17) Robert Reithofer (der standard.at/“Leserkommentar“: Eindrücke vom Weltsozialforum
16) Johannes Schögler, 5.4.2013: WSF TUNIS ALS EPIZENTRUM DER BEWEGUNGEN
15) MENA Solidarity, 4.4.2013: Tunisia – Thousands march for Palestine at close of social forum
14) Declaration of the Social Movements Assembly of the World Social Forum of Tunisia, 2013
13) Wilfried Hanser, 1.4.2013: WSF in Tunis – Seminare der Rosa Luxemburg Stiftung
12) Hermann Dworczak, 30.3.2013: Abschluss-Demo im Zeichen der Palästina-Solidarität
11) Nicolai Kwasniewski, 29.3.2013: Treffen in Tunis – Arabischer Frühling für das Weltsozialforum
10) Karl Fischbacher, 29.3.2013: Unser letzter Tag beim WSF in Tunis
9) Hermann Dworczak, 29.3.2013: WSF – EIN TAG ZWISCHEN MEDINA UND CHAVEZ
8) Karl Fischbacher, 28.3.2013: Kontakte mit verschiedenen Initiativen
7) Hermann Dworczak; 28.3.2013: WSF IN TUNIS: SPANNENDE VERANSTALTUNG ZUR LAGE IN CHINA
6) Karl Fischbacher, 27.3.201: WSF Tunis, 2.Tag – Kritischer Rückblick und positive Eindrücke
5) Hermann Dworczak, 27.3.2013: Gutbesuchte Konferenz zur Rechtsextremismus und Religiösem Fundamentalismus
4) Hermann Dworczak, 27.3.2013: Starker Auftakt des WSF – Zehntausende marschieren durch Tunis
3) ND, 26.3.2013: Gestrandet im Hafen von Tunis – Papierlose schaffen es nicht bis zum Weltsozialforum (LN-Germany)
2) Karl Fischbacher, 26.3.2013: Gelungener Start des WSF in Tunis
Johannes Schögler, 5.4.2013: WSF TUNIS ALS EPIZENTRUM DER BEWEGUNGEN
Das Weltsozialforum als die Bewegung der Bewegungen entpuppte sich für 60 tausend Teilnehmerinnen aus 135 Ländern der Welt ( allerdings 80 % aus arabischen Ländern) wiederum als der einzige Treffpunkt auf der Welt, auf dem wirtschaftliche, soziale, ökologische, demokratische und kulturelle Alternativen als auch Strategien zum globalisierten Kapitalismus in Richtung einer Post-kapitalistischen Gesellschaft in 1500 Diskussionsveransaltungen durchgeführt werden konnten. Die hohe Anzahl ( 300 pro Tag) war nicht unbedingt ein Vorteil. Aber es gelang auch dem Vorbereitungskomitee nicht, genügend Veranstaltungsgruppierungen zusammenzulegen.
Dies müsste wohl im Vorfeld auf kontinentaler Ebene versucht werden.
Immanuel Wallerstein unterstrich folgend die Stärke der Bewegung: „ das Weltsozialforum bleibt der einzige Ort auf dem sich die Zivilgesellschaft trifft,… es hat eine erstaunliche Überlebensfähigkeit, es ist in der Lage Kritik zu absorbieren und es gelingt ihm seine Grenzen auszuweiten; das ist doch besser als nichts, oder?“
Der Weg für eine gemeinsame Alternative ist allerdings noch weit, zu unterschiedlich sind die Auffassungen zwischen den tausenden NGOs, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen auf der Welt und zu unterschiedlich die Forderungen und Zielsetzungen.
Kamel Jendoubi, der ehemalige Leiter der Wahlkommission, der vor der Revolution in Paris im Exil lebte,
hebt hervor: „ auf dem europäischen Sozialforum 2003 in Paris, haben wir 50 Tunesier eingeladen, um Tunesien als Welteinheit auch anzudenken. Wir waren meilenweit davon entfernt uns vorstellen zu können, dass Leute aus der ganzen Welt 10 Jahre später zum WSF nach Tunis kommen würden.“
Zusammenspiel zwischen Organisationskomitee und der islamischen Ennahda Regierungspartei.
