Nach dem ehemaligen Oligarchen Michail Chodorkowski hat die russische Justiz am Montag auch die beiden Mitglieder der kremlkritischen Punk-Band Pussy Riot, Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa, freigelassen. Anders als Chodorkowski schlugen die Aktivistinnen und Musikerinnen aber keine sanften oder gar versöhnlichen Töne an.
Sie attackierten gleich nach ihrer Freilassung den russischen Präsidenten Wladimir Putin und sein System. Aljochina und Tolokonnikowa hatten im Jahr 2012 mit ihrer Band in einer Kirche ein Protestlied gegen Putin gesungen und wurden wegen „Rowdytums“ aus religiösem Hass zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Im Prozess betonte Tolokonnikowa immer wieder, dass sich der Protest nur gegen Putin gerichtet habe und nicht gegen die Gefühle Gläubiger. Die Aktion der Musikerinnen, die für ihre neonfarbenen Kleider und bunten Sturmhauben bekannt sind, war von Kritikern als geschmacklos empfunden worden.
Am 21. Februar 2012 protestierten Pussy Riot in der Erlöserkathedrale in Moskau
Straflager „das Gesicht des Landes“
Tolokonnikowa rief bei ihrer Freilassung „Russland ohne Putin“. „Russland wurde nach dem Vorbild einer Strafkolonie errichtet“, sagte die 24-Jährige am Montag kurz nach ihrer Freilassung aus dem Straflager von Krasnojarsk vor Journalisten. „Straflager und Gefängnisse sind das Gesicht des Landes“, fügte sie hinzu. Um das Land zu verändern, müsse auch das Strafvollzugssytem geändert werden.
Die Zeit im Straflager sei für sie keine „verlorene Zeit“ gewesen. Sie habe den russischen Strafvollzug, den sie als „totalitäre Maschine“ bezeichnete, von innen gesehen und sei durch diese Erfahrung „gewachsen“, so Tolokonnikowa. Sie hatte während ihrer Gefängniszeit mit einem Hungerstreik gegen die Haftbedingungen protestiert. Nach eigenen Angaben erhielt sie dort auch Morddrohungen. Schließlich wurde sie vor wenigen Wochen in ein Lager in Sibirien verlegt – aus dem sie am Montag freikam. „Es beginnt alles erst, also schnallen sie sich an“, sagte sie nach der Freilassung.
Jekaterina Samuzewitsch, Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa auf der Anklagebank im Sommer 2012
Kein Gnadengesuch gestellt
Tolokonnikowa kündigte an, sich künftig vor allem für die Rechte von Gefangenen einsetzen zu wollen. Ihr Ehemann Pjotr Wersilow hatte vor dem sibirischen Gefängnis auf die Freilassung seiner Frau gewartet. Über den Twitter-Account der Künstlergruppe Woina, die der Punkband nahesteht, veröffentlichte er ein Foto der jungen Frau, auf dem sie von Journalisten umringt ist. Die 24-Jährige trat offenbar schon bei Dunkelheit ins Scheinwerferlicht der Medien.
Die beiden Aktivistinnen hätten im März 2014 entlassen werden sollen. Das Parlament in Moskau verabschiedete vergangene Woche ein Amnestiegesetz, unter das auch die Musikerinnen fielen. Ein drittes Mitglied der Gruppe, Jekaterina Samuzewitsch, war bereits im vergangenen Jahr freigekommen.
Anders als Chodorkowski weigerten sich die zwei inhaftierten Frauen von Pussy Riot, ein Gnadengesuch beim Präsidenten zu stellen. Der Kreml wertet solche Bitten um Gnade als Schuldeingeständnis. Das hatten die in einem international kritisierten Verfahren verurteilten Putin-Gegnerinnen stets abgelehnt.
