin Ackerknecht, 1934)

Auf den Februar 1934 folgte der Juli: Der erste Nazi-faschistische Umsturzversuch. Ab da begannen sich die braunen Massen Erwerbsloser, in den Konkurs Getriebener, demoralisierter ArbeiterInnen, BeamtInnen, etc. auszubreiten. Die bonapartistische Diktatur des Austrofaschismus, die sich ihrer wesentlichen Stärke aus dem Kampf zwischen sozialdemokratischer Arbeiterklasse und dem Faschismus selbst beraubt hatte, stand nach Mussolinis Bündnis mit Hitler vollends geschwächt „gegen“ den Hitler-faschistischen Imperialismus.

Die ÖVP hat noch heute das Bild des Austrofaschisten Dollfuß in ihrem Parlamentsklub hängen. Wie viel politisches Vertrauen können wir in die heutigen politischen Eliten haben angesichts einer(!) Perspektive weiter anwachsender Hunderttausender Erwerbslosenmassen (in Europa von Millionen) und kapitalistischen Kriseneinbrüchen? Wo es dann aggressiver als bisher neofaschistischen Populisten mit „antikapitalistischer“ und(!) rassistischer Rhetorik gelingen könnte, breitere Schichten des Mobs zu mobilisieren. Im Ansatz trägt sich solches heute in Deutschland zu. Und was machen die Strache & Haider in einem Krisenszenario, denen schon heute zum faschistischen Charakter „nur“ mehr fehlt, dass sie für ihre „Ausländer raus“-Politik den mittelständischen und erwerbslosen Mob auf den Straßen mobilisieren? Wer steht dagegen? Der Sozialdemokratie Gusenbauers fehlen selbst die antikapitalistischen Phrasen des Austromarxismus. Dieser hatte damals teils blind, teils sehend, die lohnabhängige Klasse in die Niederlage und damit die Gesellschaft in Faschismus, Krieg & Shoa geführt…

Karl Fischbacher,

Wien, Juli 2004

 

Siehe auch:

1932: Nazis verstärkt im Wiener Gemeinderat. Franz Schausberger

Anton Pelinka: Christliche Arbeiterbewegung und Austrofaschismus