Siehe auch: Jana Frielinghaus: System bleibt exklusiv – Forscher mahnen bei »Inklusion« Behinderter bessere Konzepte an
/ Katrin Hummel – Die Illusion der Inklusion / David Krutzler: Wien – Caritas schließt Sonderschule, neue Inklusionsschule geplant
Ilse Seifried: Eine Illusion ist als falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit definiert. Antwort auf Katrin Hummel
Dennoch ist die Frage: „Wer nimmt die Wirklichkeit falsch wahr?“ nicht die relevante. Welche Position wer zur “Inklusion“ bezieht hängt von Weltanschauungen und Wertsetzungen ab.
Für mich als ausgebildete Sonderschullehrerin mit Erfahrungen in reinen Sonderschul- und Integrationsklassen sowohl der Grund- als auch der Sekundarstufe gilt der Grundsatz:
Alle Menschen sind gleichwertig und jede/r hat das Recht, so in die (Schul-)Gesellschaft einbezogen zu sein, dass ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Miteinander gegeben ist.
Fallbeispiele, wo Inklusion klappt, ermutigen und sollten als Erfahrungsschatz für all jene gelten wo Inklusion bisher weniger gut oder nicht klappte. Konzepte, die Rahmenbedingungen nennen, um Inklusion zum Wohle aller umzusetzen, liegen seit Jahrzehnten vor. Dass Bildung kostet, wissen alle. Dass jeder Eure, der in Bildung investiert ist, kein verlorener ist sondern sich dreifach bezahlt macht, wissen auch alle politischen EntscheidungsträgerInnen.
Dennoch spart die Politik bei Bildung und Kultur. Daher stellt sich die Frage: Wer profitiert davon?
Wenn die Politik es Großkonzernen ermöglicht, dass diese keine Steuern zahlen, nehmen sie in Kauf,
dass Millionen bzw. Milliarden fehlen, die dem Bildungssystem, dem Gemeinwohl zustehen, fehlen Eltern wollen die besten Schul-Rahmenbedingungen für ihre Kinder.
LehrerInnen wollen die beste Rahmenbedingungen für ihren eigenen Arbeitsplatz und jenen der SchülerInnen, damit kindgerechtes Lernen überhaupt möglich ist und der Beruf nicht ins Burnout sondern in einen erfüllten Berufsalltag führt.
SchülerInnen wollen mit Freude, kreativ, eigenständig, kritisch, forschend tätig sein und in ihrem Tempo, ihrem Rhythmus lernen.
Wer sieht das anders und warum?
Das respektvolle Miteinander kann gelernt werden. Dafür braucht es Proberäume und Hilfestellungen.
Inklusion kann meiner Erfahrung nach nur dort gelingen, wo alle das Gefühl haben, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein.
Doch gegenwärtig ist immer noch eine Mangelverwaltung die Alltagsrealität.
Zu wenig sonderpädagogische qualifizierte LehrerInnen (mit der neuen LehrerInnenausbildung in Österreich wird dies nicht besser) in Klassen, in denen die Durchmischung Erfolg verunmöglicht, Supportpersonal zu tausenden fehlt kann Inklusion flächendeckend nicht gelingen.
Mein Schule der Inklusion ist ein Schulgebäude, das nicht durch Enge und Dunkelheit stresst sondern die Natur einbezieht und so Entspannung und Gelassenheit hervorruft. Ein Schulgebäude, in das alle Kinder der Umgebung gehen. Eine Institution, die die Bedürfnisse aller SchülerInnen berücksichtigt (mit Therapie- u Pflege- Lern- und Unterstützungsangeboten), die nicht zwangsweise 50 Minuten in einer Klasse zusammensitzen und Frontalunterricht erleben müssen sondern phasenweise Zeit miteinander verbringen, einander begegnen können – lebendiges offenes Lernen und miteinander Leben.
Als ich mit den 14-jährigen SchülerInnen einer Sonderschulklasse einen Lehrausgang macht und wir auf dem Weg zur Straßenbahn an einer AHS vorbeigingen, sagte ein Schüler zu mir:“ Ich geh jetzt 10 Meter weiter hinten. Ich möchte nicht, dass die anderen glauben, ich gehöre dazu.“
Warum sagte er das? Was steckt dahinter? Die Scham. Die Erfahrung des Ausgestoßenseins. Im Park log er wie die meisten SonderschülerInnen, wenn er gefragt wurde, in welche Schule er geht. Warum lässt es eine Gesellschaft zu, dass Kinder und Jugendliche (Bildung wird in Österreich immer noch „sozial vererbt“, was bedeutet, dass AkademikerInnenkinder AkademikerInnen und SonderschülerInnenkinder SonderschülerInnen werden ) ausgeschlossen werden? Warum will eine Gesellschaft nicht die Mühen und Kosten auf sich nehmen, für alle Kinder – ob mit oder ohne speziellen Bedürfnissen – bestens zu sorgen?
Engagierte Menschen haben die ersten Schritte auf dem Inklusionsweg gemacht. Es liegen viele Stolpersteine auf diesem. Mögen alle ihre Bequemlichkeit abstreifen, ihre eigenen Möglichkeiten ausschöpfen. Mögen alle ihre Stimme der Macht jenen PolitikerInnen geben, von denen sie überzeugt sind, dass diesedie Steine aus dem Weg räumen. Es reicht nicht, auf dem Papier die gewünschten Zahlen zu haben, es reicht nicht, den Schein zu wahren!
Ich fordere, dass alles unternommen wird, damit die Vision Inklusion Realität werden kann.
Ilse Seifried, BEd