Debatte in Youtube über das Video „Erdogans doppelzüngige imperiale Politik“
(Palästina und Kurdistan)
http://www.youtube.com/watch?v=MzuW9k-p0-A bzw.
fliegerjacke http://www.youtube.com/user/fliegerjacke?email=comment_received (2.10.2011)
Palästina und „Kurdistan“ sind nicht zu vergleichen. Gesetzlich ist das ganz klar: Die Kurden sind nationale Minderheiten, die Palästinensenser sind ein souveränes Volk dass seit 1967 ihres Landes mit Gewalt beraubt wird (alle Siedlungen im Westjordanland+Ostjerusalem sind illegal). Die Türkei hat in der Kurdenfrage sehr viel dazugelernt. Das große Staudammprojekt GAP begünstig z.B. fast nur Kurden und es wird in Zeichen der türk. Wirtschaftsstärke dort viel investiert.
Biggee48 http://www.youtube.com/user/Biggee48?email=comment_received
(2.10.2011)
Hier sieht man wieder ein deutsche der kein plan von kurden in der türkei hat.wenn du die kurden in der türkei besser kennen würdest das wüsstes du das die meisten kurden keine eigene land haben wollen.wenn man die wah ergebnisse der letzten jahren anschaut dann sieht man das diemeisten kurden in kurdischen gebieten türkische partein wählen und nur die wenigen die kurdische partei bdp wählen.da sieht man eindeutig das die kurden sich der türkei wohlen fühlen und kein kurdistan haben wollen.
Karl Krestinsky
Das kurdische Volk nur Minderheit bzw.
wählt ohnehin hauptsächlich türkische Parteien?
Ich kann weder „fliegerjacke“ noch „Biggee48“ politisch zuordnen, ihre Meinungen allerdings sehr wohl: türkisch-nationalistischer Kemalismus bzw. Erdogans staatliche türkisch-nationalistische Islampolitik. Die AKP setzt bekanntlich als regierende türkische Partei die nationalistische Kemalistische Machtpolitik fort, die mit einer Zwangsassimilierungspolitik und immer wieder auch mittels Bomben und Vertreibungsaktionen das kurdische Volk zur „Minderheit“ bzw. zum Wahlvolk der AKP oder CHP machte und macht. In diesem Zusammenhang ist auch die GAP-Staudammanlage zu nennen, die „fliegerjacke“ ganz begeistert zum kurdenfreundlichen Projekt erklärt. In youtube gibt es eine ganze Reihe von Videobeiträgen darüber, wie dieses Staudammprojekt nicht bloß alte Kulturstätten vernichtet, sondern auch hunderttausende Kurdinnen von ihrer Heimat vertreibt: ( http://www.youtube.com/watch?v=WYlGNqnkfZc )
Das kurdische Volk in der Türkei ist für „fliegerjacke“ und „Bigge48“ also bloß eine „Minderheit“ und wähle en masse ohnehin türkische Parteien. Beide sehen vor lauter Kemalistischer Gesetzesfuchserei und quantitativen Wahlanalysen nicht die historische Dimension der großen Tragödie des kurdischen Volkes eines ganzen Jahrhunderts, durch die Strategien des britischen Kolonialismus und der arabischen, iranischen und türkischen Nationalismen daran gehindert geworden zu sein, zur Nation zu werden! Und subjektiv das noch größere Drama: Die eigene kurdische Zersplitterung!
„fliegerjacke“ und „Bigge48“ kennen bzw. akzeptieren wohl die kurdische Geschichte nicht. Jeweils nach beiden Weltkriegen kam es zu starken kurdischen Nationalbewegungen und immerhin zu zwei Versuchen, einen unabhängigen kurdischen Staat zu gründen. In den Nachkriegsverhandlungen nach dem 1. Weltkrieg ging es bekanntlich in den imperialen strategischen Winkelzügen der Regierungskanzleien Washingtons (Wilson) und Londons mit der Türkei des Sultan in Konstantinopel auch um einen unabhängigen kurdischen Staat: Mit dem Sultan einigte sich London über einen solchen Staat in Türkisch-Kurdistan (Vertrag von Sevres, 1920). Im künstlichen Staat Irak (und britischen Protektorat) mit dem saudiarabischen König Faisal überschreiben die Briten allerdings die kurdischen Gebiete Mosul (mit wertvollen Erdölquellen!) dem arabisch-britischen Bagdad. Inzwischen hatte Kemal in der Türkei (mit kurdischer Unterstützung!) den Sultan gestürzt (1922), lehnt Sevres ab und erhebt Anspruch auf Mosul. Jetzt rufen London & Faisal (gemeinsam mit ihnen ergebenen kurdischen Oberen!) eine autonome Republik Kurdistan auf irakischem Gebiet aus. Mahmud Barzani spielte bekanntlich bei diesen imperialen Machtspielen nicht mit und rief sich 1923 im Gebiet um Sulaimania zum „König“ eines unabhängigen Kurdistan aus! Mit dem Vertrag von Lausanne schließlich, der Sevres ablöste, musste sich Barzani mit einer Autonomie im irakischen Staat begnügen. Und Kemal, der im Vertrag von Lausanne noch Phrasen von kurdischen sprachlichen und nationalen Rechten unterschrieben hatte, kann jetzt die „ganze“ Türkei annektieren (bekommt aber nicht Mosul).
