Michael Warschawski: Israelis, die nicht mit den Wölfen heulen

»Und der Herr sprach: Es ist ein großes Geschrei über Sodom und Gomorra, dass ihre Sünden sehr schwer sind. Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob’s nicht so sei, damit ich’s wisse. (…)

Aber Abraham blieb stehen vor dem Herrn und trat zu ihm und sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen, die darin wären? Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, so dass der Gerechte wäre gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir! Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten? Der Herr sprach: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben. Abraham antwortete und sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin. Es könnten vielleicht fünf weniger als fünfzig Gerechte darin sein; wolltest du denn die ganze Stadt verderben um der fünf willen? Er sprach: Finde ich darin fünfundvierzig, so will ich sie nicht verderben. Und er fuhr fort mit ihm zu reden und sprach: Man könnte vielleicht vierzig darin finden. Er aber sprach: Ich will ihnen nichts tun um der vierzig willen. Abraham sprach: Zürne nicht, Herr, dass ich noch mehr rede. Man könnte vielleicht dreißig darin finden. Er aber sprach: Finde ich dreißig darin, so will ich ihnen nichts tun. Und er sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, mit dem Herrn zu reden. Man könnte vielleicht zwanzig darin finden. Er antwortete: ich will sie nicht verderben um der zwanzig willen. Und er sprach: Ach, zürne nicht, Herr, dass ich nur noch einmal rede. Man könnte vielleicht zehn darin finden. Er aber sprach: ich will sie nicht verderben um der zehn willen. Und der Herr ging weg, nachdem er aufgehört hatte, mit Abraham zu reden; und Abraham kehrte wieder um an seinen Ort.«
Genesis, Kapitel 18, 2033.
 
Seit Juli 2000 vereinigen sich die aus Israel kommenden Stimmen zu einer Harmonie, die nach zwei Jahrzehnten schriller Vielstimmigkeit, von manchen sogar als Kakophonie bezeichnet, nur überraschen kann. Eigentlich handelt es sich um mehr als um Harmonie, nämlich um einen disziplinierten und lauten, aber sterbenslangweiligen Militärchoral. Dieser Choral wird vom Knattern schwerer Maschinengewehre, vom Krach über den Häusern von Nablus explodierender Granaten, vom Knirschen der Panzerketten, die alles ihnen im Weg Stehende niederwalzen, vom Weinen der palästinensischen, aber auch israelischer Mütter im Angesicht ihrer toten Kinder begleitet. Aus der Ferne betrachtet scheint Israel mit einer einzigen Zunge zu sprechen. Die Medien lassen wenig Zweifel, dass es sich anders verhalte. Von einigen seltenen Ausnahmen abgesehen drucken sie die Partitur jenes jüngst aufgebauten harmonischen Konsenses. Der Diskurs der Regierung ist der Diskurs der Nation, die Rede der ganzen Nation. Die Argumentation des Generalstabs gilt als Wahrheit, die Berichte der verschiedenen Geheimdienste sind die Wirklichkeit. Der Horizont wird in den Sitzungen des Kabinetts abgesteckt. Die Kaste der Intellektuellen steht bereit, jeden zu zensieren, der nach einer weniger mörderischen Zukunft sucht. Sie ist nicht mit großen Scheren, sondern jener Selbstgewissheit bewaffnet, die zweifelsfreie Evidenzen wie folgt hervorbringt: »Auch wir, lieber Freund, haben an den Frieden geglaubt. Wir müssen dich aufwecken.« Man muss. Man muss aufhören zu träumen. Man darf nicht mehr naiv sein. Man muss den Mut aufbringen, sich loszusagen. Man muss sein Gewissen und seinen Sinn für Moral zum Schweigen bringen. Man muss den Mut aufbringen, darauf zu verzichten, eine »schöne Seele«1) zu sein, wie man hier sagt.
Eine Gesellschaft, die sich in die Einheitsrede flüchtet und zu diskutieren aufhört, in der man nicht einmal mehr zugesteht, dass es auch andere Ansichten geben kann, ist eine Gesellschaft, die aufhört zu denken. Und so kommen wir zur Armee, jener Institution, zu deren Wesen es gehört, das Denken durch den Gehorsam zu ersetzen und wo die Rede auf das »Jawohl, Herr Leutnant« reduziert ist. Einheitsrede, Ende des Denkens, Ende der Moral, blinder Gehorsam. Die große Mehrheit der israelischen Intellektuellen hat zu denken aufgehört und somit die Fähigkeit verloren, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Als ich von ihm verlangte, seine moralische Autorität einzusetzen, damit nicht mehr auf palästinensische Krankenwagen geschossen würde, hat mir vor ein paar Monaten ein großer Schriftsteller der israelischen Linken in einer Diskussion auf France Culture geantwortet: »Hören Sie auf, in Moral zu machen.. Die Lage verlangt nach politischen Positionen, nicht nach Morallehren.« Vielleicht stimmt genau das Gegenteil: Weilsie sich nicht mehr von ethischen Prinzipien leiten lassen wollen, versagen sich unsere Intellektuellen ganz einfach des Denkens. Dumm und böse. Böse, weil dumm, dumm, weil böse.
 
Einheitsrede, Ende der Moral. Israel soll also nichts Anderes mehr sein als eine bewaffnete Bande, ohne Seele oder Gewissen? Wahrscheinlich — wenn man sich bestimmte jüdisch-französische Radios anhört. Wenn man aber genauer hinsieht, wenn man die Ohren spitzt und hinter den Lärm der Pauken und Fanfaren des Konsenses lauscht, kann man einige unterschiedliche, dissonante, abweichende Töne vernehmen. Denn es gibt in Israel Männer und Frauen, die sich weigern, mit den Wölfen zu heulen. Israelis, die weder ihr Gewissen zum Schweigen bringen noch ihre kritischen Fähigkeiten an die Leine nehmen möchten. Israelis, die Widerstand leisten und sich gegen Rassismus und Hass, gegen Resignation und Verzweiflung wehren. Israelische Männer und Frauen, die nicht aufgehört haben, an den Frieden zu glauben und die auch weiterhin für die Koexistenz der Völker kämpfen.
Diese Menschen, die Widerstand leisten — denn da sich ein Bleimantel über die Gesellschaft ergossen hat, setzen sie friedliche, aber entschlossene Formen des Widerstands ein — gebrauchen alle zur Verfügung stehenden Mittel, um ihren Wut und Schmerzensschrei zu Gehör zu bringen, um konkret eine politische Solidarität mit denjenigen auszudrücken, die die Opfer des Krieges sind, der von ihrer eigenen Regierung geführt wird. Die Medien sind ihnen nicht gewogen, selbst wenn es dort noch kritische Räume gibt, auf die in dieser Artikelsammlung ein Schlaglicht fallen soll. Im Ausland jedoch gibt es kaum Gelegenheit, sie zu vernehmen.
Wer sind nun diese Dissidenten und Dissidentinnen? Worin liegt ihre Bedeutung? Auf diese Fragen versuchen wir eine Antwort zu geben, wobei wir die inneren Entwicklungen der israelischen Gesellschaft im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte und insbesondere die wechselnden Wahrnehmungen des israelisch-arabischen Konfliktes und die Aussichten für Frieden und Koexistenz in der Region als Hintergrund heranziehen.
 
Am Anfang stand der Konsens
Von Anbeginn an hat sich die israelische Gesellschaft wie eine totalitäre Gesellschaft organisiert: Die Zivilgesellschaft wurde zuerst von den zionistischen vorstaatlichen Institutionen, sodann vom Staat absorbiert. Es handelte sich um eine Art Wohlfahrtsstaat, wie ihn nur noch die osteuropäischen Gesellschaften gekannt haben; ein Staat, der sich um alle Aspekte des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens der Bevölkerung kümmerte und die Grenzen dessen, was legitim ist und was nicht, festlegte.
Im Zentrum des Staates stand die Partei, jene von Ben Gurion und den Gründungsvätern gegründete Mapai, sowie die Blockparteien, denen sie einen Teil der Macht und somit der Kontrollmechanismen über die Bevölkerung abgab.2)
Außerhalb der Partei und ihrer Blockflöten gab es kein Heil! »Nur nicht Herut und KP!« war eines der Motti von Ben Gurion, wodurch er der kommunistischen Linken und der Rechten um Begin die Legitimität bestritt. Sicherlich hatten sie das Recht, sich am demokratischen und parlamentarischen Spiel zu beteiligen, aber in der Gesellschaft wurden sie für illegitim erklärt und ihre Meinungen wurden als subversiv angesehen. Dasselbe gilt für die nicht-zionistischen religiösen Parteien, die sich zunächst selbst aus der zionistischen Gesellschaft ausgeschlossen hatten. Nur ein Beispiel: Um in einem staatlichen Betrieb oder in den Industriebetrieben des Gewerkschaftsdachverbandes Histadruth (die in den fünfziger und sechziger Jahren bis zu 80 Prozent der Arbeitenden beschäftigten) Arbeit zu finden, musste man das »kleine Arbeitsheft«3) vorzeigen und durfte keine Sympathien für die Kommunisten oder Beziehungen zur Gruppierung von Menachim Begin haben.
Trotzdem (und dies müssen wir betonen) teilte die Rechte alle wesentlichen Werte und politischen Positionen der Arbeitspartei und ihrer Verbündeten; nur in den Bereichen Wirtschaft und Soziales hatten sie Meinungsverschiedenheiten. Allein die Kommunisten lehnten diesen politischen Konsens ab, aber ihre Partei bestand vor allem aus Arabern. In anderen Worten, abgesehen von einem kleinen Teil der religiösen Gemeinschaften und einer randständigen Minderheit einer nicht-zionistischen Linken teilte die jüdische Bevölkerung Israels von 1948 bis Ende der sechziger Jahre die gleiche Ideologie und die gleichen politischen Grundüberzeugungen. Diesen politischen Konsens kann man in einem Credo von zwölf Punkten zusammenfassen:
 
