agm: UNO – Geschichte einer kriminellen Vereinigung

Von: < agm@agmarxismus.net >

Betreff:

UNO – kriminelle Vereinigung

Datum: Freitag, 11. April 2003

Bei der Aufteilung der Beute des besetzten Irak geraten sich verschiedene Teile der imperialistischen Räuber nun in die Haare darüber, welche Rolle die UNO in der „Nachkriegsordnung“ spielen soll. Während die US-Regierung bereits Aufträge an ihr nahestehende Firmen vergibt (in einer davon sitzt beispielsweise George Bush sen. im Management) und der ex-Shell-Manager Philip Carrol als Verantwortlicher für die Privatisierung und Verwaltung der irakischen Ölindustrie vorgesehen ist, versuchen Frankreich, Deutschland und nun auch teilweise Großbritannien über die UNO einen Fuß in der Tür zu lassen. Während in Nachrichtensendungen idiotische „Experten“ ihre Ausdünstungen über das Pro und Kontra von Völkerrecht und UNO absondern, klammern sich auch beträchtliche Teile der Antikriegsbewegung an die UNO. Das halten wir für grundfalsch und zwar aus den Gründen, die Stefan Neumayer in dem folgenden Artikel ausführt:

U N O – Geschichte einer kriminellen Vereinigung

In der heutigen Antikriegsbewegung sind wir vielfach mit Stimmungen konfrontiert, die eine Hoffnung in die UNO ausdrücken: Entgegen dem Unilateralismus der USA hätte dort auch Europa etwas mitzureden. Oder: Die Inspektor/inn/en seien die beste Sicherheitsgarantie und sollten einmal weitermachen. Oder: Wenn die UNO doch für einen Krieg sei, müsse man dies halt schweren Herzens mittragen, sei sie doch das Weltparlament.

Nicht nur für die aus der Friedensbewegung hervorgegangenen Grünen ist das UNO-Mandat das Gütesiegel, das eine Unterstützung der Aktion nicht nur erlaube, sondern eigentlich notwendig mache. Auch „linke“ Parteien wie die PDS sehen, trotz interner Diskussionen, in der Zwischenzeit UNO-mandatierte Kriege quasi als gerechte Kriege an, wo man von seinem sonstigen Pazifismus eine Ausnahme machen kann und muss.

Wir wollen im folgenden zeigen, dass die UNO genau nicht jenes Weltparlament ist, als das sie oft in den Medien erscheint, sondern nur ein Zusammenschluss imperialistischer Staaten zur besseren (und auch mediengerechteren) Verteilung der Beute. Und dass ein UNO Mandat für einen Krieg den grundsätzlichen Charakter dieses Krieges in keinster Weise ändert – im Guten wie im Schlechten. Dazu ist allerdings eine kleine Exkursion in die Geschichte nötig.

Der Völkerbund

Die Idee von Vereinten Nationen, die Idee eines Völkerbundes geht zurück bis zur Herausbildung der modernen Nationalstaaten. Vertrat gegen Ende des 17.Jahrhunderts schon der Quäker William Penn die – allerdings noch stark utopistisch geprägte – Idee eines europäischen Staatenkongresses, so geht die Idee eines Völkerbundes im engeren Sinn auf den Königsberger Philosophen Immanuel Kant zurück. Zur Zeit der französischen Revolution entwickelte Kant in der Schrift „Zum ewigen Frieden“ die Idee eines Bundes von gleichberechtigten Staaten zur Schaffung von Weltfrieden. Nachdem  es schon in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zur Gründung verschiedener internationaler Organisationen kam (wie etwa des Internationalen Verbandes zum Schutz des gewerblichen Eigentums), wurde um die Jahrhundertwende auf den beiden Haager Friedenskonferenzen eine Landkriegsordnung und ein (auf freiwilliger Akzeptanz basierender) Schiedsgerichtshof eingerichtet, die zwischenstaatliche Konflikte schlichten oder zumindest die Kriege „humanisieren“ sollten. Weitergehende Vorschläge über Abrüstung und staatliche Sicherheitsgarantien scheiterten an den innerimperialistischen Widersprüchen.

Während des ersten imperialistischen Weltkriegs wurde nun real Kurs auf einen Völkerbund genommen, insbesondere in Großbritannien und den USA sah man darin ein geeignetes Instrument endlich zur ersehnten Abrüstung zu kommen – natürlich nur auf Seiten des Gegners (und Verlierers), den Mittelmächten; auch sollte er zur Vergabe von Verwaltungsmandaten über ehemalige deutsche Kolonien dienen. Und die USA, deren Präsident Wilson die Rolle des Initiators bei der Gründung des Völkerbundes spielte, sahen in ihm auch ein Instrument zur Öffnung der Märkte für ihre Produkte. Zur Gründung des in Folge in Genf residierenden Völkerbundes kam es dann bei den Pariser Friedensverträgen, neben den 32 (!, ja so viele hatten sich dem Raubzug dann noch schnell angeschlossen) Siegerstaaten des ersten Weltkriegs wurden 13 weitere, neutrale Staaten als Gründungsmitglieder aufgenommen. Die Verliererstaaten mussten zwar die Völkerbundsatzung mit den Friedensverträgen unterschreiben, durften dem Völkerbund aber erst nach und nach beitreten.