Die Herausforderung für Infrastruktur und Logistik für die Organisatoren war beachtlich und sie konnte größtenteils sehr zufriedenstellend erledigt werden. Das unter dem Slogan der tunesischen Revolution „Würde“ gestandene Forum war auf dem gesamten Gelände der El Manar Universität durchgefüht worden. Aus Sicherheitsgründen nur an einem Ort, da nach der Ermordung des marxistischen Oppositionellen Chokri Belaid vor 2 Monaten die Sicherheit nicht mehr gewährleistet schien. Ein gewisses Stillhalteabkommen zwischen den sozialen Bewegungen, die die Regierung scharf kritisieren und dem Sicherheitsbonus durch die Regierung war zwar geschlossen aber nicht so genau eingehalten worden.
12000 Betten hatte die Regierung für jene TeilnehmerInnen, die sich kein Zimmer leisten können zur Verfügung gestellt. Für die Million Euro zugesagten internationalen Gelder fehlen allerdings noch 100 000 Euro, für die wohl die Regierung wird aufkommen müssen.
Sowohl die Regierung, der Präsident als auch die Medien standen dem Forum positiv gegenüber und man kann eine dialektische Verbindeung zwischen dem postrevolutionären Tunsien und der Vereinnahmung der Sozialforumsbewegung durch die Herrschenden erkennen. Die Regierung begrüßte die durch das Forum entstandenen neuen internationalen Verbindungen und das positive Image, das das Forum für den unter Unsicherheit leidenden Tourismus in der Welt vermitteln konnte. Die algerische Regierung beglückwünschte die Tunesiche für das gut gelungene Forum.
Allerdings waren zahlreiche algerische Gruppen an der Ausreise für das Forum nach Tunis stark behindert worden.
‚Dem gegenüber steht die Auffassung der tunesischen Arbeiterunion UGTT,die eine zentrale Rolle in der Revolution gespielt hatte und heute die Regierung, kritisiert, da sie nur die Köpfe an der Regíerungsspitze ausgewechselt hat und sich die Lebensbedingungen der armen Bevölkerung in den letzten zwei Jahren nicht verbessert haben. Sie tritt ein für ein nicht kapitalistisches Gesellschaftsmodell und ist gegen die neoliberale Politik der Ennahda Regierung, die auch während des Forums mit IWF und WB um Kredite buhlte und deren Auflagen demütig hinnimmt.
Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist sehr hoch in Tunesien und dies hat momentan zur Folge, dass sich tausende Jugendliche ohne Perspektive in der syrischen Befreiungsarmee angagieren – gegen eine fürstliche Gegenleistung – und die Regierung befürchtet, dass diese bewaffneten Erfahrungen nach der Rückkehr dieser Jugendlichen eine problematische innenpolitische Rolle spielen könnten. Der Präsident ließ sich zur Aussage hinreissen, falls die Regierung gewaltsam gestürzt würde, er die Guillotine einführen werde, was ihm eine herbe Kritik in der Tageszeitung lapresse einbrachte.
Recht optimistische Stimmung
Ohne in blinde Euphorie zu verfallen kann man sagen, dass die festliche Aufbruchstimmung und der Optimismus, der auf dem Forum vorherrschte den sozialen Kämpfen in vielen Ländern auch außerhalb Afrikas einen Aufschwung bringen und die kontinentalen Foren stimulieren wird. Auch die europäische ‚Sozialforumsbewegung wird einen Anstoß bekommen, um eine Analyse für die Gründe der am Boden liegenden ESF-Bewegung zu unternehmen und einen Weg zu suchen, um die Foren wieder – auf einer effektiveren Grundlage – auf die Beine zu stellen.
