Die Gründung einer unabhängigen Arbeiterpartei geistert schon länger in den Köpfen bolivianischer ArbeiterInnen herum. Dieser Geist wurde nun am 7. und 8. März 2013 mit der Durchführung ihres 1. Kongress in Huanuni, der „Zinnhauptstadt“ Boliviens, Wirklichkeit. Auf diesem Kongress kam es zur Gründung der „Partido de los Trabajadores“ (PT, Arbeiterpartei).
Wie kam es jedoch dazu, dass sich viele Teile der Arbeiterklasse von der Regierung um Evo Morales abwandten, um sich dem Aufbau einer Partei links der „Movimiento al Socialismo“ (MAS, Bewegung für Sozialismus ) zuzuwenden?
Konflikte mit der Morales-Regierung
Nach seinem Amtsantritt als Präsident 2006 stellte sich Evo Morales als „antiimperialistisch“ und „pluri-ethnisch“ dar. Er zehrte von seinem Einfluss innerhalb der Arbeiterklasse, welchen er und die MAS durch die Beteiligung am unbefristeten Generalstreik 2003 als Reaktion auf den Tod von 7 DemonstrantInnen im Zuge einer Auseinandersetzung um das bolivianische Erdgas erlangt hatten. 2003-05 stand die MAS mit Morales an der Spitze einer Massenbewegung gegen Neo-Liberalismus, imperialistische Ausplünderung des Landes und für die Rechte der indigenen Bevölkerung, die 2005 mit Massenblockaden des Straßen und Demonstrationen den Rücktritt der Regierung Mesa und Neuwahlen erzwang, bei denen die MAS die absolute Mehrheit der Stimmen erhielt.
Schon mit dem Regierungsantritt machten sich jedoch die inneren Widersprüche dieser populistischen Bewegung und der Politik des Präsidenten, dessen „Sozialismus“ immer nur die Interessen der Unternehmer, der ArbeiterInnen und Bauern auszugleichen versuchte, bemerkbar. So wurde im April 2006 der Streik bei Lloyd Aereo Boliviano (LAB) durch Polizei und Armee gebrochen – ohne dass das schon die Popularität von Morales unter den Massen gebrochen hätte.
2010 kam es zu weiteren Arbeiterstreiks gegen die Regierung Morales. Diese entzündeten sich an einer Reform, welche das Streikrecht einschränken sollte. Es war eine wichtige organisierte Gegenwehr gegen die immer häufigeren Attacken der Morales-Regierung gegen die Arbeiterklasse. Im Dezember 2010 kam es zu einer Erhöhung der Benzinpreise, dem „Gazolinazo“. Erneut gab es dabei anhaltende Auseinandersetzungen, v.a. in La Paz und El Alto, was zur Rücknahme der Preiserhöhungen führte.
Im September 2011 kam es dann erneut zu einer landesweiten Protestbewegung gegen den Bau einer Autobahn. Gegen diesen Bau formierte sich ein Protestmarsch der betroffenen indigenen Bevölkerung, welcher von der Regierung brutal angegriffen wurde. Nach der heftigen Repression gab es landesweite Solidaritätsaktionen von ArbeiterInnen und Jugendlichen, welche den Marsch unterstützten.
Der Stein kommt ins Rollen …
Im Lichte dieser jüngsten Auseinandersetzungen mit der Morales-Regierung nahm die Konferenz der Gewerkschaft der bolivianischen MinenarbeiterInnen (FSTMB) im September 2011 eine Resolution an, welche die Frage der Schaffung einer eigenständigen Arbeiterpartei aufwarf. Diese Resolution wurde anschließend auf einer Konferenz der Gewerkschaft COB im Januar 2012 auch von dieser angenommen und führte somit dazu, dass die Frage eines eigenständigen politischen Armes der Arbeiterklasse innerhalb der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung diskutiert wurde.
Auch das ist nichts ganz Neues im Verhältnis der Gewerkschaften zu Morales und seiner Regierung. Schon 2005, also noch vor dem Machtantritt von Morales, als sich in Bolivien eine revolutionäre Zuspitzung entwickelte, hatte die Führung des COB die Bildung eines „politischen Instruments“ zur Sprache gebracht – einerseits, um den Ruf nach einer eigenständigen Arbeiterpartei und einer linken Alternative zur MAS Rechnung zu tragen; andererseits, um sie bewusst vage zu halten. Aus der Bildung eines „politischen Instruments“ wurde nichts, die COB und die FSTMB-Führung ordneten sich in den folgenden Jahren politisch der MAS und der Regierung Morales unter.
Die folgenden Auseinandersetzungen erhöhten aber den Druck der Basis auf die Gewerkschaftsbürokratie, so dass diese sich des Vorhabens einer Arbeiterpartei annehmen musste. Zugleich versteht die Gewerkschaftsführung die Kampagne auch als ein Mittel, Druck auf Morales auszuüben und diesen zu mehr Konzessionen an die Gewerkschaftsbürokratie zu zwingen.
Unter dem Druck ihrer Basis bereitete die Gewerkschaftsbürokratien den Gründungskongress vom 7./8. März 2013 in Huanuni vor. Dieser Schritt kann einerseits als großer Erfolg der bolivianischen Arbeiterklasse und darüber hinaus auch als ein erster Schritt zum Bruch großer Teile der organisierten ArbeiterInnen mit der MAS und der Morales-Regierung verstanden werden.
… und erreicht sein Ziel
Auf dem ersten Kongress fanden sich ca. 1.300 Delegierte von rund 100 Organisationen ein. Neben den unterschiedlichen COB-Gewerkschaften und Teilen der radikalen Linken, schickten auch Organisationen der Landbevölkerung sowie der indigenen Bewegungen Delegierte.
