„Gruppen gegen Kapital & Nation“:Thesen zu Homosexualitaet und Homophobie (akin)

Theoretisches:

Anlaesslich der aktuellen Entwicklungen in Frankreich und Russland hat sich die *Gruppe „Kritik im Handgemenge“ Bremen* Gedanken gemacht.

1. Homo-, Bi- und Heterosexualitaet sind nicht biologisch bestimmt. Alle Forschungsversuche, die einen Beweis fuer eine biologische Ursache von Homosexualitaet liefern wollten, haben sich bemueht, statistische Zusammenhaenge zwischen sexueller Neigung und Koerpermerkmalen zu finden. Vergroesserte Ohrlaeppchen, Hodenbeschaffenheit, Gehirnbesonderheiten, DNS-Sequenzen etc. muessten jedoch, selbst wenn innerhalb der untersuchten Gruppe eine Ueberschneidung bestuende, nicht unbedingt deren Ursache sein – schliesslich ist das vermehrte Auftreten von Maennern mit weissen Baerten und roten Maenteln rund um den 24.12. auch kein Beweis dafuer, dass der Weihnachtsmann die Geschenke bringt. Ein Beweis muesste den inhaltlichen Zusammenhang aufzeigen, welcher als statistische Korrelation unmoeglich zu erbringen ist. Die Wissenschaft ist bis heute unfaehig geblieben, auch nur erste Anhaltspunkte zu liefern, dass sich die Orientierung des sexuellen Begehrens aus der Biologie ergibt.(1) Menschliche Sexualitaet ist eine spezifisch gesellschaftliche Angelegenheit, daher ist es schlichtweg falsch, nach rein biologischen Determinanten oder Erklaerungen zu suchen.

 Die Sache mit der Natur

2. Die Natur liefert die materiellen Voraussetzungen von menschlicher Sexualitaet (Koerper mit Nerven, Gehirn, Fluessigkeiten usw.), die jeweilige Gesellschaft die Bedingungen, unter denen sie stattfindet (in Form der politischen Herrschaft mit ihren Gesetzen und Verordnungen, aber auch als durchgesetzte Vorstellungen, Erwartungen und Sehnsuechte im menschlichen Miteinander, ebenso in Form von Wissen ueber Sexualitaet und in den Spielzeugen, Hilfs- und Anregungsmitteln). Die Inhalte und Formen des Sexuellen aber entstehen aus dem Denken und Fuehlen der Einzelnen, die diese Voraussetzungen und Bedingungen interpretieren.

3. Das „Natur“-Argument halten viele fuer so einleuchtend, weil ihnen ihr eigenes sexuelles Begehren als etwas erscheint, das nicht einfach durch Beschluss zu aendern ist. Falls sich ihre sexuelle Orientierung im Laufe ihres Lebens dann doch einmal veraendert, meinen sie in der neuen Form zumeist ihre ureigenste, zuvor unterdrueckte, wahre sexuelle Identitaet zu entdecken. Gerade weil der moderne Mensch in Liebe und Sexualitaet sein wahres Wesen ausdruecken will und seine Identitaet darin findet zu sein, wer er ist (und nicht bestimmt von Mutter, Vater, Staat und Kapital), soll seine Sexualitaet und sein Verlieben eben auch ganz seins sein. Den langen Weg, den jedes buergerliche Subjekt von seiner Geburt bis zur Entwicklung explizit sexueller Phantasien und Praktiken zuruecklegt; die Fuelle von Erfahrungen und Entscheidungen; all die sinnigen und unsinnigen Gedanken und Gefuehle des Menschen zu ihrem Verlangen, den Objekten ihres Verlangens und deren Verhalten – all das erscheint so dem Menschen wie ein langer Weg zu sich selbst und ist rueckblickend sinnvoll in die eigene Geschichte eingeordnet. Der Prozess erlischt im Resultat.

4. Politischen Anklang bei der Schwulenbewegung hat die sexuelle Vererbungslehre dadurch gefunden, dass sich damit gegen Therapie- und Bestrafungskonzepte kaempfen liess – und alle fundamentalistischen Christenmenschen sich dann die Frage gefallen lassen muessen, warum der Herrgott die Schwulen und Lesben so geschaffen hat, wenn er sie denn hasst. Die Vorstellung der Suende setzt eben den freien Willen voraus, gegen Gottes Gebote verstossen zu koennen. Wenn Homosexualitaet vererbt ist, dann kann sie keine Suende sein. Das Argument ist aber defensiv, oft hilflos, immer dumm und gefaehrlich und hat im schlimmsten Fall brutale Konsequenzen.

