Einige Überlegungen zum Gegengipfel in Bologna vom 6. u. 7. Mai 2010
- Das Treffen von Bologna wurde von einer der Gruppierungen initiiert, die organisatorische und gegeninformatorische Aktivitäten im Rahmen der bedeutenden italienischen Studierendenproteste und insbesondere im Bereich der Kritik an Bologna entfaltet hat. Vertreter dieser Tendenz, Uniriot (1), und der mit ihr verbundenen EduFactory (2) waren bereits zwei Mal in Wien, einmal in der Periode der Besetzungen, wo eine Vertreterin von EduFactory sowohl im Audimax als auch an der Akademie der Bildenden Künste einen Vortrag hielt, ein zweites Mal waren zahlreiche Aktivsten ausw diesem Bereich beim studentischen Gegengipfel und es wurden mehrere Referate gehalten.
Wesentliche Elemente ihres theoretischen Diskurses verbindet diese Gruppierung mit dem auch in Wien vertretenen Postoperaismus – in Italien befinden sie sich in einer scharfen Auseinandersetzung mit anderen Tendenzen/Gruppierungen. Das 2tägige Treffen in Bologna (3) nahm nahm den 10. Jahrestag des Bologna-Fahrplans zum Anlaß, eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen, auf der nicht nur die sehr strengen Konturen der eigenen Ideologie präsentiert wurden, sondern auch Vertreter (sowohl Studierende als auch Lehrende) bedeutender internationaler Protestbewegungen, so etwa der mexikanischen, als ReferentInnen eingeladen waren und wichtige Beiträge lieferten. Aber auch Aktivisten nicht Bologna-kritischer studentischer Netzwerke waren eingeladen, so etwa aus Rumänien, dadurch wurde der Sichtwinkel durch die komplizierte Situation in Osteuropa ergänzt, deren Studierende großteils affirmativ zum Bologna-Fahrplan stehen, und dies aus Gründen, die sowohl aus der wirtschaftlichen Lage, in der man sich von „Europa“ viel erhofft als auch aus der subjektiv so wahrgenommenen „Ausgeschlossenheit“ zu erklären sind. Die Vorinformationen über die westeuropäischen Protestphänomene sind im Osten allerdings gering. Hier hatte das Treffen in Bologna eine nicht zu unterschätzende Funktion. Einen wichtigen Diskussionsbeitrag lieferten besonders VertreterInnen der studentischen Bewegung aus Ljubljana, die eng mit der dortigen, sehr starken antirassistischen Bewegung und einem der neuen Sozialzentren (der Terminus centro sociale wurde auch ins Slowenische übernommen), dem „Rog“ (4), das an politischer Bedeutung die bekannte Metelkova ein wenig abgelöst hat, verbunden sind. Sie haben gewissermaßen Vorinformationen über die massiven Studierendenproteste in Ljubljana geliefert, die bald danach erfolgen sollten, indem sie auf einschneidende, beinahe diktatorisch zu nennende Maßnahmen der Regierung aufmerksam machten, die wesentlich zu einer verstärkten Prekarisierung und Pauperisierung beigetragen haben. Wichtig war auch die Querverbindung von Madrid zu Bologna. Wenn auch drei große politische Tendenzen, nämlich Kommunisten (genauer die Jugendorganisation der PCE, die Juventudes Communistas, JJCC), die aus SchülerInnen und StudentInnen bestehende Federación de Estudiantes Libertarios, sowie die an Einfluß gewinnende Izquierda Anticapitalista (Antikapitalistische Linke) trotzkistischer Ausrichtung gemeinsam und überdies in Zusammenarbeit mit den permanenten Plena („asambleas“) mehrerer Madrider Universitäten und mit einem kleinen Beitrag der offiziellen studentischen Organisation an der Philosophischen Fakultät der Universidad Complutense (der sowohl traditionsreichsten als auch politisiertesten Universität in Madrid) den Madrider Gegengipfel gestaltet haben, so waren doch auch Minderheitengruppierungen, die sich nach dem Muster hauptsächlich der italienischen marxistischen (Post-)Autonomen ebenfalls autonómos nennen, aber mit den hiesigen „Autonomen“ wenig zu tun haben, an der Mobilisierung in Madrid beteiligt und auch als Vertreter der Studierenden in Bologna zu Gast und haben über die Situation in Spanien berichtet, die neben