DAVE ZIRIN
MEHR ALS NUR EIN SPIEL
Das vielleicht einflussreichste Beispiel für den
Kampf um Frauenrechte im amerikanischen
Sport verkörpert die großartige Billie Jean King.
Sie gilt heute zurecht als eine der wichtigsten
Sportlerinnen aller Zeiten. King war vermutlich
die erste Athletin, die den Feminismus ins Zentrum
des Sports rückte. Sie war weit mehr als
nur Athletin oder Symbol, denn sie beteiligte
sich aktiv an der Frauenbewegung für Gleichberechtigung.
Laut der lesbischen Tennismeisterin
Martina Navratilova „verkörperte sie eine
Kreuzzüglerin, die für uns alle kämpfte. Sie war
die Fahnenträgerin. Seit ihr war es schlicht und
einfach okay, eine Sportlerin zu sein.“
King erkämpfte eine Spielerinnengewerkschaft.
Sie half mit bei der Gründung des weltweiten
Tennisverbandes für Frauen, der Women’s
Tennis Association. Sie wurde 1973 zu deren
erster Vorsitzenden gewählt. Als King 1972
für ihren Sieg bei den US Open 15 000 Dollar
weniger ausgezahlt bekam als der Sieger im
Männerwettbewerb, Ilie Nastase, rief sie die
Spielerinnen für den Fall zu einem Streik auf,
dass im darauf folgenden Jahr nicht dasselbe
Preisgeld ausgezahlt werden würde. 1973 wurden die US Open dann tatsächlich das erste
große Tennisturnier mit demselben Preisgeld
für Männer wie für Frauen. Bald darauf stimmte
sie der Nennung ihres Namens in Zeitungsanzeigen
zu, in denen es hieß: „Ich habe abgetrieben.“
Aber wenn man an Politik und Billie Jean King
denkt, dann erinnert man sich zuallererst an
ihren berühmten „Kampf der Geschlechter“
1973 beim Tennismatch gegen Bobby Riggs.
Dieser 51 Jahre alte ehemalige Tennisstar war
ein notorischer Selbstdarsteller und Chauvinist.
Er hatte zuvor in einem Showmatch gegen
den Tennisstar Margaret Court gewonnen und
forderte jetzt Billie Jean King heraus. Ein erneuter
Triumph schien in seinen Augen kein Problem
zu sein, den er hatte Dinge gesagt wie:
„Der Mann ist König. Männer sind vortrefflich.
Ich sage es immer und immer wieder. Das ist
meine Grundstimmung. Mädchen spielen bloß
nettes Mädchentennis.“
King nahm die Herausforderung an. Die Medien
wiederum sprangen auf das Motto „Kampf
der Geschlechter“ an. Dabei schien es um zwei
Tennisgrößen zu gehen, die sich zwei gegensätzliche
Botschaften um die Ohren zu hauen
versprachen: wozu Frauen in der Lage sind
und wozu nicht. Das Tennismatch im Astrodome-
Stadion von Houston in Texas ist bis
heute eines der meistgesehenen TV-Ereignisse
der Sportgeschichte. Es muss sich angefühlt
haben wie ein Tennismatch vor den Augen
der ganzen Welt – und Billie Jean King besiegte
Bobby Riggs klar in nur drei Sätzen. Frank
Deford schrieb danach in „Sports Illustrated“:
„Was die Hälfte der Gesellschaft von sich selbst
und sportlicher Betätigung hält, hat Billie Jean
King maßgeblich beeinflusst.“
„Ihr ganzes Leben lang hat King für die Gleichberechtigung
von Frauen gekämpft, nicht nur
im Tennis und im Sport allgemein, sondern
auch in der Gesellschaft“, schrieb der Historiker
Anthony Holden im Online-Magazin
„Sportsline“, „aber ihre bisherige hingebungsvolle
Arbeit stellte sie in den Schatten innerhalb
von zwei Stunden und vierzig Minuten, in
denen sie Riggs auseinandernahm.“ Aber auch
King war die Bedeutung ihres Sieges klar: „An
den Universitäten jubelten die Studentinnen.
Das Match hatte eine enorme symbolische Bedeutung.
Es richtete Frauen auf […]. Davor galten
Frauen als hüstelnde Spastiker, die keinen
Druck vertrügen – außer bei der Entbindung
natürlich.“
Die symbolische Bedeutung des Ereignisses
war zweifelsohne groß. Trotzdem bin ich der
Meinung, dass Billie Jean Kings Beitrag für
weibliche Gleichberechtigung, sowohl vor dem
Match als auch danach, weitaus wichtiger ist.