– Defensiv, weil die Homosexuellen als determinierte Troepfe vorgestellt werden, die vielleicht ja anders wollen wuerden, wenn sie nur koennten – anstatt zu sagen, dass es Lust bereitet und auch keinen Schaden anrichtet.(2)

– Hilflos, weil laengst Ideologien entwickelt wurden, um den Widerspruch zwischen goettlicher Schoepfung und angeblich natuerlicher Homosexualitaet zu ueberbruecken („besondere Pruefung“, „wir lieben Homosexuelle, aber hassen ihren suendigen Lebensstil“ etc.). Ein rechter Moralist wird sich von „schwulen“ Pinguinen nicht von seinem Hass auf Homos abbringen lassen.

– Dumm und gefaehrlich, weil es einem Biologismus das Wort redet, der alles von der Arbeitslosigkeit bis zum Zungenkuss aus der Abfolge von Aminosaeuren erklaert, und damit von Menschen gemachte Verhaeltnisse zu unveraenderlicher Natur (v)erklaert. Es hat im schlimmsten Fall brutale Konsequenzen, weil wenn Homosexualitaet als Uebel betrachtet wird, das durch die Natur hervorgerufen wird, dies auch zur Konsequenz haben kann, alle Homosexuellen und sonstigen „Abweichler“ zu vernichten.(3)

5. Die Menschen machen ihre Sexualitaet selbst – aber sie machen sie nicht aus freien Stuecken: Sie koennen nicht einfach durch Beschluss ausloeschen, was ihnen mit und ohne ihren Beschluss widerfahren ist und was sie aus ihren Erlebnissen gemacht haben. Weil die Psychoanalyse einmal versprochen hatte, genau solche Mechanismen aufzuzeigen und handhabbar zu machen, suchten viele Homosexuelle in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren „Heilung“ bei ihrem Therapeuten.

Die Psychoanalyse hatte sich bezueglich der Homosexualitaet fuer Jahrzehnte zu einer reinen Hetero-Norm-Durchsetzungstherapie entwickelt. Dabei wurden die albernsten, widerspruechlichen psychologischen Theorien ueber familiaere Bedingtheit von Homosexualitaet hervorgebracht (mal waren die Muetter zu kalt, mal zu liebevoll, mal zu dominant, mal zu abwesend – mal waren die Vaeter zu kalt, mal zu liebevoll, mal zu dominant, mal zu abwesend). Heute ist die vorherrschende Meinung in der Psychologie, Homosexualitaet sei „multifaktoriell“ und sie gibt damit wenigstens zu Protokoll, dass sie auch keine Ahnung hat, woher die Homos denn nun kommen.

 Bloede Frage

6. Was nicht weiter schlimm ist – die Frage nach dem Ursprung von Homosexualitaet ist naemlich meist bloed. Sie ist fast immer Auftakt zur Pathologisierung oder Verfolgung und macht letztlich Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender zur  erklaerenswerten Anomalie – anstatt zu fragen, woher denn das Konzept kommt, ausgerechnet an primaeren und sekundaeren Geschlechtsmerkmalen eines Menschen festzumachen, ob er oder sie als Sexual- und Liebespartner_in in Betracht kommt. Denn auch wenn die Beschaffenheit des Koerperbaus, die Koerperbehaarung und das Vorhandensein eines Penis oder einer Vagina(4) sexuell mehr oder weniger reizvoll sein koennen: a) Gibt das biologische Geschlecht zu sehr vielen dieser Fragen gerade mal eine Wahrscheinlichkeit an und ist b) die sexuelle Besetzung von koerperlichen Attributen nicht unabhaengig von den Gedanken und Vorstellungen, die man sich darueber macht. Im Uebrigen gehen die gaengigen Konzepte immer wieder davon aus, dass Liebe und sexuelle Anziehung eigentlich zusammenfallen sollen und muessen. Das ist aber gar nicht so.

7. Homo- und Heterosexualitaet sind zwei einander entgegengesetzte Konsequenzen aus dem herrschenden  Geschlechterverhaeltnis, naemlich nur eins der beiden anerkannten Geschlechter zu begehren. Daran ist nichts logisch, aber auch nichts weiter verwerflich. Zwar bedeutet es erstmal, die Haelfte der Weltbevoelkerung von vornherein nicht sexuell und amouroes interessant finden zu wollen. Waere das die einzige Folge der ganzen sexuellen Identitaetshuberei, so wuerde man ebenso wie bei Menschen, die keinen Spinat moegen, die Schultern zucken und sich maximal wundern, warum Geschmaecker so verschieden  sein koennen. Aber die Verhaeltnisse sind nicht so: Sexuelle Identitaet ist keineswegs nur ein verfestigtes Geschmacksurteil.

