Auch oder besser gerade in Zeiten , wo Rebellionen und Revolutionen- auch in Europa!- erneut auf der Tagesordnung stehen, sollten Linke keinen verengten Blick auf die gesellschaftliche Realität werfen. Fragen der Kunst und (Alltags)kultur sind alles andere als nebensächlich. Sie sind für viele ein konstitutives Element ihres Lebens. Das Buch von Markus Kupferblum über die commedia dell `arte als politisches Volkstheater ist ein guter Wegweiser in diese Richtung.
Lange bevor es- in Europa- feste etablierte Theater gab, zogen Schauspieler durchs Land. Sie spielten für gewöhnlich im Freien, auf Marktplätzen. Viele von ihnen konnten nicht lesen oder schreiben. Ihre Rollen lernten sie, während sie sich den herumziehenden Schauspieltruppen anschlossen. Nicht zuletzt für Frauen war das Theater eine befreiende Chance- insbesonders nach dem päpstlichen Kurtisanen-Verbot.
Die italienische commedia dell`arte steht paradigmatisch für diese Variante des Theaters. Von etwa 1500 bis Ende des 18. Jh.- hatte sie ihre Hochblüte- auch in den Dramen Shakespeares fand sie eine starke Resonanz. Dann folgten Verbote, Übergänge – u.a. in die opera buffa-, die Entwicklung des bürgerlichen Dramas.
Kupferblum macht 9 „Hauptcharaktere“ der commedia dell` arte aus und aus ihnen entwickelt sich eine „ganze Welt“`. Es herrscht eine -strenge- Hierarchie beginnend mit Arlecchino und Colombine über die „Alten“ bis hin zu den „Amorosi“.
Man erfährt in dem Buch viel über die Geschichte der commedia dell`arte , die Arbeit der Truppen, ihr „Handwerk“- etwa die präzis und kunstvoll gesetzten „lazzi“- auch über ihre oft prekäre finanzielle Situation.
Die überzeichnende Gestik hatte auch die Funktion den Spannungsbogen bis zum Ende der Stücke zu halten-damit das Publikum nicht vorzeitig wegläüft- denn bezahlt/gesammlt wurde erst NACH der Vorstellung“!
Kupferblum zeigt das „Weiterwirken“ der Figuren der commedia dell` arte auf: bei Mozart, Raimund, Nestroy, Charlie Chaplin- bis hin zu Kunstfiguren der Gegenwart.
Das Buch ist flüssig geschrieben, liest sich leicht.
Gelegentlich wäre es wahrscheinlich besser gewesen nach der Devise „Weniger, aber gründlicher“ zu verfahren. So entsteht manchmal der Eindruck, als wäre jegliches Theater eine Emanation der commedia dell` arte. Manche Passagen sind oberflächlich hingesetzt. Etwa wenn Carlo Goldoni (Autor des legendären “ Diener zweier Herren“- man denke nur an die legendäre Inszenierung des Stücks durch Giorgio Strehler) schlicht als „Liquidierer“ der commedia dell`arte“ hingestellt wird. Oder die gänzlich unzureichende Charakterisierung des „epischen Thaters“ von Bert Brecht und seines „Arturo Ui“( derzeit im Wiener Volkstheater zu sehen)- der von Kupferblum einseitig zu einem „aufsteigenden“ Arlecchino gemacht wird.
Nichtsdestotrotz: ein interessantes Buch. Wie gesagt allen Linken ans Herz gelegt- in der begründeten Überzeugung, daß es nicht ausreicht, von einem Polit-Termin zum anderen zu hetzen.
Hermann Dworczak (0676 / 972 31 10 )