AUO: Ein sehr sensibles Thema

Von: AUO7>

Betreff: Ein sehr sensibles Thema
Datum: Freitag, 15. Januar 2010 20:51
 
 
Ein sehr sensibles Thema.
 
Ein sehr sensibles Thema wurde im wiki und im letzten C-1-Plenum angesprochen, andiskutiert, sowie in einem Beitrag von einem gewissen Josh zu formulieren versucht – von dem ich gleich sagen möchte, daß ich ihn nicht kenne, und wenn ich ihn kennen sollte, dann wüßte ich dieses Pseudonym nicht mit seinem Konterfei zu identifizieren.
 
Er geht scharf mit den IG- und Presseleuten ins Gericht.
 
Einige waren darüber erbost, und es hieß in einem Kommentar auf recht biedere Weise: “Beschimpfungen haben noch NIE jemanden weitergebracht.” Und das wurde mit dem höchst optimistischen Aufruf “Konstruktive Kritik!” verbunden.
 
Irgendwie fühlt man sich da im Biedermeier! Man vergißt dabei, daß wir eine Bewegung sein wollen (oder gar sind), die neu ist, aufs ganze gehen will und die Dinge an der Wurzel packt, also radikal genannt werden könnte.
 
Will da jemand die Bewegung auf Fairness, Positivität und dergleichen reduzieren – statt auf männlich-weibliche Härte und Schärfe?
 
In einem Land, in dem sich ein Phänomen manifestiert wie die Korruption und Spielerkriminalität rund um die Hypo Alpe-Adria, eine staatsrassistische Ministerin par excellence à la Fekter, und ein – ich verwende jetzt ein understatement – Volksredner à la Strache auftreten: in so einem Land soll man den politischen Gegner, wenn er zum konkreten Inbegriff von Vernichtung und Menschenfeindlichkeit geworden ist, nicht mit aller Härte mit Worten, die bewußt auch dem “untersten” Sprachgebrauch entlehnt sind, abqualifizieren dürfen?
 
Ich soll den Gegner nicht abqualifizieren dürfen?
 
Die Derbheit des abqualifizierenden Idioms, das dem der “unteren” Volksschichten entlehnt ist, ist ja gerade ein Instrument, um die Gemeinheit zu kennzeichnen.
 
Karl Kraus hat einmal – sinngemäß – gesagt, man muß ein Arschloch auch ein Arschloch nennen dürfen. Denn manchmal ist nur das Ordinäre dem Ordinären adäquat, und nur diese neue fahle Halbkultur der angepaßten, wohlerzogenen Mittelschicht, die keine derben Worte duldet, kein “Schimpfen”, und nichts allzu Extremes, dieses lähmende juste-milieu, möchte, daß keine Emotionen, kein Haß, keine Verachtung, kein Widerwille geäußert werden. Sie sind ganz offensichtlich, wie Attac in Heiligendamm, auf ihr Image bedacht.
 
Das bedeutet natürlich nicht, daß nicht die Grundkultur unser Bewegung Rationalität, Präzision, gedankliche Schärfe, Klarheit, auch Freundlichkeit, ja Herzlichkeit sein sollte. Sterile Emotionsfreiheit hinwiederum ist etwas zutiefst Bürgerliches und herrschaftskompatibel.
 
Nun gibt es diejenigen – und es sind nicht wenige – die, im Lagerdenken, und daher ganz im Positiven, befangen, meinen, nur der Feind sei übel, das eigene Lager aber im großen und ganzen ohne Makel, und man dürfe wohl den Feind – mit Maßen – angreifen – aber doch nicht das eigene Lager.
 
Es geht ein wenig zu wie im Realen Sozialismus.
 
Und die Illusion der Herrschaftsfreiheit wird auch in bezug auf diese Bewegung gehegt und gepflegt. Und man will nicht sehen, daß handfeste Interessen und unterschiedlichste Zirkel, Gruppierungen, ja weltanschauliche Lager unweigerlich zu einer Konfrontation kommen müssen, weil die Bewegung notwendigerweise ein Spiegelbild und eine Ablagerung der Gesellschaft ist und keine eigene “Republik”, wie jemand behauptete, und daß auch hier Herrschaft ausgeübt wird, wenn auch auf subtilere und indirektere Weise als bei den früheren Besetzungen, wo Vertreter von parteinahen studentischen Fraktionen an die Rednertribüne eilten und dem Publikum vorkauten und ihm sagten, wann es zu protestieren habe und wann der Protest wieder einzustellen sei.
 
