Der Autor beschreibt und analysiert den Herbst und den Fall des Dritten Reichs. Trotz der zahllosen Niederlagen und Auflösungserscheinungen „funktionierte“ die NS-Diktatur weitgehend bis zum bitteren Ende. Es gab keinen breiten Widerstand, geschweige denn einen Aufstand. Die Befreiung erfolgte von außen. Kershaw legt -in bestechender narrativer Manier- die Gründe dafür dar.
Das Buch setzt mit dem Stauffenberg-Attentat auf Hitler am 20.Juli 1944 ein. Das Scheitern führt zu einer weiteren Radikalisierung des Regimes und zu einer gigantisches Ausdehnung der Repression. Hitler steigert abermals seinen politischen Wahnsinn, greift selbst in taktische Entscheidungen der Militärs ein.
Die Niederlagen nach der Landung der westlichen Truppen in der Normandie bzw. der Offensive der Roten Armee im Osten, verschärft durch die inneren Rivalitäten, den Kompetenzen-Wirrwarr in den staatlichen und Partei-Strukturen erfolgen Schlag auf Schlag. Die „Ardennen-Offensive“ kommt bald zum Stillstand, die „Wunderwaffen“, die das Steuer für die Nazis herumreißen sollen, bleiben aus . Taktische Fehler der Alliierten gewähren den Nazis eine längere Frist. Erst im Mai 1945 ist der höllische braune Spuk definitiv zu Ende.
Trotz des offensichtlichen Niedergangs, den zerbomten deutschen Industrieanlagen, Verkehrswegen und Städten hält sich die Diktatur. Sie bröckelt, aber sie fällt nicht. Für die in Schutt und Asche liegenden Städte laufen- wenn auch bei weitem nicht aureichende- Hilfsmassnahmen an. Ebenso werden Gehälter, Stipendien etc. pünktlich ausbezahlt. Die Diktatur hält sich nicht vorrangig wegen der immer mehr um sich greifenden Unterdrückungsmassnahmen im Inneren!
Hitler genießt weiter- wenn auch deutlich abnehmend- Sympathie, die Kritik richtet sich eher gegen seine „Umgebung“ , die „unfähigen Generäle“ etc. Die ideolgische Saat der Nazis (Rassismus, Angst vor den „bolschewistischen Horden aus der asiatischen Steppe“,etc.) geht voll auf. An der Front wird -wenn auch immer weniger enthusiastisch- weitergekämpft. Im Hinterland kümmert man/frau sich ums blanke Überleben. Für Widerstand gibt es kaum Raum.
Am Ende bleibt vom Dritten Reich nur mehr ein dünner Nord-Süd-Streifen über. Aber selbst noch nach dem Selbstmord Hitlers wird unter der „neuen“ Regierung Dönitz weitergekämft! Die bedingungslose Kapitulation erfolgt erst am 8.Mai 1945.
Es war ein Bündel von Faktoren, die den Fall so lange hinausschoben. Entscheidend für Kershaw -und ich stimme hier seiner Analyse zu- war die Aufrechterhaltung der STRUKTUREN „charismatischer Herrschaft“ (S.28ff). „Alle Strukturen einer kollektiven Regierung hatten sich seit Beginn des Dritten Reichs und forciert während des Krieges aufgelöst“ (S.538). Mussolini hingegen wurde „im Juli 1943 vom Großen Faschistischen Rat, seiner eigenen Organisation, abgesetzt“(ebd.).
Der Begriff „charismatische Herrschaft“ stammt bekanntlich von Max Weber- ist aber eigentlich schon bei Marx in seiner Analyse des Bonapartismus angelegt.
Hitlers absolute Herrchaft hielt seine Satrapen und „Gold-Fasane“ ideologisch und strukturell fest im Grif. Alles war auf ihn zugeschnitten, es gab keine „Alternativ- Strukturen“. Massenloyalität konnte so lange erzielt werden.
Anders als 1918 entwickelte sich KEINE revolutionäre Situation.
Ein analytischer Einwand soll nicht unerwähnt bleiben. Die kampflose Niederlage der deutschen ArbeiterInnenklasse 1933 durch die verheerende Politik der sozialdemokratischen und stalinistischen Führungen und die Folgen die sich daraus für den Widerstand ergaben, werden nicht ausreichend thematisiert. Ebenso, daß es trotzdem im „Altreich“ und in Österreich ArbeiterInnen-Widerstand gegeben hat.
Ich gestehe, das Buch von Kershaw ist faszinierend: ich habe mit dem Lesen nicht aufhören können und innerhalb eines Tages die Lektüre der Schwarte beendet. Ich kann sie nur wärmstens weiterempfehlen.
Hermann Dworczak (0676 / 972 31 10 )
Ian Kershaw DAS ENDE. Kampf bis in den Untergang. NS-Deutschland 1944/45.
2011 Deutsche Verlags-Anstalt München, 702 Seiten