Betsey Piette, Philadelphia: Richter Yohn lehnt Rechtsgutachten zugunsten Mumias ab …

Sonntag, 8. Oktober 2000
Von: raussendorff@home.ivm.de
Thema: Mumia Abu-Jamal: Zum Stand des Berufungsverfahrens
RICHTER YOHN LEHNT VIER RECHTSGUTACHTEN
ZUGUNSTEN VON MUMIA ABU-JAMAL AB:
PAM AFRICA RUFT ZU AKTIONEN AUF –
LEN WEINGLASS BEREITET WIDERSPRUCH VOR
Von Betsey Piette, Philadelphia
Um die Unterstützer von Mumia Abu-Jamal auf den neuesten Stand in seinem
Rechtsverfahren zu bringen, fand am 23. September in Philadelphia ein
Dringlichkeitstreffen statt.
 
Am 8. August verwarf Distriktsbundesrichter William H. Yohn Jr. vier
„amicus curiae or ‚friends of the court‘ briefs, d.h. Rechtsgutachten
sachverständiger Berater des Gerichts, die zur Unterstützung von
Abu-Jamal eingereicht worden waren. Die Entscheidung ist nach Meinung
von Pam Africa von der Gruppe „International Concerned Family & Friends
of Mumia Abu-Jamal“ präzedenzlos und von großer Bedeutung. Sie stellte
fest, daß die Gutachten Rechtsfragen behandelten, die für Abu-Jamals
schwebendes Berufungsverfahren von entscheidender Bedeutung sind.
Africa sagte, daß Yohn keine Stellungnahme abgegeben habe, als zwei
Rechtsgutachten sachverständiger Berater Anfang des Jahres eingereicht
wurden. Eines der Rechtsgutachten wurde im Namen der National Lawyers
Guild, der National Conference of Black Lawyers und anderer
Anwaltsgruppen eingereicht. Das andere wurde gemeinsam von der National
Association for the Advancement of Colered People (NAACP) und der
Pennsylvania American Civil Liberties Union herausgegeben.
Anders aber reagiert Richter Yohn, als 22 Mitglieder des britischen
Parlaments und die Chicana/Chicano Studies Foundation aus Los Angeles
diesen Sommer zwei weitere Gutachten einreichten.
 
Heben Sie Mumias Verurteilung auf
Die letzten beiden Gutachten behandeln eingehend die Ablehnung des
Rechts von Abu-Jamal auf Selbstvertretung durch das erkennende Gericht
in seinem Verfahren 1982, als er wegen Mordes an dem Polizisten Daniel
Faulkner aus Philadelphia zum Tode verurteilt wurde. Unterstützer des
preisgekrönten Journalisten und ehemaligen Black Panther sagen, daß das
rassistische Polizeidepartment von Philadelphia habe falsche
Anschuldigungen gegen ihn erhoben habe.
 
Das Rechtsgutachten der Chicana/Chicano Studies Foundation präsentiert
außerdem Abu-Jamal und seinen Unterstützern bisher unbekannte Beweise
für eine Verschwörung zwischen dem vom Gericht bestellten
Pflichtverteidiger Anthony Jackson, dem Richter Albert Sabo und dem
Staatsanwalt Joseph McGill. Das Rechtsgutachten fordert, daß die
Verurteilung von Abu-Jamal aufgehoben wird.
 
Bei Zurückweisung der Rechtsgutachten sagte Yohn, „Ich werde die
Verfahrensanträge als unnötig und nicht hilfreich ablehnen, ohne
Stellungnahme zur Begründetheit der darin vorgebrachten Argumente oder
zur Begründetheit der zugrundeliegenden Forderungen der Antragsteller.“
„Er sagt, er habe sie nicht durchgesehen, obgleich diese Gutachten doch
plötzlich Handlungsbedarf zu erzeugen schienen,“ stellte Marlene Kamish,
eine Anwältin der Chicana/Chicano Studies Foundation bei dem Treffen am
23. September fest.
 
„Yohn kann nicht sagen, er habe ein Gutachten angeschaut, worin die
Umstände der Ablehnung von Mumias Recht auf Selbstvertretung und
Jacksons Verschwörung angesprochen werden, und dann sagen, das war nicht
erheblich und diese Haltung vertreten,“ fügte sie erklärend hinzu.
Kamish sagte, mehrere Entscheidungen des Supreme Court der USA hätten
Verurteilungen verworfen, wenn das gemäß Sechstem Verfassungszusatz
geltende Recht auf Selbstvertretung mißachtet worden war.
Sie erklärte weiter, daß ein wesentliches Element in jedem Prozeß das
kontradiktorische Verhältnis zwischen verteidigendem Anwalt und
Anklagevertreter sei. „Es ist dieser Widerstreit, der die
Wahrheitsfindung ermöglichen sollte. Wenn der nicht gegeben ist, handelt
es sich nicht um einen normalen Strafprozeß.“
 
Der Verteidigung Kollaboration vorgeworfen
Kamish schilderte Protokolle über Besprechungen zwischen Jackson, Sabo
und McGill in den Beratungsräumen des Richters, in denen sie
diskutierten, wie sie eine Verurteilung erreichen könnten, die gegen
eine Berufung abgesichert sei. Diese Protokolle bildeten die Grundlage
des Rechtsgutachtens der Chicano/Chicana Studies Foundation.
Die Protokolle zeigen auch, daß Jackson Abu-Jamals
Verteidigungsstrategie mit dem Staatsanwalt und dem Richter besprach,
ein eindeutiger Verstoß gegen das Sonderrecht des Verhältnisses zwischen
Verteidiger und Mandant, sagte Kamish.
Die Weigerung des Gerichts, Abu-Jamal zu gestatten, sich selbst zu
vertreten oder John Africa als Laienberater im Gerichtssaal zu haben,
wird in dem Rechtsgutachten der britischen Parlamentsmitglieder
behandelt.
 
