China wird -nicht ganz zu Unrecht- assoziiert mit Wachstumsfetischismus, blindem Vertrauen in die Segnungen des „Marktes“ und ausufernder Konsumideologie. Aber es gibt auch Gruppierungen, die gegen den Strom schwimmen. Die „Akademie für Marxismus“ in der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften ist eine von ihnen.
Wenn man/frau nach China kommt, ist man mir der allumfassenden Vermarktung des Lebens konfrontiert. Selbst die zentralen staatlichen Nachrichten im Fernsehen werden mehrmals durch Werbeblöcke unterbrochen. Konsum, Konsum und nochmal Konsum ist die dominerende Ideologie. Dies hängt nicht nur mit dem nur allzuverständlichen Nachholbedarf der chinesischen Bevölkerung an Gütern zusammen, sondern wird bewußt von der chinesischen Führung lanciert: „Brot und Spiele“, um Gesellschaftskritik niederzuhalten.
Während in den Medien zum Großteil nur oberflächliche Unterhaltung oder regimefreundliche Propaganda geboten wird, haben es linke Publikationen schwer. Immer wieder werden fortschrittliche websites „gestört“. Angesichts der allgegenwärtigen Repression sind nur wenige bereit, sich gegen den mainstram zu stemmen. Die „Akademie für Marxismus“ in der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften ist einer der kritischen Stachel.
In den Publikationen der Akademie für Marxismus wird der „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“ einer kritischen Reflexion unterzogen. Der Leiter der Akademie Prof. Enfu Cheng hat kürzlich einen Artikel veröffentlicht, in denen er die die wesentlichsten ideologischen Strömungen in China (in der Bandbreite Neoliberalismus über Keynesianismus bis hin zu kritischem Marxismus) mit Zitaten und Namensnennung analysierte und dabei die Neoliberalen (in der KP!) einer scharfen Kritik unterzog- eine Vorgangsweise, die ich -vergleichsweise- während meiner Cuba-Aufenthalte nicht registrieren konnte. Im Zuge der Vorbereitung des Parteitags im November 2012 machte er sich auch dafür stark, daß im Parteiprogramm die „Priorität des öffentliches Eigentums“ gewahrt wird.
Die Akademie für Marxismus (mit ihren Instituten an etlichen Universitäten) spielt nicht nur innerhalb Chinas eine wichtige Rolle. Auch ihre internationale Tätigkeit ist beachtlich. Bereits 2006 wurde- vor allem in Kooperation mit MarxistInnen aus den USA und Japan die „World Association for Political Economy“ (WAPE) gegründet. Jährlich findet in einem anderen Land das -internationale- „Forum“ der WAPE statt. Auf den Foren wird offen und kontroversiell über die globale Entwicklung des Kapitalismus und seine Krisen, aber auch über die sozialen, ökologischen und politischen Probleme in China diskutiert. Ich selbst nahm an den letzten drei Foren teil und referierte unter anderem über „Welche Art von Sozialismus im 21. Jahrhundert?“ und nahm mir dabei hinsichtlich Stalinismus oder Politik der chinesischen Bürolratie kein Blatt vor den Mund. Die „Akademie für Marxismus“ lud mich auch zu „speakers-tours“ nach China ein, wo ich an mehreren Unis über die „Krisen in Europa- Die Antwort der Linken“ oder die ansteigende Woge des internationalen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus Vorträge hielt.
Die Akademie für Marxismus bzw. die WAPE verfügt über eine Reihe von Publikationen. Auf zwei möchte ich besonders verweisen: „World Journal of Political Economy“ und „International Critical Thought“.
Die WAPE machte eine bestimmte Entwicklung durch. Dominierten in den ersten Jahren theoretische Analysen- ziemlich fern von praktischen Überlegungen, sind nunmehr auch aktuelle Querbezüge zu sehen: auf dem letzten WAPE-Forum im Mai 2012 in Mexico City wurde in die Schlußresolution ein Passus aufgenommen der zur „konkreten Solidarität mit dem Widerstand gegen die Austeritätspolitik des internationalen Kapitals in Griechenland“ aufruft. Wenn man /frau sich die Politik der chinesischen Regierung oder chinesischer Unternehmen in Erinnerung ruft ( die Firma Cosco etwa kaufte eine Teil des Hafens von Piräus, verschärfte extrem die Arbeitsbedingungen und schränkte die Gewerkschaftsrechte drastisch ein!) ist das alles andere als eine „internationalistische Selbstverständlichkeit“. GenossInnen der Akadamie überlegen auch am kommenden Weltsozialforum (26.-30. März in Tunis) teilzunehmen.
Das nächste WAPE-Forum findet von 23.-26. Mai 2013 auf der Federal University of Santa Catarina in Florianopolis in Brasilien statt. Themen wie „Modelle des Sozialismus“, „Analyse der aktuellen Finanz- und Wirtschftskrise“ oder „Ökosozialismus und die Anti-AKW-Bewegung“ lassen daruf schließen, daß es auch diesmal spannend werden wird.
Hermann Dworczak