Liebe GenossInnen, ich verwende hier einen Diskussionsartikel von mir, den ich 2010 in der Auseinandersetzung mit GenossInnen der „Superlinken“ geführt habe. Ich habe meinen Beitrag etwas überarbeitet. Die Namen der GenossInnen habe ich weggelassen.
Für eine relevante Linkskraft in Österreich
In der Diskussion mit der „Superlinken“ stellte sich heraus, dass sie ebenfalls am Milieu der Betriebs- und Gewerkschaftslinken interessiert sind, schränkten aber ein, dass der Prozess einer linken Organisierung nicht mit ihr beginnen sollte. Unsere Situation unterscheide sich nämlich von jener der breiten revolutionären Betriebsräte- und Rätebewegungen nach dem Ersten Weltkrieg. Ja, sie hielten auch von den ArbeiterInnen- und BetriebsrätInnenschichten, die im (zerrissenen) Streikjahr 2003 vom ÖGB enttäuscht waren nichts. „Sie hauen jetzt wohl in der großen Mehrzahl den Hut drauf (…) der eine oder die andere lassen sich womöglich von der rabiaten Sozialdemagogie der FPÖ-Rassisten“ einfangen.“
Da war ich vorsichtiger. Die Betriebsversammlungen bei den DruckerInnen oder MetallerInnen 2009 im Kollektivvertragskonflikt waren sicherlich nicht nur bürokratisch befohlene Aktionen, auch wenn sie von ÖGB-Gewerkschaften bzw. fraktionell an den ÖGB gebundenen BetriebsrätInnen organisiert wurden. Es war auch der gewaltige Druck, den die Krise, oder besser gesagt, Kapital und Regierung auf die Lohnabhängigen mit bislang de facto 500. 000 Erwerbslosen ausübten, der sie zu den Versammlungen und auf die Straße brachte (28. April 09). Weitere 116.000 Gewerkschaftsmitglieder traten 2009 aus dem ÖGB aus. „Aber woher wisst ihr, dass die alle ‚den Hut draufhauen‘ “? Die KindergärtnerInnen sind das gerade Gegenbeispiel: Nicht (mehr) von den ÖGB-Bürokraten organisiert, begannen sie im Herbst 2009 ihren „Kindergartenaufstand“!1) Im März 2011 und 2012 protestierten bekanntlich die SozialarbeiterInnen in Graz, zuerst mit Unterstützung des ÖGB und ein Jahr später im Rahmen der „Plattform 25“ „selbstermächtigt“.2) ) Nicht zu vergessen auch der Protest der Wiener Sozial- und GesundheitsarbeiterInnen im Februar 2012, wo es um den BAGS-Kollektivvertrag aber auch die schlechten Arbeitsbedingungen gegangen und der Druck von den Beschäftigten so groß geworden war, dass GdG und GPA aufspringen mussten.3)
Wenn wir antikapitalistische Linke größtenteils schon nicht zum „Kern des Industrieproletariats“ gehören bzw. führende gewählte BetriebsaktivistInnen sind, so sollten wir in Zeiten wie diesen umso genauere BeobachterInnen der ArbeiterInnenklasse sein: Denn was eine meiner zentralen Differenzen mit Negris Multitude ist, betrifft eben die hervorragende gesellschaftliche Bedeutung der ArbeiterInnenklasse in Fabriken, im Transport- und Verkehrswesen, im Dienstleistungsgewerbe oder im Öffentlichen Dienst. Sie schafft nicht nur als produktive und Dienstleistungsklasse die Basis allen gesellschaftlichen Lebens, sondern ist auch jene Klasse, die als einzige diese Gesellschaft lahm legen kann! Zuletzt haben das die griechischen Streiks am augenscheinlichsten gezeigt (auch wenn schon längst ein unbefristeter Generalstreik, der die Machtfrage stellt, nötig wäre).4)
In meiner Diskussion mit der „Superlinken“ ging ich nicht bis zu den radikalen Zeiten der Räterepubliken rund um Österreich zurück (außer kurz über die Linksradikalen 5), sondern stellte bloß die These auf, dass das Streikjahr 2003 tiefe Lernprozesse bei hunderttausenden ArbeiterInnen, Angestellten, kleinen BeamtInnen bzw. BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen ausgelöst haben muss.6) Sehen wir also, ob sich diese Klasse nach Krisenphasen, in denen sich global der ganze Wahnsinn des Kapitalismus mit Casinogewinnen und Nahrungsmittelspekulationen geoffenbart hat, nachdem (Spekulations-)Banken mit hunderten Milliarden subventioniert wurden und jetzt der Sozialstaat gepfändet wird, zu bewegen beginnt? Auch in Österreich?