der in Griechenland sehr brisant zu werden verspricht. Derzeit ist ja zu sehen, daß die Mobilisierungen in Italien wie in Spanien rapide ansteigen. Die „kleine Achse“ Spanischer Staat-Italien ist daher nicht ganz unwichtig und müßte in Zukunft noch ausgebaut werden. Die genaue Kennzeichnung der politischen Landschaften wird deshalb wichtig sein, weil zu erwarten ist, daß die bereits konstituierten politischen Formationen in künftigen abzusehenden Konflikten sowohl in Spanien, als auch in Italien (und natürlich in Portugal) eine gesteigerte Rolle spielen werden. Da Uniriot allerdings zu Instanzen der Europäischen Union als auch, in Distanz zu den Basisgewerkschaften, eher zur CGIL und zu der mit der CGIL verbundenen FLC (Federazione die Lavoratori di Conoscienza, Föderation der Wissensarbeiter) hintendiert, wird es ohne Zweifel in Zukunft zu Diskussionen und Auseinandersetzungen mit Kräften kommen, die ihrerseits in Distanz zum offiziellen Gewerkschaftsbund (und dessen stärkster Kraft, der CGIL) und zu den Instanzen der Europäischen Union stehen, die ja von den Bologna-Gegnern für das allgemeine Desaster, das mit Bologna verbunden ist, vielleicht nicht ganz zu unrecht verantwortlich gemacht werden. Da in Ländern wie Griechenland und Portugal zuallererst, dann aber auch Spanien und Italien (und wie man sieht Slowenien) diese Widersprüche (Prekarisierung, Arbeitslosigkeit, Verschuldung, seelenlose Verschulung) am schärfsten aufreißen und zu großen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen führen werden, ist die Kenntnis der politischen Verhältnisse in diesen „exemplarischen“ Ländern auch für österreichische Studierende resp. „Analysts“ des studentischen/lehrenden Bereichs, wenn sie sich auf internationaler, „transnationaler“ Ebene bewegen wollen, unerläßlich. Im Gegensatz etwa zum von „Bologna“ wesentlich beeinflußten iberoamerikanischen Wissenschaftsraum („Espacio Iberoamericano de Educación Superior” (5)), einem überkontinentalen Verwertungskonzept und Konzept der Subsumierung von Wissenschaft unter die Interessen der Wirtschaft, das in Madrid scharf angegriffen wurde und das eine wesentliche Grundlage für eine Akzelerierung der Profitakkumulation in diesem Großbereich darstellt, und im Gegensatz zum Export von „Bologna“ nach Afrika und Asien ist eine Verbreitung des Wissens von unten und die grundsätzliche Information über die Kräfte, die diese Kollektivisierung der Wissensprozesse im Widerstand gegen die tödliche Wissensfabrik (daher „Edu-Factory“!) betreiben, das Um- und Auf und der Ausgangspunkt von Mobilisierung überhaupt. Auch wenn man zu etlichen dieser Bewegungen/Kräfte seine Distanz haben mag, so sind sie doch legitimes Objekt der Forschung, oder sollten es zumindest sein. Die studentische Protestbewegung in Österreich war ursprünglich auch mit dem Ziel angetreten, Gegeninformation und Basisinformation, unabhängige Bildungsprozesse auf breitester Ebene zu schaffen – etwas was dem Konzept von autoformazione, unabhängiger Selbstorganisierung der Bildungsprozesse, oder controcorsi (Gegenveranstaltungen), wie sie von EduFactory und Uniriot vertreten und propagiert werden, entspräche Der Zusammenbruch dieser österreichischen Protestbewegung hat das Gute, daß für „Theoretisches“ etwas mehr Raum frei werden könnte. Ja man müßte sagen, daß jetzt umsomehr Theorie betrieben werden sollte. Ein Teil von Theorie ist die Wissenschaft von ihrer Organisierung. (1) http://www.uniriot.org/ (2) http://www.edu-factory.org/edu15/ (3) http://www.uniriot.org/uniriotII/index.php?option=com_content&view=article&id=1531:bologna-calls-against-bologna-process-bologna-transnational-meeting-on-may-67-2010&catid=85:comunicati&Itemid=279 (4) http://tovarna.org/ darunter besonders „International“: http://tovarna.org/node/106 (5) Siehe dazu u. a.: J. A. Aunión: Mil universidades lanzan el espacio iberoamericano del conocimiento, El País,1. 6.