- Internationale Diskussionsbeiträge
Wir legen im folgenden unsere Dokumentation zur jugoslawischen Krise und zum Krieg vor. Darin versuchen wir ein historisches Resümee früherer Jahrhunderte auf dem Balkan bis hin zur Zerstörung Bosniens zu ziehen. Spätestens seit dem Ende der 80er Jahre war revolutionäre Politik konfrontiert mit der nationalen Frage im bürokratisierten Arbeiterinnenstaat Jugoslawien in einer Phase, in der das Land national zu zerfallen begann und sich vor allem die nördlichen Republiken im direkten Übergang zum Kapitalismus befanden. Der kapitalistische Restaurationsprozeß, allen voran in Slowenien und Kroatien, erhielt seine Rasanz im Zuge des historischen Machtzuwachses des wiedervereinigten Deutschlands in Europa. Klarer Ausdruck davon war eine deutsch-österreichische Außenpolitik, die sich ab 1990 offen auf eine Aufspaltung Jugoslawiens zu orientieren begann.
Deutschland/östeneich haben mit ihrer aggressiven „Anerkennungs“-Politik für Slowenien und Kroatien schließlich auch die nationalistische Zerstörung Bosniens eingeleitet. Bosnien droht allerdings nicht der Endpunkt der nationalistischen Kriege auf dem Balkan zu sein. Unter dem Säbelgerassel des UNO-Imperialismus könnte sich mit der sich verschärfenden ökonomischen und sozialen Krise auf dem süd- und südöstlichen Balkan der Krieg immer unvermeidlicher auf Kosovo und Mazedonien ausdehnen. Damit:würden nicht bloß Albanien, sondern ebenso Bulgarien, wenn nicht sogar Griechenland , in die nationalen Schlachten hineingezogen werden. Die ‚alten‘ historischen Bruchlinien auf dem Balkan brächen damit gänzlich auf. Die Tragödie der Balkankriege Anfang des Jahrhunderts wiederholte sich als gewaltige Farce von nationalistischen Massakern ‚hinter‘ einem gesamteuropäischen Krieg?!
Historische Bruchlinien auf dem Balkan
brechen auf
Auf dem Balkan ist es niemals zu einer nationalen Vereinheitlichung gekommen. Die slawische Besiedelung im Frühmittelalter wurde für Jahrhunderte entscheidend geprägt auf der einen Seite durch den deutsch-österreichischen „Keil“, der sich zwischen die Böhmen, Mähren und die südslawischen Slowenen, Kroaten geschoben hatte. Das bedeutete, daß es auf dem Nordbalkan de facto zu keiner eigenständigen slawischen Reichsbildung kommen konnte. Freilich gab es das rd. 150 jährige kroatische Tomislav-Königreich 924. Dem folgte allerdings über die ungarische Königschaft rund 500 Jahre deutsche Habsburger Feudalherrschaft! Je kürzer desto „glorreicher“ erstrahlten solche „Reiche“ dann in der nationalistischen Ideologie. Bis heute: Wie etwa über den „Kärntner Herzogstuhl“ in slowenischer Sprache. Allerdings war es deutsch-österreichischer Adel, der, so wie er sich „slowenisierte“ und so ergebener Habsburgertreue hielt. Und so waren es halt „slowenische“ und „kroatische“ Fürsten, die 1848/49 die kroatische und slowenischen Bauernleibeigenen als reaktionäre Soldatenmasse gegen die bürgerliche Revolution in Budapest und Wien führten…
Die deutsch-habsburgische Umfassung der Slawen richtete sich vorerst gegen die Osmanische Invasion. Die Prec’ani-serbisch(!) geschützte Krajina-Grenze zerschnitt militärisch und ökonomisch erneut das nationale slawische Band: Der balkanische Norden, einbezogen in die bürgerliche Entwicklung und schließlich Industriealisierung in der Habsburger-Monarchie. Südlich davon herrschte hingegen über Jahrhunderte eine moslemische Herrscherklasse von primitiven Gutsbesitzern und einer Mob-Soldateska. Sie plünderte den südlichen Balkan, dh. die slawischen Bauemmassen, aus und hemmten entscheidend eine unabhängige bürgerliche Entwicklung. Nur ein Beispiel dieser tragischen Phase: Belgrad wurde im 17., 18., und 19. Jahrhundert siebenmal so gut wie völlig dem Erdboden gleichgemacht!
Der slawische Landadel paßte sich an, islamisierte sich etwa wie jener in Bosnien/Herzegowina, bzw. schwankte zwischen anti-Osmanischer Revolte und Unterwerfung unter den Habsburgischen oder russischen Imperialismus. Eigenständige nationale Ansätze schafften der bulgarische und serbische Landadel. Doch er blieb isoliert und ebenso verhaftet einer nationalistischen Ideologie „glorreicher“ Fürstenhöfe“1), die um so „glorreicher“ erschienen, je länger das hoffnungslose Elend unter der Osmanischen Übermacht währte. In dieser ersten Phase des slawisch-türkischen Konflikts auf dem südlichen Balkan ab dem 14. Jahrhundert glorifizierte sich das Menschenmassaker aus dem serbisch-montenegrinisch gelegten Hinterhalt zur heiligen Handlung: Njegos‘ 2) „Cbjstvo i Junac’stvo“ Mannestum und Heldentum“) im bäuerlichen Guerillakrieg gegen türkisch-bosnische Janitscharen-Blutherrschaft3)! Bis heute ist es populistisches serbisches Trauma und Erlösung: Dus’ans rd. 20 jährigem „Großserbischen Reich“ und dem Untergang 1389 folgte Obilic’s Meuchelmord an Sultan Murad I nach der verlorengegangenen Schlacht auf dem Amselfeld – Cöjstvo i Junac’stvo!
