Bernhard Redl: Ungeordnete Anmerkungen zum Fluechtlingsdrama

War das alles eine Inszenierung? Wenn ja, dann eine schlechte — oder einfach eine mit zu vielen Regisseuren. 

Am 23.Juli erhielten 20 Fluechtlinge aus dem Servitenkloster Benachrichtigungen ueber den Einsatz des „gelinderen Mittels“ — also, dass sie sich taeglich bei der Polizei melden muessten. Damit koenne Schubhaft einstweilen zumindest vermieden werden. Seltsam war dabei, dass sie sich, obwohl alle an der selben Adresse aufhaeltig, auf verschiedenen Wachstuben melden sollten — und dass diese Benachrichtigungen in Deutsch und jeweils in Hindi, afghanischem Pashtu oder Bangali verfasst waren, Sprachen, die keiner der Fluechtlinge beherrschte. Zumindest ein Bescheid war in der Fremdsprache ueberhaupt unleserlich, weil offensichtlich ein Software-Fehler unverstaendlichen Computercode statt einer menschlichen Sprache wiedergab. War die Entscheidung, diese Benachrichtigungen auszuschicken, so kurzfristig gekommen, dass bei der Polizei derart geschlampt worden war?

Auf alle Faelle riskierte die Polizei damit, dass die Fluechtlinge diese Bescheide nicht verstehen haetten koennen. Ohne die Hilfe von NGOs, die ihnen die Bescheide uebersetzten, haetten die Fluechtlinge ihrer Meldepflicht nicht nachkommen koennen — und waeren damit erst recht zur Schubhaftverbringung ausgeschrieben worden.

Kaum waren aber diese Bescheide draussen, wurden einige der Betroffenen schon bei ihrer Polizeimeldung festgenommen. Hier liegt die Vermutung nahe, dass man keine Festnahmen im Servitenkloster machen wollte, damit die Sache ohne groesseres Aufsehen ueber die Buehne gehen koenne. Dafuer spricht auch der Zeitpunkt: Ein Sonntag mitten im Hochsommer, wo mediale Aufmerksamkeit, Demonstranten und Anwaelte nicht so leicht mobilisierbar erschienen.

Das wiederum passt allerdings nicht zu der ebenfalls nicht voellig haltlosen Annahme, dass die Abschiebungen wahlkampfbedingt gewesen seien — es sei denn, man wollte oeffentlich Haerte zeigen, aber keine Festnahmen auf Kirchenboden. Moeglich. Moeglich ist aber auch, dass das alles wirklich kein Kalkuel war, sondern einfach nur die alltaegliche behoerdlich Abschiebepraxis, die halt ausnahmsweise hier in einem politisch besonders heiklen Fall passierte.

Leise ging das Ganze aber sowieso nicht ab. Kurz nach den Festnahmen gab es die erste Spontankundgebung — die Polizei wollte sie untersagen, liess es aber nicht zur Eskalation kommen. Wollte man also wirklich keine Wickel von seiten der Polizeifuehrung oder der Innenministerin? Zu einer Eskalation kam es erst Tage spaeter, als die Demos fast ununterbrochen Tag und auch Nacht weitergingen und die Innenministerin sich auf Rechtskonformitaet und unabhaengige Gerichte berief, weil ihr nichts mehr anderes einfiel.

Wiedermal die Krone des Boulevards 

Nur drei Tage nach den Schubhaftfestnahmen kam zu den Verhaftungen im Servitenkloster wegen des Verdachts der Schlepperei. Die Kronen-Zeitung posaunte auch gleich die abenteuerlichsten Ausschmueckungen der Polizeibehauptungen aus — noch dazu in der ihr eigenen Art, wo jeder Verdacht einem letztinstanzlichen Urteil gleichgesetzt wird

War das absichtslose Koinzidenz? War es der Zufall, der Regie fuehrte?

Irgendwie moegen gelernte Oesterreicher nicht so recht daran glauben — auch weil der Vergleich mit der „Operation Spring“ 1999, die kurz nach dem Tod von Marcus Omofuma und wenige Monate vor der Nationalratswahl stattgefunden hatte, sehr nahe liegt.

Moeglicherweise waren auch die jetzigen Festnahmen schon lange vorbereitet worden — juengste Andeutungen sprechen auch von einer moeglichen Strafverfolgung wegen „krimineller Vereinigung“, da gegen mehr als zehn Personen ermittelt werde. Das aber wiederum koennte eine Rechtfertigung fuer schon laenger andauernde Lauschangriffe und aehnlich invasive Mittel gewesen sein. Was wiederum die Frage aufwirft: War der Zeitpunkt der Festnahmen ausgerechnet jetzt polizeilich wirklich rechtfertigbar? Und gab es da ueberhaupt keine Einmischung durch die Innenministerin?