·        das historische Palästina ist die Heimat des jüdischen Volkes;
·        der Zionismus ist die nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes, die es in ihre Heimat zurückführt;
·        nach 2000 Jahren kehrt das jüdische Volk mit dem Ziel in seine Heimat zurück, sie zu kolonisieren (Jishuw) und einen jüdischen Staat zu errichten;
·        die jüdische Einwanderung (Alija) ist die absolute Priorität des Zionismus und des Staates Israel;
·        der Krieg von 1948 war ein nationaler Befreiungskrieg, in dem sich die jüdische Gemeinschaft gegen eine umfassende arabische Aggression verteidigt hat;
• das Ziel der Araber besteht in der Zerstörung des Staates Israel, wohingegen sich der Staat Israel unablässig für den Frieden mit seinen Nachbarn einsetzt;
·        alle Kriege zwischen Israel und den arabischen Staaten waren Israel von Seiten der arabischen Welt aufgezwungen, die Israel vernichten wollte;
 Israel ist ein jüdischer Staat, der Staat aller Juden der Welt und nur das;
·        Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten;
·        Israel ist und sieht sich als der Vorposten des Westens und der freien Welt im arabischen Osten;
·        die nationale Einheit gegenüber dem Feind und gegenüber der Welt im Allgemeinen ist eine Pflicht, und die politische und ideologische Diskussion bleibt dem Gebot der Einheit untergeordnet;
·        die Regierung ist Ausdruck des Staates, der selbst ein Ausdruck des jüdischen Volkes ist — ihm schuldet man unbedingten Gehorsam.
 
Von 1948 bis 1978 hat sich die übergroße Mehrheit der jüdischen Bevölkerung Israels um dieses Credo geschart und die politischen und ideologischen Diskussionen, die im Verlauf der vergangenen drei Jahrzehnte die israelische Gesellschaft durchzogen haben, gingen von einer Übereinstimmung über diese zwölf Punkte aus. Sogar die rechte Opposition blieb im Grunde loyal und schloss jede Subversion des politischen Regimes und der vorherrschenden Ideologie aus, wiewohl sie beide heftig kritisierte. Nur die anti-zionistische äußerste Linke und die nicht-zionistische Linke stellten alle (im Fall der Matzpen-Bewegung) oder einen Teil (im Fall der Kommunistischen Partei) dieser grundlegenden Prinzipien in Frage. Auf die jüdische Bevölkerung in Israel haben sie nur marginalen Einfluss, sie sind aus der Gemeinschaft verbannt und werden polizeilicher und gesellschaftlicher Repression unterzogen. Doch die Ideen, die diese Strömungen vertreten, sind keineswegs ohne Interesse, weit gefehlt.
Wenn die israelische Kommunistische Partei im Krieg von 1948 auch einen nationalen Befreiungskrieg sieht und die Legitimität des jüdischen Staates anerkennt, so widersetzt sie sich doch der Politik der verschiedenen israelischen Regierungen, und zwar sowohl im Innern (institutionalisierte Diskriminierung der nicht-jüdischen Bevölkerung), wie bei den israelisch-arabischen Beziehungen. Daher teilt sie die Ideen des Konsenses nicht und stellt sich außerhalb der Burgfriedenspolitik. Die äußerste Linke ist radikal antizionistisch, sie besteht auf dem kolonialistischen Charakter der zionistischen Unternehmung und predigt den revolutionären Regimewechsel und das Bündnis mit der palästinensischen Nationalbewegung. Nach 1967 konzentriert sich diese Linke auf die systematische Anprangerung der Besatzung und die Siedlungspolitik. Sie wird völlig an den Rand gedrängt, denn die Jahre 1967 bis 1973 markieren den Höhepunkt der Burgfriedenspolitik und des Konsenses; sogar langjährige Oppositionelle wie der Journalist Uri Avnery und die Schriftsteller Amos Keinan und Dan Ben Amotz lassen sich einige Zeit lang von der giftigen Atmosphäre der Burgfriedenspolitik anstecken.
 