Der im Juni in Athen stattfindende Gipfel ( alter summit) ist ein Versuch, Gewerkschaften und einige Parteien zu einer gemeinesamen europäischen Aktion gegen die Austeritätspolitik zu mobilisieren, sie schließt aber nicht alle sozialen Bewegungen ein.
Das Programm für das WSF war einige Tage vor Beginn bereits online und auch in Papierform zu Beginn des Forums zugängig. Sowohl in Nairobi/Kenya 2009 als auch in Dakar /Senegal 2011 war dies nicht möglich. Die Übersetzungen konnten in den wichtigsten Veranstaltungen arabisch/fransösich, bzw. englisch, spanisch durchgeführt werden. Dies ist ein entscheidender Grund, warum das Forum auf eine Schiene des Gelingens kommen konnte.
Diesmal war es auch besser gelungen zahlreiche Veranstaltungen interkontinental aufzumischen, denn in Nairobi als auch in Dakar blieben die Veranstaltungen oft in den Herkunfstländern isoliert.Die angestrebten gegenseitigen Einschätzungen, Analysen, Vorschläge für Veränderungen und die Vernetzungsschritte waren diesmal eher möglich. Es gab auch fast keine Megaveranstaltungen (200 bis 1000 Leute) mehr, sondern vor allem Seminare und Workshops bis zu 100 TeilnehmerInnen ohne allzu lange Einleitungstatements, sodass aus dem Teilnehmerkreis eine gewisse Anzahl von AktivistInnen das Wort ergreifen konnten.
Die Regierungspartei war bemüht über ihren laizistischen Koalitionspartner Teilnehmer zur Frage der Rolle der Zivilorganisationen und der Frage des Islam zu entsenden, die einen gemäßigten Eindruck vermittelten. Auch sonst wirkten die islamisch-politischen Gruppierungen – auf den Ständen ihrer Gruppierungen – ebenso engagiert wie etwa ökologische oder andere NGOs.
Misstöne lassen sich in so einer Großveranstaltung kaum vermeiden.
So kam es zu Sysrien zwischen Pro- und Contra Assad Leuten zu Handgreiflichkeiten und eine vorgesehene Veranstaltung konnte nicht durchgeführt werden. Der schon in Dakar vorhandene Konflikt zwichen Marokkanern und dem Polisario wurde auch auf diesem Forum weiter ausgetragen.
Eine salafistische Islamistengruppe, die nach faschistischer Manier am Eröffnungsdemonstrationszug auftauchte und Unruhe stiften wollte, musste vom Ordnerdienst abgesdrängt werden.
Eine iranische Pro-Khomeini Gruppe ließ es sich nicht nehmen ein großes Bildband mit der Aufschrift –„ Palästina : der wahre Holocaust „ auf dem Uni-Gelände auszubreiten.
Eine – allerdings – friedliche Konfliktlinie verlief auch zu Mali wegen unterschiedlicher Auffassungen der neokolonialen Intervention Frankreichs zwischen Südmaliern und den Tuaregs.
Zwischen Islamisten und Anti-islamisten gab es keine offenen Auseinandersetzungen.
Nach Aussagen des tunesischen Ministerpräsidenten sollen politische anti-islamistische Parolen gerufen und Blätter verteilt worden sein, die zum Sturz der tunesischen Regierung aufgerufen haben.
Der tunesische Präsident hat vom WSF profitiert um folgende Erklärung abzugeben:
„ Tunesien muß ein neues Entwicklungsmodell auf die Beine stellen, das in de nächsten 5 Jahren 2 Millionen Tunesier aus der Armut herausholt, sonst kommt es zu einer Diktatur“
Die große einheitliche Klammer auf dem Forum war die Palästinafrage. Hier sind sich Islamisten und Laizisten einer Meinung und die Palästinenser könnten sich nur wünschen, dass sich eine Solidarität so einhellig auch in anderen arabischen Ländern ausdrücken möge.