Wenn ich das Konzept einer anderen Politik, einer anderen Eigentumsauffassung, einer anderen Kommunikations- und Verhaltenskultur, von Freundschaftlichkeit und Übermut, von einem offenen Angriff, einer ungebremsten Offensive auf Staat und Kapital, von Ironie und Haß auf das Bürgertum und der Vernichtung der bestehenden Strukturen aufrechterhalte, da werde ich in der Presse AG und in der AG-IT nicht viele finden, die sich mit so einer Kultur identifizieren werden. Es gibt dort wenige, die gegen das System sind und noch weniger, die offen aussprechen, daß sie es zerstören wollen. Ja sogar schnelle, “unvorhersehbare” Aktionen sind einigen oder vielen von ihnen suspekt, und sie wollen nichts mit Kommunisten zu tun haben und tunlichst auch nichts mit Anarchisten, und besser nichts mit Linken. Sie wollen ihr eigenes Süppchen kochen. Und das ist ein postmodernes, bürgerliches, cybergeknebeltes.
 
Und wenn ich diesem zweifellos ein wenig abgeschotteten Milieu mißtraue, der Kontrolle, die sie ausüben, weil sie im Besitze des technischen Know-Hows und der Maschinerie sind und weil sie eindämmen und abwiegeln, dann habe ich natürlich als eine nicht-bürgerliche Kraft das Recht, den bürgerlichen Charakter dieser – angeblich so offenen – Gruppierung, der sich in Zukunft noch viel krasser äußern wird, auch mit den Mitteln des Hohnes und der Skepsis, vielleicht des Spottes anzugehen.
 
Mit aller vitalen – und stets auch ein wenig farcenhaften – Kraft der “Jugend” kann man sehr wohl den Gegner in den eigenen Reihen abqualifizieren, und eines der erfrischendsten Beispiele hierfür war der (verstorbene) Revolutionsbräuhof, der die (dahingegangene) politische Gruppierung des Tatblatts in einem Offenen Brief an dasselbe mit “Ihr Ratten” begrüßte.
 
Das waren Zeiten! Wenn man sieht, was aus den Leuten ums Tatblatt geworden ist, muß man sagen, daß der Revolutionsbräuhof recht behalten hat.
 
Wir haben das Recht, ja die Aufgabe, destruktiv zu sein, konstruktiv heißt affirmativ sein, Positivität heißt zumeist Komplizität, “negativ” will heute niemand sein, und die Forderung “konstruktive Kritik!” klingt wie die Forderung einer Sekte.
 
Der Übermut/Widerwille, der den Gegner angreift, muß aber in jedem Fall mit einer Begründung, einer Dokumentation der Vorwürfe verbunden sein. Wenn J. behauptet, Rückfragen hätten ergeben, daß rund 100.000 Euro an die “Urheber” des Rohmaterials “ausgeschüttet” werden, so begründet er dies nicht und dokumentiert dies nicht.
 
Es ist durchaus denkbar, daß ein investigativer grass-root-Journalist ein entsprechendes Telefongespräch geführt hat – dann müßte er zumindest vermelden, wo, an welchem Orte und wie lange ein solches Gespräch mit wem geführt wurde; auch davon ist nichts zu sehen. Und wenn er den Terminus “ausgeschüttet” verwendet – der wird für Erträge, Profite aus Spekulationen und ähnlichem, nicht aber für Honorare verwendet. Die Sprache weist auf unprofessionelles und undurchdachtes Vorgehen hin.
 
Ausgeschüttet? Vielleicht war J. angeschüttet, als er dies schrieb! Er tut jedenfalls denjenigen, die sich von der Kultur des Großteils der Pressegruppe distanzieren und ihr eher distanziert gegenüberstehen, keinen guten Dienst, und jeder, der die Ergüsse des J. liest, ist, unabhängig von seiner Position, verpflichtet, hier scharfe Kritik an der Vorgehensweise des J. zu üben.
 
Er sagt weiter: “Ein weiteres Beispiel von mafioser Betätigung innerhalb der Bewegung.”
 
Pekuniäres Privatinteresse und geheucheltes Einverständnis mit der Bewegung ist aber noch lange nicht “Mafia”. Der Terminus, von dessen realem Substrat der Angreifer wohl keine Ahnung hat, wird hier inflationär verwendet – und wenn wir es mit einem echten mafiosen Phänomen zu tun haben, welcher Ausdruck bleibt dann übrig?
 
Daher müssen wir uns genau überlegen, mit welchem Phänomen wir es denn zu tun haben, und dazu sind einige Überlegungen erforderlich, die notwendigerweise räsonnierenden Charakter haben.
 
Es muß eine grundsätzliche Frage gestellt werden: Sind diejenigen, die eine Bewegung dokumentieren, Teil der Bewegung; oder sind sie es nicht?
 
Und an die Bewegung muß die Frage gestellt werden, ob ihrer Auffassung nach nur die Bewegung selbst und ihre DokumentatorInnen Zugang zu den Orten der Mobilisierungen, insbesondere der Plena haben dürfen, oder ob auch bewegungsexterne Kräfte dieses Recht in Anspruch nehmen können.
 