Die Anzahl der Mitgliedsländer des Völkerbundes ändert sich rasant, einerseits traten neue Mitglieder bei, andere Staaten verließen wegen Differenzen den Völkerbund. Und obwohl er faktisch erst 1946 aufgelöst wurde, scheiterte er schon viel früher an den realen Widersprüchen der Interessen der Mitgliedsstaaten. Die USA, trotz ihrer zentralen Rolle bei der Gründung, traten dem Völkerbund erst gar nicht bei, da sie glaubten, ihre nationalen Ansprüche eher ohne ihn durchsetzen zu können. Und auch die anderen großen Siegerstaaten, die den Völkerbund organisatorisch dominierten, nutzten ihn für ihre Interessen aus wo es ging, scherten sich aber überhaupt nicht um ihn, wenn er ihnen im Wege stand. So okkupierte Japan 1931 die Mandschurei und Italien 1935 Abessinien gegen die Satzungen des Völkerbundes (aber mit stiller Billigung Frankreichs und Großbritanniens); beide verließen bald darauf freiwillig den Völkerbund, genauso wie Deutschland, das sich nicht an die Rüstungsbeschränkungen halten wollte… Die UNO: Gründung,…

Schon 1940/41, zu Beginn des zweiten imperialistischen Weltkrieges, machten sich die USA und Großbritannien daran, nochmals nachzusetzen und eine verbesserte Version ihres Völkerbundkonzeptes herauszubringen, die klar von ihnen dominiert werden sollte. Ziel war wiederum die Abrüstung der „schuldigen Nationen“ (worunter nicht nur die Achsenmächte, sondern auch alle von diesen ohne allzu viel Widerstand überfallenen Nationen gezählt wurden) und eine Neuordnung der Weltwirtschaft: Öffnung der Märkte, freier Zugang zu Rohstoffquellen und die Etablierung eines festen Wechselkurssystems. Doch schon hier tauchten erste Widersprüche auf: Zielten die USA darauf ab, mit ihrer ökonomischen Potenz eine Dominanz auszuüben, wollte Großbritannien eine besondere Rolle seines Commonwealth festgeschrieben wissen und die Vormachtstellung der USA durch Festschreibung einer regionalen Zuständigkeit einschränken.

Doch als 1945 in San Francisco die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) mit der Verabschiedung der Charta gegründet wurde, hatte sich durch das weitere Kriegsgeschehen das globale Machtgleichgewicht verschoben, auch Frankreich, China und die Sowjetunion mussten als globale Führungsmächte anerkannt werden. Um eine allzu große Dominanz des Westens zu verhindern wollte die Sowjetunion, die ja die Hauptlast des Krieges getragen hatte, Einzelbeitritte aller 15 Teilrepubliken, was die USA ablehnten, schließlich traten Russland, Weißrussland und die Ukraine der UNO bei.

Auch viele Linke heften sich die „universellen“ Menschenrechte, die im Zuge der UNO-Gründung deklariert wurden, allzu unkritisch ans Banner. Sowohl die proklamierte Universalität, als auch die realen Widersprüche zwischen den einzelnen „Rechten“ zeigen nur allzu deutlich deren utopischen Charakter. Das  kapitalistische System steht deren konsequenter Umsetzung  fundamental im Wege, trotzdem werden sie nur allzu gern von imperialistischen Mächten zur Durchsetzung der eigenen politisch-ökonomischen Ziele genutzt.

…Struktur…

Fast alle Staaten der Erde sind Mitglied der UNO, jedem von ihnen steht Sitz und Stimme im Plenum, der Generalversammlung, zu. Die Stimme jedes Landes zählt hier gleich, egal ob es nur einige tausend oder eine Milliarde  Einwohner hat – nämlich in der Regel nichts, besitzt die Generalversammlung doch real nur wenig Einfluss, genauso wie der von ihr gewählte Generalsekretär. Das zentrale Gremium, das die reale Macht in der UNO ausübt, ist der Sicherheitsrat.

Auch wenn sich die Modalitäten im Sicherheitsrat seit der Gründung leicht verändert haben, ist die Kernstruktur die selbe geblieben. Er besteht aus fünf ständigen Mitgliedern (USA, GB, Frankreich, Russland und China, dessen Sitz allerdings bis 1971 (!) von Taiwan eingenommen wurde). Weiters gibt es zehn nichtständige Mitglieder, die nach einem gewissen Regionalschlüssel jeweils für zwei Jahre von der Generalversammlung gewählt werden. Eine Entscheidung kann mit neun Stimmen getroffen werden, allerdings darf keines (!!) der ständigen Mitglieder dagegen stimmen, denn diese haben ein Vetorecht. Auch die Generalversammlung kann dann nichts mehr machen, gilt doch eine Sperrklausel: In Konflikten, in denen der Sicherheitsrat – dessen Beschlüsse übrigens für alle Mitglieder bindend sind – aktiv geworden ist, darf die Generalversammlung keine Empfehlung mehr abgeben. Wir haben also die bemerkenswerte Situation, dass das Gremium, in dem alle vertreten sind, nichts Relevantes zu sagen hat, während das Gremium, das durch einige Großmächte beherrscht ist, den Ton angibt.

Ein weiteres wichtiges Organ der UNO ist der Wirtschafts- und Sozialrat ECOSOC, die Drehscheibe zu den Sonder- und Spezialorganisationen. Währen die 14 Spezialorganisationen (etwa das Kinderhilfswerk UNICEF) dem ECOSOC direkt unterstellt (und somit meist schlecht finanziert) sind, sind die 16 Sonderorganisationen nur lose angebunden und verfügen über eigene Strukturen und finanzielle Mittel. Hierzu gehören etwa die Bretton-Woods Organisationen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF), die durch eine besondere Art des Stimmrechts glänzen: Die Anzahl der Stimmen, die jedes Land hat, hängt Proportional vom Finanzierungsbeitrag ab, was zu einer absoluten Dominanz der imperialistischen Länder führt.