Die Frauen auf dem Forum
Schon vor der Eröffnungsdemonstration am 26. März gab es eine Zentralversammlung der Frauen im Kampf gegen Diskriminierung, vor allem in den arabischen Gesellschaften, auf dem-Gelände. Hier kritisierten die tunesischen Frauen vor allem den Versuch der Regierungspartei das Gleichheitsgesetz zwischen Mann und Frau aus dem Jahre 1956 zu Ungunsten der Frau abändern zu wollen.
Kritisiert wurde auch der Druck der auf die Frauen ausgeübt wird sich aus der Sphäre der Politik zurückzuziehen.
Dutzende Diskussionsrunden waren der Frauenfrage – nicht nur der politischen und wirtschaftlichen Lage.sondern auch dem sensiblen Thema der Sexualität gewidmet.
In jener über die Rolle der Frauen in den arabischen Revolutionen kamen zahlreiche Frauen zu Wort: eine Marokkanerin verglich die Frauenfrage mit jener der autonomen Frauenbewegungen in den 70-ger Jahren in Westeuropa,als es um die Möglichkeit einer straffreien Abtreibung ging; eine Kurdin schilderte das Engagement der Frauen in den verschiedenen Kurdengebieten und sagte, dass die Frauen es geschafft haben eine einheitliche Organisation alle Kurdengebiete betreffend auf die Beine zu stellen.
Die Palästinenserin verschloss sich nicht der Aussage, dass sich die Situation der Frauen in Gaza unter der Hamas deutlich verschlechtert hatte.
Eine Syrerin schilderte unter anderem, dass die Gewalt und Vergewaltigungen von beiden Seiten sowohl von den Assad-Truppen als auch von jenen der Befreiungsarmee begangen werden.
Auf dem Campus wurde während des Forums über einen Fragebogen eine Umfrage zur Rolle der Frauen auf dem Forum durchgeführt.
Vier Länder haben sich für die Kandidatur des nächsten WSF beworben: Kanada; Mexiko; Indien …und Tunesien.
Zwei Tage vor dem WSF, am 23. und 24. März fand ein internationales Treffen auf Initiative der Tunesischen Volksfront gegen die Verschuldung statt, an der 19 Organisationen aus 13 Ländern teilnahmen. Das Motto: gegen die Diktatur der Verschuldung und für die Souveränität des Volkes.
Hamma Hammani, der Sprecher der Volksfront meinte: die Verschuldung ist ein entscheidendes Instrument zur Fortsetzung des Kolonialismus. Die Volksfront muß engagiert die Revolution weitertreiben; sie muß das Kapital, den Fundamentalismus und den Zionismus bekämpfen“.
Johann Schögler 05.April 2013
Wilfried Hanser, 1.4.2013: WSF in Tunis – Seminare der Rosa Luxemburg Stiftung
The revolution needs its own media
Seite der Rosa Luxemburg Stiftung zum WSF
Offizielle Seite des WSF (deutsch)
Wilfried Hanser, Tel. 0680/ 402 99 71, Email: w.hanser@gmx.at
Karl Fischbacher: Unser letzter Tag am WSF in Tunis
So wie gestern trafen wir wieder die afrikanischen Refugees. Diesmal war einer ihrer Sprecher da, der uns ein Videointerview gab. Er beschrieb eindrucksvoll ihre dramatische Lebenssituation im Choucha-Flüchtlingscamp. Sie fordern internationalen Schutz in einem sicheren Drittland.
Wir trafen später einen Tunesier, der sehr gut Deutsch sprach und meinte, dass es zwei Propheten Mohammeds gebe: Einen saudi-arabischen, der terroristisch sei; und einen sanften tunesischen Mohammed. Das saudi-arabische Königreich nehme viel reaktionären Einfluss auf Tunesien. Tunesien sollte sich viel mehr auf Europa ausrichten…
Zwei junge tunesische Ingenieure, die in Saudi-Arabien im Ölgeschäft gutbezahlte Arbeit gefunden haben, sahen sich als Che Guevara Anhänger, weil Che wie (der ermordete) Chokri Belaid ein Kämpfer war. Sie hatten düstere Prognosen für ihr Land und den arabischen Raum, weil ihre Regierung islamisch ist und in vielen islamistischen Köpfen Gedanken von einem fundamentalistischen Großarabien herumschwirren. In Tunesien gebe es bereits islamistische Trainingscamps und viele tunesische Männer kämpfen in Syrien in den islamistischen Al-Nusra-Milizen.
