Initiative Minderheiten: Kommentar zur aktuellen Abschiebedebatte und Rechtsstaatlichkeit von Rechtsanwalt Georg Bürstmayr

Mit der aktuellen Abschiebung von pakistanischen Asylwerbern riskiert Österreich sehenden Auges die Verletzung von Menschenrechten und der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Berufung auf „rechtskräftige Entscheidungen“ geht fehl:

Richtig ist, dass in einem Rechtsstaat rechtskräftige Entscheidungen in aller Regel auch vollstreckt werden sollten. ABER: bei aller Liebe zum Rechtsstaat: die Entscheidungen, aufgrund derer jetzt mehrere Asylwerber nach Pakistan abgeschoben werden, sind schon etwas älter; es hat lange gedauert, bis Pakistan bereit war, die nötigen Papiere auszustellen. Und: sie sind aufgrund von Unterlagen ergangen, die noch älter sind; ich habe kürzlich ein Konvolut von Berichten zur „aktuellen Situation“ in Pakistan vom Asylgerichtshof erhalten, in dem die Wahlen vom Frühjahr 2013 noch nicht einmal eingearbeitet waren, geschweige denn die besorgniserregenden Ereignisse der letzten paar Monate (zB Verfolgung religiöser Minderheiten). Es dauert in Österreich einfach zu lange, dass aktuelle Erkenntnisse über Verfolgungsrisiken durch alle Instanzen des Asylsystems sickern.

DARUM genau geht es aber: rechtskräftige Entscheidungen dürfen nur so lange Grund und Anlass für eine Abschiebung sein, so lange sich die maßgeblichen Verhältnisse nicht verändert haben. UND: ob es eine solche Änderung gegeben hat, das muss ein Staat, der behauptet, die Menschenrechte zu achten, von sich aus prüfen.

Und genau das scheint hier nicht geschehen zu sein. Die Gefahr, dass Österreich Menschen in einen Staat abschiebt, in dem sie sofort nach ihrer Ankunft Verfolgung (im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention!) befürchten müssen, ist im Fall der pakistanischen Asylwerber eklatant. Das ignoriert unsere Innenministerin, obwohl gerade sie es wesentlich besser wissen müsste.

Das hat mit Reisewarnungen übrigens nichts zu tun. Reisewarnungen werden für österreichische Staatsbürger ausgegeben, für die die Gefährdungslage tatsächlich eine andere sein kann als für pakistanische Staatsbürger ,  allerdings in beide Richtungen: wo es für Österreich unsicher ist, kann es für Pakistanis sicher sein, aber Pakistanis können höchst gefährdet sein, wo Touristen aus Österreich getrost urlauben können. Daher ist der Hinweis der KritikerInnen auf bestehende Reisewarnungen ebenso verfehlt wie die Antwort der Innenministerin, dass diese ja nur für bestimmte Regionen gälten.

Ich kann weder als Staatsbürger noch als Rechtsanwalt diese Abschiebungen noch verhindern. Ich kann nur hoffen, dass unsere Befürchtungen sich nicht bewahrheiten – und ich ziehe meine Schlussfolgerungen, was die Menschenrechtspolitik der ÖVP betrifft…

Überlegungen zur aktuellen Diskussion über Abschiebungen nach Pakistan, Teil II:

Rechtsstaat muss Rechtsstaat bleiben, und rechtskräftige Entscheidungen müssen vollzogen werden – sagen die Befürworter von Abschiebungen. Und übersehen dabei Eines: für gewöhnlich werden Urteile über Fragen der Vergangenheit gefällt: hat der Angeklagte diese Tat begangen? Wurde dieser Vertrag geschlossen? Hat diese Familie die Miete bezahlt? Im Asylrecht und bei Abschiebungen geht es aber um eine Zukunftsprognose: wird/würde dieser Mensch, wenn er morgen in seine Heimat abgeschoben wird, menschenwürdig und ohne Verfolgung leben können?

Österreich würde seine eigene Verfassung (Artikel 3 der EMRK) und Völkerrecht (Art 33 der Flüchtlingskonventiojn) brechen, schöbe es Menschen in Staaten ab, in denen sie verfolgt werden. Die Prognose ist also ziemlich heikel, und Fehler sollten, nein: sie dürfen nicht passieren.

Das Problem dabei ist die Zeit:

VOR der endgültigen Entscheidung über einen Asylantrag darf Österreich nicht abschieben, ja es darf mit den Heimatbotschaften aus verständlichen Gründen nicht einmal Kontakt aufnehmen, um eine mögliche Abschiebung vorzubereiten (es könnte sich ja doch um einen Flüchtling handeln, der solcherart doppelt gefährdet würde). NACH einer solchen Entscheidung kann es aber – wie im Fall Pakistan – viele Monate (!) dauern, bis die jetzt kontaktierte Botschaft die nötigen Papiere für „die Heimreise“ sprich die Abschiebung ausstellt – manchmal arbeiten Botschaften halt sehr, sehr langsam. Das heißt aber: am Ende dient eine Prognoseentscheidung (siehe oben), die womöglich vor mehr als einem Jahr getroffen wurde, als Grundlage für eine Abschiebung. Das wirft Fragen auf: ist diese Prognose (die ja nicht über eine unabänderliche Vergangenheit, sondern über eine ungewisse Zukunft angestellt wurde!) wirklich noch zutreffend? Hat sich in diesem Jahr nicht Wesentliches geändert? Hält Österreich seine Verpflichtungen wirklich ein, wenn es jetzt abschiebt?

(Juristen sprechen in diesem Zusammenhang von den „Grenzen der Rechtskraft“: einerechtkräftige Entscheidung ist bindend für die Zukunft – aber nur soweit und solange, als sich maßgebliche Grundlagen nicht geändert haben. Hat sich der Sachverhalt aber geändert, hat die alte Entscheidung keine Bindungswirkung mehr).

Wie lässt sich das feststellen, ohne ein und das selbe Verfahren wieder und wieder zu eröffnen und ewig weiter zu prozessieren? Das Fremdenrecht hat dafür eine Lösung:

die Fremdenpolizei ist von sich aus verpflichtet, vor einer Abschiebung noch einmal einen letzten check durchzuführen. Und wenn sich die Situation wirklich verändert hat, die Abschiebung zu stoppen.

Das, nicht mehr und nicht weniger, verlangen die Kritiker der momentanen Abschiebung abgelehnter pakistanischer Asylwerber. Dass es nochmal einen zeitnahen reality-check gibt. Dass wir uns nicht auf Urteile verlassen, die womöglich älter als ein Jahr sind. Damit wir sicher sein können, dass wir nicht Menschen direkt in die Hände ihrer Verfolger abschieben.

Ist das sinnvoll? Muss nicht „irgendwann einmal Schluss sein mit der ständigen Prüferei?“ 

Gegenfrage: wer würde gern mit einem Flugzeug fliegen, dessen Pilot nur den Wetterbericht von vorgestern hat? Würden unsere Innenministerin, der Wiener Polizeichef und alle anderen, die diese Abschiebungen mit Hinweis auf „den Rechtsstaat“ befürworten, nicht erwarten, dass ihr Pilot vor dem Start gefälligst noch einen aktuellen Wetterbericht einholt?

That’s the point.

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