Die hohe Zeit der Friedensbewegung
Der Krieg vom Oktober 1973 sollte alles ändern. Er bezeichnet den Beginn vom Ende des Konsenses. Die ägyptisch-syrische Offensive überraschte die Regierung. Die Armee und die öffentliche Meinung insgesamt sonnten sich im Gefühl der Macht des Sieges vom Juni 1967. Doch dann hatte die Armee die schlimmste ihrer militärischen Niederlagen einstecken müssen, auch wenn sie dank einer außergewöhnlichen Hilfe seitens der USA schließlich die Lage wieder in den Griff bekommen konnte. Da die Führung der Arbeitspartei seit fast fünfzig Jahren an der Spitze der Bewegung und dann des zionistischen Staates gestanden hatte, verlor sie einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit, und vermittelt über sie sah auch der Staat seine Unfehlbarkeit in Frage gestellt.
Eine spontane und massive Bewegung verlangte damals den Rücktritt der Regierung, die jedoch die Wahlen gerade noch gewinnen konnte. Aber drei Jahre später war das Ende der Regierung der Arbeitspartei gekommen und die Rechte übernahm die Macht. Die Nomenklatura der Arbeitspartei und ihre breite Klientel waren bereit, in die Opposition zu gehen: Sie sprachen von Faschismus und der Liquidierung des Staates, den sie nach ihrem Bilde geformt hatten. Doch es war die extreme Rechte und nicht die zionistische Linke, die abtrünnig wurde: Denn die von Menachim Begin geführte traditionelle Rechte unterzeichnete 1978 einen Friedensvertrag mit Ägypten, zog sich aus dem Sinai zurück und löste alle dortigen Siedlungen auf. Es war also die Initiative von Anwar Sadat, die am Anfang der israelischen massenhaften Friedensbewegung stand, am Anfang vonPeace Now (Frieden jetzt!). Bis dahin hatten sich einige Tausend Israelis, mehrheitlich Araberinnen oder nicht-zionistische Juden und Jüdinnen, in der Protestbewegung gegen die Besatzung und die Repression in den besetzten Gebieten organisiert. Frieden jetzt! war eine Bewegung aus dem der Arbeitspartei zuneigenden Teil der israelischen Bevölkerung. Diese Bewegung war von Reserveoffizieren gegründet worden, die sich als Patrioten, Zionisten und Juden verstanden. Im Verlauf von Dutzenden von Demonstrationen, die sich über zwei Jahre hinzogen, forderten über 150 000 Menschen von Begin erfolgreich den Verzicht auf den Sinai und einen Friedensschluss mit Ägypten. Zu Beginn der achtziger Jahre war die israelische Gesellschaft zwischen der Rechten und der Linken polarisiert; erstere wurde von immer größeren Straßendemonstrationen, von wilden Initiativen des Siedlungsbaus, von den Siedlern in Gusch Emunim repräsentiert; letztere von Frieden jetzt, der Bewegung, die Schritt für Schritt auch das Problem der Besatzung der Westbank und des Gaza-Streifens auf die Tagesordnung brachte.
Ich möchte eine semantische Anmerkung machen: Häufig spricht man von der israelischen Friedensbewegung als »pazifistischer Bewegung«. Diese Benennung könnte zu Verwirrung führen. Denn in Wirklichkeit sind die AktivistInnen der israelischen Friedensbewegung keine Pazifisten oder Antimilitaristen: Die Unterzeichnerinnen der Gründungserklärung von Frieden jetzt! waren alle Reserveoffiziere (so dass Janet Aviad, die zur Gründungsgruppe gehörte und später Pressesprecherin war, dieses Dokument nicht unterzeichnen konnte), die auf der unbedingten Loyalität gegenüber der Armee beharrten. Noch heute steht Frieden jetzt! in Gegnerschaft zu den Leuten von Yesch Gvul.In Israel bedeutet »Pazifist« nicht, eine ideologische Haltung zum Krieg zu haben, sondern nur, gegen bestimmte Formen des extremistischen Expansionismus zu sein.
Der Libanon-Krieg von 1982 ließ schließlich die israelische Gesellschaft entzweibrechen und gab der israelischen Friedensbewegung ihren Charakter als wirklicher Opposition. Zum ersten Mal wurde ein Krieg vom Ministerpräsidenten selbst als »Krieg der Wahl« bezeichnet, also nicht als eine Antwort auf eine wirkliche oder vermeintliche arabische Aggression, sondern als ein bewusst gewähltes Vorgehen. Es war auch das erste Mal, dass die wirklichen Ziele jenes Krieges vor der Bevölkerung versteckt wurden: Man sprach von 40 km ins Land reichenden Sicherheitszonen zum Schutz von Galiläa. Hingegen zeigte sich schnell, dass das wirkliche Ziel darin lag, Beirut zu erreichen, um dort einen Staat der mit der israelischen Armee verbündeten Phalangisten zu errichten, die PLO zu vernichten und die Palästinenserinnen zu vertreiben. Die israelische öffentliche Meinung entdeckte alsbald, dass man sie getäuscht hatte, und die Ränge der Friedensdemonstrationen schwollen an.
Während des Libanon-Krieges entwickelte die Friedensbewegung einen Modus operandi, der bis zum Oslo-Prozess funktionierte. Die radikaleren Organisationen, die von einer grundsätzlichen Gegnerschaft zum Krieg und zur Besatzung ausgingen, stürzten sich in die Schlacht und begannen, auf einen Teil der Basis von Frieden jetzt!, das ebenfalls zu Mobilisierungen aufrief, Wirkung zu entfalten. Am Vorabend der Invasion in den Libanon, am 4. Juni 1982, gelang es dem Solidaritätskomitee mit der Universität Bir Zeit, 3000 Demonstrantinnen gegen den Krieg nach Tel Aviv zu mobilisieren, wo es sich in ein Komitee gegen den Libanon-Krieg verwandelte. Drei Wochen später, als die israelische Armee bereits vor den Toren Beiruts stand, waren es schon über 15000, darunter viele Reserveoffiziere. Frieden jetzt!, das bis dahin keine Gegnerschaft zu jenem blutigen und kriminellen Abenteuer demonstrieren wollte (»solange unsere Soldaten im Feld sind, müssen wir sie unterstützen«), beschloß, in der folgenden Woche zu einer Protestversammlung aufzurufen. Daraus sollte eine Demonstration von über 100 000 Menschen gegen die »Ausweitung des Krieges« über die ursprünglichen Ziele hinaus und gegen den »Bruchdes Konsenses« (sic) werden.
 Während die radikaleren Organisationen, wie das Komitee gegen den Krieg im Libanon oder die junge Bewegung der kritischen Reservisten Yesch Gvul eine Arbeit der Sensibilisierung und der Konfrontation mit der Kriegs und Besatzungspolitik machten, suchte Frieden jetzt! vor allem Kapital aus der Kriegsgegnerschaft in der einfachen Bevölkerung zu schlagen und hütete sich immer, die Brücken zu denen abzubrechen, die es als Basis eines wünschenswerten nationalen Konsenses ansah. Aus diesem Grund steht es in unversöhnlicher Gegnerschaft zur Bewegung Yesch Gvul, das die Unterstützung derjenigen organisiert, die den Dienst in den besetzten Gebieten verweigern.
Die Grenzen zwischen Frieden jetzt! und den radikaleren Organisationen waren jedoch durchlässig. Dies ermöglichte letzteren, einen realen Einfluss auf die Entscheidungen von Frieden jetzt! und auf die Radikalisierung seiner Forderungen ausüben zu können. Dieser günstige Einfluss wird in der Haltung von Frieden jetzt! zur palästinensischen Frage deutlich.
Zu Anfang hütete sich Frieden jetzt! sehr, zu einem Thema Position zu beziehen, dessen Lösung nicht auf der Tagesordnung der kommenden Jahre zu stehen schien, als aus israelischer Sicht die Besatzung in einer relativen Ruhe ablief, als man noch von der »aufgeklärten Besatzung« sprach. Sicherlich wurden die Siedler immer aktiver und die Rechtsregierung gab ihnen grünes Licht, doch blieben sie in der israelischen Gesellschaft ein Randphänomen, zumindest nach den Einschätzungen der Linken.
Die radikaleren Organisationen, vor allem das Solidaritätskomitee mit der Universität Bir Zeit, organisierten Kampagnen gegen die Siedlungspolitik und die Repression in der Westbank und im Gaza-Streifen, für die Anerkennung der PLO und für den völligen Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten, über die relativ viel berichtet wurde.
Ihre Positionen stützten sich nicht (wie bei Frieden jetzt!) auf einen pragmatischen Nationalismus (gemäß der Melodie: »Die Besatzung korrumpiert unsere Kinder«, oder die Besatzung stellt den »jüdischen und demokratischen Charakter« Israels in Frage), sondern auf die Anerkennung eines Rechtes (dem der Palästinenser auf Unabhängigkeit) und der Rechtswidrigkeit einer Besatzung, die immer mehr einer kolonialen Annexion glich. Eine Solidarität mit den Opfern der Besatzung und ihrem Kampf zeigte sich immer deutlicher, doch Frieden jetzt! sollte sie nie wirklich in sein Programm übernehmen.
Die erste Intifada gab den Bewegungen, die die Besatzung in den Mittelpunkt ihrer Arbeit und ihrer Aktivitäten gestellt hatten, enormen Auftrieb und neue Initiativen tauchten auf. Neben dem alten Solidaritätskomitee mit Bir Zeit, das in Dai La Kibusch (»Schluss mit der Besatzung!«) umbenannt wurde und neben Yesch Gvul, das mit einer zweiten Welle den Dienst verweigernder Reservisten beschäftigt war, tauchten nun die Frauen in Schwarz und sodann weitere Vereinigungen auf, die bestimmte Aspekte der Besatzung und der Unterdrückung der Intifada bekämpften: das Komitee gegen die Folter, die Menschenrechtsorganisation B’tselem, die israelischen und palästinensischen Ärzte für die Menschenrechte, die Rabbiner für die Menschenrechte. Zusammen vermochten sie bisweilen 10 000 Menschen zu mobilisieren.
Der wachsende Einfluss der Mobilisierungen der gegen die Siedlungspolitik kämpfenden Linken verpflichtete Frieden jetzt!, seine Positionen zu radikalisieren und das Ende der Besatzung sowie die Anerkennung der PLO ins Zentrum seiner Forderungen zu stellen. Zwischen 1988 und 1990 traten an die Stelle der Mobilisierungen von einigen tausend Personen, die von den radikalen Bewegungen organisiert wurden, Kundgebungen mit über 50 000 Menschen, in deren Verlauf Frieden jetzt! ein Programm vertrat, das sich dem der radikalen Bewegungen immer mehr annäherte: völliger Rückzug, Auflösung der Siedlungen, Verhandlungen mit der PLO. In diesem Augenblick schien es, die wichtigsten Forderungen der palästinensischen Nationalbewegung würden endlich von einem erheblichen Teil der israelischen Gesellschaft übernommen. Sie 1992 wählte sie eine Linksregierung (Arbeitspartei und Meretz) ins Amt, die sich in groben Zügen auf das Programm der Friedensbewegung berief.
 