Vom slawischen Landadel in Serbien ging die größte nationale Initiative aus. Für seine feudalen Herrschaftsinteressen vermochte er die serbischen und montenegrinischen Bauernmassen allerdings nur nationalistisch, dh. regional beschränkt gegen die niedergehende osmanische Besatzung zu führen. Gerade in Phasen, in denen Istanbul gegen die Habsburger bzw. gegen den auf den Balkan drängenden russischen Expansionsmus Rückzüge antreten mußte, erkämpfte sich Serbien Phasen nationaler Unnabhängigkeit 4). Doch letztlich lief es immer nur darauf hinaus, sich gegen das bulgarische „Reich“ in nationalistischen Massakern um Mazedonien aufzureiben und die Macht an den Habsburger 6) bzw. russischen Imperialismus auszuliefern. Der nationalistische Konflikt ging quer durch die herrschende serbische Feudalklasse selber. Sie schlugen sich regelrecht gegenseitig die Köpfe ab – 1817 etwa der pro-osmanische Obrenovic‘ dem Freiheitshelden Karadjordje, und 1903 waren schließlich die pro-Habsburgerischen Obrenovic‘ wieder von den pro-russischen Karadjodjevic‘ gemeuchelt worden…
Der Krimkrieg: Wende in der slawischen Frage
Allerdings hatte bereits der erzwungene Rückzug Rußlands aus den Donaufürstentümern nach dem Krimkrieg in den 50er Jahren 8) eine neue historische Phase – auch für den Befreiungskampf der „türkischen“ Slawen – eingeleitet: Mit der Teilniederlage Rußlands im Krimkrieg waren erste Konturen einer Russischen Revolution am fernen Horizont erschienen. Das vereinigte Osmanische Reich wurde damit als „Bollwerk“ gegen die russisch-absolutistische Reaktion immer hinfälliger. Ja es wurde letztlich zum entscheidenden Hindernis für den slawischen Befreiungskampf gegen das Habsburger-Reich. Vor dem slawischen Bürgertum auf dem südlichen Balkan lag nun die historische Perspektive, gegen Feudaladel und Imperialismus die Befreiung und nationalen Einigung zu erkämpfen.
Mlarx/Engels unterschätzten mit ihrer Position des slawischen „Völkerabfalls“ diesen Prozeß – vor allem was die Tschechen und Böhmen betraf. Problematisch war auch, daß trotz aller korrekten Verdammung der reaktionären kroatischen Heere gegen die ungarische Revolution 1848, Engels Kritik nicht auch Kossuths Chauvinismus angreift (der ja die Kroaten gegen Ungarn aufgehetzt hatte), sondern daß die Magyaren „viel zu nachgiebig und zu schwach gegen die aufgeblasenen Kroaten verfahren“ seien (Engels, Der demokratische Panslawismus, 1849, MEW, Bd.6) Marx und Engels weisen jedoch bereits 1853 auf Serbien hin, über das man behaupten könne, „je mehr sich Serbien und die serbische Nationalität gefestigt haben, desto mehr ist der direkte Einfluß Rußlands auf die türkischen Slawen in den Hintergrund gedrängt worden.“ (Engels, Was soll aus der europäischen Türkei werden?, MEW, Bd.9)9)
Doch Ende des 19. Jahrhunderts drängte sich das (panslawistische) Bürgertum in Belgrad und Sofia in die Arme der ländlichen herrschenden Klassen und des (russischen) Imperialismus. Zu sehr fürchtete es das heranwachsende slawische Proletariat. Im Zeitalter des Imperialismus konnte nur mehr die Arbeiterinnenklasse die nationale Einigung auf dem Balkan herbeiführen. Vor dem 1. Weltkrieg war sie dazu nicht in der Lage. „Während die beiden anderen südeuropäischen Halbinseln eine in der Hauptsache gleiche Nationalität und Kultur herausgebildet haben, ist davon in der Balkanhalbinsel nie die Rede gewesen.“ (KI, 4. Weltkongreß)
Die KPJ: stalinisierte Partei
Die gesamtjugoslawische Monarchie nach dem 1. Weltkrieg konnte so nur eine äußerst labile Angelegenheit sein – entstanden aus imperialistischen und nationalbürgerlichen Interessen und Direktiven: Der französisch-britische Imperialismus drängte angesichts der Russischen Revolution und gegen potentiell deutsch-österreichische Ansprüche zum ‚Einheitsstaat‘. Die kroatischen und slowenischen herrschenden Klassen stimmten dem „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ aus Furcht vor ungarischen und italienischen Gebietsansprüchen zu. Ab 1920 – nach dem Abebben der revolutionären Welle – verstärkte sich dann wieder die serbische Hegemonie. Die gesamtjugoslawische Monarchie war daher von Anfang an durch die inneren kroatischen, mazodonischen und albanischen Nationalismen bzw. den kommunistisch-sowjetischen Kampf bedroht. „Eine neue Periode erbitterter nationalistischer Agitation, nationaler Hetze und nationalbürgerlicher Kriege bedroht die Balkan- und Donauvölker. Nur das Proletariat kann durch seinen Sieg eine neue Katastrophe abwenden und die werktätigen Arbeiter- und Bauernmassen von ökonomischer und nationaler Unterdrückung befreien. Nur der Sieg der proletarischen Diktatur vermag die Volksmassen in der Föderativen Sozialistischen Balkan- (oder Balkan- und Donau-) Sowjetrepublik zu vereinen und sie zu befreien.“ (KI, 1. Weltkongreß) Die KPJ war im revolutionären Aufschwung nach dein Krieg und mit dem Übertritt der sozialdemokratischen Arbeiterpartei zur KI zu einer Massenpartei geworden. 10) Ab 1920 wurde sie jedoch einer scharfen Repression ausgesetzt und 1921 verboten. Staatliche Unterdrückung und ihre Politik des individuellen Terrors ließ die Partei in der Folge wieder zur Sekte schrumpfen. In aufreibende innere Fraktionskämpfe verstrickt, wird sie sich von nun an immer stringenter an Moskau anpassen: Ab 1923 mit der ultralinken Ausrichtung Sinowjews, daß die territoriale Integrität Jugoslawiens als eine Schöpfung des Versailler Vertrages „für die Ausbreitung des Kommunismus hinderlich“ sei (3. Parteitag). Anfang der 30er Jahre nahm die KPJ die Volksfrontpolitik der KI vorweg bis hin zur Einheitsfront mit den kroatischen Ustascha-Faschisten zur Zerstörung des „serbischen Kunststaats“.11) 1935, angesichts der deutschen Aufrüstung, schwenkt Moskau jedoch um auf einen Kurs zur Stützung der serbischen Monarchie für die jugoslawische Integrität. Der Oberstalinist Tito kommt 1936 (von Moskau) wieder nach Jugoslawien, um die Partei für den neuen Kurs zu säubern. In diesen Jahren bis 1937 werden 114 führende jugoslawische Kommunisten ermordet. Die KPJ wird geköpft und völlig stalinisiert.
