C.Efe: Ende des Tauwetters in der Kurdenfrage

Istanbul 6 Jannuar
Cemalettin EFE
efe_c2004@yahoo.de

Seit 1984 findet im „Osten des Landes“ ein Aufstand statt, der in den Medien im „Westen des Landes“ wie ein Ereignis im Ausland behandelt wurde. Die allgemeine Öffentlichkeit wurde durch den Einfluss der Medien im Westen des Landes seit einem viertel Jahrhundert wie betäubt. Der Krieg wurde zur „Ware Information“ und beschrieben wie ein abstraktes, weit entferntes Geschehen, das ohnehin nicht zu durchschauen ist. Daher zeigte sich auch kaum öffentliche Reaktion.

In letzter Zeit hat die USA entschieden, sich aus dem Irak zurückzuziehen. Die Spannung zwischen USA und Iran nimmt zu. Das Interesse der westlichen Mächte besteht in der Sicherung der Gas- und Öl-Pipelines. Aus diesen und weiteren Gründen sind sie an einer Befriedung des Kurden-Konflikts interessiert. Die Türkei hat jedoch die Bevölkerung gelehrt, mit dem letzten kurdischen Aufstand zu leben.

Die seit sieben Jahren regierende AKP hat unter dem Motto „koste es was es wolle, wir gehen bis ans Ende“ vor einigen Monaten eine Initiative zur Bearbeitung des Konflikts gesetzt. Ihre ist Vorgangsweise ist eng verknüpft mit den oben erwähnten neuen internationalen Rahmenbedingungen.

Unter dem Titel „nationale Einheit“ wurde ein chauvinistisch-rassistisches Staatsprojekt durchgesetzt. Der 25 Jahre dauernde Krieg wurde von der Mehrheit der türkischen Bevölkerung mitgetragen. Die Öffnungspolitik der AKP rief in der Öffentlichkeit heftige Gegenreaktionen hervor. Am meisten haben die Kurden selbst diese Initiative begrüsst und sich naive Hoffnungen gemacht. Dies ist verständlich vor dem Hintergund, dass sie nicht wie die türkische Bevölkerung Beobachter des Krieges waren, sondern im Kriegszustand leben mussten.

Nicht nur die in Kurdistan lebenden Kurden sondern auch die zwangsweise nach Westen migrierten leben im Kriegszustand und sehnen den Frieden herbei. Ihre Kinder verkaufen auf den Strassen Taschentücher und putzen Windschutzscheiben, ihre Verwandten kämpfen in den Bergen als Guerillakämpfer.

Von Edirne bis Konya, von Denizli bis Izmir – trotz aller Angriffe unterstützen sie die „Öffnungspolitik“. Chauvinistische Aktivitäten, wie zum Beispiel Belagerungen von DTP (Partei der demokratischen Gesellschaft)-Gebäuden und Lynchversuche an DTP-Anhängern, verbreiteten sich sogar bis ins moderne Izmir. Die Ereignisse endeten mit einem Beschluss des Verfassungsgerichts zum Verbot der Partei.

Es gibt viele Gegner der „Öffnungspolitik“ aber nur 3 wichtige Unterstützergruppen:AKP, die Kurden und die USA. Die Akp ist die schwächste Gruppierung unter ihnen, hat jedoch die wichtigste Position. Als regierende Partei muss sie einen Weg finden, mit der feindseligen Haltung umzugehen, die dem Volk über Jahrzehnte hinweg anerzogen wurde.Über Jahrzehnte anerzogene Feindseligkeit und Aggression konfrontiert. Diese Haltung müsste sie bekämpfen, was aber eindeutig nicht geschehen ist. Die Öffnungspolitik hatte daher nur eine Chance, solange die Kurden sie unterstützten. Die Ermordung von 7 türkischen Soldaten in Resadiye (Mittelanatolien) durch eine regionale Gruppe der PKK spaltete jedoch das Kurdenlager in zwei Teile. Dieser Anschlag wurde gleichzeitig von der Regierung zum Anlass genommen, den Kurs der Öffnung de facto zu beenden. Mit dem Verbot der DTP wurde schliesslich ein Schlussstrich gezogen.

