Institutionalisierte Strafverfolgung Rechtsstaat und Gewaltenteilung sieht anders aus!
Pressemitteilung des The VOICE Refugee Forum Network Berlin, den 11.02.2014
Seit dem 26. September wurde gegen den Aktivisten Mbolo Yufanyi Movuh vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten ein Strafverfahren geführt, weil er am
15.10.2012 in Berlin bei Protesten gegen die kriminelle Zusammenarbeit der nigerianischen Botschaft mit dem deutschen Staat bei der zwangsweisen Abschiebung von Flüchtlingen teilgenommen hatte – am 6.2.14 erging nunmehr das erwartete Urteil. Und der Skandal kennt kein Ende – gesinnungsjustiziable Argumentationsführungen beim staatsanwaltlichem Plädoyer und richterlicher Urteilsbegründung inklusive Exkurs in rassistischer Argumentationsführung im Angesicht des Vorverurteilten!
Der Festnahme-, Ermittlungs-, Anklage- und Prozessverlauf war insgesamt von gleich mehreren konstitutionellen Verwerfungen gekennzeichnet, die einerseits der vertikalen Gewaltenteilung innerhalb der Exekutive (Polizei <-> Staatsanwaltschaft) widersprechen und andererseits erhebliche Zweifel an der vermeintlichen Unabhängigkeit der Judikative (exekutive Staatsanwaltschaft <-> Richterin) nahelegen:
1) Zumindest einige, am 15.10.1012 agierende Polizeibeamte haben
nachweislich mehrfach unangemessen Gewalt gegenüber nicht gewalttätigen Kundgebungsteilnehmern ausgeübt. In Gewahrsam genommene Protest- und Kundgebungsteilnehmer_innen waren eigenen Berichten zufolge folterähnlicher und rassistisch motivierter Gewalt von Polizeibeamten ausgesetzt (Schläge, Übergießen mit kaltem Wasser, Todesandrohungen) – einige von Ihnen wurden vor der Botschaft unverletzt abtransportiert und tauchten nach dem Polizeigewahrsam mit teils erheblichen Verletzungen wieder auf. Diesbezügliche Strafanzeigen wurden seitens der Staatsanwaltschaft bisher nicht nachvollziehbar verfolgt bzw.
„Ermittlungsverfahren“ (wenn überhaupt durchgeführt?) bereits wieder eingestellt. Anderseits wurde Antrag der Verteidigung zur Einsichtnahme in ein Video mit diesbezüglichen Erfahrungsberichten Betroffener am letzten Verhandlungstag von Staatsanwalt Markus Winkler als irrelevant zurückgewiesen und von Richterin Marieluis Brinkmann abgelehnt.
2) In den Strafanzeigen der agierenden Polizeibeamten erhobene Vorwürfe
wurden seitens der zuständigen Staatsanwaltschaft („Herrin des
Ermittlungsverfahrens“?) kritiklos übernommen und nur noch um die entsprechenden Strafrechtsparagrafen und darin enthaltene gesetzliche Formulierungen ergänzt. Eine vorgeschrieben umfängliche Ermittlung eben auch entlastender Umstände der vermeintlichen Tatsituationen war in keinem der bisherigen Verfahren ersichtlich. Als Zeugen wurden seitens der Staatsanwaltschaft ausschließlich belastende Polizeibeamte benannt, die teilweise selbst verschiedenste, konstruierte Strafanzeigen erstellt hatten. Eine eingehende Befassung mit selbst präsentierten Beweismitteln, wie z.B. Polizeivideos darf aufgrund darin enthaltener entlastender Bildsequenzen nachhaltig bezweifelt werden. Unterschiedliche zeugenschaftliche Aussagen der jeweils gleichen Polizeibeamten zu verschiedenen Ermittlungsverfahren gegen jeweils andere Angeklagte in zeitlich-örtlichem Zusammenhang waren für Staatsanwaltschaft und Richterin zu keinem Zeitpunkt auch nur eine Nachfrage oder gar einer urteilsrelevanten Bewertung wert. Der explizit (und nicht erst im
Plädoyer) formulierte Vorwurf der vorwurfsangepassten Aussagemanipulation inklusive strukturell illegaler, gemeinschaftlicher Aufnahme zeugenschaftlicher Aussagen mehrerer Polizeibeamter durch einen Protokollführer zur gleichen Zeit, wurde faktisch nicht sanktioniert oder etwa bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen berücksichtigt.