8. Nach wie vor sind naemlich Homo- und Heterosexualitaet Sortierungen, aus denen eine Menge Leid und Gewalt folgen. Wenn diese Identitaetshuberei die Massen ergreift, wird sie selbst eine materielle Gewalt – auch gegen die, die sie nicht teilen. Die heterosexuelle Vorannahme verunsichert auch heute noch Homosexuelle in modernen westlichen Gesellschaften und zwar nicht erst, wenn Schwule und Lesben zusammengeschlagen werden. Jeder dritte Selbstmord bei Teenagern soll etwas mit Homosexualitaet zu tun haben; die permanente, gar nicht immer boes gemeinte oder absichtliche Zurueckweisung und Ausgrenzung „Anders“liebender und -voegelnder bringt eine Fuelle von Macken und Merkwuerdigkeiten hervor, die an Trostlosigkeit, Selbstzerstoerung und Selbstgefaehrdung mit den duestersten Auswuechsen des heterosexuellen Geschlechts- und Liebeslebens locker mithalten koennen.

 Der alte Ekel

9. Dazu kommen noch der direkte und deutliche Hass und Ekel der nicht-homosexuellen Welt, die jenseits der  Hochglanzbroschueren der Gleichstellungsbeauftragten immer noch weit verbreitet sind. Maenner und Frauen muessen auch in westlichen Staaten haeufig um ihre Gesundheit fuerchten, wenn sie als „schwul“ bzw. „lesbisch“ bezeichnet werden. Ekel wird beiden entgegengebracht – im Umgang mit lesbischen Frauen kommt noch staerker eine Ignoranz etwa in Form der Einordnung als voruebergehende Phase hinzu. „Schwul“ ist bei Kindern und Jugendlichen erst einmal alles, was irgendwie doof ist und nicht funktioniert – und gilt als mit das Schlimmste, was einem Jungen ueberhaupt nachgesagt werden kann.

Aber Schwul-Sein ist mehr als nur „doof“: Das Schlimmste an der maennlichen Homosexualitaet scheint immer noch zu sein, dass sich dort Maenner ficken lassen(5) und Spass dran haben. Und „gefickt zu werden“, das ist eben das Aufgeben der Herrschaftsposition, das ist zum-Objekt-werden. Daran Spass zu haben und nicht der coole, kontrollierte und kontrollierende Mann zu sein, das widerspricht dem saubloeden Maennlichkeitsideal nicht nur der meisten maennlich sozialisierten Menschen. Diesem Ideal zu entsprechen erfordert einiges an Durchhaltevermoegen und Opferbereitschaft – und diejenigen, die damit brechen, werden als Bedrohung empfunden – weshalb Schwule von der bloeden Anmache bis zum Zusammengeschlagen werden einiges durchzumachen haben. Dieses Ideal ist weiterhin die traditionelle, aber nicht aus der Mode gekommene Fassung des erfolgreichen buergerlichen Konkurrenzsubjekts,(6) das sich weder von Gefuehlen noch von seiner Lust beherrschen laesst, verbunden mit der falschen Vorstellung, die richtige Haltung sei eine Erfolgsgarantie. „Lesbisch“ als Schimpfwort wird zwar nicht als Synonym fuer „scheisse“ gebraucht, doch z.B. in der Schule als „Lesbe“ verschrien zu sein, ist beleidigend gemeint und isoliert die Person in der Regel.

Haendchenhalten unter Maedchen wird zwar in westlichen Laendern anders betrachtet als unter Jungs. Aber werden aus „spielenden Maedchen“ irgendwann „Lesben“, trifft sie ebenfalls koerperliche Gewalt und auf jeden Fall eine Menge Verachtung. Diese Ablehnung haengt – entsprechend des Geschlechterbilds – auch damit zusammen, dass einerseits sich in den Augen der Macker lesbische Frauen der maennlichen Verfuegungsgewalt als Sexualobjekte entziehen, andererseits damit, dass lesbische Frauen ihre Funktion und Rolle als Frau und Mutter ganz prinzipiell nicht erfuellen, die in den Augen eines Grossteils der Gesellschaft ihre eigentliche Aufgabe waere.