Der jugoslawische Bauern- und
Arbeiteraufstand gegen Hitler-Deutschland
schaffte Ansätze zu einer Nationwerdung auf
dem Balkan
1939 hatte die Parteiführung noch den Moskauer Schwenk des Stalin-Hitler–Pakts mitgemacht: „Wir nahmen dieses Abkommen hin wie disziplinierte Kommunisten…“ (in Dedijer, Tito) Doch die Verwirrung in der Partei muß gewaltig gewesen sein. Zur Pakttreue mit Stalin und Hitler verpflichtet, wurde sie in Serbien mit einem nationalen Volksaufstand gegen die pro-deutsche Politik des Regimes König Pauls konfrontiert. Der deutsche Angriff auf Jugoslawien im April und vor allem dann die Invasion gegen die Sowjetunio Juni 1941, richtete die stalinisierte KPJ wieder aus. Die deutsche Aggression gegen die jugoslawische Unabhängigkeit hatte allen voran die serbischen und südbalkanischen Bauemmassen und ebenso das schwächliche Proletariat radikalisiert. Die nationale Frage und, ganz offen hinter ihr, die soziale Problematik der verelendenden ländlichen Bauernmassen und des verarmten Proletariats aus den Krisen Ende der 20er- und Anfang der 30er Jahre ergriffen nun das ganze Land. Vor dem Hintergrund der imperialistischen Aufteilung Jugoslawiens (Slowenien und Montenegro an Italien und Deutschland – Teile Kroatiens und Serbiens an Ungarn und Bulgarien uam.) erlebte der Gedanke eines vereinigten Jugoslawien in den Massen eine neuerliche Renaissance. In ihrem unbändigen Willen zur bürokratischen Machteroberung paßte sich die KPJ nun an und schrieb ab 1941 die Parole eines zukünftigen föderalen Staates gleichberechtigter Nationen auf dem Balkan auf ihre Fahne. Ihr war eigentlich nichts anderes übriggeblieben. Im sozial und national ungeheuer polarisierten Jugoslawien nach dem deutschen Überfall bot sich einfach kein „anti-faschistischer“ nationalistischer Volksfrontpartner an: Die herrschenden Klassen Serbien und Kroatien hatten sich durch die Kapitulation 1941 und durch ihre Marionettenregimes in Belgrad (General Nedic’) bzw. des Faschisten Pavelic‘ in Zagreb endgültig diskreditiert. Pavelic’s blutiger faschistischer Tenor gegen die Serben in Kroatien trieb ebenso größere Teile der kroatischen Arbeiter- und Bauernschaft zu Titos Guerilla. Und schließlich wurde die Partisanenarmee auf ihrem militärischen Rückzug nach Bosnien in der vorletzten Phase des Krieges umfassend multinational.
Die einzige militärische Gruppierung, die sich schon bald nach der monarchistischen Kapitulation gegen die Deutschen formierte, waren die monarchistischen C’etniks unter der Führung Mihajlovic’s: Nach der Vertreibung der deutschen Truppen wollten sie allerdings den alten – diskreditierten – großserbischen Staat wiedererrichten. Mihailovic’s zeitweilige Kooperation mit den deutschen und italienischen Faschisten in der zweiten Phase des Krieges entzog der serbisch-monarchistischen Variante einer zukünftigen Macht schließlich jede Perspektive. Im anti-imperialistischen Krieg gegen Deutschland erreichte somit die bäuerliche, stalinistisch geführte Partisanenarmee der KPJ eine gesamtjugoslawische Zusammensetzung.
1943/44 siegt die KPJ militärisch, kommt an die Macht. Historisch äußerst lehrreich ist es, daß ab 1943 der britische Imperialismus Tito unterstützt hatte. Damals setzt also der alliierte Imperialismus erneut (wie 1918) auf ein gesamtjugoslawisches Konstrukt gegen einen geteilten Westbalkan, dessen Norden zukünftig wieder unter den Einfluß des deutschen Imperialismus gelangen könnte. Offenbar unterschätzten jedoch Churchill & Co., daß der anti-imperialistische Krieg in Jugoslawien ein gewaltiges soziales, anti-kapitalistisches Potential freigelegt hatte – auch um die nationalen Grenzen und Konflikte auf dem gesamten Balkan niederzureißen. Vor allem der albanische Befreiungskampf war in enger Kooperation mit den Tito-Partisanen geführt worden; Kooperation gab es auch mit der illegalen Arbeiter- und Bauembewegung in Bulgarien.
1943/44 herrscht auf dem Balkan also eine außerordentliche Kräftesituation: Mit dem Zentrum in Jugoslawien und Albanien waren stalinistische Formationen, gestützt auf siegreiche bäuerliche Partisanenarmeen, an die Macht gelangt. Der stalinistische Volksfrontdemokratismus vermochte sich auf eine starke Militärmacht zu stützen. 1944 sah sie sich jedoch einer zwiespältigen Lage gegenüber. Auf der einen Seite drängte Stalin (in Fortsetzung seiner Kriegspolitik) im Sinne der Jalta-Abkommen mit dem alliierten Imperialismus auf eine Machtteilung in Jugoslawien mit der Bourgeoisie: „50:50“. Auf der anderen Seite standen den KPJ-Bürokraten Millionen von siegreichen slawischen Bauern- und Arbeitermassen weit über Jugoslawien hinaus gegenüber, die nach dem Krieg entscheidende soziale „Ergebnisse“ erwarteten. Die eine Dynamik des Partisanenkrieges hätte jetzt verlangt, daß die regionalen Nationalen Volksbefreiungskomitees strikte arbeiter- und bauerndemokratisch zu Machtorganen ausgebaut werden – für die Revolution in Permanenz hin zur sozialistischen Föderation auf dem Balkan und der Donauländer!
