Bernhard Redl: Die Verantwortungstraeger (akin)

Glosse:

Neulich laeutet es an meiner Haustuer. Die WEGA, drei Mann und eine Frau hoch, begehrt Einlass. Die Beamten wollen jemanden im Haus sprechen. Sagen sie. Einen meiner afrikanischen Nachbarn. Unsicherheit meinerseits. Hausrecht habe ich ja nur in meiner Wohnung. Kann ich sie da auch von der Haustuer abweisen? Und wenn ich das tue, wie geht das dann aus? Doch da sind sie schon im Haus. Die Wohnung, zu der sie wollen, haben sie schnell selbst gefunden. Die Tuer ist nicht abgesperrt. Was ich jetzt noch tun kann, ist den Zeugen markieren. Sie betreten die Wohnung einfach. Mit gezogener Waffe, den Lauf horizontal haltend. Man kann nur hoffen, dass da keiner stolpert, wirklich sichern kann man ja eine Glock nicht. Sie finden den Betroffenen nicht. Nein, sie wollten ihn gar nicht verhaften, er muesse nur etwas unterschreiben. Dazu kommen vier Beamte einer Sondereinheit. Und halten die Glock schussbereit.

Wenige Tage zuvor war die Geschichte in Liesing passiert, wo acht WEGA-Beamte ausgerueckt waren, um einen Ausgezuckten mit einem Messer festzunehmen. Der Ausgang ist bekannt: Vier der Beamten feuerten und konnten dann nur mehr den Leichnam des Delinquenten sicherstellen.

„Laut Insidern duerfte der Einsatz wegen der Enge im Stiegenhaus tragisch geendet haben. Denn auf fuenf bis sechs Quadratmetern bewegten sich acht Beamte und das spaetere Schussopfer. Sichtachsen waren verstellt, Bewegungsfreiheit kaum gegeben.“ (Kurier, 25.6.) Was fuer ein Glueck da die Beamten gehabt haben muessen, dass sie bei dem Durcheinander genau nur den einzigen Nichtbeamten getroffen haben.

Nein, man wundert sich gar nicht mehr ueber derlei. Zu oft passieren solche Einzel- und Ungluecksfaelle. Man wundert sich nur, dass jetzt doch die Staatsanwaltschaft wegen fahrlaessiger Toetung ermittelt.

Sollte das Verfahren nicht sowieso vorzeitig eingestellt werden, ist die Hoechststrafe 8 bis 11 Monate bedingt. Das ist das Standardurteil fuer Polizisten, denn damit koennen sie nach Disziplinarrecht auch weiterhin ihren Dienst versehen.

Von der Polizei zur Justiz: Der Fall eines 14jaehrigen, der in U-Haft vergewaltigt worden war, machte nun die Zustaende in den Jugendabteilungen unserer Gefaengnisse publik. Und er blamierte eine Justizministerin, die zur Rechtfertigung meinte, dass Strafvollzug nunmal „kein Paradies“ sei. Einmal abgesehen davon, dass es sich bei dem Betroffenen praktisch um ein Kind handelt und U-Haft kein Strafvollzug sein kann — was ist das fuer eine Aussage? Ist Vergewaltigung durch Mitgefangene Teil der Bestrafung?

Aehnliches gilt — unabhaengig von den nun teilweise aufgehobenen Freispruechen — fuer den Tierrechtlerprozess: Der Staat strengt ein voellig unzureichend fundiertes Verfahren an und nach den Freispruechen sagt er: ‘Wir haben uns geirrt, ihr seid jetzt frei’.

Dass da mit diesem Verfahren Existenzen zerstoert worden sind, ist dem Staat egal. Entschaedigung? Dafuer hat der Staat leider kein Geld. Das hatte er nur fuer den Ermittlungsaufwand. Denn der Prozess ist selbst die Strafe — da hilft auch kein Freispruch.

Es geht hier um Prinzipielles: Der Staat besitzt Machtmittel, Menschen — aus welchen Gruenden auch immer — in seine Gewalt zu bekommen. Er kann dann mit ihnen praktisch machen, was er will. Und die Amtstraeger tun das auch oft genug. Nur duerfen sie vieles davon eben nicht. Oder sollten es nicht duerfen. Denn der Staat uebernimmt mit seinem Gewaltmonopol auch Verantwortung fuer das Leben der beamtshandelten Menschen. Jedoch scheinen die fuer die Beamten eben oft nur Delinquenten zu sein. Deren Leben ist nicht viel wert. Mit oder ohne Richterspruch haben sie alle Menschenrechte verwirkt — in dieser Haltung werden Polizei- und Justizwachebeamte oft auch auf Stammtischen und in Webforen bestaetigt. Denn was die Justizministerin gesagt hat, ist auch die Meinung eines nicht unerheblichen Teils der Vox Populi. Der Fehler der Ministerin war nur, dass sie es in dem Fall eines 14jaehrigen gesagt hat.

Es bedarf einer Politik, die klar macht, dass Macht wirklich auch Verantwortung bedeutet und dass die Garantie der Menschenrechte nicht genau in dem Moment verfaellt, wenn ein Mensch gerade dringend ihrer bedarf. Doch die Macht korrumpiert die Beamten, die Angst vor dem Stammtisch die Politiker. Und letztlich ist das Schicksal der Justiz anheimgefallener Menschen dem Stammtisch egal — im Gegenteil, die Vergewaltigungspraxis in unseren Gefaengnissen ist Gegenstand ekliger Witze. Die Vernichtung der Menschenwuerde gehoert auch weiterhin unausgesprochen zum Strafrepertoire unserer Gesellschaft.

Eine politische Kursaenderung ist also nicht zu erwarten. Die Menschrechte werden auch weiterhin in dem Moment obsolet werden, wo man in den Lauf einer Glock schaut.

*Bernhard Redl*