Ian Kershaw Hitler 1889-1936 (Rezension 1. Teil)

VOM GESCHEITERTEN KÜNSTLER ZUM ”FÜHRER”

Während der zweite Band der Hitler-Biographie von Ian Kershaw mit der  bereits relativ konsolidierten Herrschaft der Nazis einsetzt, schildert  Band eins den Aufstieg des Nationalsozialismus und  den -persönlichen-Werdegang Hitlers: vom gehätschelten  Muttersöhnchen, über den gescheiterten Künstler hin zum unumstrittenen  “Führer” derNSDAP.

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Hitler wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Der Vater war ein  gewalttätiger Alkoholiker, die Mutter hingegen vergötterte den kleinen  Adolf.

Systematisches Lernen war Hitlers Sache nicht, schon gar nicht einem  geregelten Beruf nachzugehen. Er war ein ziemlicher Sonderling. In Wien  angekommen lebte er u.a. im Männerheim. Schon früh fiel er durch sein  rechthaberisches, endloses Monologisieren auf- insbesonders über seinen  kulturellen Fixstern Richard Wagner.

Das Weltbild, das er sich zusammentzimmerte, war ein krudes Gemisch aus  Deutschnationalismus, Tschechen- und Judenhaß, Frauenfeindlichkeit- ja  Angst vor Frauen und Geifer gegen die “Roten”. Für den christlichsozialen,  antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger hegte er -Zeit  seines Lebens- eine starke Bewunderung.     Hitler verließ schließlich 1913 Österreich und ging nach München.  Auch hier war er weitgehend nur eine gestrandete Existenz.

Die große Zäsur in seinem Leben beginnt mit dem Ersten Weltkrieg. Er meldet sich freiwillig  zum Wehrdienst, wird verwundet. Auch nach der Niederlage Deutschlands  verbleibt er in der Armee. Man bietet ihm dort einen speziellen Job:  Agitator gegen die Linke, den “Bolschewismus”.

Hitler kommt mit diversen rechtsextremen Gruppiereungen in Kontakt. Er  wird schließlich 1919 Mitglied der DAP(Deutsche Arbeiterpartei), die  sich zur NSDAP entwickelt.

Hier wächst er zunehmend in eine zentrale Rlle hinein- insbesonders als  Volksredner- als “Trommler”(S 215ff).

Auch er selbst sieht sich (noch) nicht als DEN Führer- er spricht (in  der Mehrzahl) von “Führungsgestalten in der Zukunft”.

Aber über Kontakte zur Reichswehr, zu Ludendorff, wegen des –  gescheiterten- Putschs 1923, dem anschließenden Prozeß, den er als  politischeTribüne zu nutzen weiß, der “Haft” in der Festung  Landsberg, wo er geradezu Hof hält, wird er zur Schlüsselfigur der völkischen  Rechten.

Der Führer-Mythos entsteht und er selbst webt emsig an ihm.

Obwohl nach 1924 eine gewisse ökonmische Stabilisierung eintritt und  die extreme Rechte einige Wahlschlappen erleidet, “vergißt” man Hitler  nicht bei den traditionellen Eliten.

Kershaw besticht durch die enge Verschränkung von Individual- und  allgemeiner Geschichte. Er legt umfassenddar, was die generellen  gesellschaftlichen Faktoren waren, die den Nationalsozialismus  hervorbrachten. Aber auchdie spezifische, prägendeRolle die Hitler  dabei einnahm, wird unmißverständlich herausgearbeitet. An einer  Stelle heißt es sehr bezeichnend : Wäre 1923 Hitler beim fehlgeschlagenen  Putsch ums Leben gekommen, “wäre die Weltgeschichte anders verlaufen”(S.266).     M.E. ist diese Einschätzung richtig. So wie Revolutionen “Lokomotiven  der Geschichte” sind, bedarf es bestimmter Personen, damit sich allgemeine  gesellschaftliche Prozesse konkret kristallisieren: kein  wissenschaftlicher Sozialismus ohne Marx und Engels, keine -siegreiche-  Oktoberrevolution ohne Lenin und Trotzki.-

Hitler ist lernfähig, er beweist politischen Instinkt: Um andie Macht  zu kommen, muß er (wie Musssolini) u. a. ein Bündnis mit derArmee  eingehen( S. 274).  Und tatsächlich händigt ihm die herrschende Klasse 1933 die Macht aus.

Um die errungene Macht zu erhalten und weiter auszubauen, opfert Hitler  sogar seine Stoßtruppen. Unter dem machiavellistischen Vorwand, sie  hätte einen Putsch gegen ihn vorbereitet, läßt er 1934 die SA-Führung über  die Klinge springen(S.627 ff).

 

Hermann Dworczak

Ian Kershaw  Hitler 1889- 1936

DVA Stuttgart 1998  972 Seiten