10. Unbestritten ist das Leben von Schwulen und Lesben in westlichen Staaten heute sehr viel einfacher als noch vor ein paar Jahren. Nachdem dort Ende der 1960er Jahre die Regulierung der Sexualitaet ihrer Buerger nicht aufgegeben, aber nach neuen Prinzipien gestaltet haben, hat die polizeiliche Ueberwachung und Verfolgung der – maennlichen – Homosexualitaet stark abgenommen bzw. aufgehoert(7). Dadurch wurde erst eine schwule Subkultur ermoeglicht, die noch ganz davon lebte, ein Gegenentwurf zu den sexualmoralischen Vorstellungen der buergerlichen Gesellschaft zu sein, welcher ein Mass an Befreiung ermoeglichte, von dem Veteranen noch heute sehnsuchtsvoll berichten. Sie war aber zugleich eine Illustration der Tatsache, wie sehr auch die Aufstaende und Uebertretungen noch den Konventionen gehorchen, gegen die sie sich subjektiv richten: Denn das in den 1970ern entworfene Modell des Homosexuellen nahm immer wieder Bezug auf die Klischees der buergerlichen Gesellschaft.(8) Genau diese Subkulturen wurden in West- und Nordeuropa, Kanada, Australien, Neuseeland nach dem Auftauchen von AIDS ein wichtiger Juniorpartner des Staates beim Kampf um die Volksgesundheit und zugleich auch zum Transmissionsriemen buergerlicher Normen in den Rest der schwulen Szene hinein.

Heute sind die verbliebenen Schwulenorganisationen weit entfernt von jeglicher Kritik an der Gesellschaft, um deren vollstaendige Anerkennung ihrer Liebes- und Lebensweisen sie so hartnaeckig kaempfen. Die lesbische Subkultur hat sich dagegen im Rahmen der feministischen Bewegung entwickelt und ist so angepasst und unangepasst wie diese. Da das Sexuelle in der lesbischen Bewegung nicht derartig im Vordergrund steht, ist sie weniger Adressat sexualpaedagogischer Bemuehungen des Staates und seines Gesundheitssystems.

 Chiffre fuer Anti-Imperialismus

11. Weltweit ist zum Optimismus in Sachen Emanzipation kaum Anlass vorhanden. In vielen, nicht nur islamischen Staaten wird homosexuelle Emanzipation als Zersetzung und Zerstoerung der Nation gesehen – und entsprechend Homosexuelle als Gefahr behandelt, verfolgt und bestraft.

Diese Regimes haben materiell ihren Buergern nichts zu bieten, oft nicht mal die schaebige Moeglichkeit, sich fuer fremden Reichtum den

Buckel krummzuschuften. Entsprechend scharf sind diese Nationen auf den Idealismus ihrer Staatsbuerger und bekaempfen den westlichen „Individualismus“; das heisst das freche Maerchen, im Kapitalismus gehe es dauernd nur um das Streben nach individuellem Glueck, wird als Bedrohung der Aufopferung fuer Staat und Glauben gegeisselt. Die Schwulen – weniger die Lesben (9) – werden heute als Repraesentanten dieses Modells verfolgt: Zerstoerer der traditionellen Werte, Familien- , Ehe- und Nachwuchsverweigerer, Schwaecher der maennlichen Kampfkraft fuer Nation und/oder Umma(10).

12. In vielen Ex-Kolonien wird Homosexualitaet als Produkt des Kolonialismus dargestellt. Homosexuelles Verhalten laesst sich in diesen Gesellschaften aber fast immer auch schon vor der europaeischen Kolonialisierung nachweisen(11), z.T. besungen und gepriesen, z.T. auch einfach als selbstverstaendliche Durchgangsphase vor allem maennlicher Sexualitaet bekannt. Die (dortigen) Schwulen haben das Pech, als Symbol fuer koloniales Erbe, westliche Dekadenz und vor allem fehlende maennliche Pflichterfuellung herhalten zu muessen.(12)

Alle eklige Scheisse, die die europaeischen Nationen bereits im 19. Jahrhundert an, mit, durch und gegen ihre(r) Bevoelkerung durchgezogen haben, spielen die Verlierernationen der ganzen Welt jetzt noch einmal durch. Und im Gegensatz zur gelungenen Kapitalakkumulation, die sie nicht hinkriegen und in der Masse auch gar nicht hinkriegen koennen, brauchen sie bei der moralischen Volksertuechtigung nicht zu befuerchten, in der Konkurrenz zu unterliegen – hoechstens, dass die imperialistischen Laender hin und wieder ihren Unwillen ueber mangelnde Botmaessigkeit in Form von Beschwerden ueber Menschenrechtsverletzungen kleiden. Und dabei haben auch Laender, die vor 30 Jahren selber noch Schwule in den Knast gesteckt haben, die Homofrage als imperialistischen Einmischungstitel entdeckt.

