A&O: Ein Hackl ins Kreuz! (zum Kampf um den Radiosender ERT)

gr DT 19. 8. stamataei

Die Dachorganisation der europäischen Rundfunk- und Fernsehstationen, der Europäische Rundfunkverband (EBU), hat nach der überfallsartigen, in der Hauptsache politisch motivierten, Schließung des zum großen Teil kritische, gesellschaftskritische, kulturell wertvolle Inhalte vermittelnden staatlichen Fernsehens (ERT, Ellinikí Radiofonía Tileórasi) sich für das Opfer des willkürlichen Feldzuges des Autokrators Samaras von Gnaden der EU eingesetzt: Mit Protest, mit Präsenz des Vorsitzenden der Rundfunkunion Jean-Paul Philippot in Athen und dadurch, daß das in Griechenland politisch verbotene Fernsehen auch von der EBU übernommen und gesendet wurde. Man konnte es also nach wie vor digital empfangen. Die EBU leistete Widerstand gegen die rechts-rechtradikale Regierung Griechenlands.

Parallel dazu fanden im progressiven Lager zahlreiche Maßnahmen statt, mit denen die ERT unterstützt wurde: Ihr Programm wurde kurzzeitig vom Sender der Kommunistischen Partei übernommen, das wurde verboten, von anderen progressiven Seiten/Sendern wurde es ebenfalls übernommen, und parallel dazu lief und läuft es nach wie vor es auf Internetbasis.

Die griechische Regierung hat alles getan, um den Leuten das Leben schwer zu machen: Es wurde mehrmals mit einer Räumung des Gebäudes der ERT  durch die MAT, die berüchtigte griechische Schlägerpolizei, gedroht; eine Demonstration, mit der die (offizielle) Wiedereröffnung der Anstalt gefordert wurde, ist von den MAT-Schlägern auf die brutalste Weise angegriffen worden, friedlich Demonstrierende wurden dabei verletzt; man versuchte, Leute abzuwerben; es wurde ein endgültiges Nachfolgeprojekt (NERIT) angekündigt, und für die Zwischenzeit ein sogenanntes Öffentliches Fernsehen (Dimósia Tileórasi), das sich am 21. August um 9 Uhr früh mit Morgennachrichten bemerkbar machte.

Half alles nichts, die ERT-Leute machen weiter.

Die Bezeichnung „öffentlich“ ist eine reine Provokation: Wenn etwas öffentlich im authentischen Sinne ist, dann die ERT, deren Belegschaft den Betrieb in Selbstverwaltung und Eigenverantwortung weiterführt, also Öffentlichkeit aktiv praktiziert – ähnlich wie Fabriken und Zeitungen in Griechenland in Selbstverwaltung geführt werden. Das ist umso anerkennenswerter, als den Leuten vom einen Tag auf den anderen angekündigt worden war, daß sie keinen Lohn oder Gehalt mehr bekommen. Seither arbeiten sie unentgeltlich.

Was die von der Regierung gepushten Ersatz-Institutionen betrifft, so kann man sich gut vorstellen, was für Leute da einziehen werden. Samaras – er war  übrigens schon einmal der Führer und Initiator einer ultranationalistischen, radikal rechten, offen rassistischen und geheim annexionistischen Partei, die sich „Politischer Frühling“ nannte und deren Feindbilder Albaner, Mazedonier und Türken waren – hat es offen gedroht: Diese ERT ist eine  Brutstätte der Linken und der Korruption, und es werde im künftigen Fernsehen diese rein politisch oder parteipolitisch ausgerichteten Leute nicht mehr geben.

Das glauben wir ihm gern. Wer wird schon die Posten bekommen! Wird es keinen Nepotismus, keine Protektion geben? Da lachen ja die Hühner.

Inzwischen ist ausführlich dokumentiert worden, daß gerade die Freunde des Herrn Samaras in den vergangenen Jahren fette, überbezahlte Posten in der ERT zugeschanzt bekamen, von deren Gagen die mittleren und niedrigeren Chargen nur träumen konnten, daß aber das kritische Potential zuletzt entweder mit Berufsverbot bedacht wurde oder lohn/gehaltsmäßig, noch vor der „Inbetrieb-Besetzung“, wie es mit einem ironischen Mobilisierungs-Terminus heißt, derartig herabgestuft wurde (wie überhaupt das Gros der vordem zum Teil durchaus auch unpolitischen oder zahm-liberalen Basis), sodaß Aberhunderte mit dem, was sie seitdem bekamen – das war schon vor Monaten in vielen Fällen nicht mehr als 300, 400 Euro in Monat –  nicht mehr leben konnten und können. Dies treibt zum Aufstand.