…und Funktion

Die Nützlichkeit von Daten oder Statistiken, die UNO-Organisationen aufstellen, bestreitet niemand, auch Aktionen der humanitären Hilfe sind nicht abzulehnen, auch wenn die Ursachen meist auf die führenden UNO-Mitgliedsländer selbst zurückgehen. Doch das sind Nebensächlichkeiten, für die die UNO als solche nicht erforderlich wäre.

Die UNO ist erst einmal ein riesiges Beamten- und Diplomatenheer im Dienste der verschiedenen Staaten, das von den realen Bedürfnissen der lohn-abhängigen Bevölkerung in seinen Ländern weder Ahnung hat noch Interesse an ihnen. Dafür verbirgt sich unter dem schönen „Abkommen zur Sicherung der Tätigkeit der UN“ von 1946/47 großteils eine Auflistung der „den UN und ihren Beamten gewährte(n) Immunitäten und Privilegien“ bzw. derer der Spezialorganisationen – von der Steuerbefreiung bis zur rechtlichen Immunität.

Die reale Machtverteilung ist durch die obige Schilderung des Sicherheitsrates wohl zur Genüge charakterisiert, hinzu kommt das massive Phänomen des Stimmenkaufs. In der Entscheidung zum Golfkrieg 1990/91 ließ sich China etwa den Verzicht auf sein Veto durch ein Ende der Wirtschaftssanktionen (wegen des Tian’anmen-Massakers) und einen Weltbankkredit über 114 Mio. US-$ – der prompt eine Woche nach der Abstimmung eintraf – erkaufen.  Andererseits verlor etwa der Jemen durch sein Nein seine gesamte US-Entwicklungshilfe.  Auch heute, im Vorfeld eines neuerlichen Irakkrieges, ähnelt der Sicherheitsrat eher einer der Mafiaversammlung, wo der Pate zu den Kleinkriminellen sagt: „Leute, ich habe euch ein Geschäft vorzuschlagen, zu dem ihr nicht nein sagen könnt.“

Auch die Wirkung von UNO-Resolutionen kann höchst verschieden sein, nicht alle werden so nachdrücklich verfolgt wie die zur Gutheißung imperialistischer Kriegspläne. Als Paradebeispiel für zwar mit großer Mehrheit beschlossene aber doch völlig ignorierte Resolutionen zählen die Resolution 242 zum Rückzug Israels aus den während des Sechs-Tage-Krieges besetzten Gebieten und die Resolution gegen die US-Sanktionen gegen Kuba.

Und wenn es sich im Sicherheitsrat doch einmal spießt, haben die zentralen imperialistischen Staaten auch noch andere Möglichkeiten. Sie können die Entscheidungen in Sonderorganisationen mit anderem Stimmrecht (wie Weltbank oder IWF), oder ganz aus dem UNO System verlagern: Es gibt ja auch noch die WTO oder gar die G7/G8, da gibt es dann keine lästigen 3.Welt-Staaten mehr, die mitreden wollen.

Die UNO im Krieg: Golfkrieg 1990/91, Korea 1950-53,…

Im Folgenden wollen wir uns mit den Militärinterventionen unter Ägide der UNO auseinander setzen – diese werden ja oft und gerne als positives Gegenstück zum Unilateralismus der USA gesehen. In der Geschichte der UNO kam es bislang zu keinen eigentlichen UNO-Kampfeinsätzen, sondern nur zu UNO-mandatierten Einsätzen einzelner Staaten oder Koalitionen, die nicht einmal unter UNO-Insignien kämpften (mit der einzigen Ausnahme des Koreakrieges).

Der bekannteste Einsatz ist sicher der Golfkrieg von 1990/91, in dem, nachdem der Irak ursprünglich mit scheinbarer Billigung Washingtons Kuwait überfallen hatte, unter US-Führung eine internationale Koalition auf den Plan trat, Kuwait zu „befreien“. Nach einem Gefeilsche im Sicherheitsrat, bei dem die Imperialisten Russland und China einkauften, gab es das geheiligte UN-Mandat und die US-Militärmaschinerie konnte losschlagen. Die Operation Desert Storm kostete 200.000 Irakis das Leben. Ergebnis des Krieges war ein völlig zerstörtes Land, das zwar weiterhin vom brutalen Diktator Saddam Hussein beherrscht wurde, zusätzlich aber noch UNO-Sanktionen hinnehmen musste, die selbst nach UNO-Angaben das Leben von einer Million Irakis forderte, darunter die Hälfte Kinder unter 5 Jahren; die weiteren Folgen sehen wir jetzt (näheres dazu in unserer Broschüre „Der Irak im Fadenkreuz des Imperialismus“). 1990/91 war die UNO nichts anderes als der „legale“ Deckmantel für die verstärkte imperialistische Durchdringung der Golfregion.