Mahabad
In den 1940er-Jahren spielte in den imperialen Machtspielen noch Stalins sowjetische militaristische Außenpolitik mit, deren regionale militärische Oberherrschaft (plus iranisches Machtvakuum) 1946 die Demokratische Kurdische Republik Mahabad im irakischen Kurdistan erleichterte.
Mahabad stand damals im Zentrum aller KurdInnen und Mahabads KurdInnen träumten sehr wohl gesamtkurdische Träume! Sie stellten Kontakte mit den kurdischen Volksteilen im Irak, Syrien und in der Türkei her.
„Dieser jüngste Versuch, einen kurdischen Staat zu gründen, endete mit der Besetzung Mahabads durch iranische Truppen. Wie frühere Versuche schlug er hauptsächlich deshalb fehl, weil unter den Kurden selbst Uneinigkeit herrschte.“ (Archie Roosevelt, Jr., Die kurdische Republik Mahabad, Gesellschaft bedrohter Völker, 1984)
In den nächsten Jahrzehnten wachsen kurdische Generationen heran, die nichts außer Aufsplitterung auf vier Staaten erleben. In Syrien, vor allem nach dem Übergang von Osmanischer zu arabischer Herrschaft, erleiden sie alltägliche Unterdrückung; im Irak des Saddam Hussein werden sie mit Giftgasangriffen massakriert und … erfahren heute relative Autonomie unter einem US-dominierten Bagdad.
Kemal scherte sich nach 1923 in keiner Weise um die Zugeständnisse an die KurdInnen im Lausanner Vertrag. „Bekannt wurde der Ausspruch des türkischen Justizministers Mahmut Esat Bozkurts zur Kurdenfrage. Im Jahre 1930 äußerte er, die Türken seien die Herren des Landes. Diejenigen, die keine „echten Türken“ (Öztürkler) seien, hätten nur ein einziges Recht: Das Recht, Diener oder Sklave zu sein.“ (Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Kurden_in_der_T%C3%BCrkei )
Der langen Geschichte von kurdischer Zwangsassimilierung, Repression, Vertreibung und kurdischen Parteibildungen bis Aufständen in der Türkei folge in den 1970er-Jahren die Bildung der PKK, die nur mehr im Guerillakampf – zuerst für kurdische Unabhängigkeit und dann Autonomie – einen Ausweg sah (und selber eine militaristisch-autokratische Hierarchie entwickelte). Auf der anderen Seite geben die ständigen Repressionen gegen die heutige wichtigste legale kurdische Partei DTP (Verbotsverfahren, zuletzt 2009) wohl vielen KurdInnen nach wie vor keine Hoffnungen auf einen legalen friedlichen demokratischen Fortschritt für die rund 15 Millionen Menschen kurdischer Nationalität in der Türkei. 1)
Warum wehren sich „fliegerjacke“ und Biggee48“ gegen ein demokratisches Referendum in Türkisch-Kurdistan? Wenn sie sich so sicher sind, dass eine große Mehrheit der KurdInnen unter türkischer Herrschaft weiter leben will, müssten sie wohl keine Angst vor einer Volksabstimmung haben?
K.Krestinsky
http://www.labournetaustria.at
Wien, 4.10.2011
1) Dass Erdogan außer solidarischen Floskeln für den syrischen Widerstand gegen das Asad-Regime nichts übrig hat, hat auch damit zu tun, dass AKP-Regierung und die Kemalisten nicht sicher sein können, ob nicht nach einem Sturz Asads die neue Staatsmacht in Syrien den syrischen KurdInnen nicht nachgibt und ihnen weitgehende Autonomie, wenn nicht sogar staatliche Selbstständigkeit zugestehen muss.