Das Paradox von Oslo
Die Unterzeichnung der Prinzipienerklärung von Oslo (DOP) im August 1993 rief, wie man leicht verstehen kann, in der Friedensbewegung bei allen Strömungen eine wahre Begeisterung hervor. Ihr Programm, ihre Hoffnungen schienen absehbare Wirklichkeit zu werden. Aber auch in dieser gemeinsamen Begeisterung waren die von den beiden Bestandteilen der Friedensbewegung gezogenen Schlussfolgerungen keineswegs identisch. Für Frieden jetzt! war der Kampf gegen die Besatzung und für einen israelisch-palästinensischen Frieden an dem Tag zu Ende, als Yitzhak Rabin mit verzogener Mine Jassir Arafats Hand schüttelte. Nun sollte sich die Regierung mit völliger und bedingungsloser Unterstützung der Friedensbewegung der Sache annehmen. Diese konnte sich auf ihren Lorbeeren ausruhen und sich der Ruhe des Kriegers erfreuen, aufdessen Druck hin ein Abkommen geboren wurde, in dem er sich zurecht auf der Gewinnerseite fühlte. Aber nicht nur verpflichtete kein Paragraf der DOP zu einer Bilanz der zahlreichen Verbrechen seit den ersten Tagen der Siedlungspolitik bis zur Zeremonie im Weißen Haus, sondern es gelang Yitzhak Rabin im letzten Moment, Jassir Arafat eine »Verurteilung des Terrorismus« abzuringen, die eine kaum verhüllte Anerkennung der Doktrin durch die Palästinenser darstellte, für den hundert Jahre währenden Konflikt sei der palästinensische Terrorismus und nicht die zionistische Siedlungspolitik und der Raub an der Heimat und dem Boden der Palästinenser verantwortlich zu machen.
Natürlich verstanden die Aktivisten und Aktivistinnen der Linken ihre Rolle angesichts der neuen Lage nicht in dieser Weise. Für die Mehrheit von ihnen waren die Osloer Abkommen ein Versprechen, dessen Einhaltung durch die Regierungskoalition nur durch entschlossene Mobilisierung und Druck gewährleistet werden konnte und keineswegs durch irgendeinen Automatismus oder eine »Unumkehrbarkeit«, wie die Regierungskoalition vorgab.
Die Besatzung ging weiter, und bald schon wurde deutlich, dass sie sich unter bestimmten Gesichtspunkten sogar verschärfte: es kam zu Grenzsperren (einer einschneidenden Einschränkung der Bewegungsfreiheit der PalästinenserInnen) und der Ausdehnung der Siedlungspolitik in Gebieten, die Israel nach den Vereinbarungen von Oslo an die Palästinenserinnen zurückgeben sollte. Wachsamkeit, Mobilisierung und Solidarität waren die drei Schwerpunkte der Aktionen der radikalen Friedensorganisationen, deren Motto nun wie folgt lautete: »Mit der Regierung, wenn sie entschlossen in Richtung Frieden voranschreitet! Gegen die Regierung, wenn sie die Besatzung verwaltet!«
Zwei Jahre nach der Unterzeichnung der DOP waren die Palästinenserinnen über die wahren Intentionen der (linken!) israelischen Regierung zunehmend enttäuscht und beunruhigt. Es gab nun aufgrund von Provokationen durch Siedler neue Attentate. Diese waren eine Zeit lang verwirrt gewesen, wussten aber genau, dass ihr Spiel noch lange nicht verloren war, und dass in dem Vorgang, den die zionistische Linke den »Friedensprozess« nannte, nichts irreversibel war. Jene Linke versank in einem wahren Determinismus, der sie mehr und mehr gegenüber der Wirklichkeit der Besatzung und dem Erstarken der Rechten erblinden ließ. Sie war blind und taub angesichts der unaufhörlichen Appelle palästinensischer Aktivistinnen und politischer Führungspersönlichkeiten, mit denen sie eine Zeit lang zusammengearbeitet hatte, und die nicht mehr verstanden, warum die israelische Friedensbewegung die Kampfarena ausgerechnet in dieser entscheidenenden Phase verließ, ja sogar eine Regierung unterstützte, die immer systematischer die von ihr selbst unterzeichneten Vereinbarungen verletzte.
Die Linke hat, sobald sie an der Regierung war, auf den gemäßigten Flügel derFriedensbewegung immer zerstörerische Auswirkungen gehabt. Das galt insbesondere, als die Linksregierung sich verpflichtete, Frieden zu schließen. Man musste aber schon blind sein, um nicht zu erkennen, dass der Frieden, also die für eine ehrliche und loyale Umsetzung der DOP notwendigen Kompromisse, Gegenstand eines politischen Kampfes in der Gesellschaft, in der herrschenden Klasse, in der Regierung, in der Arbeitspartei und sogar (seine Biographen bestätigen es) im Kopf von Yitzhak Rabin selbst sein würden. Daher war es angezeigt, sein ganzes Gewicht zur Änderung des Kräfteverhältnisses in die Waagschale zu werfen.
Das hat der frühere Abgeordnete und Journalist Uri Avnery verstanden, der mit einigen Dutzend nicht-zionistischen Aktivistinnen sowie von Frieden jetzt! Enttäuschten den Friedensblock gründete, um den Kampf gegen die Besatzung zu einem Zeitpunkt weiterzuführen, als die Linke wieder an die Macht kam und als Frieden jetzt ins Koma verfiel, aus dem es bis heute nicht wieder erwacht ist. Während der Jahre des »Friedensprozesses« hat der Friedensblock, zusammen mit der Frauenorganisation von Bat Schalom und den Frauen in Schwarz einen resoluten Kampf gegen die Besatzung und das Verspielen der in die Abkommen von Oslo investierten Hoffnungen geführt.
Wir möchten hier auch die besondere Rolle der Menschenrechtsorganisationen betonen. Auch wenn es ihnen nicht um direkte Mobilisierungen geht, so haben sie doch in den Jahren des »Friedensprozesses« dazu beigetragen, die Wirklichkeit der Besatzung und die systematischen Menschenrechts und Völkerrechtsverletzungen, die durch die Verhandlungen verschleiert waren, zu entlarven. Das ist besonders wichtig, wenn man weiß, dass die Mehrheit dieser Organisationen eher Frieden jetzt! als den radikaleren Organisationen nahe stehen. Aber die Authentizität ihres Kampfes für die Menschenrechte hat sie dazu geführt, gemeinsam mit den radikalsten Teilen der Friedensbewegung eine immer systematischere Verurteilung der Besatzung vorzunehmen, zu einem Zeitpunkt, als der Begriff Besatzung bereits aus dem Wortschatz der Mehrheit der Menschen der Friedensbewegung zu verschwinden begann.
In der Zeitspanne des »Friedensprozesses« gab es offensichtlich ein großes Paradox: Als die Versöhnung zwischen den beiden Völkern offiziell auf der Tagesordnung stand, entfernten sich Palästinenserinnen und israelische Friedensbewegung voneinander, sowohl in ihrer Wahrnehmung der Realität wie in ihren jeweiligen Vorstellungen von der Zukunft. Das gegenseitige Vertrauen und die teilweise Zusammenarbeit, die sich im Verlauf der achtziger Jahre herausgebildet hatten, machten zunächst einer wachsenden Gleichgültigkeit (auf Seiten der Israelis) und sodann, auf Seiten der Palästinenserinnen, einer Enttäuschung Platz, die sich nach und nach in ein Gefühl von Verrat verwandelte. Den Israelis zufolge sollte der Friede von der politischen Führung in Verhandlungen geregelt werden, in denen der Gewitzteste gewinnt. Für die Palästinenserinnen hingegen ging die Besatzung weiter, ja verschärfte sich noch. Die Vereinbarungen wurden ihres Inhalts entkleidet und in Geist und Buchstaben verletzt. Als die Palästinenserinnen, mehr als je zuvor, der Hilfe der israelischen Friedensbewegung bedurft hätten, damit diese Druck auf die Regierung ausübe, so dass ehrliche Verhandlungen und ein Abkommen durchgesetzt würden, das auf den zu Beginn eingegangenen Verpflichtungen beruht hätte, mussten sie feststellen, dass ihre vormaligen Verbündeten vor allem mit der nationalen Wiederversöhnung und dem Aufbau eines israelischen Konsenses beschäftigt sind, der es ihnen ermöglichen sollte, jeder Konfrontation mit der Rechten auszuweichen.
Als die Widerstandsaktivitäten der Palästinenserinnen, auch die Attentate, 1995 wieder aufgenommen wurden, war die Friedensbewegung völlig überrascht: Warum brechen die Palästinenserinnen den Waffenstillstand, wir haben »ihnen doch den Frieden gegeben«? Alles schien doch immer besser zu werden! Was haben sie gegen die immer konsequenteren Abriegelungen, die seit Beginn des Friedensprozesses entlang der künftigen Grenze des Palästinenserstaates vorgenommen werden? Worüber beklagen sie sich, während die Trennung Gestalt annimmt?
Die Trennung! Darin liegt für die Friedensbewegung, ja vor allem die Friedensbewegung, das Wesen des Friedens, seine wichtigste Qualität, sein Daseinsgrund. Sie bleiben unter sich, im Schlamm des Gazastreifens, wo dreißig Jahre lang das ablief, was die Ökonomin Sara Roy die »EntEntwicklung« genannt hat; und wir bleiben unter uns, in unserem »jüdischen und demokratischen« Staat. Sie sollen sich nicht in unsere Angelegenheiten einmischen und wir mischen uns nicht in die ihren ein, ausgenommen — natürlich — in Sicherheitsfragen, also der Freiheit der Bewegung, der Kontrolle des Raumes und der natürlichen Ressourcen, sowie der Grenzen. Diese müssen übrigens noch definiert werden, doch dies stellt nur eine Detailfrage dar, die sich im Rahmen … des Dialoges mit den Siedlern regeln lässt.
Es sind nur wenige auf der Linken, die sich gegen diese Friedensvorstellungen und die darin liegenden Gefahren einer mörderischen Ausweglosigkeit verwahren. Von den Aktivistinnen waren es die Frauen in Schwarz, die von Bat-Schalom und der Friedensblock; in der intellektuellen und akademischen Welt müssen wir die Hochschullehrerinnen Tanya Reinhart, Baruch Kimmerling, Oren Yiftachel und Ran Ha Cohen, sowie Meron Benvenisti, Azmi Bischara und den Schriftsteller Yitzhak Laor erwähnen; bei den Medien Gideon Levy, B. Michael und vor allem Amira Hass. Aber sie sind isoliert und werden als Nestbeschmutzer angesehen. Die Mehrheit erlebte weiterhin den Frieden als wäre erRealität. Wenn auch die palästinensischen Attentate die Euphorie der Mitglieder der Friedensbewegung gedämpft haben, so sind sie nach wie vor überzeugt,dass der »Friedensprozess« zwangsläufig seinen Gang gehen und die Palästinenserinnen den Staat haben werden, den ihnen die israelische Regierung aufoktroyiert. Das Fiasko des Gipfels von Camp David II wurde von den Mitgliedern der israelischen Friedensbewegung damals als ein Keulenschlag wahrgenommen.
 