Doch diese Parteibildung unter Führung der Gewerkschaftsbürokratie bringt unweigerlich auch die Gefahr mit sich, dass der gesamte Prozesse auf halbem Wege stecken bleibt und in einer rein reformistischen Partei oder gar im Nichts endet.
Dies zeigte sich auch schon auf dem 1. Kongress, wo die Frage der Klassenunabhängigkeit der Partei sowie die Frage der internen Demokratie diskutiert wurden. Die Gewerkschaftsbürokraten sprachen sich für die Bildung einer „pluralistischen Partei“ mit Vorbild der brasilianischen PT aus – also für die Schaffung einer reformistischen Arbeiterpartei, die der Klasse eine „eigene Stimme“ im politischen System verleihen soll, letztlich aber auf dem Boden der bürgerlichen Verhältnisse agiert.
Bei der Frage der internen Demokratie argumentierten sie gegen das Recht zur Bildung von Tendenzen und Fraktionen, um somit die Macht des bürokratischen Apparates innerhalb der PT zu sichern. Glücklicherweise konnte der fortschrittliche Teil diese ersten Angriffe teilweise zurück weisen. Der Kongress sprach sich für „Klassenunabhängigkeit“ und gegen die brasilianische PT als Vorbild aus. Die Bildung von Tendenzen ist gestattet, die Formierung politischer Strömungen oder Fraktionen innerhalb der Partei jedoch untersagt.
Kurzum, in der Bolivianischen PT ist die Frage noch offen, in welche Richtung sich die Partei entwickelt, ob sie unter dem Gewicht des bürokratischen Apparats zu einer reformistischen Partei verkommt oder ob es der Basis gelingt, sie in eine klassenkämpferische, ja revolutionären Richtung zu lenken.
Programmatische Eckpunkte
Neben den ganzen organisatorischen Fragen, stellt sich auch die Frage was sie programmatisch der bolivianischen Arbeiterklasse und Bevölkerung zu bieten hat. Das in Huanuni angenommene Programm beinhaltet Punkte und Forderungen, welche wichtige gegenwärtigen Probleme ansprechen und versuchen, diese im Sinne der Arbeiterklasse zu beantworten. Vor allem in den Forderungen nach „Verstaatlichung der Banken ohne Entschädigung“, „Verstaatlichung des Bergbaus und aller natürlichen Ressourcen“ sowie nach „Enteignung des Großgrundbesitzes“ wird dies deutlich. Diese radikalen Forderungen bleiben werden mit der Forderung nach „kollektiver Arbeiterkontrolle“ verbunden und stellen somit direkt die Frage der Macht, welche damit beantwortet wird, dass die Arbeiterklasse nicht nur die Regierung, sondern auch die Macht in ihre Hände nehmen soll.
Perspektive der PT
Dass eine neue Partei freilich nicht nur nach ihren Proklamationen beurteilt werden darf, zeigt schon die Entwicklung seit dem 1. Kongress. Nachdem Kongress mit 1.300 Delegierten ein großer Erfolg war, wurde der 2. Kongress nur noch von 300 Delegierten besucht. Richtigerweise wurde die provisorische Leitung auf diesem Kongress kritisiert, weil sie den 2. Kongress nicht gut vorbereitet hätte.
Vor allem aber hat sie es verabsäumt, sich in die aktuellen Auseinandersetzungen einzuschalten, um der PT ein politisches Gesicht sowie weiteren Rückhalt zu verschaffen. Dabei wären gerade mit den 15 Tage anhaltenden Mai-Aktionstagen der COB gute Anknüpfungspunkte vorhanden gewesen, um als PT zu intervenieren. Das unterblieb jedoch. Es zeigt, dass die „provisorische Führung“ – im Grunde die Gewerkschaftsbürokratie – die PT v.a. als parlamentarischen Arm des COB etablieren will, der ihr gegenüber der Regierung Morales mehr „eigenes“ Gewicht gibt. Sie will aber offensichtlich nicht, dass aus der PT eine aktivistische Kampfpartei wird, die mit einem eigenen Programm und auch unabhängig von der COB-Führung in die Klassenkämpfe eingreift.
Wie weiter?
Das ändert nichts daran, dass die Gründung der PT einen Erfolg der Arbeiterklasse darstellt. Sie zeigt aber auch, dass nur im politischen Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie auf Dauer gesichert werden kann, dass diese Partei ein Kampfinstrument der Unterdrückten wird und nicht ein Instrument für die Manöver der Bürokratie. Auch die Kritik auf dem 2. Kongress und die große Opposition gegen die Versuche der Gewerkschaftsbürokratie, die Partei nach rechts zu ziehen, zeigen, dass innerhalb der PT vorwärtstreibende Kräfte vorhanden sind.
Der Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie ist somit eine der zentralen Aufgaben von RevolutionärInnen innerhalb der PT, um eine Rechtsentwicklung zu verhindern, die fortschrittlichsten Kräfte innerhalb der PT auf einen möglichen Verrat ihrer Bürokratie und auf einen Bruch mit ihr vorzubereiten. Neben dem Kampf gegen die Bürokratie müssen RevolutionärInnen innerhalb der Partei für die höchste Form der internen Arbeiterdemokratie einstehen: für uneingeschränkte Propagandafreiheit, für das Recht auf eigene Treffen aller gesellschaftlich unterdrückten Gruppen (Frauen, Jugend, Indigene, nationale Minderheiten) und für volle Tendenz- und Fraktionsfreiheit.
Um jedoch nicht auf halben Wege stehen zu bleiben und die Formierung der PT für den Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei zu verwenden, muss ein revolutionäres Aktionsprogramm erarbeitet werden, um die klassenkämpferischen Kräfte zu formieren und ins politische Leben zu intervenieren.