Zwischenbilanz des Wiener Komitees „Solidarität mit Mumia Abu-Jamal“ (1998 – 2007)

Seit 2001 ging die internationale Bewegung für die Freiheit für Mumia Abu-Jamal merklich zurück. Dies war zum einen auf die juristische Entspannung zurück zu führen, nachdem ein Richter in Philadelphia Mumias Todesstrafe suspendiert (aber nicht aufgehoben) hatte und die unmittelbare Hinrichtungsgefahr für Mumia Abu-Jamal nicht mehr bestand. Übersehen wurde dabei, dass die Staatsanwaltschaft erstens ein automatisches Berufungsrecht gegen diese Entscheidung hatte und zweitens auch ohne Berufung berechtigt war, binnen 180 Tagen nach Rechtskraft der Entscheidung eine erneute Gerichtsverhandlung zu beantragen, die ausschließlich darüber entscheiden würde, ob Mumia die Todesstrafe oder Lebenslänglich ohne Möglichkeit vorzeitiger Entlassung bekommt. Auf der anderen Seite waren es aber auch aufkommende Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Solidaritätsbewegung, die zur Schwächung der Bewegung beitrugen. Allem voran ging es um die Frage der politischen Stoßrichtung des Kampfs für die Freiheit Mumia Abu-Jamals. Dabei war „Free Mumia“ zunächst die natürlichste Forderung der ersten schwarzen Solidaritätsgruppen um die Gruppierung MOVE gewesen. Mumia Abu-Jamal beteuerte unmissverständlich seine Unschuld und forderte seine Freiheit, und nicht bloß die Aufhebung des Todesurteils. Inzwischen hatte sich ein professionelles Verteidigerteam um Rachel Wolkenstein und Leonard Weinglass gebildet, das 1995 den ersten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellte. Viel zur großen Ausweitung der Mumia-Solibewegung bis Ende der 1990er-Jahre trug natürlich Mumia Abu-Jamal selber durch seine unermüdliche Publikationstätigkeit bei.

Mitte der 1990er-Jahre war also die Bewegung stark angewachsen und umfasste nun nicht nur die radikale Linke, sondern ebenso zivilgesellschaftliche TodesstrafengegnerInnen bis hin zu Human Rights Watch und Amnesty International. Zudem agierte nun eine Verteidigung, die in der Hauptsache einen neuen Prozess für Mumia Abu-Jamal forderte. Meines Wissens bestand in den 1990er-Jahren in der Gesamtbewegung Konsens über diese Stoßrichtung der Verteidigung für ein neues Verfahren, das klarerweise die Freiheit für Mumia Abu-Jamal herbeiführen musste, wobei diese Forderung aber keine ultimative Bedingung für die Gesamtbewegung war!

Das Wiener Komitee

Das Wiener Komitee gründete sich 1998 anlässlich neuer Hinrichtungsbedrohungen gegen Mumia Abu-Jamal als „Solidaritätskomitee Freiheit für Mumia Abu-Jamal“. Teilgenommen hatten AktivistInnen von KomAk, KPÖ, SLP, GEMMI/Prison Watch International und UG. Bis 2000 wurden großartige Demos zur US-Botschaft mit Straßentheater, „Gefängnis(modell)verbrennungen“ usw. durchgeführt. 1999 veranstalteten wir eine Podiumsdiskussion mit der Journalistengewerkschaft, Reporter ohne Grenzen und Amnesty, und wir erreichten, dass die ÖGB-Journalistensektion Mumia Abu-Jamal zum Ehrenmitglied des Präsidiums ernannte. Die nächste große Kampagne 2003/4 mit einer Petition „für einen fairen Prozess für Mumia Abu-Jamal und seine Freilassung, gegen Rassismus und gegen die Todesstrafe lief dann bereits unter dem neuen Komiteenamen „Personenkomitee Solidarität mit Mumia Abu-Jamal“. Inzwischen waren nämlich AktivistInnen von Amnesty International/Gruppe gegen die Todesstrafe und der Zeitschrift „mitbestimmung“ zum Komitee dazu gestoßen. Diese Erweiterung, nur von einem Teil des „alten“ Komitees gewollt, führte natürlich zu ähnlichen Debatten und Kontroversen wie ich sie oben beschrieben habe. In der Diskussion um den Aufruf für eine Demonstration zur US-Botschaft am 10.12.2003 mahnte AI ein, dass wir auf die Forderung nach Mumias Freiheit verzichten sollten, da Amnesty sie nicht mittragen könne und dass im Flugblatt eher keine Verbindung mit der Gefängnissituation in Österreich hergestellt werden sollte. Zum anderen drängte Amnesty darauf, die Textstelle zu streichen, in der das Komitee seine Überzeugung ausdrückte, von der Unschuld Mumias überzeugt zu sein. KomAk lehnte alle Vorschläge von Amnesty ab! Die SLP vertrat die Meinung, dass wir „dem druck von amnesty nicht nachgeben“ und das Flugblatt zumindest die Parole der internationalen Bewegung „Free Mumia“ aufnehmen sollten; die „mitbestimmung“ wiederum war dafür, sich die „anerkennung von amnesty international zu bewahren“, gab indes zu überlegen, „auch unseren petitionstext auf die forderung der einstellung des verfahrens gegen ihn (Mumia Abu-Jamal) und nach seiner freilassung zu ändern. wir sollten da schon mit den bemühungen der verbündeten in den usa konform gehen“ und ulo fand es „fein, wenn auch die anderen zu dieser erweiterung unserer forderungen stellung nähmen bzw. sie unterstützten.“ Wie der Flugblatttext schließlich aussah, kann ich leider nicht mehr belegen. Die damalige Debatte im Wiener Komitee deutet jedoch schon an, warum es mit uns bergab ging und die linken Gen. bzw. Gruppierungen mit der Zeit fernblieben.

