Fremd in Oe / Vor 20 Jahren in der akin: Kritik am Lichtermeer (akin)

Heute vor 20 Jahren, am 23.Jaenner 1993, fand das oft besungene
Lichtermeer der frisch gegruendeten Organisation „SOS Mitmensch“ gegen
Joerg Haiders „Auslaender-Volksbegehren“ statt. Eine Viertelmillion
Menschen stroemte deswegen auf den Wiener Heldenplatz, mehrere
Zehntausend waren es in anderen oesterreichischen Staedten. Allerdings
gab es auch Kritik von linker Seite, da sich das Lichtermeer lediglich
gegen die FPOe richtete und die Fremdenpolitik der damaligen
rotschwarzen Regierung nur indirekt kritisierte — was dazu fuehrte,
das auch SPOe-Spitzenpolitiker, darunter der beruechtigte
Innenminister Franz Loeschnak, unterstuetzen konnten. Deswegen bildete
sich die „Plattform gegen Fremdenhass und Rassismus“, die zu einer
Demo aufrief, die zwar nicht gegen das Lichtermeer auftreten, aber den
Protest um eine explizite Kritik an der Regierung ergaenzen wollte. Zu
dieser Demo kamen in Wien freundlich geschätzte 10.000, die allerdings
in der damaligen massenmedialen Berichterstattung kaum erwaehnt worden
waren. *Mario Czerny* kritisierte in akin 35/1992 unter dem Titel
„Boecke und Gaertner“ die Verwaschenheit des SOS-Aufrufes:
*

Die Unterschrift von Loeschnak und Cap unter das Papier „SOS
Mitmensch“ war vorprogrammiert. Wuerde es Joerg Haider in sein
taktisches Konzept passen, dann koennte sogar er folgende Forderungen
unterschreiben:
„1. Reformen in der Schule, am Arbeitsmarkt und im Wohnungswesen. Wir
sind gegen Ausgrenzung.
2. Fuer ein gleichberechtigtes Miteinander aller hier lebenden
Menschen.
3. Zugang zu einem fairen Verfahren fuer jeden Asylwerber. Gegen
willkuerliche Abschiebung. Die Menschenrechte muessen immer und
ueberall uneingeschraenkt fuer In- und Auslaender gelten. Ihren Abbau
duerfen wir nicht zulassen.
4. Keine Kompromisse mit der extremen Rechten.“

Das ist der Kern des Papiers „SOS Mitmensch — Anstaendigkeit zuerst“.
[…] So laesst es sich aber nicht vermeiden, dass den Herren Cap und
Loeschnak — die ja kaum etwas anderes tun, als Haiders Parolen in
eine staatstragende Form zu bringen — diese Plattform wie gerufen
kommt. Denn damit koennen sie wieder einmal belegen, wie humanitaer
gesinnt doch ihre Weltanschauung ist.

SOS Mitmensch fehlt ganz einfach eine Aussage, wo Widersprueche mit
der rassistischen Politik der Regierungsparteien dingfest zu machen
sind. Welche Reformen in Schule, Arbeitsmarkt, Wohnungswesen, bitte?
Wie definiert sich ein „faires Verfahren“? Ist es auch dann eine
„willkuerliche Abschiebung“ wenn sie gemaess Gesetz passiert? Muessen
die Menschenrechte laut der verwaschenen Menschenrechtskonvention
gelten oder geht das vielleicht doch ein bisserl weiter? Und duerfen
die neuen Gesetze nicht auch schon als „Kompromisse mit der extremen
Rechten“ betrachtet werden?

Der gedankliche Hintergrund dieser Aktion ist sicher lobenswert. Man
hat versucht, eine moeglichst breite Plattform zustande zu bringen,
auf der Prominente sonder Zahl Platz finden, auch deswegen, um deren
jeweilige Fangemeinde von Rassismen á la „Volksbegehren“ abzuhalten.
[…]

Es ist sicher sinnlos, Plattformtexte so zu formulieren, dass sie nur
von wenigen unterschrieben werden koennen. Eine Plattform sollte immer
eine Moeglichkeit sein, auf breiter Basis punktuell
zusammenzuarbeiten, wenn auch ansonsten die politischen Ansaetze alles
andere als sich nahe sein moegen. Wenn jedoch der Pragmatismus soweit
ueberhand nimmt, dass es den Boecken kein Problem mehr ist, auf eine
Liste von Gaertnern ihren Namen zu setzen, so muss ein solches Projekt
als gescheitert betrachtet werden.
(gek.)