3) Vor Gericht unterbinden die agierenden Staatsanwälte Markus Winkler und
auch der vertretende Martin Laub wiederholt das Rede- und Fragerecht des Angeklagten bzw. seiner anwaltlichen Verteidigung (bis hin zur Verhinderung der Erhebung von Beweismitteln) und werden hierin durch die verhandlungsführende Richterin Marieluis Brinkmann nicht nur nicht gehindert, sondern tatkräftig zustimmend unterstützt. Speziell der Herr Laub „brillierte“ durch Unprofessionalität, wie spontanes Verlassen des Sitzungssaales ohne begründende Bemerkung oder respektlose Paternalität gegenüber dem Angeklagten durch Auflegen des ausgestreckten Zeigefingers auf seinen Mund verbunden mit einem deutlich vernehmbaren „Pssst!“ – natürlich waren hierzu keinerlei ordnende Kommentare seitens der Richterin zu vernehmen. Ausschließlich der Angeklagte wurde für seine aufgebrachte Reaktion gegenüber solcherlei chauvinistischer (Be)Handlung mit ordnungsrechtlichen Sanktionen bedroht.
Herr Winkler wiederum zeigte sich von Anfang an insbesondere darum bemüht, Ausführungen der jeweils Angeklagten zu Motivation und Geschichte der bereits lange vorher begonnenen Proteste gegen die illegale und korrupte Kollaboration deutscher Abschiebebehörden mit willfährigen Botschaften bei Abschiebungen von Asylsuchenden unabhängig ihrer tatsächlichen Herkunft nach Kräften zu unterbinden. Seine fragwürdige Argumentation: da es sich ja „eindeutig“ um Straftaten handele, spiele die Motivlage ja schließlich gar keine Rolle mehr (Richterin Herrin des Gerichtsverfahrens?).
Andererseits sah er sich nach entsprechend kommentierender Kritik an anderer Stelle genötigt, eine Erklärung abzugeben, dass er sich dagegen verwahre „…als Teil des Schweinesystems…“ wahrgenommen zu werden, was ihm allerdings niemand jemals so vorgehalten hatte.
In seinem Plädoyer zieht Herr Winkler lediglich den aufgrund der präsentierten eigenen Videobeweise der Verteidigung nicht mehr länger aufrechtzuerhaltenden Strafvorwurf der versuchten Gefangenenbefreiung zurück. Im Weiteren stellt er sämtlich beteiligten Polizeibeamten eine Unbedenklichkeitsbescheinigung nach dem Motto aus, er könne sich nicht vorstellen, dass sämtliche Polizeibeamte an diesem Tag auf Gewalt ausgewesen sein können oder dass diese im gesamten rassistisch motiviert handeln wollten (eine Implikation, die übrigens Niemand vorher unterstellt hatte!). Im Übrigen bewertete er die der angeklagten Widerstandshandlung des Angeklagten vorausgehenden Faustschläge des PK Lamprecht gegenüber einer Frau und dem Angeklagten selbst (übrigens vor dem Hintergrund einer glatten Falschaussage des „Zeugen“ im Abgleich mit präsentiertem, eigenen
Videomaterial) als juristisch tadellos, da ja schließlich eine recht aufgeladen Stimmung geherrscht habe. Die Widerstandshandlung des Angeklagten (ein Festhalten des PK Lamprecht an dessen Uniformjacke zur zweifelsfreien Identifizierung eines helmvermummten Polizisten!) sei trotz der nicht glaubhaft nachvollziehbaren Luftnot des Lamprecht (erneute
Falschaussage!) nicht hinnehmbar und müsse vor dem Hintergrund der Uneinsichtigkeit des Angeklagten mit einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen sanktioniert werden.