Zur Erläuterung versuche ich die Struktur der AKP ein wenig zu erklären: Sie ist an die türkische Staatsdoktrin der „türkisch-islamischen Synthese“ gebunden, mit ihrem scheinbaren Liberalismus ist es nicht weit her. Sie rekrutiert sich hauptsächlich aus Kreisen islamisch geprägter anatolischer Handels-Burgeousie. Sie will auch an den Privilegien der militärischen und Staatsbürokratie teilhaben. Ihre „Öffnungspolitik“ ist deshalb widersprüchlich, weil sie in endlose Grabenkämpfe mit den eigentlichen Trägern der kemalistische Staatsbürokratie verwickelt ist und sich in vielen Punkten mit dem Militär und der zivilen Bürokratie zu arrangieren versucht.

Beim Scheitern der „Öffnungspolitk“ hat unter anderem noch folgender Punkt eine wichtige Rolle gespielt: Die AKP wurde bezüglich ihrer Kurden-Politik von „intellektuellen und liberalen“ Kurden falsch beraten. Diese Kreise geniessen keine Unterstütztung von Seiten der kurdischen Bevölkerung. Die AKP ging davon aus, dass mit einer Beseitigung der PKK parallel mit einigen strukturellen Verbesserungen die Kurden-Frage zu lösen wäre. Die breite Unterstützung der PKK resultierte ihrer Meinung nach aus Propaganda und Unterdrückung. Die PKK ist jedoch keineswegs eine isolierte Terroristen-Gruppe sondern eine von weiten Teilen des kurdischen Volkes getragene Massenbewegung.

Mit dem Hinweis auf 75 kurdische Parlaments-Abgeordnete in ihren eigenen Reihen, sollten nach Ansicht der AKP die Kurden ausreichend in der Regierung vertreten sein. Für politisierte Kurden gilt diese Argument jedoch nicht. Für sie gab es keine Kurden-Frage sondern nur Terror. Diese Abgeordneten seien zwar kurdischer Herkunft, haben jedoch in ihrer Amtszeit keine Kurden-Politik betrieben bzw. die ungelösten Fragen in irgendeiner Weise auch nur thematisiert. Dieses Schema (die Kurden ins System eingebunden) galt übrigens für die ganze bisherige Zeit der türkischen Republik.

Verhaftungen kurdischer Aktivisten standen seit Jahrzehnten – auch während der Zeit der Öffnungspolitik an der Tagesordnung. Jetzt wurden auch legal gewählte Abgeordnete und Amtsträger verhaftet. Dies bestätigt das bisherige Misstrauen der Kurden, dass die Friedensangebote möglicherweise nur halbherzig gemeint sein könnten. Durch die Eliminierung der gewählten Vertreter gewinnt die PKK wieder mehr Bedeutung für die Kurden, die sich nur mehr durch sie überhaupt als Volk wahrgenommen fühlen. Für politisierte Kurden gilt: „Ohne Guerilla gibt es keine legale kurdische Politik.“

Das kurdische Volk wird sicher keine von der Regierung installierten Vertreter anerkennen (Bruder von Öcalan, AKP-Berater). Wenn zwei Seiten einen Konflikt durch Verhandlung lösen wollen, müssen legitimierte Gesandte von beiden Gruppen einander begegnen können. Trotzt aller Gegenpropaganda durch Ministerpraesident Erdogan: Die Verhaftung der von den Kurden legitimierten Vertreter, nämlich der DTP-Abgeordneten, beendet de facto den Friedens-Prozess.

Die türkische Regierung hat begriffen, dass der letzte Kurden-Aufstand nicht ohne Entgegenkommen zu beenden sein wird und versucht nun mit möglichst wenig Zugestaendnissen auszukommen. Aus langer Erfahrung werden die Türken versuchen, diesem historischen Konflikt mit möglichst wenig Schaden zu entkommen. Gleichzeitig werden die Kurden versuchen, ihre in 30 Jahren des legalen und illegalen Kampfes gewonnenen Erfahrungen einzusetzen. Die DTP ist zwar verboten, aber ihre Mitglieder, gewaehlten Bürgermeister und Gemeinde-Vertreter haben sich bereits neu formiert: als BDP, Partei des Friedens und der Demokratie.

5. Jaenner 2010, Istanbul
Cemalettin EFE
efe_c2004@yahoo.de
Übersetzerin: Andrea Jantschko