Der erste große Kampfeinsatz mit UNO-Mandat, bei dem als einzigem die Truppen sogar unter der UNO-Fahne kämpften, war allerdings schon der Koreakrieg 1950-53. Auf der Potsdamer Konferenz einigten sich die Alliierten auf eine geteilte Besetzung der koreanischen Halbinsel, die Sowjetunion war für die Gebiete nördlich des 38. Breitengrades zuständig, die USA für den Süden. Während im Norden nach Vorbild der UdSSR ein degenerierter Arbeiterstaat geschaffen wird, entsteht im Süden mit Unterstützung der USA eine Diktatur unter Syngman Rhee, gestützt auf die kleine koloniale Bourgeoisie. Beide erheben Anspruch auf die gesamte koreanische Halbinsel, was wiederholt zu bewaffneten Grenzkonflikten führt.Als nach Drohungen des Südens der Norden eine Offensive startet, tritt auf Initiative der USA, die eine Ausbreitung des „Kommunismus“ verhindern wollen, die UNO auf den Plan. Da die UdSSR aus Protest gegen die Inanspruchnahme des chinesischen Sitzes durch Taiwan den UNO-Sicherheitsrat boykottiert, beschließt dieser die Mitgliedsstaaten aufzurufen, eine Armee zur Verteidigung des Südens aufzustellen. Das titoistische Jugoslawien, das zwar im Sicherheitsrat wegen einseitigen Vorgehens gegen den Antrag stimmt, unterstützt letztendlich den Krieg, in dem Nordkorea Unterstützung von China erhält. Nach wechselvollen Kämpfen mit über drei Millionen Toten kommt es letztendlich de facto zur Wiederherstellung des Status quo ante. Die Folgen sind insbesondere für den durch amerikanische Luftangriffe völlig zerstörten Norden verheerend, doch auch die Lage der Bevölkerung im weiterhin diktatorisch regierten Süden ist katastrophal. Bereits 1950 hatte sich also die UNO als Instrument der imperialistischen Außenpolitik erwiesen.

Die kriminelle Realität der UNO-Interventionen könnte man  etwa auch am Beispiel der Intervention in Somalia 1993 zeigen, im Folgenden wollen wir dies allerdings an zwei Aktionen darstellen, die allgemein als geglückt und beispielhaft gelten, gerade bei den UN-Freund/inn/en unter den Kritiker/inne/n des Irakkrieges: Die Operation zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit Ost-Timors 1999 und die Operation Restore Democracy in Haiti 1994.

…Haiti 1994…

Die Republik Haiti nimmt neben der Dominikanischen Republik auf der Karibikinsel Hispaniola die kleinere, westliche Hälfte ein. Nachdem sie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts teilweise von den USA direkt besetzt wurde, herrschte Jahrzehnte lang eine pro-amerikanische Militärdiktatur unter dem Familienclan der Duvaliers, Haiti zählte zu den weltweit ärmsten Länder mit einer Analphabet/inn/enrate von über 60%. 1991 wird der als links geltende und bei der Bevölkerung sehr populäre Befreiungstheologe Jean-Bertrand Aristide mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt, sehr zum Ärger der USA. Ein linkspopulistischer Präsident im eigenen Hinterhof, der eventuell sogar mit Kuba Kontakt aufnehmen könnte, ist ihnen zu viel. Aristide wird noch im Jahr seines Amtsantrittes durch einen CIA-gestützten Militärputsch gestürzt, eine Militärjunta unter Raoul Cédras übernimmt die Macht.

Nachdem sich die Militärjunta vom US-Einfluss zu befreien sucht und vor allem nachdem immer mehr Haitianer, vor dem Terror des Schreckensregimes auf der Flucht, in Florida eintreffen, entschließen sich die USA zu handeln. Nachdem sie einmal den gestürzten Präsidenten Aristide dazu bringen, mit dem Internationalen Währungsfonds ein Strukturanpassungsprogramm, d.h. Privatisierungen, für den Fall der Rückkehr auszuverhandeln, holen sie sich grünes Licht von der UNO. Der Sicherheitsrat gibt grünes Licht (auch China verzichtet auf ein Veto, hatte doch die Haitianische Junta ihr UNO-Stimmrecht an den Erzfeind und nicht-mehr-UNO-Mitglied Taiwan verkauft) und 20.000 US-Truppen intervenieren 1994 auf Haiti in der Operation  Restore Democracy. Juntachef Cédras bekommt Exil in Panama, die USA zahlen ihm eine monatliche Miete für seine Besitztümer in Haiti. Der Regierung Haitis sind dank der IWF- Abkommen die Hände gebunden; obwohl die US-Truppen inzwischen abgezogen sind, haben die USA weiterhin alles unter Kontrolle, so meinte es jedenfalls der Vize Außenminister der Clinton-Administration, Talbot. Für die Bevölkerung gibt es weiterhin nichts zu lachen. Die Armee wurde zwar zugunsten einer nationalen Polizei aufgelöst, bewaffnete Banden, hauptsächlich aus Ex-Soldaten gebildet, machen jedoch die Städte unsicher, die ökonomische und soziale Lage ist weiterhin mehr als prekär.

…und Ost-Timor 1999

Seit der Machtübernahme durch Suharto 1965, bei der über eine Million Sympathisant/inn/en der dortigen KP ermordet wurden, galt Indonesien als treuer Bündnispartner des Westen, und insbesondere der USA. Deswegen störte es auch niemanden, dass Indonesien nach Portugals Rückzug aus der Kolonie Ost-Timor 1975 dieses besetzte; die „Befriedung“ forderte an die 200.000 Todesopfer. Profiteur davon war das benachbarte Australien, das nun, ohne die Konkurrenz Portugals, die Möglichkeit hatte, die reichen Ölvorkommen in der Timor-See zu fördern. Doch Portugal setzte auf ein unabhängiges Osttimor und bekam in den 90ern – unter geänderten globalen Umständen – in der UNO dafür stärkere Unterstützung, während Australien zur Sicherung des Status quo auf eine Autonomielösung setzte. Unter immer stärkeren Druck zeigte sich Indonesien zu einem Referendum „Unabhängigkeit oder Autonomie“ bereit. Trotz des Terrors von indonesischen Paramilitärs sprach sich eine Mehrheit der Bevölkerung für die Unabhängigkeit aus – danach eskalierte die Situation, es kam zu Massakern an Timores/inn/en.