1946/47: Hin zum bürokratisierten
Arbeiterstaat
Indes, bereits 1942 war der AVNOJ (Antifaschistische Rat der Nationalen Befreiung Jugoslawiens) als Machtorgan der Stalinisten um Tito aufgebaut worden. Die titoistische Fuhrung hatte einen militärischen Geheimdienstapparat aufgebaut. 1944 galt es allerdings, die Lage politisch zu „normalisieren“, d.h. die Massen zu „beruhigen“. Im Juni einigt sich somit die Tito-Führung auf eine Regierung mit Bürgerlichen und lehnt jeden kommunistischen Anspruch ab. Dies ist für die Tito-Stalinisten ohne Zweifel von Anfang an bloße Taktik gewesen. Sie besaßen ja die absolute militärische Macht und wollten sich niemals mit den Londoner Exilantenbourgeois die Macht und Privilegien teilen. Und sie konnten es letztlich auch nicht, da hinter den S’ubas’ic, Grol, S’utej der Imperialismus und Stalin standen! Im März 1945 wird die Volksfront dennoch installiert, eben um Churchill und Stalin zu beruhigen, vor allem aber, um die Bauern- und Arbeitermassen zu disziplinieren. Die Volksfront währt bloß bis November: Trotzdem sind es acht wichtige Monate für die „Normalisierung“ des Landes und zum Ausbau des Repressionsapparates.
Erst gestützt auf diese relativ stabilisierte Lage 1945/46 will und kann die KPJ-Führung alle Macht an sich reißen. Freilich, in diesen Monaten Anfang 1946 muß sie konsequent vorgehen, um einem Gegenschlag des Imperialismus zuvorzukommen. Die weltpolitische Lage ist allerdings günstig. Kriegsmüde Massen in den alliierten imperialistischen Ländern und die politische-militärische Stärke Moskaus geben letztlich den Ausschlag, daß Stalin von der 50:50-Formel abgeht 19467wird das Banken- und Industriekapital restlos enteignet (1944 hatte es die erste Verstaatlichungswelle gegen das faschistisch-belastete Kapital gegeben). 1946/47 wird unter völliger Kontrolle der Bürokratie ein Arbeiterstaat errichtet.
Der scharfe Konflikt mit Moskau entsteht nicht in der Enteignunsfrage, sondern ein Jahr später in der Frage der „Balkanföderation“ Jugoslawiens mit Albanien und Bulgarien. Im Milieu des Stalinismus verkommt das große Projekt einer sozialistischen Balkanföderation unweigerlich zu machtpolitischem, nationalistischem und geheimdienstlichem Manöverismus. Die Pläne einer Balkanföderation zerbrechen endgültig 1948 an der Konkurrenz zwischen den stalinistischen Bürokratien Belgrads und Moskaus. Die „Föderation“, gemäß den Plänen der bulgarischen KP Dimitrovs mit den sowjetischen Bajonetten im Rücken, sollte Stalins Herrschaft auch in Belgrad sichern; die Tito-Bürokratie wiederum versucht Bulgarien als „8. jugoslawische Provinz“ anzugliedern… Albanien sollte ohnehin völlig übernommen werden, sodaß auch Hodscha 1948 „über Nacht“ zum Tito-Feind wird …
Das historische Scheitern des bürokratischen
Kommunismus in Jugoslawien
Auf Jugoslawien zurückgeworfen – womit längerfristig der sozialistische Aufbau eigentlich verunmöglicht wurde – steht die Tito-Bürokratie vor immensen Problemen nationaler und sozialer Gegensätze im Lande. Der Konflikt mit Stalin 1948 drängt zwar die größten Teile der Arbeiter- und Bauernschaft noch einmal multinational enger hinter der KPJ zusammen. Doch die jugoslawische Bürokratie, zwar siegreich, geht dennoch aus 1948 stark geschwächt hervor. Sie muß sich damit stärker auf die Arbeiterklasse stützen und kann dies um so mehr, wie diese im Bauernland Jugoslawien aufgrund der nationalen Aufspaltung ebenso schwächer dasteht. Die KPJ praktiziert somit bereits in den 50er Jahren ein bonapartistisches Herrschaftssystem, in dem sie auf der einen Seite den Managements der verstaatlichten Betriebe größere marktwirtschaftliche Autonomie zugesteht, zum anderen jedoch dem eine Arbeiterselbstverwaltung (ASV) gegenüberstellt. „Über“ all dem herrscht und richtet natürlich die „Partei der Arbeiterklasse“. Sie muß einen um so größeren Verwaltungs- und Repressionsapparat aufbauen, wie die marktwirtschaftlichen Elemente in den nationalen Ökonomien mehr und mehr die historisch gewachsenen Unterschiede letztlich zwischen Nord und Süd – reproduzierten. Ebenso drängt die massive Arbeitsemigration, die die Grenzen zum Westen relativ öffnet, dazu, den Unterdrückungsapparat aufzublähen. In den 60er und 70er Jahren weitet sich der Bonapartismus der Tito-Bürokratie offen zum „Schiedsrichter“ über die erneut aufbrechenden nationalen Gegensätze aus. Tito drängt in Regierung und Partei das Serbentum zurück, schwächt es insofern, wie Kosovo und die Vojvodina zu autonomen Republiken werden uam. Natürlich ist es kein revolutionär gedachter Schritt zurück, den hier die Tito-Bürokraten in der nationalen Frage machen. In den 70er Jahren wächst viel mehr die Dezentralisierungspolitik zu einem System aus, in dem Belgrad das Land über die nationalen Bürokratien kontrolliert und der militärische Bonapartismus gewaltige Ausmaße angenommen hatte.
Relevantes Privatkapital existiert nicht. Und alle marktwirtschaftlichen Reformen (Zugeständnisse an die Betriebsmanagements und nationalen Bürokratien in Investitions- und Kreditentscheidungen (60er Jahre), der Dezentralisierung des Bankenwesens überhaupt (70er) uam.) bewirken keinen wesentlichen Kapitalfluß innerhalb Jugoslawiens – und schon gar nicht ins imperialistische Ausland. Die ASV, ebenso regional und national beschränkt, erhält gerade in den 70er Jahren weitere Kompetenzen bei ihrer Kontrolle der Betriebspolitik. Die Arbeitsplatz- und Lohnzugeständnisse seitens der Managements und Bürokratien an die Belegschaften drücken sodann weiter die Arbeitsproduktivität. Dieser bürokratisierte „Selbstverwaltungssozialismus“ ist damit ungeheuer verschwenderisch.
Die ökonomische Entwicklung verläuft in den 70er Jahren noch auf der Ebene quantitativer Ausweitung – indes entlangder historisch gewachsenen Ungleichheiten zwischen Nord und Süd. Slowenien und abgestuft Kroatien ziehen im Lebensstandard trotz aller bürokratischer Abgaben an den Süden unaufhaltsam davon. Mitte der 70er Jahre steigen dann aber die Inflations- und Arbeitslosenraten schneller an (nicht, weil Kapital in profitablere Bereiche abfließt, sondern weil nicht genug da ist!) Damit wächst sich schließlich die Importabhängigkeit von Waren und „Kapital“ – und damit die Auslandsverschuldung zu einem strukturellen Problem der jugoslawischen Staatswirtschaft aus.