In Italien, Frankreich und anderen Ländern wurden in den vergangenen Jahren bei Mobilisierungen externe Kräfte, allen voran die bürgerliche Presse nicht zugelassen, wohl auch weil man die Infiltrierung durch Polizei und Geheimdienste befürchtete, im besonderen den Transfer der Daten durch bürgerliche Berichterstatter an Polizei und Geheimdienste, oder Doppelverkäufe. Bürgerliche Berichterstatter sind vor allem anderen an Honoraren interessiert, die BerichterstatterInnen der Bewegung an der Bewegung.
 
Die reifsten und bewußtesten Bewegungen Europas haben ihre “eigenen” JournalistInnen und Technikerinnen. Ich nehme jetzt nur das Beispiel Italien und zitiere Radio Onda d´Urto, Global Project, Indymedia Italia, die Onda.
 
Die disobbedienti, die Onda vergeben keine Lizenzen, die Bewegung wird nicht in dieser Weise outgesourced und damit partiell liquidiert.
 
Daneben gibt es bewegungsnahe oder bewegungsübergreifende Agenturen/Radios, das Pariser Radio Plurielle, die schwedische Agentur Yelah, abgesehen von den Bewegungsportalen, die sich allerorten etabliert haben, wie nodo50 im Spanischen Staat, und früher schon, als Liste, ECN in Italien.
 
Was bei den anderen Bewegungen längst Praxis ist, die klare Definierung des politischen Standorts des Berichterstatters/Kommunikationsarbeiters, ist in Österreich noch lange nicht selbstverständlich – und diese Bewegung will als Vorbild für andere Bewegungen gelten!
 
Daher muß die anfangs gestellte Frage auf die konkret in Frage kommenden Personen des Doku- und IT-Bereichs zugespitzt werden: Sehen diese sich als Teil der Bewegung oder sehen sie sich nicht als solchen? Sieht die Bewegung sie als Teil von sich oder sieht sie sie nicht als solchen?
 
Wollen sie aber Teil der Bewegung sein, dann muß ihre Vorgeschichte transparent sein, denn sie könnten ja auch von Parteien oder vom Staat kommen. Oder die Bewegung sagt offen, daß sie AktivistInnen bürgerlicher Parteien, Rechte, Polizisten zuläßt.
 
Ich habe den furchtbaren Verdacht, das Plenarprinzip wird gefördert, um eine solche tödliche Durchlässigkeit zu garantieren.
 
Gleich wird der Vorwurf fallen, man wolle einen stalinistischen Geheimdienst! Die Bewegung definiert sich aber als eine, die sich gegen die obgenannten Kategorien richtet: a) Keinen Führer, und damit auch keinen Fraktionseinfluß, b) Natürlich auch keine Rechten (auch wenn einige in der Bewegung mit einem Bezug zur Linken ihre Schwierigkeiten haben und sich nicht als links verstehen, einige sogar anti-links eingestellt sind, ohne im engen Sinne rechts zu sein, darunter etliche im IT-Bereich) und c) Es darf Kräften des Staates “natürlich” kein Zugang gewährt werden, die auf die Liquidierung der Bewegung aus sind und zu diesem Zweck geheimdienstliche Aufklärung betreiben.
 
Eine Bewegung aber, die derartige externe Kräfte nicht kontrolliert, ist unglaubwürdig! Auf eine gewissermaßen physiokratische Selbstbewegung und das gottgegebenen Vertrauen in Letztere zu setzen, ist naiv, ist gefährlich, ist lächerlich.
 
Die Popularität der Mainstream-Manager stützt sich auf das Plenarprinzip, aber nur ein geringer Teil der Doku-, IT- und Lifestreamleute hat systematisch oder regelmäßig an den politischen Diskussionen im Plenarbereich teilgenommen. Jetzt wo sie dazu gedrängt werden, werden sie ein wenig aggressiv.
 
Sie waren zu Beginn der Bewegung vorgestellt worden als Leute, die einem ihr Know-How zur Verfügung stellen, Vorschlägen und neuen Konzepten gegenüber sind sie aber nicht zugänglich, in einem Fall, den ich gesondert dokumentieren werde, wurden Kooperation und Know-How-Transfer rüde und arrogant abgelehnt – im eigenartigen Widerspruch zum Selbstverständnis der Bewegung.
 
Wie bei der Pressegruppe so mußten auch im Falle der IT/Lifestream-Leute viele, die den egalitären Verlockungen der Bewegung auf den Leim gingen, Presse und Doku als Abgehobenes wahrnehmen. Das kann sich ja ändern!
 
