Der Film „Vermessung der Welt“ und die Ausstellung über „Die Nacht im Zwielicht. Kunst von der Romantik bis heute“ im Unteren Belvedere in Wien haben mich dazu bewogen, mich erneut eingehend mit der Romantik auseinanderzusetzen. Rüdiger Safranskis Standard-Werk bietet dafür eine ausgezeichnete Grundlage.
Der extreme Subjetivismus, der Kult der (bürgerlichen ) Vernunft und nicht zuletzt der Schrecken über den terreur der französischen Revolution rief eine Gegenreaktion hervor. Was bis jetzt von der Aufklärung abgetan, ins schiefe Eck gestellt wurde, wird von den Romantikern „wiederentdeckt“, aufgewertet und emotional aufgeladen.
Herder hatte bereits „Vorarbeit“ geleistet, auch Schiller mit seiner „Ästhetischen Erziehung des Menschen“. Der homo ludens, der Mensch, der eine spielerisches und nicht bloß „nützliches“ Verhältnis zur Welt entwickelt, rückt ins Zentrum der Betrachtungen: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ (S.43).
Den -philosophischen- Hirngeburten Fichtes („Das Ich das alles setzt“/ also schafft;), dem politische Größenwahn Napoleons, der kühl berechnenden Vernunft- all dem wird nun gegenübergestellt: Gefühl, Empfindsamkeit, Nähe, Natur – die „mondbeglänzte Zaubernacht“(Tieck).
Erinnert sei nur an die wunderschünen Gedichte Eichendorffs, die von einem tiefen Naturempfunden getragen sind.
Novalis gibt folgende Definition: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein Geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisire ich es“(S.13).
Festzuhalten ist, daß ANFANGS die (literarische) Romantik revolutionäre Züge oder zumindest stark gesellschaftskritische Seiten hatte: gegen das ancien regime, die Monarchen, für die Gleichberechtigung- auch der Frauen. Neue Formen des Zusammenlebens, alternative Formen der Sexualität wurden entwickelt.
Mit der Zeit ist jedoch bei vielen Romantikern ein immer konservativerer Zug, ein politischer Rechtstrend zu verzeichnen- nicht zuletzt durch die- negative- Entwicklung der französischen Revolution: Jakobinerterror, Directoire und schließlich Napoleon, der sich zum Kaiser krönt! Die Romantiker entdecken nicht nur das -idealisierte- Mittelalter und die Religion- einige konvertieren zum Katholizismus( wie Friedrich Schlegel); sie machen sich auch zum Werkzeug der politischen Reaktion. Etliche stellen sich in den Dienst Preußens bzw. der österreichischen Monarchie( Metternich!).
Das Buch von Safranski schildert in hervorragender Weise diesen Wandlungsprozeß. Es bietet eine wahre Fülle von -überraschenden- Beispielen und Zitaten- auch für Nicht-Fachleute von großem Interesse.
Seinen Analysen kann man/frau auf breiten Strecken folgen. Er zieht einen weiten Bogen von den (Früh)romantikern über Wagner, Nietzsche, Thomas Mann, Heidegger und den Nationalsozialismus bis hin zur Gegenwart. Zum Schluß geht ihm m.E. die Luft aus- wenn er etwa versucht, die 68er-Bewegung zu bewerten (S.,384 ff).
Warum lohnt es sich mit all dem zu beschäftigen? Warum geht es NICHT um fade, abgestande (Literatur)theorie?
Die Romantik ist geradzu ein Paradefall für AMBIVALENZ! Man/frau kann sehen, wie Dinge -unter bestimmten Umständen- umschlagen können. Ein ähnliches Phänomen konnte auch im 20.Jh. registriert werden : Rebellen von 1918 wurden Monarchisten wie Joseph Roth oder zumindest katholisch-konservativ (Franz Werfel) .
Und auch heute kann Ähnliches sich ereignen! Denken wir etwa an die widersprüchliche Entwicklung des „arabischen Frühlings“.
Hermann Dworczak
Rüdiger Safranski Romantik. Eine deutsche Affäre
Carl Hanser Verlag, München 2007 415 Seiten