Kamish erläuterte, daß der damalige Reporter Abu-Jamal fünf Monate vor
seinem eigenen Prozeß den Gründer der Organisation MOVE, John Africa,
sich selbst wirkungsvoll vor einem Bundesgericht verteidigen und als
freier Mann herauskommen gesehen hatte. Als er im Kampf um sein eigenes
Leben stand, rang er um das Recht, jemanden, dem er vertraute, bei sich
sitzen zu haben, um bei seiner Verteidigung zu helfen.
Sabo verwarf Abu-Jamals Antrag, Africas Beistand zu erhalten.
Stattdessen bestimmte er Jackson, am Tisch der Verteidigung zu sitzen
und ließ ihn letztlich trotz wiederholter Einwände von Abu-Jamal den
Fall übernehmen.
 
„Oft wird gesagt, das Problem sei gewesen, daß Jackson untauglich
gewesen sei,“ bemerkte Pam Africa. „Tatsächlich jedoch war er sehr
tauglich – allerdings nur für die Anklage, nicht für die Verteidigung.“
Africa und Kamish sagten, Jackson habe keine Eingangserklärung im Namen
von Abu-Jamal abgegeben. Er unterließ es, Hauptzeugen vorladen zu
lassen, darunter den Polizisten Wakshul, dessen Zeugenaussage die
fingierte Geschichte der Anklage vom „Geständnis“ hätte widerlegen
können. Er unterließ es, Leumundszeugen zur Person des Angeklagten in
der Strafzumessungsphase des Verfahrens zu benennen, die in dem
Todesurteil resultierte.
 
Leumundszeugen
Das Gutachten der Chicana/Chicano Studies Foundation legt auch zwingende
Beweise aus Abu-Jamals Anhörungen in der nachträglichen
Entlastungsberufung (Post Conviction Relief Appeal hearings) im Jahre
1995 vor. Damals präsentierte die Verteidigung, nun von dem bekannten
bürgerrechtlich engagierten Anwalt Leonard Weinglass geleitet, einige
zum Charakter des Angeklagten zu hörende Zeugen, darunter den
verstorbenen Abgeordneten des Staates Pennsylvania David P. Richardson,
dessen Zeugenaussage die Grundlage für eine Aufhebung der Todesstrafe
hätte sein müssen. Die Zeugen sagten alle, daß sie 1982 zu einer
Zeugenaussage bereit waren, aber Jackson sie nie aufgerufen habe.
Ihre Aussagen über Abu-Jamals mitfühlendes, nicht-gewalttätiges Wesen
waren so glaubhaft, daß der Distriktstaatsanwalt in der
Berufungsanhörung einräumte, es sei für Abu-Jamal „nicht
charakteristisch“ gewesen, einen Mord zu begehen.
 
Kamish erläuterte, daß es keine Veranlassung gebe, die Todesstrafe zu
beantragen, wenn der Angeklagte nicht vorbestraft ist, und nachweislich
anderen Menschen wertvoll ist, Beziehungen und Bindungen in seiner
Gemeinde hat und einen nicht-gewalttätigen Charakter besitzt.
Sabo, der auch in der Berufung von 1995 den Vorsitz führte, entschied
„unbegründet und irrtümlich“, daß die strafmildernden Beweise in der
nachträglichen Entlastungsberufung (PCRA) „irrelevant“ seien, sagte
Kamish, obgleich die Anklagevertretung ihre Relevanz einräumte.
Im Jahre 1982 bewerkstelligte Sabo unter Mitwirkung von Jackson und
McGill die Ablösung einer schwarzen Geschworenen. Diese Geschworene war
die einzige, die von Abu-Jamal während der zwei Tage, als ihm gestattet
war, als sein eigener Verteidiger zu handeln, ausgewählt worden war.
Sabo ersetzte die Frau durch einen weißen Mann, welcher der Obmann der
Geschworenen wurde, obgleich der Mann dreimal zugab, daß er nicht
unparteiisch sein könne. Als Jackson versuchte, die Möglichkeit der
endgültigen Geschworenenablehnung in Anspruch zu nehmen, schlug Sabo
dies ab und erklärte, „Ich wähle ihn aus.“ Dazu bemerkt Kamish: „Er
hatte nicht im Geringsten das Recht, seinen Mann einzusetzen. Sabo trieb
bei der Zusammensetzung der Jury ein abgekartetes Spiel.“
Africa und Kamish bitten Abu-Jamals Unterstützer dringend, alle vier
Rechtsgutachten und die von Weinglass eingereichten Antrag auf Anordnung
der Anwesenheit des Inhaftierten vor Gericht zwecks Haftprüfung (writ of
habeas corpus) zu lesen. Ein Einspruch gegen die Entscheidung von Yohn
ist in Vorbereitung.
 
Die Rechtsgutachten sind im Internet abrufbar unter www.mumia2000.org.
Desgleichen Anweisungen für die Unterstützung der Bemühungen um die
Berufung.
 
Übersetzung aus dem US-Amerikanischen: Klaus von Raussendorff
Quelle: Elektronische Version von Workers World newspaper vom 5. Oktober
2000 – http://www.workers.org
( – AIK-Info v. 8.10.2000 – )