Aljochina: Versuchen, unser Lied zu Ende zu singen
Die 25-jährige Aljochina bezeichnete ihre Freilassung als „PR-Gag“ von Präsident Wladimir Putin vor den Olympischen Spielen in Sotschi im Februar. „Ich glaube nicht, dass es ein humanitärer Akt ist“, sagte die in eine dicke grüne Gefängnisjacke gehüllte Aljochina zu ihrer Freilassung. Aus Solidarität mit denen, die noch in den Gefängnissen säßen, hätte sie auf ihre Freilassung auch verzichtet, wenn es möglich gewesen wäre.
Aljochina mit ihrem Anwalt vor dem Büro einer Menschenrechtsorganisation
„Aber das Gefängnis hat eine Weisung erhalten, deshalb bin ich hierher gebracht worden.“ Das Härteste im Gefängnis sei gewesen, zu sehen, wie die Menschen einfach aufgeben. Künftig wolle sie sich für die Rechte von Häftlingen und für die Einhaltung von Menschenrechten einsetzen, kündigte die 25-Jährige an. „Glauben Sie mir, ich habe vor nichts mehr Angst“, so Aljochina. „Wir werden versuchen, unser Lied zu Ende zu singen“, sagte sie weiter. Sie spielte damit auf das Anti-Putin-Lied in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale an, das zur Verhaftung und dem Urteil der zweijährigen Lagerhaft geführt hatte.
„Lautstarke Abschiedsgrüße“ vermieden
Die Musikerin verließ das Straflager nach Angaben ihrer Anwältin Irina Chrunowa in einem schwarzen Wagen der Gefängnisverwaltung – offenbar, um sie an den vor den Gefängnistoren wartenden Reportern vorbeizuschleusen. Das sei „zweifellos geschehen, um der medialen Aufregung“ zu entgehen, sagte ihre Anwältin weiter. Am Bahnhof von Nischni Nowgorod durfte Alojchina aussteigen. Von dort aus ging sie zum örtlichen Büro einer Menschenrechtsorganisation, wo sie telefonierte und erste Interviews gab.
Während ihrer Freilassung sei sie „unter Schock“ gestanden, so Aljoschina. Die Anstaltsleitung habe sie vermutlich klammheimlich aus dem Gefängnis geschafft, um „lautstarke Abschiedsgrüße“ ihrer Mitgefangenen zu vermeiden. „Aljochina ist natürlich sehr cool und geschäftig im guten Sinne des Wortes“, schrieb der Moskauer Oppositionsführer Alexej Nawalny über Twitter.
Aljochina saß in Nischni Nowgorod rund 450 Kilometer östlich von Moskau im Gefängnis. Auch sie beschwerte sich über die „Sklavenmentalität“ in Russlands Haftanstalten und trat ebenfalls in einen Hungerstreik. Tolokonnikowa war erst kürzlich in ein Straflager im 4.400 Kilometer von Moskau entfernten Krasnojarsk in Ostsibirien verlegt worden. Sämtliche Anträge der beiden Frauen auf vorzeitige Freilassung scheiterten.
Gute Miene vor Sotschi
Experten sehen die Amnestie zum 20. Jahrestag der russischen Verfassung als Versuch Putins, vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi Kritiker im Westen zu besänftigen. Es wird erwartet, dass die Amnestie auch verhindert, dass sich rund 30 wegen Rowdytums angeklagte Greenpeace-Aktivisten vor Gericht verantworten müssen. Sie hatten gegen Ölbohrungen in der Arktis demonstriert und sind gegen Kaution auf freiem Fuß. Sie warten auf ihre Ausreise. Menschenrechtlern zufolge dürften durch die Amnestie rund 1.500 Häftlinge freikommen. Insgesamt sitzen fast 700.000 Russen in Gefängnissen.
Die Amnestie ist nach Worten Putins ein Zeichen dafür, dass der russische Staat ein menschlicher ist. Das Gesetz sei nicht mit Blick auf die Pussy-Riot-Musikerinnen oder die Greenpeace-Aktivisten verabschiedet worden, hatte er am Donnerstag auf seiner Jahrespressekonferenz erklärt. In Russland gebe es keine politischen Gefangenen.