Die jugoslawische Arbeiterklasse gibt in diesem Niedergang der Wirtschaft und der ökonomischen und nationalen Zersplitterung ihr Bestes und deutet dem Land einen Ausweg an: Den ersten zaghaften Anlauf nimmt sie 1957 auf dem gesamtjugoslawischen Kongreß der ASV, auf dem die Allmacht der Fabriksdirektoren und -Parteibürokraten kritisiert wird. Im Rahmen der bürokratsierten ASV konnte jedoch die Macht der Manager – und der bürokratischen Diktatur nicht gebrochen werden.
1968 kommt es zu einer gewaltigen gesamtjugoslawischen StudentInnenbewegung für radikale Machtausweitung der Arbeiterselbstverwaltung und für politische Freiheiten. Mit ihr einher geht eine Streikwelle der Arbeiterklasse gegen Managermacht und Privilegien. Auch die 68er-Bewegung wurde niedergeschlagen (Verhaftungswellen, Repression gegen die „Praxis“-Gruppe). Die Arbeiterschaft bleibt trotz weiterer Reformen in eine regional beschränkte und bürokratisch beherrschte ASV gezwängt.
Und weitere marktpolitische Kompromisse mit nationalen Bürokratien und Managements fördern bloß den Nationalismus. 1971 schlägt er zum ersten Mal massenweise kleinbürgerlich und bourgeois hoch. Es sind dann traditionell die serbischen Offiziere der Bundesarmee (unter dem Krajina-serbischen General Jovanovic‘), die mit Panzertruppen um Zagreb und mit Massenverhaftungen eine gewaltig angewachsene kroatisch-nationalistische Bewegung niedermachen.
Mit der Weltwirtschaftsrezession 1980/81 bricht dann die Krise voll über Jugoslawien herein. Inflationsmarken mit Hundertererziffern, über 1 Million Arbeitslose, über 20 Mrd. Dollar Auslandsverschuldung. Größere Teile der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums verelenden. Ab 1984 wird der IMF de facto zur „Nebenregierung“ in Belgrad. Er diktiert den Regierungen Mikulic‘ und Markovic‘ Lohn- und Preisstopps, die Schließung von „bankrotten“ Betrieben uam.
Die Streikwelle 1986/88: Der bislang letzte
große Versuch zur Lösung der jugoslawischen
Krise
Schließen wir hier den historischen Bogen bürgerlicher und bürokratischer historischer Unfähigkeit.. Nochmals mobilisiert sich die jugoslawische Arbeiterklasse in den großen Streiks 1986/88 für den Erhalt ihrer Lebens- und Kampfkraft gegen den imperialistischen Ausverkauf an den IWF durch die eigene Regierung. Die Bürokratie reagiert mit Nationalismus. Nicht größer könnte die historische Unfähigkeit des bürokratischen Kommunismus ausfallen: Er reißt damit das Land in den nationalen Zerfall genau entlang der historischen vorkapitalistischen Trennungslinien zwischen Nord und Süd. Es ist nur die letzte Konsequenz dieses historischen Scheiterns, wenn sich schließlich der BKJ und die gesamtjugoslawische Regierung 1990/91 selber auflösen.
1989/90: Im Spannungsfeld zwischen
deutschem Imperialismus und serbischer
Arbeiterinnenklasse geht das
Selbstbestimmungrecht unter
Die revolutionäre Zukunft der Klassenkämpfe 1986/88 und zuletzt wieder in Serbien 1990 lag in einer Arbeiter- und Bauernrepubliken-Union Jugoslawiens. So zersplittert diese Streiks und Arbeiterinnendemonstrationen auch gewesen waren, ihnen galt es die Brücke hinzu einem vereinigten Arbeiter-und Bauern-Jugoslawien zu schlagen.
Eine sozialistische Föderation beinhaltete natürlich auch das Recht auf nationale Lostrennung für die jugoslawischen Republiken – nicht die Forderung nach Lostrennung. 1986, Milosevic‘ war in Belgrad gerade an die Macht gekommen, setzte die anti-albanische Kampagne ein. 1988 ändert Belgrad die Autonomieverfassung, 1989 herrscht offener Bürgerkrieg..
1989/90 ist es ohne Zweifel ebenso der großserbische Nationalismus Belgrads, der die Bevölkerungsmassen Sloweniens und Kroatien in Richtung imperialistischen Norden/Westen stößt. Die Rasanz der Auseinanderentwicklung Jugoslawiens dieser Phase rührte allerdings vom Donnerschlag des Zusammenbruchs der bürokratisierten Arbeiterstaaten in Osteuropa, der innerdeutschen Grenzen und schließlich der deutschen Wiedervereinigung her. In diesen historischen Monaten erfolgte in Europa eine Kräfteverschiebung zu Gunsten des Imperialismus, die sich 1990 voll auf die jugoslawische Entwicklung auswirkte. Die größten Teile der ‘alten‘ nationalen Bürokratien in Slowenien und Kroatien verschmolzen mit kleinbourgeoisen Formationen zu bürgerlichen Parteien und offerierten sich hemmungslos dem Imperialismus. Im April kommen sie in Ljubilana (‘Demos’) und Zagreb an die Macht, erhalten 80-90%ige Bevölkerungsmehrheiten. In Kroatien war es die HDZ Tudjmans, die einen kroatisch-nationalistisch triefenden Wahlkampf geführt hatte. Dem ließ sie eine Verfassungs- und Nationalitätenpolitik folgen, die sich provokant und repressiv gegen die Minderheit von rund 600.000 Serben in der „kroatischen“ Krajina, Banija und in Ostslawonien richtete!