In der Petitionskampagne hatte dann allerdings eine ganze Reihe von „Prominenten“ von Gewerkschaftsvorsitzenden, KünstlerInnen wie Elfriede Jelinek bis zu vielen SPÖ-Nationalrats- und EU-Parlamentsabgeordneten unterschrieben, Unterschriften, die wir an das EU-Parlament und an die US-Justizbehörden sandten. Die nächsten Aktivitäten des Komitees sind noch in frischer Erinnerung: Die größte fand am 10. Oktober 2006 statt, wo wir gemeinsam mit Michael Schiffmann eine Pressekonferenz (mit Berichterstattung in der ZIB 3: http://www.labournetaustria.at/MumiaPresskonf06b.htm), einen Besuch in (!) der US-Botschaft und abends schließlich die Präsentation von Michaels Buch „Wettlauf gegen den Tod ….“ absolvierten. Der bislang letzte Akt des Komitees war eine weitere Kundgebung vor der US-Botschaft am 16.Mai 2007, die von der Gruppe GRA organisiert wurde und wo unser Komitee (ohne GRA) erneut eine Petition übergab.

Im Wesentlichen unternahm das Komitee „Solidarität mit Mumia Abu-Jamal“ ab 2001 nur mehr „institutionelle“ Aktionen. Die linken AktivistInnen von KomAk, SLP, KPÖ und Autonome blieben wie gesagt weg. Verlässliche Kommunikation und Komiteezusammenarbeit gab und gibt es nur mehr zwischen den Aktivisten von LabourNet-Austria und der Zeitschrift „mitbestimmung. Die Anti-Todesstrafengruppe von Amnesty, die 2003 noch aktiv in die Komiteedebatte eingegriffen hatte, sucht eigentlich nur mehr zu konkreten Anlässen die Zusammenarbeit mit dem Komitee (was ich natürlich begrüße) als dass sie Initiativen im Komitee setzt. Ohne Zweifel ist diese Aufgabe von Forderungen wie „Free Mumia“ und des Betonens der Tatsache, dass Mumia unschuldig ist, durch das Komitee neben dem Zerfall bzw. diversen Umgruppierungen einzelner Ex-Komiteemitgliedsgruppen einer der Hauptgründe, warum die radikale Linke nicht mehr mitarbeitet! Die letzte Kontroverse rund um die Kundgebung am 16.Mai 2007 mit der GRA um die Forderung für einen neuen Prozess bestärkte einmal mehr diese Einschätzung (http://www.labournetaustria.at/mum69.htm).

Arnold Beverly

Dass die zweite international diskutierte, kontroverse Frage, jene nach der Täterschaft Arnold Beverlys, eine derartige Schärfe erlangt hat, deutet schon auf den traurigen Umstand hin, dass die heutige internationale Solidaritätsbewegung schwach ist. Arnold Beverly gestand bekanntlich ab 1999, im Rahmen eines Komplotts der korrupten Polizei Philadelphias mit der Unterwelt den Polizisten Faulkner erschossen zu haben (der als Undercover-Agent des FBI den korrupten Polizeibehörden Pennsylvanias gefährlich geworden sei, siehe Beverlys „Geständnis“ im youtube-Video: http://www.youtube.com/watch?v=FQyWqm1l4KM). Das jetzige Verteidigungsteam Mumia Abu-Jamals um Robert R.Bryan verwendet allerdings in den gerichtlichen Anhörungen die Argumentation mit dem „Mörder“ Beverly nicht (mehr), weil sie ihr zu unsicher erscheint. Michael Schiffmann vermutet in seinem Buch „Wettlauf gegen den Tod ….“, dass der Freund des am 9.12.1981 vom Polizisten Faulkner geschlagenen Bruders Mumia Abu-Jamals, Billy Cook, ein Mann namens Kenneth Freeman, der alleinige Täter bei der Erschießung Faulkners war.