Jetzt erst, beim letzten Plenum am vergangenen Donnerstag, wurden die Lifestream-Leute deutlich: Wir wollen unsere Sachen verkaufen, hieß es. In einem Gespräch mit einem Angehörigen der Doku-Gruppe hieß es in der Folge: Es gibt ein allgemeines politisch-öffentliches Nutzungsrecht aller Materialien, aber die Eigentumsrechte verbleiben bei uns! So wurde mir explizit erklärt.
 
Wenn die Eigentumsrechte aber bei ihnen verbleiben, ist der Verkauf der Materialien an Parteien, Kloakenpresse oder an die Fernsehdesinformation gesichert, und die Einkünfte sind gesichert, aber nicht für die Bewegung. Lifestream für Mainstream!
 
Die Dokumentatoren bereichern sich mit Hilfe der Desinformatoren. Und ein jeglicher Datentransfer von den bürgerlichen Medien an Polizei und Geheimdienste ist möglich. Der Weg ist offen – wenn nicht schon an Polizei und Geheimdienste verkauft wurde.
 
Denn was waren die Leute politisch bisher? Keiner weiß es. Wer hat denn das kontrolliert?
 
Aufnahmen bei den Sozialdemokraten oder für sie gemacht zu haben, ist ja noch keine hinlängliche Empfehlung – eher das Gegenteil! Wie ist es möglich, daß man monatelang “innerhalb” der Bewegung arbeitet – das muß doch finanziell gesichert sein! Wer kann sich das denn leisten, in einem Alter, das mindestens doppelt so hoch ist wie das der protestierenden DurchschnittsstudentInnen (bitte mich nicht des Biorassimus zu verdächtigen, ich bin selbst auch nicht mehr rosigen Alters). Haben alle so viele Ressourcen, daß sie sich das leisten können? Oder leben sie nur in Erwartung ihres kommenden Honorars – das unser guter Josh nicht dokumentiert und bewiesen hat?
 
Die Leute werden vernadert, und sie sind intransparent.
 
Das Non-plus-Ultra aber ist der Vorschlag der Gründung einer “Gewerkschaft”. So was Lächerliches hat man noch nicht gehört. Wollen sie eine akzeptierte Gewerschaft gründen, dann müssen sie in den ÖGB gehen, da gehen die Dinge aber nicht so spontan, wie jetzt vorgeschlagen.
 
Wollen sie aber gar eine unabhängige Gewerkschaft gründen, dann wäre dies doch einigermaßen auffällig. Denn wo gibt es denn unabhängige Gewerkschaften? Ein Versuch in Vorarlberg, ein winziger in Wien, alles vergangen. Die Notwendigkeit, sich von den gelben Strukturen zu emanzipieren, ist zweifellos gegeben, und die “Studierenden” machen diesen Emanzipationsprozeß ja vor. Aber so etwas muß aufgebaut werden. So etwas muß in ein Konzept eingebaut werden, in ein Konzept der gesamtgesellschaftlichen Emanzipation. Aber wo wurde das denn in der – stark standespolitisch gepägten – Bewegung entwickelt?
 
An dieser isolierten Stelle, an dieser unglaubwürdigen Stelle, ausgerechnet hier soll eine (unabhängige, autonome) Gewerkschaft gründbar sein? Oder will er eine gelbe? Die Wahrheit dahinter ist wohl eher, daß sie mit der unbeholfenen ad-hoc-Konstruktion versuchen, dem Gegner ein wenig den Wind aus den Segeln zu nehmen. Etwas hoppertatschig!
 
Aber noch etwas viel Evidenteres steht dahinter… Der banausenhafte und unerfahrene Umgang mit selbstbestimmter Politik, der ein Indiz dafür ist, daß diese Leute Basis nur simulieren, und Basis nur schlecht simulieren KÖNNEN.
 
Das Gründungsfieber der AGs hat offenbar ein weiteres Monstrum gezeugt: das der Pseudogewerkschaften. Hoffentlich werden nicht noch weitere Pseudogewerkschaften nachgegründet!
 
Man muß also mit ganzer Härte Klarheit fordern! Wenn sie zur Bewegung gehören, dann gehören das Material und ergo sämtliche Einkünfte aus der Verwertung des Materials der Bewegung, welche wiederum eine öffentliche Kontrolle über die öffentlichen Gelder einführen muß.
 
Kontrolle über die Bewegung hat das Plenum, und ob das Plenum den selbstgesetzten Prinzipien der Bewegung entspricht, darüber entscheidet eine permanente Selbstkritik und ein permanenter Diskussionsprozeß.
 
Wenn sie nicht zur Bewegung gehören und sich selbst nicht als ein Teil der Bewegung verstehen, sondern eher als flotte Freelancer – was hatten sie dann hier zu suchen?
Und warum wirft die Bewegung alle diese Fragen erst jetzt auf?