Die große Mystifikation
Die öffentliche Meinung hatte sich völlig zurückgezogen und war der Friedensillusion erlegen, als sie im Juli 2000 mit dem Scheitern des Gipfels von Camp David konfrontiert wurde. Heute weiß man, was auf dem Gipfel wirklich passiert ist, wenn man sich nur die Mühe macht, die ihm gewidmeten seriösen Studien zu lesen. Die einzige Frage, die bis heute offen geblieben ist, betrifft die Intentionen des israelischen Ministerpräsidenten: Welche der beiden widersprüchlichen Erklärungen, die er im Verlauf der beiden vergangenen Jahre abgegeben hat, ist die richtige? Hat Ehud Barak wirklich ein Abkommen gewollt und hat er, wie er seit Juli 2000 behauptete, wirklich geglaubt, er könntegegen Arafat ein Abkommen durchdrücken, das weit hinter den tausendfach bekundeten Positionen der nationalen Führung der Palästinenserinnen und den Erwartungen des palästinensischen Volkes zurückblieb? Oder wollte er, wie er seit April 2001 behauptete, die Verantwortung für das Scheitern der Abkommen von Oslo, gegen die er sich immer gewandt hatte, den Palästinenserinnen aufladen, indem er sie in die Falle unannehmbarer Angebote einerseits und einer außerordentlichen internationalen Desinformationskampagne andererseits trieb? Im ersten Fall hätte er eine megalomane Arroganz an den Tag gelegt, im zweiten einen ungeheuerlichen Zynismus. Ich tendiere dazu, zu glauben, dass beide Behauptungen die Schizophrenie eines führenden Politikers zeigen, dessen jüngste Entwicklung ein Bild bieten, das uns frösteln lässt.
In beiden Fällen waren die Palästinenserinnen Opfer einer israelischen Politik, die die notwendigen Kompromisse für einen Frieden nicht eingehen will. Doch in der internationalen und vor allem in der israelischen öffentlichen Meinung waren die Palästinenserinnen die Sündenböcke für das Fiasko von Camp David. Ihre Weigerung, die »großzügigen Angebote« des israelischen Ministerpräsidenten anzunehmen, wurde in der israelischen öffentlichen Meinung nicht nur als fehlende Beweglichkeit, sondern als Ausdruck einer bewussten Entscheidung, den Konflikt weiterzuführen, ausgegeben. »Indem die Palästinense) die großzügigsten Angebote ausgeschlagen haben, haben sie gezeigt, dass sie niemals auf ihr ursprüngliches Ziel verzichtet haben, nämlich die Zerstörung des Staates Israel«, behauptete schon im September ein Pressesprecher der Regierung Barak.
Die Reaktionen junger Palästinenserinnen auf die Provokation von Barak und Scharon auf dem Vorplatz der Moschee in Jerusalem verstärkten in der israelischen öffentlichen Meinung das Gefühl, die Palästinenserinnen hätten sich für die Konfrontation und gegen Verhandlungen entschieden, womit sie einfach Ursache und Wirkung vertauschte. Gleichermaßen sah jene öffentliche Meinung im Vorgehen der palästinensischen Polizisten angesichts des Massakers an jungen Demonstranten durch israelische, mit Zielfernrohren ausgerüstete Soldaten nicht das Ergebnis einer lange vorher gewollten und geplanten blutigen Repressionspolitik, sondern den Beweis für die Gültigkeit der Argumente von Ehud Barak und Schlomo Ben Ami. Die Selbstmordattentate, die einige Zeit später wieder aufgenommen wurden, nachdem bereits einige Hundert palästinensische Zivilisten durch israelische Besatzungssoldaten getötete worden waren, verstärkten natürlich den Eindruck, die Palästinenserinnen wollten das jüdische Leben in Palästina vernichten.
Nachdem die israelische öffentliche Meinung durch eine ebenso wirkungsvolle wie ungeheuerliche Lüge in die Irre geführt worden war, ging sie zu den alten Reflexen des ewigen Opfers über, das allein gegen alle um sein Überleben kämpft. Die Leichtigkeit, mit der die Israelis den Lügendiskurs von Barak und Ben Ami angenommen haben, sollte Gegenstand einer eigenen Untersuchung werden. Bei der großen Mehrheit der Israelis wurde der gesunde Menschenverstand von atavistischen Ängsten und den durch ein halbes Jahrhundert Konflikt, ja zweitausend Jahre jüdischer Geschichte in der Diaspora, eingeübten Reflexen ausgelöscht. Die Friedensbewegung sollte jener Bereich der Gesellschaft sein, der am meisten betroffen wurde. Seit Sommer 2000 begaben sich Linksintellektuelle und liberale Journalistlnnen an die Schießscharten und verschossen eifrig Pfeile. Laut den Schriftstellern Amos Oz und Abraham B. Yehoscha sei es das Beharren der Palästinenser, das Rückkehrrecht der Flüchtlinge verhandeln zu wollen, das ihre Unredlichkeit und ihren Willen beweise, Israel zerstören zu wollen. Für den Journalisten An Schavit haben sich nicht die Palästinenser geändert, sondern die Israelis seien endlich aus ihrer Illusion der Normalität erwacht: Wir haben vergessen, dass wir die Kinder eines Volkes sind, das immer von den Nationen abgelehnt wurde und abgelehnt werden wird, und das daher fortwährend um sein Lebensrecht und sein Überleben kämpfen muss. Der »neue Historiker« Benni Morris fand in der »orientalischen Mentalität« die Quellen für die Weigerung der Palästinenserinnen, zu einem Kompromiss mit Israel zu kommen. Binnen zwei Monaten fiel die Friedensbewegung nicht nur als politische Kraft, die Hunderttausende von Menschen mobilisieren konnte, sondern auch als Ideenströmung auseinander. Die große Mehrheit ihrer SprecherInnen schloss sich dem neuen Konsens des Kampfes ums Überleben an und wurde zu dem am lautesten plärrenden Solisten der militärisch-nationalistischen Fanfaren, die seit über zwei Jahren in der öffentlichen Meinung, in den Medien und an den Universitäten den Ton angeben. Sie sind um so lauter, als sie die Ehrlichkeit ihrer Reùe beweisen müssen: Zwischen August und November 2000 wurde der öffentliche Diskurs von einem pathetischen und allgemeinen mea culpa beherrscht. Wochenlang konnte man in den Medien von der »orientierungslosen Linken« lesen.
Diese Linke, die man in Deutschland als »Toskana-Linke« bezeichnen würde, ist jedoch nicht lange orientierungslos geblieben: Als die Kämpfe, und vor allem als einige Monate später die Selbstmordattentate wieder losgingen, hat sie sich unumwunden der verallgemeinerten Repressionspolitik von Ariel Scharon angeschlossen. Sie tat dies um so williger, als die Arbeitspartei und Schimon Peres, der Pate der Vereinbarungen von Oslo und Friedensnobelpreisträger, in die Regierung eintraten.
 
Widerstand
Doch bereits im Juli 2000 gab es Israelis, die nicht bereit waren, in Ehud Baraks Falle zu gehen und die Aussicht auf einen Frieden mit den Palästinenserinnen zu Grabe zu tragen: »Wir sind keineswegs orientierungslos«, ließen sie laut und deutlich vernehmen und fügten hinzu, das Fiasko von Camp David sei sowohl in Ehud Baraks Plan impliziert gewesen, als auch in der Art, wie die israelischen Regierungen vom ersten Tag an die Osloverträge in ihrer Substanz entstellt hätten. Nach der Wiederaufnahme des Widerstands gegen die israelische Besatzung Ende September 2000 unternahmen es die radikalen Organisationen der israelische Friedensbewegung, allen voran der Friedensblock (Gusch Schalom), die Frauen in Schwarz und Yesch Gvul (Es gibt eine Grenze), ebenso wie die arabische Bevölkerung Israels, die grausame Repression in den besetzten Gebieten und die Besatzung überhaupt als das anzuprangern, was sie bereits seit den ersten dramatischen Tagen ist: die primäre Ursache für die gegenwärtige Situation.
Auch in den Medien sind die kritischen Stimmen nicht selten, sogar die von Mitgliedern des Establishments wie der ehemaligen Erziehungsministerin Schulamit Aloni. Sie alle werfen Barak und dann auch Scharon vor, Israel in einen totalen Krieg gegen die gesamte arabisch-muslimische Welt zu treiben. Der Journalist Akiva Eldar, erster politischer Kommentator der Tageszeitung Ha’aretz, griff bereits im Herbst 2000 die Mystifikation an, die Barak um Camp David II betrieben hat. Gideon Levy und Amira Hass, beide ebenfalls von Haaretz, bemühen sich, die öffentliche Meinung darauf aufmerksam zu machen, von welch mörderischer Brutalität die Repressionen in den besetzten Gebietenist.
Im Verlauf der vergangenen zwei Jahre hat die »Regierung der nationalen Einheit« eine Politik betrieben und dadurch einen neuen Konsens untermauert, der aus den Palästinenserinnen ein Volk von Terroristen macht, gegen die jedes Mittel recht ist. Gegen diese Politik wendet sich ein sowohl intellektueller als auch aktivistischer Widerstand. Selbst wenn dieser Widerstand quantitativ gemessen schwächer ist als der Widerstand, der sich in den achtziger Jahren regte, so ist er doch auch sehr viel radikaler. Man kann sich nur dann der Sicherheitsargumentation entgegenstellen, die die in den besetzten Gebieten begangenen Kriegsverbrechen mit dem erforderlichen Schutz der Existenz Israels angesichts einer Bedrohung durch den »palästinensischen Terrorismus« rechtfertigt, wenn man Baraks Mystifikation vom Jahr 2000 in Frage stellt und auch ganz allgemein die Politik der verschiedenen israelischen Regierungen in den besetzten Gebieten während der sieben Jahre des »Friedensprozesses«. Wenn man die Augen nicht ganz verschließt vor den Schrecken der Besatzung und die Ohren nicht vollkommen taub sind für die Appelle des Gewissens, kommt man nicht umhin, zu sehr ernsten Schlussfolgerungen bezüglich der Zukunft des jüdischen Staates und der israelischen Gesellschaft zu gelangen. Zweifellos liegt hier der Hauptgrund für die Weigerung eines wichtigen Teils der linkszionistischen Intellektuellen, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, und für ihr bisweilen jämmerliches Bestreben, jede Verantwortung von sich zu weisen.
Wenn man die Armee beispielhaft heranzieht, ist festzustellen, dass die Reservisten, die »erst schießen, dann weinen« immer seltener werden, während diejenigen, die sich weigern, in den besetzten Gebieten zu dienen und auf diese Weise mit der traditionellen Haltung der zionistischen Linken brechen, sehr viel zahlreicher sind als während der ersten Intifada. Sie sind zahlreicher, doch weniger wirksam; denn im Laufe der letzten zwanzig Monate hat sich eine scharfe Polarisierung zwischen der Unterstützung der Repressionspolitik und der Opposition dagegen herausgebildet. Die klassische vermittelnde Position der zionistischen Linken hingegen ist geschmolzen wie Schnee in der Sonne.
In diesem Zusammenhang muss man auch die ausgesprochen heftige Reaktion der öffentlichen Mehrheitsmeinung gegen jegliche Nicht-Übereinstimmung sehen, besonders wenn solche dissidenten Stimmen aus dem Herzen des zionistischen Establishment kommen. So musste Jossi Beilin, ehemaliger Minister der Arbeitspartei und Architekt von Oslo, erleben, dass er an der Universität Beer Scheva nicht sprechen durfte; und die Sängerin Yaffa Yarkoni, die »israelische Edith Piaf«, die auch als die »Sängerin aller Kriege« bezeichnet wird, belegte man mit einem Sendeverbot, weil sie es gewagt hatte, die Unterdrückung in den besetzten Gebieten zu kritisieren. Diese Reaktionen unterstreichen nur, wie viel Mut diejenigen zeigen, die in der israelischen Gesellschaft keine Angst davor haben, gegen den Strom zu schwimmen.
 