13. Auch innenpolitisch werden Fragen der „Integration“ von Migranten nun des Oefteren mit der Homofrage verbunden. Ein Rassist, der sonst nicht weniger interessiert sein koennte an Homophobie und hier und da auch mal selbst einen Spruch gegen Schwule macht, fuehlt sich nun bemuessigt, Homophobie auf einmal an allen moeglichen Ecken und Enden auszumachen – aber ausschliesslich in der migrantischen Community. Das verweist auf das Problem jeglicher Identitaetspolitik, die bloss fordert, die jeweilige Gruppe nicht mehr aus der Nation auszuklammern.(13)

(leicht redigiert)

 

*

 

Fussnoten (Die angefuehrten Paragraphen beziehen sich auf deutsches

Recht)

1 Die haeufig zu hoerende Erweiterung, in Wirklichkeit Verwaesserung,

des Gen-Arguments, es sei wohl ein komplexes Zusammenspiel von Umwelt

und Anlage am Werk, naemlich einer genetischen „Disposition“, die dann

auf soziale „Faktoren“ treffe, hat natuerlich den Vorteil, dass man

hier gar nichts mehr beweisen muss und auch gar nicht kann. Denn wie

sollte das wohl nachgewiesen werden? Umwelt und Anlage sind zu ihrer

Begruendung wechselseitig aufeinander verwiesen: Was sich nicht durch

die Anlage erklaeren laesst, muss seine Ursache wohl in entsprechenden

Umweltbedingungen haben und umgekehrt. Somit wird der freie Wille des

Menschen als Ursache gar nicht erst in Betracht gezogen.

2 Es soll hier nicht gesagt sein, dass Sex nur okay ist, wenn dabei

niemand verletzt wird. Jedoch sind wir der Auffassung, dass Sex nur

dann okay ist, wenn niemand unwillentlich verletzt wird.

3 Die Nazis waren sich uebrigens nicht sicher, ob Homosexualitaet nun

erblich oder anerzogen ist und haben darum eine Vielzahl widerlicher

„Experimente“ gemacht.

4 Den meisten ist dabei sehr wichtig, dass diese „primaeren

Geschlechtsmerkmale“ seit Geburt an der jeweiligen Person vorhanden

sind.

5 „Schwul ist nur, wer sich bueckt, der andere ist einfach krass

drauf“ (Toilettenspruch).

6 Heutige Erfolgstipps, als Frau auch mal

Staerke zu zeigen und als Mann auch Soft Skills zu entwickeln, sind

keine Aufloesung der klassischen Geschlechterbilder, sondern eine

Anpassung, in der der Bezug auf die urspruengliche Rollenverteilung

weiter enthalten ist.

7 Im Regelfall – die uns bekannte Ausnahme war der austrofaschistische

Staat, den wir fuer diese verfolgende Gleichberechtigung von Lesben

und Schwulen aber auch nicht loben wollen – interessierten sich die

modernen Homosexuellenverfolger nur fuer Schwule. Ob das mit der

generellen Geringschaetzung weiblicher Sexualitaet oder mit den

staerkeren Bedrohungsgefuehlen in Sachen schwuler Sex wegen

Penetration von und durch Maenner zu erklaeren ist oder noch ganz

anders, koennen wir hier nicht endgueltig beantworten.

8 Z.T. war das neue selbstbewusste Posen als sexuell befreites, sich

nicht an gueltigen Codes buergerlicher Maennlichkeit haltendes

Individuum eben nur die positive Umwertung alter Klischees von

Schwulen als sexuell haltlos, effeminiert usw.. Das kommt sicherlich

sympathischer rueber als die verklemmten autoritaeren Spiesserfressen,

ist aber da schlecht, wo eben ein neues Idealbild entwickelt wird, dem

mensch zu genuegen hat – wer zweimal mit dem/derselben pennt, gehoert

keineswegs schon zum „Establishment“, und Promiskuitaet ist auch nur

dann geil, wenn sie der betreffenden Person Spass macht und nicht ein

verzweifelter Selbstbestaetigungstrip oder eine fiese Konkurrenz ist.