Dies war der Punkt, an dem die UNO ein Mandat für eine Intervention gab, eine Intervention, die von einigen linksradikalen Organisationen, selbst von manchen mit trotzkistischem Selbstverständnis, gutgeheißen wurde. Im Streit um die Leitung der Friedenstruppe INTERFET kam es wieder zu den alten Rivalitäten zwischen Australien und Portugal, diesmal machte Australien das Rennen. Danach wurde mit der Übergangsverwaltung UNTAET de facto ein UNO-Protektorat geschaffen, wieder kam es zur selben Konkurrenz, diesmal mit leichten Vorteilen für Portugal.

Bilanz: Die Unabhängigkeit ist ein Protektorat, die soziale Lage der Timores/inn/en wird schlechter, obwohl eine kleine Oberschicht durchaus profitieren kann. In letzter Zeit kommt es auch vermehrt zu Protesten gegen die UN-Verwaltung. Über die Öl- und Gasreserven in der Timor-See ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Fazit

Wie wir gesehen haben bleibt ein imperialistischer Krieg ein imperialistischer Krieg, mit oder ohne Segen der UNO. Das Weltparlament ist kein solches sondern nur Maske und Instrument zur Durchsetzung imperialistischer Interessen. Völkerbund und UNO selbst sind Ausdruck und Folge der sich durchsetzenden hegemonialen Verhältnisse in der imperialistischen Welt-ordnung. Auch die Sowjetunion näherte sich dem Völkerbund erst nach ihrer Stalinisierung, aufgrund der Interessen der Bürokratie (und damit des bürgerlichen Staatsapparates), und nicht der des Proletariats des Arbeiter/innen/staates.

Revolutionäre Kräfte in der Antikriegsbewegung sollten in keinster Weise Hoffnungen in die UNO setzen, sondern im Gegenteil auch den UNO-freundlichen Kräften der Bewegung geduldig deren Charakter darlegen und für einen konsequenten Kampf, sowohl gegen die US-Aggression als auch den Hauptfeind im eigenen Land werben.

Quellen

Günther Unser, Die Uno. Aufgaben und Strukturen der Vereinten Nationen, München 61997

Andreas Zumach, Vereinte Nationen, Reinbek 1995

Sylvia-Yvonne Kaufmann (Hg.), Frieden schaffen! Mit UNO-Waffen?, Berlin 2000

http://www.wsws.org

http://www.spiegel.de

 

K o m m u n i s m u s   u n d   V ö l k e r b u n d

Positionen bei Lenin, Trotzki und Stalin

zusammengestellt von Stefan Neumayer

Im folgenden wollen wir mit einigen Zitaten die Position einiger Klassiker zum Völkerbund, dem Vorläufer der UNO darlegen. Scheinen bei oberflächlicher Betrachtung zwischen der Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa und der Idee des Völkerbundes gewisse Ähnlichkeiten, so stellt sich bei näherer Betrachtung ihr diametraler Unterschied heraus, nämlich in ihrem Klasseninhalt: Ist der Völkerbund eine Camouflage der verschiedenen nationalen Bourgeosien zur Durchsetzung der eigenen Interessen gegen die anderer Länder, so sollen die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa die Proletarier/innen der verschiedenen Länder zusammenführen.

Dies war den Bolschewiki von Anfang an klar, natürlich traten sie nicht dem Völkerbund bei, der die Gegenregierung des weißen Admirals Koltschak anerkannte. In Bezug auf den Völkerbund und die harten Bedingungen des Versailler Systems formulierte Lenin 1920 im ursprünglichen Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage für den zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale:

„Der imperialistische Krieg 1914-1918 hat die Verlogenheit der bürgerlich-demokratischen Phrasen vor allen Nationen und vor den unterdrückten Klassen der ganzen Welt besonders klar aufgedeckt, indem er praktisch vor Augen führte, dass der Versailler Vertrag der vielgepriesenen „westlichen Demokratien“ eine noch brutalere und niederträchtigere Vergewaltigung der schwachen Nationen ist als der Brest-Litowsker Vertrag der deutschen Junker und des Kaisers. Der Völkerbund und die ganze Nachkriegspolitik der Entente enthüllen diese Wahrheit noch deutlicher und schärfer, wodurch sie überall den revolutionären Kampf sowohl des Proletariats der fortgeschrittenen Länder als auch aller werktätigen Massen der kolonialen und abhängigen Länder stärken und den Zusammenbruch der kleinbürgerlich-nationalen Illusionen beschleunigen, dass ein friedliches Zusammenleben und eine Gleichheit der Nationen unter dem Kapitalismus möglich seien.“

Diese klar ablehnende Haltung zum Völkerbund forderte die Komintern auch von ihren Mitgliedern. In der sechsten Aufnahmebedingung heißt es: „Jede Partei, die der III. Internationale angehören will, ist verpflichtet, nicht nur den offenen Sozialpatriotismus, sondern auch die Falschheit und Heuchelei des Sozialpazifismus zu entlarven: den Arbeitern systematisch vor Augen zu führen, dass ohne revolutionären Sturz des Kapitalismus keinerlei internationales Schiedsgericht, keinerlei Gerede von Einschränkung der Kriegsrüstungen, keinerlei „demokratische“ Reorganisation des Völkerbundes imstande sein wird, die Menschheit vor neuen imperialistischen Kriegen zu bewahren.“