Im gleichen Zeitraum kehrt sich aber in Serbien die Lage in gewisser Weise um. Im Kernland der Staatsbürokratie wendet diese sich reflexartig gegen den Kapitalisierungsprozeß im Norden und gegen eine Abspaltung Sloweniens und Kroatiens. Belgrad dämmert es, daß der Abfall Ljubilanas und Zagrebs die restaurative Gefahr immens verschärfen und Jugoslawien, sprich die serbisch-bürokratischen Privilegien, einschneidend schwächen würde. Die serbische Bürokratie „spielt“ nun mit zwei Karten: der sozial-populistischen und der nationalistischen, deren erste sie einsetzt, um sich, gestützt auf die Arbeiterklasse, an der Macht – auch gegen die kapitalistische Restauration – zu stärken. Die zweite ist dazu da, um die Arbeiterklasse sozial zu atomisieren:1989/90 schwingt sie sich zu einem sozial-populistischen Kurs gegen Markgesetze und Lohnraub und für die betriebliche ASV auf. Im Kern handelt es sich um das gescheiterte staatsdirigistische Konzept direkter parteibürokratischer Kontrolle der Konzerne über die ASV und weitere Aufblähung der Staatsfinanzen. Mit der serbischen Geldemission von 1,8 Mrd. Dollar im Jänner 1991 verfolgt Belgrad genau diesen Kurs und wälzt damit die Inflation auf die anderen Republiken ab. Das Scheitern des staatsdirigistischen „Kommunismus“ stellt sich schon drei Monate später heraus: Im April stehen in Serbien 700.000 Metall- und Textilarbeiterinnen im Streik! Das erste Mal seit 1988 sind wieder ganze Branchen im Arbeitskampf. Ganz und gar sozialpolitisch und nicht national: Sie fordern den Preisstopp und Regierungsgarantien für die Mindestlöhne. Der serbischen Regierung Zelenovic‘ fehlt jedoch das Geld. Ohne Zweifel wuchsen in Serbien wieder die Klassen(!)konflikte heran.
1990/91 hat erneut gezeigt, daß der Bürokratie letztlich nur der Nationalismus bleibt, letztlich der nationalistische Krieg. Im Juni 1991 wird Ljubilana bombadiert. Das großserbische Offizierskorps im Block mit dem zentralistisch-bürokratischen Flügel der alten KP hatte sich endgültig von der Republiken-Kontrolle befreit
Die historische Katastrophe 1989/90/91 war indes die Auflösung Jugoslawiens im großdeutschen Sog! Unter dem Gehämmer der deutsch-österreichischen Diplomatie 1991 wurde selbstbestimmtes Recht für Slowenien und Kroatien Bonn-, Wien- und kapitalbestimmtes Recht für Privataktionäre und Export-Import (auch wenn Rezession und Krieg noch das Auslandskapital fernhalten).
Keinerlei Verantwortung übernehmen für die
Verteidigungspolitik Belgrads!
Doch dem revolutionären Nein zu den Kuc’ans und Tudjmanns und deren Referenden entsprach nicht ein Ja zu Milosevic‘ und dessen Generälen. Diese schlugen wild und nationalistisch um sich. Für die jugoslawische Integrität Sloweniens und gegen das Tudjmann-Regime gingen die militärischen Schläge zwar in die richtige Richtung – für die Verteidigung des bürokratisch-deformierten nichtkapitalistischen Jugoslawien. Doch die Milosevi’c und die Armeeführung betrieben eine durch und durch untaugliche Verteidigungspolitik und schädigten fundamental die serbischen Arbeiterinteressen. Sie agieren militärisch derart dilettantisch und gemeinsam mit den Cetniks Sesiljs derart chauvinistisch, daß sie die slowenischen und kroatischen Arbeiter- und Bauernmassen zu den Kapitalisten trieben. Keinerlei Verantwortung konnten Revolutionärinnen für die serbischnationalistisch-bürokratische Politik übernehmen, die in Serbien selber den bürokratischen Staatskapitalismus auf den Trümmern der letzten Reste der Arbeiterselbstverwaltung errichtete. Die serbische Staatsbürokratie ist so perspektivlos, daß ihnen ebenfalls nur der Kapitalismus als Perspektive erscheint. Nein, diese Bürokratie konnte Serbien nicht verteidigen, sie muß gestürzt werden. Aber nicht von den imperialistischen Agenten Panic’& Co! Keinerlei Bündnisse auch mit der bürgerlichen Opposition Draskovic‘, die sich zuletzt etwas gemäßigter nationalistisch gibt und die Marktwirtschaft predigt
- Das Milosevic-Regime muß gestürzt werden!
- Doch nicht von den Draskovic, Sesilj und den Alexander-Monarchisten!
Auch wenn Hunderttausend hinter ihnen demonstrieren, so wären sie doch die noch aggressiveren Marktwirtschaftspolitiker an der Macht: Ein kapitalistisches Serbien mit den Draskovic und Sesilj als Königsmacher. Ihre Floskeln von „sozialer“ Marktwirtschaft würden sich natürlich niemals bewahrheiten. Osteuropa hat schon längst gezeigt, daß Kapitalismus bestenfalls/Hyperprofite für die ausländischen Banken und Konzerne (und etwas gehobene Löhne) in einigen Industriebranchen bedeutet, um die herum das Land in sozialem`Elend von Arbeitslosigkeit und Armut versinkt.
Am 20.September fanden in Serbien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Sie griffen natürlich voll in den großen sozialen und politischen Polarisierungsprozeß ein, der Serbien in der Hauptsache in den großen Städten im letzten Jahr erfaßt hatte. Das Land steht zwar nach wie vor abseits vom direkten Krieg. Das Embargo schlägt (noch) nicht voll zu. Doch es steigert unter den Massen die Kriegsangst und forciert die Verarmung der ArbeiterInnenklasse und der Mttelschichten mit einer fast 1000%igen Jahresinflation, einem 28%igen Produktionsrückgang 1992 und einer Massenarbeitslosigkeit Hunderttausender.
Der sozialen Polarisierung entsprach nochmals die der zwischen nationalistischen Bürokräten versus bürgerlicher und radikalnationalistischer Opposition. Die verarmenden städtischen Mittelschichten strömten weiter Panic und der hinter ihm zusammengeschlossenen bürgerlich bis monarchistischen Depos-Opposition zu. Um Elend und Embargo zu lösen, gelte es den „Kommunismus“ Milosevics und dessen Kriegskurs zu stürzern: Marktwirtschaft hin zum Westen! Doch Milosevic selber forderte landauf, landab den „Frieden“ – indes ohne Erdrosselung des serbischen Volkes durch „Ustaschi“, moslemische „Janetscharen“ und den Westen! Just vor der Wahl gab es wieder Lohnauszahlungen und Pensionsanweisungen (feucht noch von der Notenpresse). Milosevic wurde gewählt, weil bei seiner Wahlniederlage „der Garant jener wohlfahrtsstaatlichen Leistungen verschwinden könnte, die aus kommunistischen Zeiten noch übriggeblieben sind.“ (‚NZZ, 1212.1992). Die Mehrheit 56,3% (Panic: 34%).