Z.T. aber wurden und werden einfach nur die Geschlechterklischees

innerhalb eines Geschlechts durchgespielt, mit durchaus boesartigen

Ausgrenzungen von z.B. „Tunten“.

9 Ob das damit zu tun hat, dass in den entsprechenden Laendern Frauen

sowieso nicht als vollwertige Menschen gesehen werden und lesbische

Sexualitaet deswegen nicht ernst genommen wird oder ob die Gewalt

gegen lesbische Frauen im haeuslichen Bereich bleibt und von Vater,

Bruder, Ehemann usw. ausgeuebt wird und nicht an die Oeffentlichkeit

geraet (um die Ehre der Familie nicht zu „beschmutzen“ usw.),

vermoegen wir nicht zu sagen.

10 „Umma“ bezeichnet die religioese Gemeinschaft aller Muslime.

11 Als der marokkanische Gelehrte Muhammad al-Saffar in den 1840er

Jahren Paris besuchte, stellte er verwundert fest: „Taendeleien,

Romanzen und Umwerbungen ?nden bei ihnen [den Franzosen] nur mit

Frauen statt, denn sie tendieren nicht zu Knaben oder jungen Maennern.

Vielmehr gilt ihnen das als extrem schaendlich.“ (Georg Klauda: „Mit

Islamophobie contra Homophobie?“ in: Arranca! 37,

http://arranca.org/ausgabe/37/mit-islamophobie-contra-homophobie;

zitiert nach: Khaled El-Rouayheb, Before Homosexuality in the

Arab-Islamic World, 1500-1800. Chicago, 2005. S.2)

12 Auch im Westen laesst sich beobachten, dass Homosexualitaet als

Symbol fuer Egoismus und Verantwortungslosigkeit (unterlassene

patriotische Pflicht der Nachwuchserzeugung) und Dekadenz steht. Herr

Elsaesser beipsielsweise schimpft gegen „postmoderne Warmduscher“ und

gab am 19.9.2006 in der Zeitung „junge Welt“ folgendes zum Besten:

„Mit Staatsknete wird Multikulti, Gendermainstreaming und die schwule

Subkultur gefoerdert, waehrend die Proleten auf Hartz IV gesetzt

werden und sich oft auch keine Kita, kein Schwimmbad und keine warme

Wohnung mehr leisten koennen“ („Der Osten wehrt sich“). Und das

Bundesverfassungsgericht begruendete sein Urteil zum Erhalt der durch

die Nationalsozialisten verschaerften Variante des §175 (Verbot von

sexuellen Handlungen von Maennern mit Maennern) Ende der 50er Jahre

ebenfalls mit fehlender vaterlaendischer Pflichterfuellung, daher

konnten sich schwule Maenner nicht auf die freie Entfaltung der

Persoenlichkeit (im Grundgesetz §2) berufen. Inzwischen hat sich

angesichts der permanenten Lobbyarbeit fuer die Schwulen- und

Lesbenehe sowie dem Adoptionsrecht auch fuer gleichgeschlechtliche

Paare eine gewisse Verschiebung ergeben. Es ist eben schwierig,

jemandem Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen, wenn der/die dauernd

darum kaempft, Verantwortung uebernehmen zu duerfen. Jetzt geht das

Ressentiment eher so: Homosexuellen seien zur Verantwortungsuebernahme

sittlich-moralisch per se nicht in der Lage, sondern benutzten Kinder

nur zur Selbstverwirklichung. Realsozialistische Standpunkte sahen

teils aehnlich, teils anders aus: Die DDR hatte die Verschaerfungen

des §175 rueckgaengig gemacht. Nicht unerwaehnt bleiben sollte der

Paragraph §121 des sowjetischen Strafbuchs, welcher neue Massstaebe

fuer die – bis dahin recht liberale – Handhabung gesetzt hat. Waehrend

sich die Sowjetunion vorher ruehmte, maennliche Homosexualitaet zu

entkriminalisieren, so wurde spaeter mit Genugtuung festgestellt, dass

der dekadente Westen seine „Perversen“ zu lasch behandele. Allerdings

waren die meisten Ostblockstaaten wesentlich weniger rigide als die

UdSSR und der „freie Westen“ in der Zeit vor den 1970er bis 1980er

Jahren.

13 Zur Kritik von Identitaetspolitik siehe unseren Text „Proud to be …

so what?“ auf http://www.junge-linke.org