Solche Bewegungen würden natürlich einerseits die heutigen Abspaltungen von SPÖ und ÖGB weiter vergrößern aber andererseits, nicht ganz unwahrscheinlich, den Linksreformismus der Sozialdemokratie verstärken. Re-Verstaatlichungen, gewisse Reichensteuern (heute mehr verbal als praktisch angegangen), Bremsmanöver beim Sozialstaatsabbau u.ä.m. bände sicherlich eine große Masse enttäuschter SozialdemokratInnen wieder an die Partei. Doch auch die SPÖ-Linke könnte aufblühen – mit der Gefahr, dass sie – ganz traditionell – vor der „Einheit der Partei“ wieder kapituliert…
Genau deswegen bräuchten wir eben eine antikapitalistische Linkskraft in Österreich, die ich als „Linkskraft der Bewegungen“ umschrieben habe. Methodisch meinte ich, dass eine solche Organisation nur aus Bewegungen heraus entstehen kann, eben jenen AktivistInnen aus der Arbeiterklasse und jenen von sozialen, antipatriarchalischen, antirassistischen Initiativen (die nicht allzu sehr vom Staatssäckel abhängig sind) und der antikapitalistischen Linken! Von der heutigen radikalen Linken, so denke ich, wird überhaupt nur ein kleiner Teil fähig sein, sich vom „avantgardistischen“ Denken zu befreien.7) Es handelt sich also um den dynamischsten Teil des „bewegten fortschrittlichen Österreich“. Nur eine solche Linkskraft mit mehr oder weniger praxis- und kampferfahrenen AktivistInnen, teils vielleicht auch schon öffentlich bekannt, könnte ein Attraktionspol werden für jene Bevölkerungsteile, die bei allen Umfragen der letzten Jahre den PolitikerInnen und der Reichtumsverteilung skeptisch bis ablehnend gegenüber stehen. Trotzdem gehe ich davon aus, dass in Österreich im Gros des fortschrittlichen Lagers ein Denken für einen „ehrlichen“, „gerechten“ und „korruptionsfreien“ Parlamentarismus vorherrscht!