King spielte als Kind und als Jugendliche auf
öffentlichen Gemeindetennisplätzen. Sie entstammte
dem Arbeitermilieu und wurde so
gut, dass sie später auch in den reichen Country-
Clubs spielen durfte. Sobald sie es als Profi
nach oben geschafft hatte, setzte sie sich kompromisslos
für gleichen Lohn für alle ein. Sie
wurde die erste Vorsitzende der ersten Spielerinnen-
Gewerkschaft überhaupt. Und sie war
die erste Prominente, die sich als Lesbe outete.
Dies kam 1981 in einer Klage für den Unterhalt
einer nicht-ehelichen Lebensgefährtin ans Tageslicht.
Ihre Partnerin hatte sie verklagt. Ihrem
Coming-Out folgten scharfe Rückschläge:
Sie büßte ihren Ruf und zwei Millionen Dollar
an Sponsorengeldern ein. Es dauerte Jahre,
bis sie wieder ins Tennisgeschäft zurückfand.
Auf jeden Fall ging sie keine Kompromisse ein,
wenn es um ihr Selbstverständnis und ihre
Überzeugung ging.
Mit ihrem vielfältigen Aktivismus war King wegweisend
für eine neue Generation von Frauen,
die das ihnen oktroyierte Rollenverhalten zurückwiesen.
Das weiße männliche Establishment
reagierte darauf mit wütenden Gegenschlägen.
Aber Kings Engagement trug schon
relativ früh zu einem Wandel in der öffentlichen
Wahrnehmung bei und war damit eine Voraus-
setzung für gesellschaftliche Reformen. Kurz
vor dem Match gegen Riggs im Jahr 1972 wurden
beispielsweise die Bildungsgesetze erweitert.
Ein darin enthaltener Zusatz namens Title
IX spricht ein folgenreiches Diskriminierungsverbot
aus. Auf Grund von Geschlechterzugehörigkeit
darf seitdem niemand von Bildungsund
Fortbildungsprogrammen ausgeschlossen
werden. Dies gilt ausdrücklich auch für den
College-Sport. Vor Title IX war nur eines von
35 Mädchen sportlich aktiv; heute ist es jedes
dritte. Die Reform hat die Lebensumstände von
Millionen von Frauen direkt verändert.
Diese enormen Fortschritte wären allerdings
unbekannt, wenn man seine Informationen
nur über US-Sportmedien bezöge. Einer vor
kurzem veröffentlichten sportsoziologischen
Studie von Michael Messner und Cheryl Cooky
zufolge haben die großen Fernsehsender die
Berichterstattung über Frauensport fast gänzlich
eingestellt. Leider stimmt es: In den letzten
beiden Jahrzehnten wird dem Frauensport
immer weniger Sendezeit eingeräumt. Waren
es 1999 auf dem Höhepunkt neun Prozent, so
schrumpfte diese Zahl auf unglaubliche 1,6 Prozent
im Jahr 2009. Wie so vieles andere in der
US-Sportkultur ist die Sportzeitschrift „ESPN
The Magazine“ zu einer Art Männerumkleidekabine
verkommen. In den letzten fünf Jahren
waren nur fünf Athletinnen auf der Titelseite zu
sehen, was magere fünf Prozent der Gesamtberichterstattung
ausmacht. Die großen Fernsehsender
zeigen Frauen eher im Badeanzug,
als Cheerleader oder als Bierwerbung denn
als ernsthafte Athletinnen. Diese Fixierung auf
Frauenkörper unterscheidet sich kaum noch
von der „Playboy“-Sonderausgabe „Frauen der
Olympiade“ oder von der NBC-Übertragung
des Beach-Volleyballs der Frauen; dass dieser
Sport in superknappen Bikinis an Kunststränden
gespielt wird, ist natürlich reiner Zufall. In
diesen Fällen stehen nicht die Sportarten im
Vordergrund. Sie müssen als Ausrede dafür
herhalten, dass in Wirklichkeit männlichen Zuschauern
Frauenkörper verkauft werden.
Ja, Billie Jean King war für die Frauenbewegung
ungeheuer wichtig. Sie spielte eine Schlüsselrolle
bei all den Fortschritten, die Frauen erzielt
haben. Aber der Kampf um Gleichberechtigung
geht weiter. Einige hoffen heute auf eine junge,
zweite Billie Jean King. Aber niemand ist allein
stark genug, sich gegen die finanziellen (und
meistens männlichen) Interessen zu stellen,
die die auf Märkte orientierten Sportarten beherrschen.
Nirgendwo wird dies deutlicher als
in den Eingeweiden der Sport-Medien-Konglomerate.
Das Problem lässt sich als Frage formulieren:
Wenn eine Aktivistin oder eine ganze
Protestbewegung gegen die Mediengiganten
mit voller Lautstärke anschreit, und niemand
über die Rufe nach Gerechtigkeit berichtet, hat
dann wirklich jemand etwas gesagt?