In der Ausgabe vom September 2013 von „Socialist Review“, der Theoriezeitschrift der britischen „Socialist Workers Party“ (SWP), ungeachtet ihrer internen Krisen noch immer die mitgliedsstärkste sich als marxistisch verstehende Organisation im Vereinigten Königreich, schreibt Talat Ahmad unter dem Titel „Islamophobia: Repression and Resistance“ (Islamfeindlichkeit, Repression und Widerstand“ nach durchaus kritischen Worten über islamistische Strömungen: „Als Sozialisten verstehen wir, weshalb Menschen angesichts von Unterdrückung in Richtung religiöser Ideen entweder als eine Form des Glaubens oder als politische Ideologie blicken. So setzen wir Islamisten niemals mit Faschismus gleich. Faschismus ist eine Bewegung des Kleinbürgertums, die sich letztlich als brauchbares Werkzeug der herrschenden Klasse zur Zerstörung jeglicher Form von Arbeiterklasse- und Gewerkschaftsorganisation erweist. Islamistische Aktivisten, stellen, was auch immer die Schwäche ihrer Politik sein mag, eine Herausforderung des Systems dar, wenngleich in verzerrter und inkonsistenter Form.“
Selbstredend müssen wir lernen zu verstehen, weshalb Menschen zu Islamisten werden. Bereits im der islamische Blütezeit als Ibn Hanbal als wichtigster Theologe der fundamentalistischen Richtung (Salafiya) wirkte und im 20. Jahrhundert war diese Strömung eine Reaktion auf eine gesellschaftliche Krise der islamischen Welt – aber das gilt auch für den Faschismus. Richtig ist auch, dass eine über die allgemeine materialistische Kritik an religiösen Ideologien hinausgehende spezifische Islamfeindlichkeit von Sozialisten – und beileibe nicht nur diesen – zurückgewiesen werden muss. Es ist jedoch ein gerade auch für die SWP typischer Fehler, zwecks politischen Aktivismus das Kind mit dem Bad auszuschütten.
Der Islamismus ist in der Tat nicht identisch mit dem klassischen Faschismus. Aber das bedeutet nicht, dass er deswegen weniger reaktionär wäre. Wenn er nicht imperialistisch ist, dann deshalb, weil ihm dazu die ökonomische Basis fehlt. Man sollte nicht vergessen, dass gerade diese Kräfte Spanien noch immer unter dem Namem „Al Andalus“ führen und als „verlorene Westgebiete“ betrachten. Insbesondere bedeutet es nicht, dass er gegenüber der Organisierung der Arbeiterklasse als solcher neutraler oder gar positiver eingestellt wäre. Was dem Faschismus die Volksgemeinschaft ist, ist dem Islamismus die Gemeinschaft der Gläubigen. In beiden Fällen ist für Klassenkampf und überhaupt eine unabhängige Organisierung der Arbeiterklasse kein Platz. In beiden Fällen ist natürlich auch für jegliche Form von Demokratie kein Platz. Im Faschismus gilt das Führerprinzip, und für die Islamisten kann es keine Souveränität des Menschen gegenüber dem (selbstredend von ihnen interpretierten) Willen Gottes geben. Wo Islamisten dazu die Möglichkeit hatten und haben, unterdrücken sie ebenso wie die Faschisten die Arbeiterklasse. Was dem europäischen Faschismus die „rassisch Minderwertigen“ sind, sind dem Islamismus insbesondere in seiner salafistischen Form die „Ungläubigen“, als die alle nicht Salafisten definiert werden. Wie sie diese theoretische Position in die Praxis umsetzen, hängt letztlich von ihren Möglickeiten ab. Der positive Unterschied ist lediglich der, dass „Ungläubige“ sich dafür entscheiden können, „Gläubige“ zu werden.
Aus der Position der Islamisten zum Klassenkampf und insbesondere der klassenbewussten Arbeiterklasse geht logisch hervor, dass der Islamismus auch keine wirkliche Herausforderung des Systems sein kann. Der Islam erkennt das Privateigentum an Produktionsmitteln und somit heute auch den Kapitalismus an und hat lediglich an einzelnen Phänomenen Kritik so wie das auch für die christliche Soziallehre gilt. Dass er gegen bestimmte kapitalistische Mächte auftritt, hat mit deren imperialistischer Politik sowie mit kulturellen Erscheinungen des entwickelten Kapitalismus zu tun. Dieser Kampf kann jedoch, da arbeiterklassenfeindlich, die imperialistische Ordnung nicht durch eine historisch höhere Gesellschaftsordnung ersetzen, sondern versucht, sie durch eine Rückkehr zu einer früheren Form von Klassengesellschaft zu überwinden. Das ist ebenso reaktionär wie illusorisch. In dieser Frage fällt der Islamismus zumindest in seiner zur Zeit besonders im Zusammenhang mit Syrien oder auch Afghanistan diskutierten Form weit hinter den europäischen Faschismus zurück – wenn etwa durch afghanische Taliban Mädchen und Frauen der Schulbesuch verwehrt werden soll oder in Nigeria eine Gruppe wie Boko Haram ein Massaker an Landwirtschaftschülern durchführt.
Dass die Maßnahmen der imperialistischen Mächte gegen Islamisten einerseits inkonsequent bzw. verdächtig widersprüchlich sind (man erinnere sich an die Förderung Usama Bin Ladens durch die USA in Afghanistan) und sie andererseits bislang unter dem Strich eher gestärkt als geschwächt haben, ist Grund genug, den Kampf gegen den Islamismus nicht auf der Grundlage des und im Bündnis mit dem Imperialismus zu führen. Geführt werden aber muss er ebenso wie der Kampf gegen den Faschismus, denn beide sind unmittelbarere Feinde der Arbeiterklasse, deren Demokratieverständnis notwendigerweise weit über das bürgerliche hinausgeht, dieses aber deswegen nicht geringschätzt.