Am deutlichsten formulierte Lenin, der den Völkerbund auch eine „Diebesküche“ und „Räuberhöhle“ nannte, diese Position 1922 gegenüber dem Korrespondenten der britischen Zeitungen  Observer und Manchester Guardian, Farbman:

„Wir sind natürlich Gegner des Völkerbundes, und ich denke, dass nicht nur unsere ökonomische und politische Ordnung mit ihren Besonderheiten unsere ablehnende Haltung zum Völkerbund hervorruft, sondern dass auch die Interessen des Friedens, betrachtet vom Standpunkt der konkreten Bedingungen der gesamten gegenwärtigen internationalen Politik überhaupt, unsere ablehnende Haltung vollauf rechtfertigen. Der Völkerbund trägt so offenkundig alle Züge seiner Herkunft aus dem Weltkrieg, ist so untrennbar mit dem Versailler Vertrag verbunden, ermangelt so ganz und gar dessen, was auch nur entfernt einer realen Herstellung der Gleichberechtigung der Nationen ähnelt, was reale Aussichten für ein friedliches Zusammenleben zwischen ihnen eröffnet, dass mir scheint, unsere ablehnende Haltung gegenüber dem Völkerbund ist verständlich und bedarf keiner weiteren Kommentare.“

Doch nach der Stalinisierung der III.Internationale, als die Stalinführung, ganz auf Volksfrontlinie, sich mit den westlichen Demokratien Großbritannien und Frankreich zu arrangieren suchte, war von all dem keine Rede mehr. Die Sowjetunion trat 1934 dem Völkerbund bei, was die amtliche Iswestija so kommentierte:

„Die Sowjetunion schlug den weitgehendsten Plan einer vollständigen Abrüstung vor; der Vorschlag wurde jedoch nicht angenommen. Allein ihr Auftreten blieb nicht ohne Wirkung. Die UdSSR bewies damit, dass sie der einzige Staat ist, der tatsächlich konsequent die Sache des Friedens vertritt. Diese Friedenspolitik der Sowjetunion zwang sogar viele ihrer Feinde, die Ehrlichkeit der Friedensbestrebungen der Sowjetregierung anzuerkennen. Die Stellung, die sich die Sowjetunion durch ihre unbeirrbare Friedenspolitik erobert hatte, hatte zur Folge, dass die Mehrzahl der Mitglieder des Völkerbundes sie zum Eintritt in den Völkerbund aufforderte.“

Leo Trotzki, der hellsichtige Kritiker des Stalinismus, bemerkte die Annäherung der Sowjetunion an den Völkerbund schon 1933, wie im Artikel Alarmsignale, der im Bulletin der Linken Opposition gedruckt wurde, zu lesen ist. Der Beitritt der Sowjetunion erfolgte ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem die reale Bedeutung des Völkerbundes immer mehr abnahm. In der 1934 erschienen Broschüre Krieg und die Vierte Internationale formulierte Trotzki es so:

„2. Europa, unlängst Schauplatz des größten aller Kriege, taumelt, von Siegern und Besiegten gestoßen ohne Unterlass dem Verfall entgegen. Der Völkerbund, der dem offiziellen Programm nach „den Frieden organisieren“, in Wirklichkeit aber das Versailler System verewigen, die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten neutralisieren und einen Schutzwall gegen den roten Osten schaffen sollte, hat dem Druck der imperialistischen Gegensätze nicht standgehalten. Nur die zynischsten aller Sozialpatrioten (Henderson, Vandervelde, Jouhaux usw.) versuchen noch, mit dem Völkerbund Perspektiven der Abrüstung und des Pazifismus zu verbinden. In Wirklichkeit wurde der Völkerbund zu einer untergeordneten Figur auf dem Schachbrett der imperialistischen Kombinationen. Die diplomatische Hauptarbeit, die heute um Genf einen Bogen schlägt, besteht in der Suche nach militärischen Verbündeten, d.h. in der krampfhaften Vorbereitung des neuen Gemetzels. Parallel dazu geht eine dauernde Erhöhung der Rüstungen, die aus dem faschistischen Deutschland einen neuen gigantischen Anstoß erhalten hat.3. Der Zusammenbruch des Völkerbundes ist untrennbar verknüpft mit dem beginnenden Zusammenbruch der französischen Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent. Die demographische und wirtschaftliche Macht Frankreichs erwies sich, wie zu erwarten war, als eine zu schmale Unterlage für das Versailler System. Der bis an die Zähne bewaffnete französische Imperialismus mit seinem scheinbaren „Verteidigungs“charakter bleibt, soweit er gezwungen ist, die durch Verträge legalisierten Früchte seiner Aneignungen und Räubereien zu schützen, seinem Wesen nach einer der Hauptfaktoren des neuen Krieges.“

Und bezüglich des Kurses der Sowjetunion vermerkt er weiters:

„41. Die Sowjetregierung ändert heute ihren Kurs hinsichtlich des Völkerbundes. Die Dritte Internationale wiederholt wie stets sklavisch Worte und Gesten der Sowjetdiplomatie. „Ultralinke“ aller Art benützen diese Wendung, um ein übriges Mal die UdSSR zu den bürgerlichen Staaten zu zählen. Die Sozialdemokratie erklärt die „Aussöhnung“ der UdSSR mit dem Völkerbund je nach den nationalen Erwägungen bald für einen Beweis für den bürgerlich-nationalen Charakter der Moskauer Politik, bald hingegen für eine Rehabilitierung des Völkerbundes und überhaupt der ganzen Ideologie des Pazifismus. Der marxistische Standpunkt hat auch in der vorliegenden Frage nichts gemein mit irgendeiner dieser kleinbürgerlichen Anschauungen.Unsere grundsätzliche Einstellung zum Völkerbund unterscheidet sich nicht von der zu jedem einzelnen imperialistischen Staat, ob dem Völkerbund angeschlossen oder nicht. Das Lavieren des Sowjetstaates zwischen den antagonistischen Gruppierungen des Imperialismus bedingt auch eine Manöverpolitik in Bezug auf den Völkerbund. Solange Japan und Deutschland dem Bund angehörten, drohte dieser eine Arena der Verständigung der bedeutendsten imperialistischen Räuber auf Kosten der UdSSR zu werden. Mit dem Austritt Japans und Deutschlands, der hauptsächlichen und unmittelbarsten Feinde der Sowjetunion, verwandelte sich der Völkerbund teils in einen Block der Verbündeten und Vasallen des französischen Imperialismus, teils in eine Arena des Kampfes zwischen Frankreich, England und Italien. Die eine oder die andere Kombination mit dem Völkerbund kann sich für den Sowjetstaat, der zwischen ihm im Grunde gleich feindlichen imperialistischen Lagern laviert, als zwingend erweisen.42. Während sie sich durchaus realistisch Rechenschaft ablegt über die entstandene Lage, muss die proletarische Vorhut zusammen damit folgende Erwägungen in den Vordergrund rücken:a) Die Notwendigkeit für die UdSSR, mehr als sechzehn Jahre nach der Oktoberumwälzung Annäherung an den Völkerbund zu suchen und diese Annäherung mit den Formeln des Pazifismus zu decken, ist ein Ergebnis der außerordentlichen Schwächung der internationalen proletarischen Revolution und damit der internationalen Positionen der UdSSR;b) die abstrakten pazifistischen Formulierungen der Sowjetdiplomatie und ihre Komplimente an den Völkerbund haben nichts gemein mit der Politik der internationalen proletarischen Partei, die für sie keinerlei Verantwortung übernimmt, vielmehr ihre Leere und Heuchelei aufdeckt, um desto gewisser, das Proletariat zu mobilisieren auf Grund eines klaren Verständnisses der realen Kräfte und der realen Antagonismen.“

Und im Aktionsprogramm für Frankreich aus dem selben Jahr verweist Trotzki nochmals auf den fundamentalen Unterschied zwischen Völkerbund und der Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa:

„12. Gegen den Krieg, für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!

Um die Gesellschaft zu verändern und aus dem Chaos herauszuholen, müssen wir sie als erstes vor dem Krieg retten, in den sie die Bourgeoisie erneut stürzen würde.Gegen die Bewegungen des deutschen Faschismus haben die französischen Kapitalisten eine Blockpolitik angefangen. Diese bezieht sich auf Staaten, die dem verbrecherischen Vertrag von Versailles treu ergeben sind. Frankreich benutzt den Völkerbund, die Versammlung der raubgierigen Bourgeoisie, um seine Handlungen mit dem Schleier des Pazifismus zu bedecken, während es die Last der vernichtenden Kosten des Rüstungswettlaufs auf das arbeitende Volk ablädt. Und die „Defensiv“-Lüge von der „Sicherheit“ ermöglicht es chauvinistischem Wahnsinn, sein Werk zu verrichten und das Land in die ungeheuren Massaker von morgen zu treiben. Die Proletarier, Bauern, Händler, Handwerker und Regierungsangestellten können diese Zukunft nur dadurch abwenden, dass sie überall ihre Kontrollorgane errichten, die Geheimdiplomatie demaskieren, sich mit allen Mitteln den Kriegsvorbereitungen widersetzen, dass sie die Herrschaft den Imperialisten aus den Händen reißen. Nur der Sieg der revolutionären Arbeiter Frankreichs kann jede Möglichkeit eines imperialistischen Krieges ausmerzen und die versklavten Völker Europas und der Kolonien aufwecken.  Abkommen und Verträge würden dann zu Staub; die einzig mögliche Lösung, die bereits 1919 gesehen wurde, lautete dann: Die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Gegen die imperialistischen Blockpolitik, gegen die pazifistische Lüge des Völkerbundes, gegen die Geheimdiplomatie des Krieges und den Irrsinn der Aufrüstung! Überall auf dem alten europäischen Kontinent – geteilt, militarisiert, blutbefleckt, bedroht von der totalen Zerstörung durch einen neuen Krieg erheben wir das einzige Banner der Befreiung, das Banner der Arbeiter- und Bauernregierung der Vereinigten Staaten von Europa, des brüderlichen Bundes der Sowjetstaaten!“

Die grundsätzlichste Kritik an der Annäherung der Sowjetunion an den Völkerbund formuliert Trotzki in seiner Generalabrechnung mit dem Stalinismus, der Verratenen Revolution von1936:

„Der Eintritt der UdSSR in den Völkerbund, der dem eigenen Volk mit Hilfe einer des Herrn Goebbels würdigen Regie als Triumph des Sozialismus und Resultat des „Drucks“ des Weltproletariats geschildert wurde, war für die Bourgeoisie nur infolge der großen Abschwächung der revolutionären Gefahr annehmbar. Das war kein Sieg der UdSSR, sondern eine Kapitulation der thermidorianischen Bürokratie vor der durch und durch kompromittierten Institution in Genf, die nach der uns bereits bekannten Feststellung des Programms „ihre nächsten Anstrengungen darauf richtet, die revolutionären Bewegungen zu unterdrücken“. Was hat sich seit der Annahme der Charta des  Bolschewismus eigentlich so grundlegend verändert: Das Wesen des Völkerbundes, die Funktion des Pazifismus in der kapitalistischen Gesellschaft oder sie Politik der Sowjets? Diese Frage stellen, heißt, sie beantworten.Die Erfahrung sollte bald zeigen, dass die Beteiligung am Völkerbund den praktischen Vorteilen, die man auch durch Abkommen mit einzelnen bürgerlichen Regierungen erreichen konnte, nichts hinzufügt, dafür aber erhebliche Einschränkungen und Pflichten auferlegt, die von der UdSSR im Interesse ihres erst vor kurzem erworbenen konservativen Prestiges aufs pedantischste erfüllt werden.“

