Maria Fekters Budgetrede am 15. Oktober 2012 für die nächsten vier Jahre musste diesmal mit vehementer Unterstützung Faymanns, Kopfs & Regierungs-Co besonders weit ausholen. Es galt die Bankenrettung von bislang über fünf Mrd. Euro volksgerecht plausibel zu machen. Selbst die Mainstream-Massenmedien wiesen darauf hin, dass 2012 ohne Bankenrettung ein gehöriger Budgetschnitt im Sinne der EU-Schuldenbremse gelungen wäre. „Die Einnahmen der Lohnsteuer, Körperschaftssteuer und Umsatzsteuer sprudelten im heurigen Jahr stärker als erhofft. Am Ende des Jahres wird man mehrere hundert Millionen Euro über Plan liegen.“ Und schließlich: „Wegen der aktuellen Niedrigzinslage kann sich Österreich so billig wie nie zuvor verschulden.“ (der standard, 16.10.2012)
„Trotzdem wird aus der Friede-Freude-Eierkuchen-Rede nichts. Die notverstaatlichten Banken zwingen Fekter zum Verlassen des im Frühjahr paktierten Budgetpfades.“ (ebd.). Kärntner Hypo und KA-Finanz (die österreichische „Bad Bank“), die durch riskante Anleihen und Credit-Default-Swap-Spekulationen Milliarden verzockt hatten, „müssen“ gerettet werden. Es ginge natürlich nicht nur um die Banken, sondern vor allem um die Sparguthaben der „kleinen Sparer“ – und um die „Wirtschaft“ insgesamt, die von den Bankenkrediten „lebt“. Der nächste Wink mit dem Zaunpfahl, wie wichtig die Bankenrettung sei, war schließlich der Hinweis auf die gesamteuropäische Schuldenkrise, die auf Österreich laste und dessen Wachstumsprognosen reduziere.
In der Tat zeigt die europäische Situation noch deutlicher, was eigentlich der Kern der „Bankenrettungen“ ist. Von 2007 bis 2010 haben die EU-Länder eine Billion Euro fauler privater Schulden durch bares Geld, Garantien oder „Verstaatlichungen“ übernommen. Damit wurden diese „faulen“ hunderten Milliarden öffentliche Staatsschulden, während der Reichtum der Reichen und Superreichen nicht angerührt wurde und die vermögenden Europäer_innen ihren Reichtum bis 2010 auf 10,2 Bio. Dollar anhäuften (ca. 7,8 Bio. Euro, World Wealth Report, Merrill Lynch 2011.). In Österreich wuchs die Staatsschuld ab 2007 von rund 61% des BIP auf 80% 2012 an, während die reichsten 74.000 Personen, Bankiers, Spekulanten, Aktionäre, Geldaristokraten, Konzernherren, Fabrikbesitzer u.a. hierzulande 2012 sicherlich schon weit mehr als die 230 Mrd. Euro angehäuft haben. (Global Wealth Report der Boston Consulting Group 297, 2010)
Streichung der Altschulden
Der Budgetplan Fekters 2012 mit steigenden Lohn-, Körperschafts- und Umsatzsteuern, also größtenteils Massensteuern und wachsender Staatsschuld ist typisch für die gesamte Geschichte der Schuldenstaaten Europas. In der EU stiegen die Staatschulden zwischen 2007 und 2009 um 1,4 Bio. Euro. Das waren 20% in zwei Jahren! Die Staatschuldenquote stieg, ähnlich Österreich, von 59% auf 74% des BIP. Also nicht die von den Neoliberalen verdammten Schulden der „Verstaatlichten“, sondern das internationale Finanzkapital hatte die Staaten in die finanzielle Bredouille gebracht! Brutaler Sozialabbau war die Antwort der EU-Regierungen. „Von Athen bis London und von Dublin bis Madrid werden rabiate Sparprogramme durchgepeitscht, die den nächsten wirtschaftlichen Einbruch auslösen dürften und die Gefahr einer Deflation, also eines Absinkens des allgemeinen Preisniveaus, heraufbeschwören. In einer Deflation allerdings werden Schulden, die ja ihren Nominalwert behalten, umso drückender und die Zinslast steigt, selbst wenn die Nominalzinsen niedrig bleiben.“ (Sahra Wagenknecht 2011, S.222.).
Wagenknecht warnt vor einer ungeheuren Verschärfung der Krise. „Die Geldmaschine der Banken und drei Jahrzehnte Umverteilung von unten nach oben haben eine globale Vermögens- und Schuldenblase von historisch beispielloser Dimension erzeugt. Die entscheidende Aufgabe der Zukunft besteht darin, aus dieser Vermögens- und Schuldenblase geordnet die Luft wieder herauszulassen. Und zwar so, dass es möglichst genau jene Vermögen trifft, deren enormer Zuwachs tatsächlich auf die Blasenökonomie der letzten Jahrzehnte zurückgeht, also auf die Dividenden, Zinseszins und Spekulation.“(ebd., S.223.)