4) Richterin Marieluis Brinkmann ließ in diesem Prozess wiederholte
Einschränkungen des Fragerechts von Mbolo Yufanyi und seinem Anwalt durch die Staatsanwalt zu und beförderte diese entweder durch Passivität oder durch ganz und gar offene Unterstützung. Wiederholte Aufforderungen des Angeklagten an den hauptbelastenden Polizeizeugen Lamprecht z.B. doch bitte lauter zu reden (da er selbst kein deutscher Muttersprachler ist), wurden von ihr mit der Unterstellung abgewiesen, dass dies lediglich aus Gründen der besseren Verständlichkeit für das hinter dem Zeugen befindlichen Publikum geschehen würde und der Prozess ja schließlich nicht „…für die Öffentlichkeit…“ durchgeführt werde. Zudem wurde Ihrerseits zumindest einmal Mitschriften im Publikum untersagt, weil dieses angeblich einer vorherigen Presseakkreditierung bedürfe.
Im Gegenzug zeigte sie ein offensichtlich empathisches, geradezu beschützendes Verständnis gegenüber den Polizeibeamten im Zeugenstand. Sie disqualifizierte wiederholt die anwaltliche Beweismittelerhebung als „…in der Sache unerheblich…“, bemerkte in diesem Zusammenhang: sie „…sei dem Verfahren intellektuell nicht gewachsen.“ und verweigerte eine Unterbrechung der Verhandlung zur Beratung zwecks Stellung eines unaufschiebbaren Antrages sowie die wörtliche Protokollierung Ihrer Aussagen.
Ungeachtet nachgewiesener Falschaussagen bezüglich konstruierter Anklagepunkte sowie im Hinblick auf Fehlverhalten bzw.
verfahrensangepasste Einlassungen gleich mehrerer Polizeizeugen in unterschiedlichen Verfahren, entließ sie sämtliche Polizeizeugen unvereidigt – trotz entsprechender anwaltlicher Erklärungen aus gegebenem Anlass.
Der Verhandlung selbst folgt sie im Allgemeinen äußerlich eher desinteressiert und streckenweise mit geschlossenen Augen.
Die Urteilbegründung dieser Frau schlägt jedoch all diese Umstände um Längen. Zunächst schließt sie mögliche rassistische Motivationslagen seitens der Polizeizeugen und anderer Polizeibeamten (für das Urteil nach eigenen Angaben nicht tatrelevant) aus, indem sie auf eine „farbige“ Freundin verweist, die es angeblich nicht rassistisch finde als „Farbige“ tituliert zu werden. (Hierauf verlässt der Angeklagte – der vorher mehrfach betont hatte, dass er eben nicht so tituliert werden möchte – empört den Saal und stellt Anzeige beim Staatsanwalt.) Des Weiteren moniert sie zwar im Folgenden die zweifelhafte Protokollierung zeugenschaftlicher Aussagen der Polizeizeugen („…ich dachte ich muss vom Glauben abfallen … das geht gar nicht so.“), misst diesem Umstand aber keinerlei urteilsrelevante Bedeutung bei. Die eingereichten eigenen Videobeweise interpretiert die Richterin ganz im Gleichklang mit Staatsanwalt Winkler einseitig zu Lasten des Angeklagten und in pauschaler Kritikfreiheit gegenüber den Polizisten.
Ach ja: die Gefangenbefreiung ließ sich nicht bestätigen, weswegen in der Gesamtschau natürlich „nur“ eine Geldstrafe in Betracht kommen kann – 50 Tagessätze lautet ihr treffsicher nicht salomonisches Urteil.