Dilemmata
Von der israelischen Linken zu sprechen, heute, da sie extrem minoritär ist, könnte ein Problem aufwerfen. Riskiert man nicht, indem man die Existenz und das Handeln dieser kleinen Minorität in den Vordergrund stellt, gerade denen in die Hände zu arbeiten, die der Welt gegenüber immer noch davor zurückschrecken, Israel auf die Anklagebank zu setzen? Erleben wir nicht oft bei Zusammenkünften in Europa oder Nordamerika, dass uns Menschen sagen: »Wie könnt ihr nur den Staat Israel angreifen und ihn als kolonialistisch bezeichnen bis hin zur Beschuldigen des Soziozids an der palästinensischen Gesellschaft? Warum gebt ihr euch nicht damit zufrieden, die israelische Rechte oder die Regierung Scharon anzugreifen (die, nebenbei bemerkt, auch schon die von Schimon Peres und der Arbeitspartei gewesen ist)? Es gibt doch schließlich Leute, die sich dieser Politik entgegenstellen.«
Sicher, aber wie viele sind es gegenüber der breiten Masse des Konsenses? Dass Lot und seine Familie existierten, konnte nicht verhindern, dass Gott Sodom und Gomorra als sündhafte Städte erachtete, die ihr Recht zu existieren verwirkt hatten. Hätte es nur zehn Gerechte gegeben, wären die Städte verschont geblieben.
Während des Libanonkrieges oder der ersten Intifada war es legitim und sogar notwendig, von zweierlei Israels zu sprechen: das eine, kriegerisch, erobernd, kolonial und besetzend; das andere, das sein ganzes Gewicht in die Waagschale warf, um eine Kursänderung herbeizuführen, um den Rückzug aus dem Libanon und die Entkolonialisierung des Westjordanlandes und des Gazastreifens zu erzwingen. Das »andere Israel« zählte damals Hunderttausende von Demonstrantinnen. Heute jedoch ist der Staat Israel mehr als je zuvor seit 1948 brutal, indifferent gegenüber dem Recht und ohne Mitgefühl. Heute, da der Mord an Zivilisten, die massive Zerstörung der Infrastruktur, der Vandalismus und die Demütigung staatliche Politik sind, kollaborieren die israelische Bevölkerung, ihre (linken) Intellektuellen und die Mehrheit der Ex-Pazifisten, oder hüllen sich bestenfalls in ein komplizenhaftes Schweigen. Wer die kleine Minorität widerständiger Geister in diesem Zusammenhang überbewertet, läuft Gefahr, die israelische Gesellschaft zu entlasten und aus der Verantwortung zu entlassen. Jene, die Widerstand leisten, weigern sich, eine solche Rolle zu spielen und betrachten ihr Verhalten keineswegs als einen Beleg dafür, »dass es ein anderes Israel gibt«. Wie die Propheten Jeremias und Amos wollen sie lediglich dazu beitragen, dass ein solches anderes Israel entsteht, durch ihren Protest, ihre Kritik, ihre Warnungen, manchmal auch ihre Verwünschungen. Aber sie betrachten sich nicht als Verkörperung von Israel, allenfalls als Israelis im Kampf für ein anderes Israel.
Wenn wir uns trotzdem entschieden haben, jene, die in Israel dem mainstream Paroli bieten, trotz ihrer relativen Marginalität zu Wort kommen zu lassen, so geschieht das, weil im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt eine tödliche Gefahr besteht: die der »Bosnisierung«, anders gesagt, die des Übergangs eines politischen Konflikts in einen ethnischen.
Indem Ehud Barak beim Gipfeltreffen von Camp David gewagt hat, eine israelische Souveränität über den Vorplatz der Moscheen anzuregen, ein Wahnsinn, zu dem sich vor ihm kein führender israelischer Politiker, nicht einmal Benjamin Netanjahu, hat hinreißen lassen, hat er wissentlich oder, schlimmer noch, aus purer Dummheit die Glut, die seit über einem Jahrzehnt unter dem Kessel des israelisch-palästinensischen Konflikts glimmt, entfacht. Sowohl die palästinensischen islamistischen Bewegungen, als auch die messianischen Siedler vom »Glaubensblock«, die politischen Strömungen also, die nach einer Transformation des israelisch-palästinensischen Konflikts in einen heiligen Krieg streben, waren bis dahin in der Minderheit geblieben und außerstande gewesen, die Auseinandersetzung um Territorium und politische Forderungen in eine interkonfessionelle Konfrontation zu überführen.
Es ist vor allem der Wachsamkeit von Jassir Arafat und seiner Angst vor Glaubenskämpfen, die aus seiner Libanonerfahrung herrühren, zu verdanken, dass während dreier Jahrzehnte die Konfessionalisierung der nationalen Ambitionen eingedämmt wurde. Die Provokation seitens des israelischen Ministerpräsidenten, die Machtübernahme durch die kolonialmessianische Rechte und die heilige Allianz, die sich hinter der Politik eines totalen Krieges gegen die palästinensische Bevölkerung zusammenrottete, sind allesamt Faktoren, die eine Ethnisierung des Diskurses und des Verhaltens der Palästinenserinnen provozieren. Würde der Konflikt zu einem Krieg aller Israelis gegen alle Pälästinenser, so würde dies auch bedeuten, dass es ein Krieg aller Palästinenser gegen alle Israelis bzw. aller Muslime gegen alle Juden würde. Ein ethnisch begründeter Krieg um ein Territorium ist ein totaler Krieg, in dem es keinen Raum mehr für einen Kompromiss gibt: »Entweder ihr oder wir« heißt es dann; oder aber, in seiner neuerlichen israelischen Version: »Wir hier, sie da unten – Transfer jetzt!«, wobei der Ausdruck »Transfer« nichts anderes ist als ein hebräischer Euphemismus für ethnische Säuberung. Angesichts dieser realen und unmittelbaren Gefahr eines Krieges, bei dem es grundsätzlich nicht mehr nur um die Kontrolle über Territorien oder die Erlangung von Souveränität geht, sondern um die Auslöschung des Anderen, ist es unerlässlich, Informationsbausteine zu liefern, die geeignet sind, die Argumentation gegen eine »Bosnisierung« des Konflikts zu untermauern und es jenen, die sich einer solchen Entwicklung verweigern, ermöglichen, weiterhin Differenzierungen im Konzept vom »Anderen« zu suchen oder hervorzurufen.
Unsere palästinensischen Freunde und Freundinnen waren die ersten, die uns um entsprechende Informationen baten, die ihrer eigenen Öffentlichkeit zeigen sollten, dass Israeli und kolonialistischer Besatzer nicht immer und notwendigerweise Synonyme sind, und dass es wie in der Vergangenheit trotz des Abgleitens der israelischen Gesellschaft nach rechts politische und geistige Kräfte gibt, die es nicht aufgeben, ihre Gesellschaft im Sinne der Anerkennung von Rechten und einer Politik zu beeinflussen, die von der Bereitschaft zu unvermeidlichen Kompromissen und zu einem stabilen, d.h. gerechten Frieden getragen ist.
 