Der verbittertste Teil im serbischen Volk – die perspektivlosen Arbeitslosen, Vertriebenen wählten allerdings die „Radikalen“ Sesiljs – den Czetnik-Radikalismus für König, (groß)serbisches Vaterland und Krieg. Sie wurden im Parlament zweitstärkste Fraktion nach klaren Verlusten der „Sozialisten“ und vor Depos (die albanischen Massen im Kosovo hatten die serbischen Wahlen boykottiert).
Revolutianärinnen mußten, wenn nur möglich, selber kandidieren. Aus der Ferne können wir nur allgemeine Achsen des revolutionären Programms angeben, das in der Hauptsache gegen den monarchistisch-nationalistisch-marktwirtschaftlieben Block der Depos-Panic und Sesilj Front machen mußte.
Aber auch keinerlei Vertrauen in die „Sozialisten“ Milosevics. Vergessen durfte nicht sein, wie diese Bürokraten die großen Arbeiterinnenbewegungen 1988/1991 repressiv und nationalistisch erdrückt hatten; wie sie 1992 die Reste der Arbeiterselbstverwaltung ausgeschaltet haben – für einen Staatskapitalismus, in dessen Manageretagen auch die Milosevic-Bürokraten nur den Krieg abwarten, um selber Kapitalisten zu werden.
Bloß in der Geschwindigkeit der Kapitalisierung Serbiens hatten sie mit den Panic-Leuten Differenzen. Inzwischen haben sie Panic in beiden Kammern gestürzt Gut so, denn Milosevic muß von der Arbeiterklasse gestürzt werden!
Bosnien: Der Höhepunkt imperialistischer und
nationalistischer Zerstörung Jugoslawiens
In Bosnien konzentrierte sich schließlich das ganze Mächtegeflecht des jugoslawischen Krieges. Ganz unten die marodierenden Banden mit den Chefs über sich, die schon bewußter ihren Mob in die zu „säubernden“ ethnischen Regionen führen. Die Schlachtpläne halten natürlich die Tudjmann/Boban bzw. Milosevic’/Karadzic‘ in den Händen, während in Sarajewo noch das inzwischen abgehalfterte Izetbegovic‘-Regime „regiert“. Regisseur des Ganzen war jedoch im März 92 der Imperialismus.
1992 war es nicht mehr alleine der deutsche-österreichische. Die britischen, italienischen, französischen und letztlich amerikanischen Bedenken gegen eine deutsch-gelenkte Sezession Jugoslawiens waren bis Ende 1991 ausgeräumt. Massiver deutscher Druck und die Erkenntnis in Paris und Washington, daß ein zerrissenes Gesamtjugoslawien, das bis Mazedonien hinunter abzubrennen drohte, jedes Schuldenrückzahlungsvertrauen verloren hatte, richtete die imperialistische Front für einen (begrenzten) Kriegskurs in Jugoslawien aus.
Die EG legte somit im März 1992 einen Teilungsplan für ein „Bosnien der Kantone“ auf den Konferenztisch: In Bosnien eine einzige Einladung zur Aussiedelung Hunderttausender! Die letzten Zweifel, daß die Owen/Vance und hinter ihnen die Genscher bewußte Kriegspolitik betrieben haben, mußten dann wohl am 7. April 1992 beseitigt gewesen sein: Einen Tag vorher waren in Sarajewo 100.000 auf den Straßen und fordern unter den Schüssen von provozierenden Heckenschützen den Rücktritt aller Führer der kriegsführenden Parteien. Weg auch mit Izetbegovic‘, dem verbissensten „Unabhängigkeits“-Politiker. Bosnische „Unabhängigkeit“ und „Anerkennung“ satter kroatisch-„moslemischer“ Herrschaft – genau das waren jene Punkte gewesen, die die serbische Bevölkerung in den letzten Monaten derart verbittert hatten und die Karadzic‘ mit Krieg drohen ließen! Indes, am 7.4. erkennen die EG, die USA und Österreich Bosnien an. Das bedeutete Krieg!
In den Grundrissen wird dieser Krieg in Bosnien von drei, sich immer wieder überlappenden Fronten aus geführt. Zum einen das Izetbegovic‘-Regime, das verzweifelt am Bündnis mit dem kroatischen Nationalismus hängt Doch dieser teilt nicht alle Interessen der Sarajewoer Regierung und auch nicht jene der EG über die Integrität für Bosnien. Dicke „Kantone“ ziehen sich nämlich inzwischen durch Bosnien: Der eine ist der große serbische von der östlichen Herzegowina über die Bosanska Krajina und Semberija entlang des serbischen „Mutterlandes“. Unten im Südwesten, an den kroatischen Streifen anküpfend, zieht sich der kroatische „Kanton“ in der Westherzegowina zum Nord-Nordosten dahin. Milizenbanden, bosnisch-serbisches und kroatisches Militär „säubern“ gerade noch die letzten ethnischen Ecken dieser „Kantone“. „Großserbien“, „Großkroatien“ stehen sich dabei Ende 1992 weniger gegeneinander als gegenüber.
So ist die Lage regional. Die regional schwächste Kraft, eben die Regierung in Sarajewo, weiß/glaubt allerdings die UNO hinter sich, d.h. den US-, brit.-, franz.-, deutsch dominierten Weltsicherheitsrat.mit den Russen und Chinesen im Clinch. Einstweilen trommeln die „islamischen“ Diktaturen wie Ägypten und die Türkei, die im „eigenen“ Land die blutigsten Massakersysteme haben, auf die Intervention in Bosnien.
Doch die großen Herren im Weltsicherheitsrat ziehen ihre Konsenslinie durch: Militärische Positionen im nördlichen und Zentraljugoslawien besetzen. Bosnien kann dabei verbluten und erfrieren, wenn nur gesichert ist, daß sich der Kriegszug nicht in den südlichen Balkan mit Albanien, Mazedonien ausbreitet! In Kroatien, Bosnien baut die „UNO“ zweifellos.militärische Brückenköpfe gegen Serbien als militärische Option, um vom Norden her den Balkan zu „befrieden“. UNO-Aufmarsch und Embargo, wie bekannt kommt uns das doch vor, ist Kriegsvorbereitung! Die Dynamik dieser UNO-Politik geht jedoch über alle UNO-Pläne hinaus und drängt den Krieg gegen Süden. Die Krise in Serbien verschärft sich, die soziale Misere in Kosovo/Albanien, in Mazedonien ist gewaltig angewachsen. Serbische Niederlagen im Norden, Umstürze in Belgrad uä. könnten die Mine auf dem südlichen Balkan hochgehen lassen, wo die soziale Brisanz erneut zu brutalen nationalen Schlachten überginge.