Das heißt, die Altschulden müssten größtenteils gestrichen werden, was vor allem Banken und Versicherungen treffen würde. „Die Altschulden der Eurostaaten belaufen sich 2010 auf insgesamt etwa 7,7 Bio Euro. Alle EU-Staaten zusammen stehen mit etwa 9,6 Bio. in der Kreide. Würde ein Großteil dieser Schulden gestrichen, wären die meisten Banken und Versicherungen im Euroraum pleite.“ (ebd., S.234.) Die finanziellen Großkonzerne müssten somit verstaatlicht werden, damit nicht die „kleinen“ Spargelder entwertet werden. Sahra Wagenknecht spricht in diesem Zusammenhang von Rekonstruktions-Aufgaben, was meiner Meinung nach im Interesse des Gros der europäischen Bevölkerung nur durch gesellschaftliche Kontrolle des gesamten Geldwesens vorstellbar wäre.
Auch in Österreich ist der Ausgangspunkt für eine neue, soziale, gerechte und ökologische Gesellschaft nur vorstellbar, indem die Altschulden von 218 Mrd. Euro zu großen Teilen gestrichen würden. Der durchschnittliche Steuersatz für lohnabhängige Steuerpflichtige variiert um 48 Prozent. Beim oberen Reichtum von 230 Mrd. Euro wären das beträchtliche rund 110 Mrd. Euro fürs Staatssäckel eines sozialen Österreichs. Und rechnete dieses Österreich nur mit der 25 prozentigen Kest kämen auch noch an die 58 Mrd. Euro fürs Sozial- und Gesundheitswesen oder für die Bildung zusammen.
Nur unter revolutionärem Druck …
Sahra Wagenknecht handelt dieses Altschuldenstreichungs-Szenario am Beispiel Argentiniens Krise 2000/01 ab, nach der die Regierung Duhalde die Schuldenzahlung an die Gläubigerbanken stoppte und die nächste Regierung Nestor Kirchners mit den Gläubigern eine Umschuldung mit Abstrichen von bis zu 75% aushandelte. Mensch könnte glauben, dass eine solch gewaltige Enteignung des Reichtums von den Reichen und Superreichen so einfach hingenommen würde. Argentinien als das wirtschaftlich zweitwichtigste Land Südamerikas war eine historische Ausnahme, die die globale Bankenmacht Anfang der 2000er-Jahre perspektivisch positiv einschätzte (wo sie Recht behielt). Argentinien hatte gerade eine „halbe“ Volksrevolution hinter sich und sollte endgültig befriedet werden. Und vor allem war Argentinien finanziell damals für die internationalen Großbanken keine substanzielle Herausforderung. Inzwischen ist ein Jahrzehnt neuer gigantischer Verschuldung vergangen und „Bad Banks“ überziehen die europäische Bankenwelt. Die Einstellung eines Großteils der europäischen Staatsschulden wäre heute nur im totalen Konflikt, um nicht zu sagen mit revolutionärem Klassenkampf gegen die gewalttätige Machtphalanx der internationalen Staaten, EU-Troika und gleichgeschalteten Mainstreammedien durchzusetzen.
Und die Gewerkschaften?
In Europa zuckten sie bislang immer wieder auf – unbefristete Generalstreiks. In Griechenland, in Spanien, Portugal. Und doch beschränkten die dortigen Gewerkschaften ihren Protest auf 24 bis 48 Stunden …
Wir werden sehen, was der „heiße Herbst 2012“ noch bringen wird? Der EGB reagierte vor kurzem (17.10.2012) ebenfalls auf die gewaltige soziale Misere in Europa mit einem europäischen Aktions- und Solidaritätstag am 14. November 2012. Gleichzeitig wollen die südeuropäischen Gewerkschaften in Portugal, Spanien, Zypern, Malta und Italien(?) koordiniert eintägige Generalstreiks durchführen. Im EGB gab es schon seit längerem einige Kontroversen zwischen den nördlichen „großen“ Gewerkschaftsverbänden DGB, ÖGB u.a., die mehr auf Verhandlungen mit EU-Gremien setzten, während CGIL, CCOO, CGTB u.a., die europäische Aktionstage favorisierten. Offenbar hat sich in den Brüsseler EGB-Etagen der neue spanische EGB-Präsident Ignacio Fernández Toxo mit „N14“, d.h. mit dem europäischen Aktionstag und koordinierten Generalstreiks am 14. November durchgesetzt. Im EGB-Aufruf heißt es: „Ziel ist es, die europäische Gewerkschaftsbewegung für eine Unterstützung der EGB-Politik zu mobilisieren, wie sie im europäischen Sozialpakt formuliert ist.“ (ETUC day of action and solidarity for a Social Compact for Europe, 17.10.2012.) Am 14. November 2012 soll also gemäß EGB-Führungsgremium für folgende Ziele marschiert und gestreikt werden: „Der Exekutivausschuss befürwortet zwar eine solide Haushaltsführung, ist jedoch davon überzeugt, dass die Rezession nur gestoppt werden kann, wenn Haushaltsbeschränkungen gelockert und Ungleichgewichte beseitigt werden und darauf hingewirkt wird, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erreichen, den sozialen Zusammenhalt zu fördern und die in der Grundrechtecharta niedergelegten Werte zu achten.