Der Feldzug gegen die ERT ist Teil eines einzigartigen Experiments zur Vernichtung von physischer und gesellschaftlicher  Existenz, wie es bisher im Irak, in Indien, in Afrika praktiziert wurde. Samaras ist der derzeitige – von der Troika beauftragte –  Führer dieses Experiments im Versuchslabor Griechenland, die Sozialdemokraten sind seine Kollaborateure. Dieses Experiment hat die Zerstörung der Gesellschaft zum Ziel.

Und nun der Knalleffekt. Am 19. August 2013 hat die EBU sich um 180 Grad gedreht, hat Schluß gemacht mit ihrer bisherigen Unterstützung!

Die Begründung: Es gibt jetzt ja wieder ein Fernsehen! –  Es ist das fahle, unkritische Regierungsfernsehen, das sich „öffentlich“ nennt, aus dem das kritische und linke Potential ausgeschlossen ist.

Es wurden viele Leute für dieses Phantom-Projekt angelockt und geködert, und es meldeten sich Tausende aus der Bevölkerung –  angesichts der ungeheuren Arbeitslosigkeit kein Wunder. Es ist auch insgesamt eine beträchtliche Anzahl von Posten versprochen worden – das Argument, es seien mit der Schließung ja bloß die Vorgaben der Troika zur Minimierung der Stellen im öffentlichen Sektor umgesetzt worden, das willfährig auch von der europäischen Kapital-Presse aufgenommen wurde, greift also nicht. Es war und ist nichts als eine politische  Kampagne der Rechten/extremen Rechten, die ein lebendiges Projekt zu zerstören versucht.

Hier muß man einen großen Unterschied machen zwischen der nachrichtenpolitisch, kulturpolitisch und auch historisch in die Tiefe gehenden und weitgehend antifaschistisch und antirassistisch geprägten ERT und einem langweiligen, machtkonformen Verfallsprodukt wie etwa dem ORF und seinen bestechlichen Kadern.

Wenige würden, im Falle einer abrupten autokratischen Schließung des ORF – zumindest wenige aus der radikalen Linken –, eine Aktion zur Rettung des ORF starten, eine vergleichbare Unterstützung leisten wie sie in Griechenland läuft. Welchen lebendig demokratisierten ORF würde welche Belegschaft begeistert und bewußt und ohne Bezahlung in Eigenregie weiterbetreiben?

Sie würden sich ganz auf „Sozialpläne“ verlassen, oder Umschichtungen – mit Hilfe ihrer Parteien.

Die faden, süßlichen Nachrichtensprecher und -sprecherinnen de ORF ekeln uns schon seit Jahrzehnten an. Die Diskussionen sind einschläfernd, Oligarchen und Populisten werden die Türen weit aufgemacht. Wer wollte sich hier für ein solches Projekt einsetzen, in dem jeden Tag Oligarchen und Populisten auftreten? Der ORF ist doch nur die elektronische Version von „Heute“, „Kronenzeitung“ und dergleichen.

Das wäre dasselbe, als würde man eine Massenbewegung zur Unterstützung des grell-ordinären Gratisblattes „Österreich“ starten!

Damit soll gesagt sein, daß man die lebendige Erneuerung der ERT und deren Rolle als Katalysator anderer Bewegungen (die etwa vor zwei Monaten zum Teil noch im Puppenstand waren) nicht aus der Perspektive des inaktiven Zuschauers eines gelähmten Staatsfernsehens eines unterpolitisierten Landes und seiner geistig korrupten Bevölkerung beurteilen darf – ebenso wie man „Gewerkschaft“ in Griechenland nicht mit „Gewerkschaft“ in einem so öden und toten Land wie Österreich gleichsetzen darf. Man muß sich umstellen, einlesen und einfühlen.

Die internationale Petitioneninitiative avaaz (Persisch für Stimme, Klang) hat nun  zum Rückzugsbeschluß der EBU eine Onlinepetition aufgesetzt, wie sie schon unmittelbar nach Schließung der ERT eine Petition gegen die Schließung verbreitet hat, der sich Tausende angeschlossen haben und an der auch das Wiener Komitee Solidarität mit dem Widerstand in Griechenland teilgenommen hat.

Die jetzige neue Petition richtet sich gegen den Rückzug  der EBU und dessen fadenscheinige Begründung, gegen deren erbärmlichen, sich auf rein formale Begründungen stützenden Verrat, wenn wir das von unserer Warte aus so interpretieren dürfen.

Mit ihrer Umentscheidung arbeitet die EBU direkt den Oligarchen in die Hände, die mit ihren Privatsendern die versuchte Liquidierung der ERT vorangetrieben haben.

Es seien alle politisch und demokratisch bewußten Leute aufgerufen, diesen Appell zu unterzeichnen, und, wenn sie wollen, dem Komitee eine Bestätigung darüber zuzuschicken.

AuO

Aug und Ohr

Gegeninformationsinitiative Wien