Die Nachtigallen, die da trappsen, sind mittlerweile Legion.

Die Berichterstattung der Krone war auf alle Faelle fuer Polizei und OeVP Gold wert. Die Polizei wird sich sicher auch in Zukunft der Krone fuer solche Texte erkenntlich zeigen. Doch die Krone hat fuer ihre Vorverurteilungen eine durchaus glaubwuerdige Begruendung: „Wie bei jeden anderen Ermittlungen auch, berichten wir laufend ueber die Verdachtsmomente. Sonst haetten wir ja nur mehr eine Gerichtsberichterstattung, wenn der Prozess laeuft.“ Das schreibt Christoph Budin, stellvertretender Ressort-Chef der Krone, an einen empoerten Leser. Und das ist einfach nur die Logik leider nicht nur des Boulevards. Denn wuerden kommerzielle Medien nicht ueber laufende Ermittlungen berichten, haetten sie ueberhaupt keine Geschichten mehr, die die Leute gerne lesen. Fragezeichen, Konjunktiv, Zitatform und eine echte Unschuldsvermutung, die sich durch den Tonfall der ganzen Berichterstattung zieht und nicht nur ein bedeutungsloser Nebensatz ist — das ist alles viel zu kompliziert. Und wer die Schlagzeile erst bringt, wenn ein ordentliches Gericht den Verdacht naeher untersucht, und wer dann den Prozess vielleicht auch noch kritisch begleitet, hat in einer Medienlandschaft, die prompte Erschlagzeilen braucht, kaum Chancen bei einem Massenpublikum.

 Eiertanz der SPOe

Diesem Massenpublikum hingegen gar keine Angriffsflaeche bieten wollte

die SPOe, deren Spitzenvertreter anfangs so taten, als ginge sie das

gar nichts an und das waere alles eine Sache des OeVP-gefuehrten

Innenressorts. Einzig Barbara Prammer reagierte prompt und meinte

schon am Tag nach den Verhaftungen, sie appelliere an Mikl-Leitner,

sich doch noch eine humanere Loesung zu ueberlegen. Und auch Prammer

glaubte nicht recht an einen Zufall: „Ich kann nur appellieren, den

Wahlkampf nicht auf dem Ruecken der Fluechtlinge zu machen – das ist

ungeeignet und nicht menschenwuerdig“.

 

Doch die Schrecksekunde in der SPOe-Fuehrung auf Prammers Ansage

dauerte zwei Tage. Und dann kam Bundesgeschaeftsfuehrer Norbert

Darabos, verteidigte Mikl-Leitner und war sichtlich dankbar, dass

mittlerweile die Schlepper-Geschichte aufgetaucht war, auf die zu

verweisen er sich auch nicht verkneifen konnte. Dagegen wiederum fand

von den SPOe-Spitzenvertretern nur noch der OOe-Parteichef Josef

Ackerl klare Worte — allerdings sehr klare: „Ich stehe weder vor noch

hinter Mikl-Leitner und habe diese Frau satt. Habe noch nie gehoert,

dass Spindelegger hinter Heinisch-Hosek und Schmied steht“, liess er

Norbert Darabos ueber Facebook ausrichten.

 

Theater? So quasi: Wir haben fuer die Law-and-Order-Waehlerschaft den

Darabos und fuer die Gutmenschen die Prammer und den Ackerl?

 

Oder war es einfach nur Panik von seiten des Geschaeftsfuehrers und

echte Empoerung aus Oberoesterreich? Auf alle Faelle bleibt die Frage:

Wofuer genau steht jetzt eigentlich die SPOe?

 

Fakt ist: Zumindest vier der Servitenklosterfluechtlinge sind

abgeschoben worden. Ob das dem Wahlkampf zu verdanken ist, wissen wir

nicht.

 

Die Fluechtlinge, die in Pakistan gelandet sind, haben jetzt wohl

andere Sorgen. Aber wir hier sind mit Nebelbomben zugepflastert, kaum

jemand weiss mehr, was hier gespielt wird und warum. Und auf dieser

Informationsbasis wird im September gewaehlt. Nach der Tragoedie der

abgeschobenen und den Aengsten der hier noch verbliebenen Fluechtlinge

ist vielleicht der dritte Skandal, wie in Oesterreich Beamtentum und

Politik agieren.

*Bernhard Redl*