Sie erinnern daran, das die Union vertraglich an Folgendes gebunden ist: Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin.“ (ebd.)
Wie im Verschuldungsnotstandsjahr 2012 „solide Haushaltsführung“ mit „nachhaltigem Wirtschaftswachstum“ gemeistert werden kann, wird im EGB-Dokument allerdings nicht verraten. An einer Politik, mit einer „in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Markwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt …“ scheiterte bekanntlich schon Mitterand 1983, nachdem er seinen Aktionsplan „Sozialistisches Projekt für die achtziger Jahre“ mit massiven Lohn- und Rentenerhöhungen, Ausbau der Öffentlichen Dienste, 35-Stundenwoche u.a.m., also „Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt“ durchgesetzt hatte. Im hochverschuldeten Frankreich schwenke die französische Sozialdemokratie 1983 zu neoliberaler Politik um …
Der EGB-Aufruf läuft letztlich ebenfalls auf die alte Keynesianische-Politik hinaus. „Staatausgaben können das Problem der Depression folglich nicht lösen, denn das Problem besteht nicht in ungenügender Nachfrage, sondern ungenügenden Profiten für die Unternehmensexpansion (die wiederum die Nachfrage bestimmt). (Paul Mattig 2012, S.102.)
Warten wir ab, was der 14. November 2012 bringt und vor allem, was danach passiert. Sind die EGB-Gewerkschaften Ende Oktober 2012, nach fünf Krisenjahren, nun aufgewacht? Ist das der Prolog zu einem wirklich heißen Herbst mit längerfristigen bis unbefristeten europäischen Streiks? Bekanntlich war ich bisher gegenüber den EGB-Gewerkschaften (nach fünf Krisenjahren) überaus skeptisch. Mal sehen, wie Kapital und EU-Troika reagieren. Und wenn sie Europa weiter in die Armut treiben. Was dann der EGB macht …
Der Widerstand gegen die Zerschlagung der (letzten) sozialen Errungenschaften Europas muss auf eine neue Stufe gehoben werden
Das große Kapital, das „nicht regiert, sondern regieren lässt“ (Hans Jürgen Krysmanski, 2011) muss gehörig unter Druck gesetzt werden. Das war historisch und ist heute auch für Österreich zutreffend. „Achtstundentag, Arbeitslosenunterstützung, Meinungs- und Pressefreiheit, Arbeiterurlaubsgesetze, Betriebsrätegesetz etc. – die gesamte große Sozialgesetzgebung Österreichs (die von Rot-Schwarz-Blau seit über 10 Jahren wieder abgebaut wird) war Produkt der sozialen Revolte der Arbeiterschaft nach dem 1.Weltkrieg! Die Sozialdemokratie im Verein mit dem noch etwas schlappen Bürgertum mussten diese Sozialgesetzgebung 1918/19 einführen, um ein Überschwappen der proletarischen Revolution vom jungen Sowjetrussland und von Sowjetungarn auf das bürgerliche Österreich zu verhindern.“ (K.Fischbacher, Die Risse im Damm gegen Faschismus, Krieg und Shoa wurden immer größer, 2004, http://www.labournetaustria.at/k-fischbacher-die-risse-im-damm-gegen-faschismus-krieg-und-shoa-wurden-immer-groser/ )
Nur ein machtvoller Klassenkampfaufschwung eines Gros der lohnabhängigen Klasse im Verein mit studentischen, erwerbslosen, verarmten mittelständigen Volksmassen wäre in der Lage, eine wirkliche Umverteilung von „oben“ nach „unten“ in Gang zu setzen, um schließlich ihre(!) soziale, ökologische und gerechte Gesellschaft einzurichten. Und eine der wichtigsten ersten Maßnahmen einer wirklichen Volksregierung wäre eben die Annullierung aller Altschulden!
Karl Fischbacher
Wien, 21.Oktober 2012
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