Am Nachmittag trafen wir zufällig einen ägyptischen unabhängigen Lehrergewerkschafter. Er erzählte uns, welche Schwierigkeiten sie auch im neuen Morsi-Ägypten haben. Unter Mubarak war er in Gefängnishaft. Heute wird seine Gewerkschaft, die rund 10.000 Mitglieder zählt, von der Regierung und von den Staatsgewerkschaften pädagogisch und politisch bevormundet und behindert. Wir machten uns aus, dass wir Kontakt halten.
Schon gestern hatten wir uns mit einem UGTT-Funktionär (UGTT: Wichtigste Gewerkschaft in Tunesien) ausgemacht, dass wir heute mit dem Generalsekretär ein Videointerview machen können. Nach längerem Hin und Her kam dieses Interview zustande und wir werden es – mit deutschen Untertiteln – hoffentlich in der nächsten Woche online stellen können.
Wir möchten abschließend noch einmal betonen, dass dieses WSF in Tunis allem voran ein wichtiger Treffpunkt von Aktivist_innen des „Arabischen Frühlings“ von Marokko bis Palästina und Syrien war. Und gleichzeitig hat man uns in etlichen Gesprächen mit arabischen Aktivist_innen versichert, wie wichtig sie es fänden, auch mit europäischen WSF-Kolleg_innen und Genoss_innen einen Erfahrungs- und Wissensaustausch machen zu können.
Hermann Dworczak, 29.3.2013: WSF – EIN TAG ZWISCHEN MEDINA UND CHAVEZ
Karl Fischbacher: Dritter WSF-Tag – Kontakte mit verschiedenen Initiativen
Heute trafen wir einen tunesischen Radiojournalisten, der gleich als Erstes zur tunesischen Situation meinte, dass vor der Demokratie die Ökonomie, d.h. das Essen komme. Die tunesische soziale Situation sei nämlich katastrophal. Diese Position hielt ich nicht für richtig, weil noch in jeder Revolution der demokratische Kampf mit dem sozialen verbunden war.
Sie, die Tunesier_innen seien noch „Studenten“ in den Fragen der Demokratie. Aber offenbar kommen auch die Europäer – als die Lehrer – mit ihrer Demokratie nicht zurecht. Die Europäer_innen hätten immer nur die eine Frage nach dem Islam auf den Lippen. Und er erinnerte sich an ein Gespräch mit einem französischen Journalisten, der ihn nach der Angst vor dem Islam fragte. Jetzt finde gerade die tunesische Revolution statt und er, der Franzose, sollte mehr Angst vor der Situation in Frankreich haben, antwortete unser Gesprächspartner. Die jetzige Lage in Tunesien sei allerdings unsicher und dass dies die Ruhe vor dem nächsten Sturm sein könnte.
Gleich am Eingang zum WSF-Camp war eine afrikanische Refugeegruppe mit Transparenten für gerechte Asylpolitik aufgestellt. Als Arbeitskräfte oder Flüchtlinge waren sie aus dem Sudan, aus Somalia, Eritrea, Äthiopien, Tschad und Nigeria nach Libyen gekommen. Dort gerieten sie dann in den libyschen Bürgerkrieg und mussten 2011 aus Libyen nach Tunesien flüchten. Einige Tausend von ihnen wurden im Choucha-Camp an der libysch-tunesischen Grenze kaserniert. Seit damals demonstrieren sie für ihre Asyrechte. Sie werfen der Unterstützer_innenbewegung vor, dass diese sie in die Nähe von Ghaddafi-Unterstützer stellt, was von den Supportern vehement abgestritten wurde (?) …
Als nächstes besuchten wir einen Workshop des „International Jewish Anti-Zionist Network“ (IJAN, http://www.ijsn.net ). Jüdische Aktivist_innen aus den USA, aus Spanien, Frankreich und ein tunesischer Uniprofessor referierten über antizonistische Politik, dass sie den Zionismus radikal ablehnen und obwohl sie betonten, dass sie nicht die Sprecher der Palästinser_innen seien, forderten sie deren volles Rückkehrrecht. Die spanische Vertreterin zeigte auf, wie sich der israelische Staat in Spanien engagiert, investiert und die spanische Polizei ausbildet. Ein arabisch-stämmiger jüdischer Aktivist wies noch darauf hin, dass das Judentum nicht nur in Europa sesshaft war, sondern ebenso im arabischen Raum.