Für eine breite Solidaritätsbewegung über alle Differenzen hinweg!

Wie auch immer, es ist nicht der Job der breiten Solidaritätsbewegung, kriminalistische Arbeit zu verrichten. Die Solidaritätsbewegung steht und fällt in keiner Weise mit dem polizeilichen Komplott oder Nicht-Komplott vom 9.12.1981!!! Wir stehen allem voran hinter Mumias Forderung nach Freiheit, für die heute – gerade weil die Bewegung so schwach ist – neben Straßenaktionen auch medialer und institutioneller Druck in Form von Unterstützung der Bemühungen von Robert R. Bryans Verteidigungsteam um ein neues, „faires“ Verfahren entwickelt werden muss! Natürlich ist es ein Skandal ersten Ranges, dass die US-Justizbehörden das öffentliche Geständnis Arnold Beverlys nicht einmal zur Kenntnis nehmen wollen. Doch ob nun Kenneth Freeman allein Faulkner erschossen hat oder Beverly zusammen mit ihm, alle Fakten beweisen, dass Mumia Abu-Jamal seit 25 Jahren unschuldig in der Todeszelle sitzt!

Der aktivistische Kern der Mumia-Solibewegung ist logischerweise die Linke, der ebenso auch Mumia Abu-Jamal angehört. Sie ist es auch, die zusammen mit ihm seine Todesstrafe lediglich als einen Puzzlestein der Ungerechtigkeiten und Brutalitäten des kapitalistischen Weltsystems bekämpft. Aber natürlich ist auch die Aufrechterhaltung des eingangs erwähnten Richterspruchs – Lebenslänglich für Mumia Abu-Jamal – total inakzeptabel für uns! Die zweite Achse ist daher der Kampf für einen neuen Prozess. Die Bewegung kann aber nur stark sein, kann nur Druck für Mumia Abu-Jamals Freiheit erzeugen, wenn sie ein Zusammenschluss mit allen Menschen ist, die, erstens, gegen die Todesstrafe und weitergehend für einen neuen und fairen Prozess für Mumia Abu-Jamal sind. Es muss auch Platz sein für alle jene, die sich nur auf einen neuen Prozess beschränken wollen! International wie auch in Wien sollten wir deshalb eine lose, „arbeitsteilige“ Komiteearbeit praktizieren. Demos, Kundgebungen UND institutionelle, mediale Solidaritätsarbeit tun Not. Juli/August 2007 wird es wahrscheinlich zur vorläufigen Entscheidung im „Fall“ Mumia Abu-Jamal kommen. Hinrichtung, Lebenslänglich und neuer Prozess, vielleicht aber auch eine Rückverweisung an ein niedrigeres Gericht stehen an zur Entscheidung! Wir brauchen heute eine starke Solidaritätsbewegung. Ich lade daher die radikale Linke wie auch Amnesty und die „mitbestimmung“ ein, im Komitee weiter/wieder mitzuarbeiten bzw. zu kooperieren und zu gemeinsamen Aktionen bereit zu sein. Und wenn sie auch „arbeitsteilig“ geschehen:

Linke Demos „Free Mumia“, in Verbindung mit dem Kampf gegen die hiesige Schubhaft u.ä. sind notwendig! Aber ebenso weitere mediale und „institutionelle“ Interventionen, wo wir Amnesty International bitten, weiter mit uns zu kooperieren und bei AI-Aktionen gegebenenfalls auch das Wiener Komitee einzuladen! Schwerpunkte unseres Komitees könnten Aktivitäten für die Umbenennung von Straßen sein (wie in St.Denis/Paris), die Wiener Ehrenbürgerschaft bleibt aktuell etc. etc.

www.labournetaustria.at/mumia.htm ist die Internetplattform des Wiener Komitees, in der so wie überall in der Mumia-Solibewegung als Minimalplattform alle politischen Kräfte, die gegen die Todesstrafe, für ein neues, faires Verfahren wie auch für die Freiheit für Mumia Abu-Jamal sind, ein Sprachrohr finden!

Karl Fischbacher
Sprecher des Komitees „Solidarität mit Mumia Abu-Jamal“
Wien, 5.7.07