Auch in Europa
Ein wichtiger Teil der Aktivitäten des Alternativen Informationszentrums (AIC) hat zum Ziel, den fortschrittlichen und demokratischen arabischen Kräften derartige Informationen in arabischer Sprache zur Verfügung zu stellen und auf diese Weise ihren Kampf gegen die realen Risiken einer Ethnisierung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu unterstützen. Die Veröffentlichung dieses Buches auf Französisch und in erweiterter Fassung auch auf Deutsch geschieht in einer ähnlichen Absicht.
In verschiedenen Ländern Europas und besonders in Frankreich besteht die Tendenz, dass die Wahrnehmung des israelisch-palästinensischen Konflikts unter ethnischen bzw. Glaubenskategorien an Boden gewinnt. Vieles weist darauf hin, dass diese Tendenz bereits Fuß gefasst hat: Angriffe auf religiöse Stätten der Muslime wie der Juden, rassistische Graffitis und Äußerungen, systematische Vorstöße der jüdischen Organisationen, Israel gegenüber kritische Stimmen einer Zensur zu unterwerfen, das Auftauchen (wenn zum Glück auch nur sehr selten) von antijüdischen Parolen auf propalästinensischen Demonstrationen. All das deutet darauf hin, dass sich in Europa die Zeichen einer Konfessionalisierung der Solidarität mit den verschiedenen Protagonisten des Konflikts mehren. Während manche von denen, die eine Kommunitarisierung der europäischen Akteure betreiben, dies auf Grund einer nationalistischen oder religiösen Ideologie tun, gibt es auch zahlreiche, die sich ökonomische Vorteile davon versprechen und darin ein bequemes Mittel entdecken, um aus der Anonymität herauszutreten oder ihren Abstieg aus den Tempeln der Medien abzuwenden. Das geheime Einverständnis zwischen den (muslimischen oder jüdischen) Ayatollahs Europas und einer gewissen Schicht von Intellektuellen, die nach öffentlicher Aufmerksamkeit lechzen, hat heute eine reale Auswirkung auf den Rückzug der Europäer jüdischer und muslimischer Herkunft in ihre jeweiligen Communities, und dieses Einverständnis trägt in dramatischer Weise dazu bei, den antijüdischen Rassismus ebenso zu nähren wie den antiarabischen.
Die Verantwortung für diese inakzeptablen rassistischen Schmähungen trifft in erster Linie jene, die sie begehen oder die sie anregen. Aber eine beträchtliche Verantwortung liegt in gleichem Maße bei den führenden Köpfen der Gemeinden und bei denen, die sich selber zu deren Sprechern erheben, sei es auf jüdischer oder auf muslimischer Seite. Sie sorgen bewusst oder unbewusst dafür, dass die Zugehörigkeit zu einer Community und die Unterstützung einer politischen Sache miteinander assoziiert werden. Ein solches kriminelles Verhalten provoziert bei der Gegenseite einen entsprechenden Reflex. Es überführt die Debatte, d.h. die politische Auseinandersetzung in einen Kampf zwischen den (ethnischen/religiösen) Gemeinschaften und gegen den Anderen als solchen.
Wenn die führenden Persönlichkeiten der jüdischen Organisationen und die Adepten der »neuen Judeophobie« schreien »Alle Juden mit Israel!«, wenn sie sich selbst als »bedingungslose Anhänger Israels« proklamieren und so die Brandmarkung von antisemitischen Akten und Äußerungen mit der Unterstützung von Scharon verquicken, tragen sie durch ihre verwerfliche Gedankenlosigkeit zur Verstärkung von antijüdischen Taten und Regungen in Europa bei.
Aus einer diametral entgegengesetzten Sicht, mit der Absicht, jener Propaganda, die ebenso inkonsistent wie schädlich ist, entgegen zu wirken, müssen wir israelische Juden zu Wort kommen lassen, die in der Theorie und ihrem Verhalten die koloniale Politik ihrer Regierung zurückweisen, weil sie durch die Sorge um Recht und Gerechtigkeit motiviert sind und weil sie sich einem, wie sie befürchten, selbstmörderischen Kurs entgegenstellen wollen, der für die Existenz einer hebräischen Community im Herzen des arabischen Nahen Ostens eine tödliche Bedrohung darstellt.
Das gemeinsame Agieren des Marokkanischen Arbeitervereins Frankreichs (ATMF) und der Jüdisch-französischen Union für den Frieden (UJFP) in der Mitte der französischen Communities arabisch-muslimischer bzw. jüdischer Herkunft stellt in diesem Sinne ein Gegenbeispiel zum üblen Wirken der zündelnden Feuerwehr dar, die unter dem Vorwand, den Antisemitismus oder die »neue Judeophobie« zu bekämpfen, den Hass anfacht. Indem die ATMF und die UJFP die Aktionen und Positionen der demokratischen Kräfte in Palästinaund der dissidenten Stimmen aus Israel unterstützen, versuchen sie, die Auseinandersetzungen zu entkonfessionalisieren und statt dessen deutlich zu machen, dass es in Wahrheit um einen gemeinsamen politischen Kampf für die Rechte aller geht.
Die dissidenten israelischen Stimmen hörbar und bekannt zu machen, ist unbedingt notwendig, um sie von den Israelis (oder Juden) zu unterscheiden, diefür eine koloniale Politik und für Kriegsverbrechen verantwortlich sind. Notwendig ist es auch, um all jene in Europa wieder zu ermutigen, die durch den erpresserischen Antisemitismusvorwurf oder die Unterstellung, pauschal gegen Israel zu sein, in Gewissensnöte geraten und in ihrem klaren Urteil beeinträchtigt werden, um dann ihre Einwände oder ihr Unbehagen hinter einem schamvollen Schweigen zu verbergen. Indem sie jedoch schweigen, schaden sie nicht nur den Werten von Recht und Gerechtigkeit, auf die sie sich berufen, sondern sie fallen auch den Israelis in den Rücken, die für eben diese Werte einstehen und vor Ort unter häufig schwierigen Bedingungen für sie kämpfen. Auch wenn es nicht Thema dieses Buches ist, sind die palästinensischen (und arabischen) Stimmen ebenso bedeutsam und sollten ebenfalls Gehör finden, jene Stimmen, die sich nicht nur gegen den mainstream erheben, sondern durch die Realität scheinbar Lügen gestraft werden, wenn sie eine Dämonisierung der Israelis ablehnen und gewissen antisemitischen oder den Völkermord an den Juden relativierenden Strömungen unter arabischen Intellektuellen entgegentreten. Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang zum Beispiel an die Distanzierung, die von zahllosen arabischen Intellektuellen unterschrieben wurde (darunter Edward Said, Mahmud Darwisch und Elias Sanbar) als in Beirut ein Kolloquium von Holocaust-Leugnern stattfinden sollte, das dann in Folge der Proteste abgesetzt wurde. Hätten die bekannten israelischen (oder jüdischen) Intellektuellen den selben Mut und die selbe moralische Haltung aufgebracht wie Darwisch und Said, hätten wir es vielleicht verhindern können, dass zunehmend offen rassistische Parolen in den israelischen politischen Diskurs eingedrungen sind.
 
Schwierige Wahl
Obwohl eindeutig in der Minderheit, sind die dissidenten israelischen Stimmen zahlreich und vielfältig. Das macht ihren Reichtum aus. Deshalb musste für dieses Werk eine Auswahl entlang verschiedener Kriterien getroffen werden. Zunächst war abzugrenzen, was wir unter »Dissenz« verstehen wollten. Dabei schlossen wir diejenigen aus, deren Position sich ihrerseits nicht eindeutig vom bestehenden Konsens in Israel unterscheidet, darunter auch die linken Intellektuellen, die sich zwar in den dominanten Diskurs einreihen, dies aber mit exzessiven Mitleidsbekundungen gegenüber den Opfern verbinden. Wir haben auch Stimmen nicht berücksichtigt, aus denen eine gewisse Nostalgie in Bezug auf den »Friedensprozess« mitschwingt, den die Palästinenser angeblich wieder einmal haben scheitern lassen; oder Äußerungen eines Hoffnungsschimmers, dass sich die Israelis menschlicher benehmen könnten, wenn ihnen die Araber nur die Möglichkeit dazu gäben.
Dann ging es uns darum, ein möglichst breites Spektrum von Meinungen und Stimmungen zu Wort kommen zu lassen, das in den Medien, aber auch in den halböffentlichen Diskursen von Diskussionsgruppen und auf Websites präsent ist. Es war uns wichtig, im Rahmen dieser Polyphonie auch die dissidenten Stimmen aus der Mitte des Konsens zur Geltung zu bringen, so z.B. die des ehemaligen Rechtsberaters und Generalstaatsanwalts Michael Ben Yair oder dievon Avraham Burg, einem führenden Kopf der Arbeitspartei.
Es ist interessant darauf hinzuweisen, dass unter denen, die in Israel »gegen den Strom schwimmen«, die Journalistlnnen der großen Tageszeitungen häufig die radikalsten Kritiker sind. Das hat uns mit einem weiteren Problem konfrontiert: Kann man in einer nichtisraelischen Öffentlichkeit Aussagen und Reaktionen publizieren, die nicht davor zurückschrecken, sich in ihren Analysen und Argumenten vergleichend auf den Genozid an den europäischen Juden zu beziehen? Am Ende haben wir uns entschlossen, diese Texte aufzunehmen — insbesondere die des Herausgebers der größten israelischen Tageszeitung, B. Michael, und zwar im wesentlichen aus zwei Gründen. Es war uns wichtig, die kritischen israelischen Stimmen, so wie sie sich äußern, hörbar zu machen, ohne Vorzensur, besonders wenn sie in den großen israelischen Medien veröffentlicht wurden. Die Stimme B. Michaels und anderer, die, manchmal von Scham und Wut verzerrt, mitten in unserer Gesellschaft ertönt, muss in diesem Chor der Gegenstimmen zu Gehör gebracht werden. Es sind Stimmen, die uns daran erinnern, dass es unsere Eltern und Großeltern waren, die man vor gar nicht langer Zeit mit vorgehaltenem Gewehr nötigte, nackt durch die Straßen zu laufen, die man mit Nummern auf den Armen markierte, die man lebend unter ihren Häusern begrub — und dass es jetzt wir sind, die ähnliche Verbrechen begehen.
Der zweite Grund, weshalb wir gerade diese Stimmen nicht auslassen, liegt darin, dass den Zensoren, die in Europa ‚wüten, eines deutlich gemacht werden muss: Wenn sie Prozesse anstrengen wie den (selbstverständlich gescheiterten),gegen Daniel Mermet 4), wenn sie Jose Bove 5) als Antisemiten bezeichnen oder Theo Klein als Verräter an seinem Volk, sollen sie wissen, dass die israelische Gesellschaft, was paradox erscheinen mag, bisher jedenfalls weit offener gegenüber kritischen Stimmen ist, als das Modell von Liberalität, das jene Zensorer zu vertreten vorgeben und das tatsächlich nichts anderes ist als eine Orwell’sche Welt, in der ein Einheitsdenken herrscht. B. Michael, Baruch Kimmerling. Tanya Reinhart, Jamal Zahalka und viele andere können, in Israel jedenfalls, ihre Analysen veröffentlichen und ihre Wut und ihren Schmerz herausschreien ohne deshalb des Antisemitismus oder des (jüdischen) Selbsthasses bezichtige zu werden. Dabei drücken sie sich viel kompromissloser aus als es Daniel Mermet, Charles Enderlin, Rony Brauman, Pierre Vidal Naquet oder Daniel Bensaid 6) tun.
 