Zum Schluss unseres dritten Tages am WSF kamen wir noch mit einer tunesischen Jugendgruppe ins Gespräch. Ein Vertreter dieser „Youth for Tomorrow“-Organisation gab uns ein Videointerview, dass sie die 60%ige Mehrheit für Ennahda akzeptieren und bei den nächsten Wahlen würde man sehen, ob die Regierung gut gearbeitet hätte und dann ein anderes Wahlergebnis möglich sei.
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Karl Fischbacher, 27.3.2013: WSF-Tunis, 2. Tag – Kritischer Rückblick und positiver Ausblick
Heute trafen wir einen routinierten WSF-Aktivisten von Via Campesina / Mexiko. Er erzählte uns davon, dass in den ersten Weltsozialforen noch vorwiegend Aktivist_innen anzutreffen waren, die sich vor allem für den Aufbau von globalen – sozialen Bewegungen engagierten. Das WSF in Nairobi 2007 sei für ihn ein Einschnitt gewesen, als dort Slumbewohner_innen, die den teuren Eintritt nicht zahlen konnten, das WSF-Camp stürmten und die Polizei brutal gegen sie einschritt. Die NGOler_innen hatten natürlich in feinen Hotels eingecheckt. Ab da wollte er eigentlich nicht mehr auf ein WSF fahren. Er konnte bei Tunis doch nicht widerstehen, obwohl er noch anmerkte, dass die Weltsozialforen auch zu einer Geschäftssache geworden wären. Die Regierungen in Brasilien und Kenya finanzieren die Flugreisen von NGO-Aktivist_innen, damit diese dort Werbung dafür machen und ein WSF wegen des guten Tourismusgeschäftes wieder in Brasilien oder Kenya stattfindet.
Auf unserem Rundgang trafen wir zuerst eine tunesische Aktivist_innengruppe, die sich für politische Gefangene engagiert. Wir machten mit ihnen gleich ein Videointerview, wo uns zuerst ein ehemaliger politischer Gefangener über die Situation der politischen Repression im heutigen Tunesien berichtete. Zwei junge Frauen erzählten uns dann, was sich seit dem Sturz von Ben Ali politisch, ökonomisch und vor allem für die Frauen in Tunesien geändert hatte. Eine andere Gruppe von tunesischen Müttern präsentierte in einem Veranstaltungszelt auf Plakaten die Bilder ihrer Männer und Söhne, die nach Italien flüchten wollten und seitdem vermisst sind. Sie stellen Forderungen, dass die tunesische und die italienische Regierung endlich Nachforschungen anstellen, wo ihre Kinder geblieben wären.
Das WSF in Tunis dürfte – im Gegensatz zu Nairobi – ein wichtiger arabischer Treffpunkt sein, wo sich marokkanische, algerische, westsahaurische, libysche, ägyptische, syrische bis palästinensische Aktivist_innen gegenseitig austauschen, kontrovers debattieren oder gemeinsame Kampfstrategien entwickeln.
Das würde ja schon einmal ein großartiger Erfolg des WSF in Tunis sein.
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Hermann Dworczak, 27.3.2013: STARKER AUFTAKT DES WSF – ZEHNTAUSENDE MARSCHIEREN DURCH TUNIS