Er legt die falschen Prämissen der stalinschen Argumentation dar:

„Auf die Frage: Ist ein Krieg unvermeidlich? antwortet Stalin: „Ich bin der Ansicht, dass sich die Positionen der Friedensfreunde festigen. Die Friedensfreunde können offen arbeiten, sie stützen sich auf die Macht der öffentlichen Meinung, in ihrer Verfügung befinden sich solche Werkzeuge wie zum Beispiel der Völkerbund.“ In diesen Worten steckt nicht ein Gran Realismus. Die bürgerlichen Staaten teilen sich durchaus nicht in Friedens“Freunde“ und Friedens“Feinde“, um so weniger, als es überhaupt keinen „Frieden“ an sich gibt. Jedes imperialistische Land ist an der Erhaltung seines Friedens interessiert, und zwar umso heftiger, je unerträglicher dieser Frieden für seine Gegner ist. Die Stalin, Baldwin, Léon Blum usw. gemeinsame Formel: „Der Frieden wäre wirklich gesichert, wenn alle Staaten sich im Völkerbund zu seinem Schutz zusammenschließen würden“ bedeutet nur, dass der Friede gesichert wäre, wenn es keine Gründe gäbe, ihn zu verletzen. Der Gedanke ist wohl richtig, aber nicht sehr gehaltvoll. Die Großmächte, die – wie die Vereinigten Staaten – dem Völkerbund nicht angehören, schätzen eine freie Hand offenbar mehr, als die Abstraktion „Frieden“. Wozu sie freie Hand brauchen, das werden sie zu gegebener Zeit schon zeigen. Die Staaten, die aus dem Völkerbund austreten, wie Japan und Deutschland, oder sich zeitweilig von ihm „entfernen“, wie Italien, haben dafür ebenfalls genug materielle Gründe. Ihr Bruch mit dem Völkerbund verändert nur die diplomatische Form der Gegensätze, nicht aber deren Wesen, noch das des Völkerbundes. Die Gerechten, die da dem Völkerbund ewige Treue schwören, gedenken ihn nur um so entschiedener zur Wahrung ihres Friedens auszunutzen.“

Der Völkerbund als Instrument der Friedenssicherung sei illusorisch, denn:„Der Völkerbund zum Schutz des Status quo ist keine Organisation des „Friedens“, sondern eine Organisation der Gewalt der imperialistischen Minderheit über die erdrückende Mehrheit der Menschheit. Diese „Ordnung“ lässt sich nur mit Hilfe ständiger Kriege, großer wie kleiner, aufrechterhalten, heute in Kolonien, morgen zwischen den Mutterländern. Die imperialistische Treue zum Status quo ist immer eine bedingte, zeitweilige und begrenzte.“

Und zum Völkerbundziel der Abrüstung hält er fest:

„Das Programm der „Abrüstung“ bei Erhaltung der imperialistischen Gegensätze ist die schädlichste aller Fiktionen. Selbst wenn die Abrüstung durch ein allgemeines Einvernehmen verwirklicht wäre – eine sichtlich phantastische Annahme! – würde dadurch keinesfalls ein neuer Krieg verhindert werden. Die Imperialisten führen nicht Krieg, weil es Waffen gibt, sondern umgekehrt, sie schmieden Waffen, wenn es für sie erforderlich wird, Krieg zu führen. Die Möglichkeit einer neuen, dabei sehr raschen Wieder-aufrüstung ist durch die moderne Technik gegeben. Bei allen Vereinbarungen, Beschränkungen und „Abrüstungen“ verlieren die Waffenlager, Kriegs-fabriken, Laboratorien, die kapitalistische Industrie in ihrer Gesamtheit nichts von ihrer Stärke. […] Der Gedanke der sogenannten „allmählichen Abrüstung“ ist nur ein Versuch, in Friedenszeiten die über das Maß der Kräfte gehenden Militärausgaben herabzuschrauben: es ist eine Frage der Kasse und nicht der Friedensliebe.“

Hinzuzufügen wäre noch, dass das Glück der Sowjetunion im Völkerbund ein kurzes war. Wegen des sogenannten Winterkrieges mit Finnland wurde sie 1939 ausgeschlossen, als einziger Staat in der Geschichte des Völkerbundes. Spätestens jetzt musste sie erkennen, dass für sie doch andere Regeln galten, als etwa für Japan und Italien…

Quellen

Lenin Werke

Trotzki Schriften 1.1 & 1.2

http://www.marxists.org

Diese beiden Beiträge von Stefan Neumayer stammen aus unserer Broschüre „US-Arbeiter/innen gegen den Krieg“, die v.a. einen Überblick über die Antikriegsaktivitäten in den USA vom 1. Weltkrieg über Korea und Vietnam bis heute gibt und ausführlich die Geschichte der US-Arbeiter/innen/bewegung darstellt.

Genaueres zu dieser Broschüre unter www.agmarxismus.net