In Hamburg fand der „Europa-Parteitag“ der Linkspartei statt. Er sollte einen Schlussstrich unter die zuletzt entbrannte Debatte um die Europa-Politik der Partei ziehen, ein Wahlprogramm für die Europawahlen beschließen und KandidatInnen wählen.
Um es vorweg zu nehmen: alle Ziele wurden erreicht. Und alle Flügel leisteten dazu ihren Beitrag. Die (ostdeutschen) „Reformer“ stellten die Mehrheit der Delegierten und sicherten so von vornherein, dass nicht zu radikale Positionen beschlossen und entsprechende Delegierte gewählt werden. Schon im Vorfeld des Hamburger Parteitags war die Richtung festgezurrt worden. Der Vorstand hatte die EU-kritische Präambel durch ihre eigene, gemäßigte Version ersetzt.
In der Ursprungsfassung hieß es durchaus richtig, dass die EU eine „neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“ sei. Die nun angenommene Vorstands-Fassung meint hingegen: “Wir wollen einen Politikwechsel, damit die EU nicht vornehmlich Eliten an Reichtum und Macht ein zu Hause bieten, sondern sich solidarisch für alle entwickelt.“
Diese kühne Fassung wird die Mächtigen in der EU bestimmt völlig aus der derselben bringen. Schon die Konkretheit ist umwerfend: „Politikwechsel“. Das klingt wie Pferdewechsel, nach dem es ja dann in der alten Richtung weiter geht. Den „Eliten“ soll die EU „nicht vornehmlich“ ein zu Hause bieten. Ein zu Hause soll es also schon bleiben – aber nicht vornehmlich. Dieser Programmpunkt ist am leichtesten zu erfüllen, denn die Eliten sind zwar vornehmlich in Europa zu Hause, aber ab und zu auch mit ihrer Yacht in der außereuropäischen Südsee unterwegs. Diese touristischen Perioden der Eliten ermöglichen dann auch ein „solidarisches“ Miteinander“ in Europa.
Ob dieser unverbindlichen Wünsch-dir-was-Prämbel wird mancher der besseren Ursprungsvariante nachtrauern, doch Anlass für ungebrochene Freude war die auch nicht gerade. Denn wir müssen uns schon fragen, wie „alternativ“ zum Mehrheitsentwurf die Europa-Politik des linken Flügels ist? Immerhin hatten sie offenbar am Rest des Programms – also am eigentlichen Inhalt – nichts auszusetzen!
Immerhin hatten zwei Linke, Wolfgang Gehrke und Diether Dehm, vor Hamburg einen kompletten Alternativ-Entwurf eingebracht – das ist gute Tradition in der LINKEN. Rechtzeitig vor dem Parteitag haben sie diesen Entwurf jedoch wieder zurück gezogen – auch das ist gute Tradition bei den Linken in der LINKEN.
Welche Linie sich nun durchgesetzt hat, lässt sich auch an einigen Statements ihrer ProtagonistInnen ablesen. Gabi Zimmer, Ex-Parteichefin und Europa-Spitzenkandidatin, meinte, man müsse „um diese (sic!) Europäische Union kämpfen“. Das wird den Arbeitslosen in Portugal und den Wohnungslosen in Spanien wirklich Mut machen! Vor allem kann man bei der Gabi sicher sein, dass sie niemanden auf die Idee bringt, darüber nachzudenken, wie und von wem Europa auf ganz andere Weise geeint werden könnte.
Flott unterwegs auf dem Holzweg Richtung „soziales Europa“ ist auch der Fraktionsvize Jan Korte. Er meinte: „Nicht die Radikalität der Phrase darf Markenzeichen der Linken sein.“ Richtig! Besser ist da die Phrase der Harmlosigkeit. Das wird vor allem die überzeugen, die in Griechenland auf die Straße gehen. Aber für diese fußläufigen Massen hat der Genosse Korte ja auch noch etwas tröstliche Bahn-Nostalgie zu bieten, als er sich öffentlich daran erinnerte, wie schön doch früher die Interrail-Reisen durch Europa waren. Bietet sich da für die Besetzung des Bahn-Aufsichtsrats etwa eine ganz neue Option? Nein, eher nicht. Besser würde sicher ein Posten als Bürgermeister passen, denn auch dort glänzt für Korte die Schokoladenseite der EU, weil mit deren Mitteln ja ostdeutsche Kleinstädte verschönert wurden. Da müssen wir dem Jan Korte wirklich dankbar sein, dass er seinen Blick aus den dämmrigen Tiefen eines ostdeutschen Ratskellers zu den Höhen der Europa-Politik gerichtet hat, sonst wüssten wir gar nicht, wie wichtig es ist, dass wir ein imperialistisches Europa brauchen, um mit der Bahn fahren und Hausfassaden anstarren zu können. Mit dieser Optik kann man dann auch viel leichter tolerieren, dass so viele Milliarden nicht nur für die Fassaden von Bankhäusern, sondern für deren Tresore von der EU ausgegeben werden.
Angesichts dessen könnte man schon fast ins Schwärmen kommen, wenn da etwa Wolfgang Gehrke sagte, er wünsche sich „eine Partei, die angreift“. Wir fragen uns nur, was das mit der LINKEN zu tun hat?! Selbst Sahra Wagenknecht sieht gegenüber Kortes spezifischer politischer Architektur richtig gut aus, wenn sie meint, „die EU ist eine Fassadendemokratie“.
Das Ergebnis von Hamburg ist insgesamt also zwiespältig. Es ist gut für die „Einheit“ der Linkspartei und ein Sieg für den Gysi-Flügel und den Apparat, es ist schlecht für den Aufbau von koordinierten Widerstandsstrukturen in Europa. Ach ja, es wurden auch sechs KandidatInnen gewählt, welche die Partei-Flügel ausgeglichen repräsentieren: die einen wollen bei der Mitverwaltung des Kapitalismus und der EU gleich mitmachen, die anderen etwas später.