Für die Niederlage des UNO-imperialistischen Balkankriegsaufmarschs!
Mit den nationalistischen Militärs und UNO-Imperialisten nimmt die Balkankatastrophe ihren unaufhaltsamen Lauf. Der eine Aspekt unserer anti-imperialistischen Verteidigungspolitik für Serbien betrifft natürlich diesen immer offener heranwachsenden Zusammenstoß UNO-imperialistischer Militärs mit der serbischen Armee bzw. Milizen in Bosnien. So tief wir auch die nationalistischen Vernichtungs- und Vergewaltigungsfeldzüge etwa der Czetniks hassen, im Konflikt der UNO-Truppen mit ihnen haben/hätten wir keinen Grund, „neutral“ zu sein: Für die Niederlage der UNO-Truppen!
Die Czetnik-Marodeure gehörten natürlich schon längst von anti-nationalistischen, bewaffneten Frauen erschossen. Ein Aufbau von arbeiterinnendemokratischen Milizen müßte voranschreiten, die jedes Dorf, jeden Stadtteil, jede Fabrik vor den nationalistischen Mördern schützen! Es liegt auf der Hand, dass solche ‘Selbstorganisierung’ der betroffenen Frauen, ArbeiterInnen, Angestellten, Bauern auch von den UNO-imperialistischen Truppen nicht anerkannt werden würden. Somit ist die Frontstellung „Imperialismus, Hände weg vom Balkan“ weiter aktuell!
Serbien- weiter Schlüssel der Lage
Ob der nationalistische Krieg in Bosnien, ja ob überhaupt ein noch größeres UNO-Kriegsinferno auf dem Balkan verhindert werden kann, entscheidet sich allerdings allem voran in Serbien, das vom westlich-imperialen Sog noch nicht unmittelbar betroffen ist. Die einzige Hoffnung für den Balkan ergibt sich aus seiner Geschichte – und hier insbesondere jener Serbiens: daß Abscheu und Unabhängigkeitswillen gegen Krise, nationalistisches Unheil und imperialistischen Kriegsaufmarsch wieder einmal das Land aufrütteln. Der Krieg hat zwar bereits ganze Generationen auf dem jugoslawischen Balkan demoralisiert und zerstört. Die hunderttausenden Vertriebenen und Folteropfer; die Marodeure, die etwa von Belgrad aus ihre Plünderungsund Vergewaltigungsausflüge nach Bosnien unternehmen. Wir meinen hingegen die Massen in den Arbeiterinnenbezirken der serbischen und montenegrinischen Städte. Wir schauen auf die einfachen Soldatenmassen, von denen Hunderttausende in den 80er Jahren ihre bitteren aber auch lehrreichen Erfahrungen mit IWF-Kapitalismus, Bürokratismus und Nationalismus gemacht haben. Sie müssen noch einmal aufstehen. So wie 1988! Vor das, in das Belgrader Parlament. Doch sie dürften nicht, (wie damals) von Milosevic‘ beschwichtigt, nach Hause gehen. Sie müßten die Milosevic‘ stürzen und eine wirkliche Arbeiterinnen-Regierung bilden.
Im Zuge einer solchen Revolutionierung in Serbien, die große Radikalisierungswellen über die serbischen Grenzen hinaus treiben würde, würde unvermeidlich der Niedergang des Nationalismus aller Lager eingeleitet werden. Der Aufschwung der proletarischen, sozialen Kämpfe auf dem Balkan wäre auch die einzige Grundlage dafür, daß Bosnien wieder zu einer solidarischen Einheit in der nationalen Vielfalt des Landes zurückkehren könnte. In der Tat, schon längst ist es notwendig, Bosnien vom marodierenden und vergewaltigenden Mob zu befreien. Dies durchzusetzen, ja dazu bedarf es des Heranwachsens der proletarischen Revolution auf dem Balkan. Dabei könnte das serbische Proletariat eine hervorragende Rolle spielen! Seine ungeheuren Kampferfahrungen zur Machteroberung zu nützen, bedürfe es allerdings einer Avantgarde von AktivistInnen, die aus den Kämpfen und Ereignissen der letzten 10 und mehr Jahre die revolutionären Lehren gezogen haben und ein ‘Muster’ von nicht-kapitalistischer, demokratischer Macht der Arbeiterklasse ‘im Kopf’ mit sich tragen.
Hände weg vom Balkan!
Nieder mit dem Embargo!
Schluß mit dem nationalistischen Krieg!
Für eine freiwillige, rätedemokratische
Arbeiterinnen- und Bauernföderation
Jugoslawien und auf dem Balkan!
Karl Fischbacher, 17.11.1992
Fußnoten:
- 1 Bulgarien 680-969, 1185-1330; Serbien 1330-1355
- 2 Njegos‘: Montenegrinischer Fürst, Bischof und Dichter
- 3 Kinder christlicher, slawischer, albanischer und griechischer Bauern
- wurden zur Elitetruppe des Sultan erzogen; errichteten phasenweise ihre eigene Herrschaft auf dem südwestlichen Balkan.
- 4 1806, 1877/78, 1913
- 5 1865/66, 1913
- 6 1882
- 7 ab 1806
- 8 Rußland besiegte zwar 1854 die Türkei militärisch, mußte sich aber schließlich dem Diktat Englands, Frankreichs und Österreichs beugen und sich aus dem Balkan zurückziehen.
- 9 Wir stimmen Rosa Luxemburgs Position zum slawischen Selbstbestimmungsrecht gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu (R. Luxemburg, Nationalitätenfrage und Autonomie, in Internationalismus und Klassenkampf, Sammlung Luchterhand)
- 10 3.stärkste Partei bei den Wahlen 1920, die kommunistisch geführten Gewerkschaften hatten 300.000 Mitglieder (Fejtö, 1972)
- 11 M. Djilas, Memoiren