Eine wichtige Erfahrung aus vergangenen Klassenkämpfen ist es, dass ArbeiterInnen und Lohnabhängige vor allem nach Krisen und der Erfahrung vorangegangener Krisen, dass immer nur sie die Krise bezahlen müssen, dann im nächsten ökonomischen Aufschwung größere Chancen sehen, sich das Verlorene zurück zu holen und streikbereiter sind. Die europäischen Konzerne, ihre EU-Bürokratie und nationalen Regierungen tun zwar zur Zeit alles, eine mögliche Konjunktur zu verhindern. Dahinter steht natürlich keine ökonomische Dummheit, sondern bewusste Politik des Großen Geldes in Europa, mit „Schuldenbremsen“ und Fiskalpakt den europäischen Sozialstaat zu zerschlagen. Strategisch geht es ihnen darum, Löhne, Lebensarbeitszeit und Sozialstaat auf „Drittweltweltniveau“ zu drücken, um profitabel gestärkt auf dem Weltmarkt agieren zu können. Bürgerliche Wirtschaftswissenschaftler gehen jedenfalls für 2014/15 von einem kleinen Konjunkturaufschwung aus …
Linkskraft 2012
Soweit einige Gedanken zur Ausgangslage. Angesichts der neuerlich vollzogenen Umverteilung von „unten“ nach „oben“ durch das SPÖVP-„Sparpaket“ hat sich, so glaube ich, in weiten Teilen der lohnarbeitenden Bevölkerung, der Jugend und Alten die Forderung nach „Gerechtigkeit“ weiter gefestigt. Gerechter soll es sein: bei der Reichtumsverteilung 8), den Bildungschancen, Löhnen und Gehältern, den Pensionen! Eine neue Linkskraft in Österreich sollte auf jeden Fall von der traditionellen Latte vieler Parolen absehen und sich vielleicht auf drei, vier Achsen konzentrieren (was natürlich genauer diskutiert gehört):
Reichtumsumverteilung von „oben“ nach „unten“ (über Steuerforderungen einmal 9), Ausbau im Sozialbereich, Bildung und Gesundheit. Soweit der erste Brocken.
Eine zweite Sache wäre natürlich mehr Demokratie! Nicht mit Straches Absicht, leichter für rassistische Volksabstimmungen mobilisieren zu können, sondern mehr Demokratie (und Budget) für die Bezirke und in den Bezirken. Vor allem in den Bezirken in Städten bzw. Ortschaften (wir sollten gegen die gegenwärtige Zusammenlegung von Ortschaften sein), also in eher überschaubaren Bereichen, sollte eine Linkskraft ihren Schwerpunkt legen, und basisdemokratische Konzepte von BezirksrätInnen bis zur Grätzelschule ausarbeiten 10). Bei Volksabstimmungen bräuchten wir sozusagen Verfassungsgesetze, die gegen Rassismus, asoziale oder faschistische Initiativen gerichtet sind.
Der dritte Forderungskomplex müsste eben der Kampf gegen Patriarchat, Rassismus und Faschismus sein.
Eine relevante Linkskraft in Ö doch noch eine Utopie?
Bei meinem Linkskraft-Konstrukt gibt es heute 2012 neben der Arbeiterklasse weitere etliche Unbekannte: Wer von den sozialen, antirassistischen oder feministischen Initiativen könnten einen Antrieb und den Mut haben, sich einer linksoppositionellen Kraft anzuschließen? Die SPÖ-Linke ist zurzeit mehr mit Faymanns Phrasen von Vermögenssteuern beschäftigt und erheblich geschwächt. Die KPÖ werkelt unentwegt auf der Linie von Krisenkritik, Steuergerechtigkeit usw. also Reform des Kapitalismus und auf einer Nullkomma bis 1% Wahlstärke dahin (in der Steiermark immerhin 2010 mit noch 4,4% mit sinkender Tendenz). Jedenfalls gehen sie stur davon aus, dass sie die einzige linke Kraft in diesem Lande seien! Ich halte es mit Lenin 1914/15, dass das sozialdemokratische Hemd schmutzig geworden sei und gewechselt werden müsse; nach dem Millionenmassen-Trauma des Stalinismus musste meiner Meinung nach schon längst auch das kommunistische Hemd gewechselt werden… Und vielleicht am schwierigsten ist es, antikapitalistische Linke zu finden, die nicht sektiererisch sind.
Eine Linkskraft, die bekannt werden will, müsste natürlich auch im Internet umtriebig sein. Vor allem aber müsste sie es angehen, auf den Haupt- und Markplätzen, auf Bezirksversammlungen, Gewerkschaftsversammlungen u.ä.m. präsent zu sein – mit kurzen zündenden Parolen, ihre Botschaften über „Gerechtigkeit“, „Demokratie“ und „Antirassismus“ unters „Volk“ zu bringen. Junge, Frauen, nach vor in der Linkskraft!
Karl Fischbacher, Wien, 15. April 2012