Bezüglich der im Gerichtsverfahren gegen die hier beschriebenen Widerstände vorgeblich „unabhängiger“ Instanzen erhobenen Beweismittel und dem Verhalten der unterschiedlichen Akteure bleibt festzuhalten:
– Der Vorwurf der versuchten Gefangenenbefreiung gegen den Angeklagten
konnte mittels eigener Videodokumentation eindeutig und mittelbar durch Widersprüche in den Aussagen der belastenden Polizeizeugen widerlegt werden
– Der Vorwurf des primär gewalttätigen Übergriffes des Angeklagten auf den
PK Lamprecht wurde durch Videobeweis dahingehend verifiziert, dass der PK Lamprecht selbst zuerst eine Kundgebungsteilnehmerin vor die Brust und dann den Angeklagten an den Kopf schlug, indem er sogar noch einen Schritt auf die geschlagenen Personen zuging, bevor ihn letzterer zwecks Herausgabe seiner Dienstnummer wegen seiner Tätlichkeiten festhielt, da eine Identifizierung andererseits bei aufgesetztem Helm unmöglich gewesen wäre.
– Mithin gelang die Wiederlegung der falschen und abgesprochenen
polizeilichen Anschuldigungen nur durch Präsentation eigener Videodokumentation. Bei bloßer Gegenüberstellung der Aussagen von Polizisten und Angeklagtem, kann sicher von einem noch schärferen Plädoyer und entsprechendem Urteil ausgegangen werden.
– Trotz der präsentierten gegenläufigen Videobeweise zeigen agierende
Polizeibeamte, Staatsanwaltschaft und Richterin eine gleichermaßen selektive Wahrnehmung bezüglich der seitens der Polizei gewalttätigen Bildsequenzen. Sie seien angeblich belanglos und angemessen. Die „Gewalt“ des Angeklagten durch bloßes „Festhalten und nach vorne ziehen“ sei dagegen unangemessen und müsse entsprechend sanktioniert werden.
– Die Reproduktion von rassistischen Ansichten, Fremdbezeichnungen und
Sprachgebrauch gegenüber dem Angeklagten, der nicht als „Farbiger“ bezeichnet werden will, findet sich nicht nur bei den Polizisten, sondern ist genauso bei Staatsanwalt Winkler („irrelevant“) und noch schlimmer bei Richterin Brinkmann virulent, die zwecks Herstellung einer belehrenden Deutungshoheit gegenüber dem Angeklagten eine extra befragte „farbige“ Freundin als Beweis zitiert, weswegen diese Bezeichnung gar nicht als rassistisch eingestuft werden dürfe. Dass der fragwürdige lediglich eine Verschleierung der Conditio „nicht weiß“ entspricht und damit alle „nicht Weißen“ in einen Topf wirft, um sie von „weißen“ Menschen chauvinistisch abzugrenzen, können die (Vor) Verurteiler_innen offensichtlich nicht ermessen. Es betrifft sie ja nicht selbst.
Diese Grundhaltung reproduziert der Herr Staatsanwalt Winkler in seinem Plädoyer auch noch zusätzlich, als der in Bezug auf den Zeugen Lamprecht zustimmend sinngemäß ausführte: ‚Wenn ich als Polizist Dienst hätte, würde ich auch vor allem Schwarze Menschen kontrollieren.‘ Dies bestätigt einmal mehr, wie voreingenommen der Staatsanwalt ist und dass auch er keine Scheu hat, grundgesetzwidrige Kontrollen – auch bekannt als Racial Profiling – unumwunden gutzuheißen bzw. der Polizei zuzugestehen.
Insgesamt dürfen das Urteil und die zugrundeliegenden Verhaltensweisen aller beteiligten Offiziellen nicht wirklich verwundern oder überraschen.
Solange es einen Konsens gibt, der Staatsräson heißt und illegitime und unangemessene staatliche Gewalt entweder ausführen oder aber vertuschen helfen muss (hier illegale Abschiebungen durch korrupte Kollaboration deutscher Behörden mit nigerianischen Botschaftsmitarbeitern und unangemessene Polizeigewalt gegen friedliche Protestteilnehmer), muss natürlich im Gegenzug dabei auch legitimer Protest und Widerstand gegen solcherlei Menschen- und Grundrechtsverletzungen – koste es was es wolle – kriminalisiert werden.
Und das möglichst einhellig und über alle „unabhängigen“ Instanzen hinweg institutionalisiert.