Die Akteure des Widerstands
Wenn dieses Buch einerseits zahlreiche Texte von Zeugen und Kommentatoren enthält, so sollen doch auch die Stimmen des aktiven Widerstands darin zu. Wort kommen. In einem Werk, das sich den alternativen Stimmen widmet, kann man sich nicht auf theoretische Positionierungen und Analysen beschränken, ohne auch die zu Wort kommen zu lassen, die handeln und deren Beispiel eine Bresche für eine mögliche zukünftige Koexistenz und Versöhnung öffnet Seit dem Jahr 2000 kristallisiert sich der Widerstand in Israel entlang zweier sich ergänzender Achsen heraus: Die eine besteht in der Vielzahl der Initiativen de Protests, der Anklage und der Weigerung, an der Repressionspolitik in den besetzten Gebieten teilzunehmen; die andere Achse ist die der Aufrechterhaltung einer aktiven Kooperation mit den Palästinenserinnen. Es dürfte nicht verwundern, dass es oft die selben Personen sind, die in beiden Bereichen aktiv sind.
Zwar können wir nicht alle Initiativen, Bewegungen und Gruppen auflisten die gegen die koloniale Politik Israels kämpfen; dennoch ist es angebracht, einige Angaben zu machen, die dazu beitragen können, die israelische antikoloniale Bewegung zu verstehen.
 
Zunächst einmal lässt sich etwas über die darin vertretenen Generationen sagen. Wie in den meisten anderen Ländern und insbesondere in Europa, so hat auch die Linke in Israel zwei Jahrzehnte einer politischen Leere durchlaufen. Zwischen dem Libanonkrieg (1982) und der zweiten Intifada rund zwanzig Jahre später hat sich eine ganze Generation vom politischen Aktivismus abgewandt und sich mit ihrer individuellen Normalisierung beschäftigt. Während der ersten Intifada und der »Oslo-Jahre« haben die Aktivistinnen, die 1982 bereits zwanzig oder älter waren, die Flamme des Widerstands und des Kampfes hinüber gerettet. Der aktive Kern von Gusch Schalom, dem Friedensblock, der wichtigsten Organisation im Kampf gegen die Besatzung während des letzten Jahrzehnts, ist durchschnittlich fünfzig Jahre alt.
Mit der zweiten Intifada ist der Politik eine neue Generation zugewachsen: Ihre Akteure waren um die Jahrtausendwende höchstens 20 Jahre alt, und man findet sie bei den Aktionen der Frauenbewegungen an der Seite von Aktivistinnen, die ihre Mütter sein könnten; oder in der jüdisch-arabischen Bewegung Taajusch; oder aber bei der Verweigerer-Bewegung »Mut zur Verweigerung«. Sie sind von den Älteren des Friedensblocks inspiriert, doch sie ziehen es vor, sich in einer neuen Struktur zu organisieren, die eher ihrer Motivation und ihren spezifischen Bedürfnissen entspricht. Diese Generation von Aktivistinnen ist häufig politisch völlig unbeleckt, hat bisher noch keine Erfahrungen gemacht oder eine politische Kultur kennengelernt, doch zweifellos ist sie radikaler als ihre Vorgängerinnen, jedenfalls während sie ihre ersten Schritte tut. Dabei handelt es sich auch hier um ein Phänomen, das nicht nur für Israel typisch ist.
Was weiter die aktuelle antikoloniale Bewegung kennzeichnet, ist ihre Ablehnung von Realpolitik. Man sagt Nein zum Unannehmbaren — das ist der Punkt und Schluss. Die Versuchung, seine Opposition zu modifizieren, um der öffentlichen Meinung entgegenzukommen oder um die Gemäßigten von Frieden Jetzt! zu überzeugen, besteht nicht, vermutlich weil zwischen dem herrschenden Konsens und denen, die sich ihm widersetzen, sich nichts als ein Abgrund auftut. Das ist auch an den Texten und Appellen dieser Organisationen abzulesen: Man findet darin, anders als in den entsprechenden Verlautbarungen aus den neunziger Jahren, relativ wenige Friedensappelle und statt dessen kompromisslose und harte Kritik an der Besatzung.
Drittens betrachtet die aktuelle Widerstandsbewegung in ihrer Mehrheit ihr Vorgehen unbedingt als Teil einer umfassend verstandenen Solidarität und Zusammenarbeit mit dem palästinensischen Volk: Während die meisten ihrer Vorstöße innerhalb Israels natürlicherweise in erster Linie auf die israelische öffentliche Meinung abzielen, ist doch das Bestreben, Verbindungen zu den palästinensischen Organisationen herzustellen, allgegenwärtig, sei es, um gemeinsame Aktionen zu koordinieren oder sei es, um gemeinsame Appelle an beide Öffentlichkeiten zu richten. In jedem Fall geht es darum zu zeigen, dass es eine Alternative gibt und eine Partnerschaft für eine Politik des Friedens und der Koexistenz möglich ist.
Zu einer Zeit, da die israelische Politik sich ihren emblematischen Ausdruck im Bau einer Mauer gibt, die dazu dient, die Palästinenserinnen in veritablen Bantustans einzuschließen, und zugleich nicht etwa Israel von Palästina, sondern die Israelis von den Palästinensern hermetisch abzutrennen, bedeutet der Wille zur Zusammenarbeit heute viel mehr als zu Zeiten der ersten Intifada. Er beinhaltet zum einen, dass man sich weigert, die Einschließung der Palästinenserinnen in Wohngebieten hinzunehmen. Des weiteren bedeutet er, sich weiterhin für die Koexistenz einzusetzen, das heißt eine Koexistenz und Partnerschaft, die auf Gleichheit und gegenseitigem Respekt begründet sind. Das ist die genaue Bedeutung des arabischen Wortes taajusch (Zusammenleben), das von den jungen Aktivistinnen dieser neuen Bewegung mit Bedacht gewählt wurde. Es beinhaltet auch und vielleicht vor allem die Weigerung, sich in ein neues Ghetto einschließen zu lassen, das militärisch mächtig, doch demütigend ist, ein Ghetto, das seiner arabischen Umwelt den Rücken zukehrt und nur einen permanenten Krieg als Perspektive und eine rapide Degeneration in einen messianischen Extremismus ahnen lässt, der die ganze israelische Gesellschaft in den Untergang reißen wird.
Die legitime Furcht davor, sich einer solchen, letztlich in den Tod treibenden Logik auszuliefern, beseelt einige Tausend israelische Juden und Jüdinnen, die sich weigern, mit den Wölfen in Uniform und den Rabbinern zu heulen, die den heiligen Krieg predigen.
Gibt es also Gerechte in Sodom und Gomorra? Gewiss, es gibt sie. Doch sind sie zahlreich genug, um ihre Stadt zu retten? Oder wird es ihnen wie Lot und seiner Familie ergehen, und sie zuschauen werden, wie ihre Stadt (wegen ihrer Unmoral und Brutalität) in Schutt und Asche versinkt? Oder aber werden sie dazu verdammt sein, dieses Schicksal zu teilen, weil sie sich weigern, das eigene Leben zu retten, und bis zum Schluss auf dem sinkenden Boot ausharren?
Denn der Gott der Bibel war wohl bereit, zu Gunsten von zehn Gerechten die verdammten Städte zu verschonen, doch er war nicht bereit, dies nur um Lots willen zu tun. So wie die wenigen Tausend Deutsche im Widerstand nicht ausgereicht haben, Deutschland vor Besatzung und vor Teilung zu bewahren. Es müsste eine kritische Masse Oppositioneller geben, damit man von zweierlei Israel sprechen könnte: von Israel als der brutalen und kolonialistischen Besatzungsmacht, und vom solidarischen, kämpferischen und antikolonialistischer Israel. Das eine Kollaborateur, das andere im Widerstand; das eine schuldig, das andere unschuldig.
Diejenigen, die sich in Israel gegen den Kolonialkrieg stellen und die Kriegsverbrechen anklagen, tun es sicherlich, um ihre Seele, vor allem aber um ihr Volk zu retten. Hören wir nur den Zorn, mit dem sie Scharon und Ben Eliezer, Peres und Ben Ami anklagen! Es ist der gerechte Zorn jener, die sich bewusst sind, dass die Politik Israels nicht nur verbrecherisch, sondern auch selbstmörderisch ist, eine Politik, die in ihrem Namen betrieben wird und sie geradewegs nach Massada führt.
 
Einleitungstext von Michael Warschawski zu:
Stimmen israelischer Dissidenten
Sophia Deeg, Michéle Sibony, Michael Warschawski (Hrsg.),
ISP, Deutsche Erstausgabe April 2005
 
 
Fußnoten
 
1 Im Allgemeinen wird in Israel der Begriff »schöne Seele« mit Verachtung gebraucht, ja schlimmer noch als eine Art Verächtlichmachung derjenigen, die auf einem ethischen Standpunkt beharren.
2 Die Einwanderer wurden auf die jeweiligen Dörfer aufgeteilt, die jeweils von einer bestimmten politischen Partei geführt wurden; dasselbe galt für die Schulen, die entweder religiös oder laizistisch waren.
3 Der Mitgliedsausweis der Histadrut.
4 Daniel Mermet ist Journalist beim Sender France Inter.
Jose Bove ist führendes Mitglied des französischen Bauernverbandes »confederation pay sanne«.
6 Theo Klein ist der ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der französischen Juden CRIF. Hier handelt es sich um französisch-jüdische Intellektuelle, Journalisten und Hochschulehrer, deren antizionistische Haltung in vielen Erklärungen zum Ausdruck kam. Dani, Bensaid, Studentenführer von 1968, ist Philosoph und Führungsmitglied der LCR.