Wenn ich schon beim kritischen Hinweisen bin, da gibts noch eine
seltsame Passage des Herbert Langthaler in einem Interview, die offenbar
nicht ganz durchdacht ist:
http://www.kompetenz-online.at/?p=1748
Nach EU-Recht müssen die Mitgliedstaaten den Flüchtlingen neun Monate
nach Einreichung ihres Asylantrags grundsätzlich Zugang zu ihrem
Arbeitsmarkt gewähren. Das kann mit dem Argument der Arbeitslosigkeit
eingeschränkt werden. Die ist aber bei uns in Wahrheit ein Randproblem,
Österreich hat nur eine geringe strukturelle Arbeitslosigkeit. Bereits
nach drei Monaten dürfen AsylwerberInnen arbeiten, wenn der Arbeitgeber
eine Beschäftigungsbewilligung im Rahmen des Ersatzkraftverfahrens
beantragt, das heißt, wenn kein/e InländerIn, kein/e EU-BürgerIn und
kein/e integrierte/r AusländerIn den Job will. – See more at:
http://www.kompetenz-online.at/?p=1748#sthash.mABBpoXJ.dpuf
Es dürfte dem Herbert Langthaler entgangen sein, dass wir in Österreich
seit der Jahrtausendwende, also seit immerhin 12 Jahren, eine sich
stetig verfestigende MASSENARBEITSLOSIGKEIT haben.
Die offizielle Statistik ist ja irreführen, da eine Menge Gruppen
versteckter Arbeitslosigkeit nicht enthalten ist und die Zahl der
Arbeitslosen mit mindestens den Faktor 1,6 zu multiplizieren ist, sodass
wir auf ca. 650.000 Arbeitslose kommen.
Weiters kommen wir, wenn wir die AMS-Statistikverfälschungen wegrechnen
auf rund 200-000 – 300.000 Langzeitsarbeitslose.
Als Langzeitarbeitsloser, der auch viele Leidensgenossen kennt (von den
über 100 Vereinsmitgliedern der Aktiven Arbietslosen haben es bislang
nur wenige eine dauerhafte Lohnarbeit gefunden) finde ich diese
Gedankenlosigkeit schon bedenklich und fühle mich etwas verarscht.
Die „niedrige“ Arbeitslosenrate ist zudem dem Umstand geschuldet, dass
in Österreich auch EU weit gesehen eine extrem hohe Teilzeitarbeitsquote
vorhanden ist, die vor allem auf Kosten der Frauen geht.
Nach Herbert Langthalers Mathematik müssten die furn 10.-15.000
Asylwerber im Jahr erst recht ein Randrandproblem.
Gerade angesichts der hohen Arbeitslosenzahl ist es eh schon relativ
wurscht ob die offiziell geschönte Zahl nun um 19-15.000 erhöht wird.
Insoferne ist ja die Arbeitslosigkeit kein stichhaltiges Argument zumal
diese ja im relativ reichen Österreich künstlich geschaffen ist und
durch eine Rückverteilung des von den oberen 1% zusammen geraubten
Reichtums bzw. durch eine längst überfällige Arbeitszeitverkürzung
beseitigt werden könnte. Das müsste das „wahre“ Argument sein!
(Redewendungen wie „in Wahrheit“ (Plato lässt grüßen) deuten auf eine
dualistische Weltsicht hin und sollten eher vermieden werden, siehe
Stichwort „Dualismuskritik“)
Wer sich gegenüber den Arbeitslosen ignorant verhält, sollte sich nicht
wundern, wenn die zurecht Frustrierten in diesem Land dummerweise aus
Frust FPÖ wählen zumal „die österreichische Link“ es bislang nicht
geschafft hat, sich wenigstens zu den Wahlen zu vereinen.
Im übrigen halte ich es nicht nur für zumutbar sondern für eine
Demokratie geradezu notwendig, über alle großen gesellschaftlichen
Probleme halbwegs informiert zu sein, zumal die – künstlich geschaffene
– Massenarbeitslosigkeit eine wesentliche Voraussetzung des
Krisenkapitalismus ist.
Solange sich die in verschiedenen Szenen geführten politischen Kämpfe
vereinen oder wenigstens sich koordinieren und gegenseitig stützen, wird
sich in Österreich wenig ändern.
Als bereits 25 Jahre engagierter fällt mir schon auf, dass es sogar in
vielen Szenen an einem kontinuierlichen Kampf mangelt, geschweige denn
dass es eine kontinuierliche Vernetzung gäbe.
1987 gab es eine große Sozialbewegung gegen den ersten großen
Sozialraubbau der großen Koalition, und dennoch muß sich der Widerstand
gegen dieverse weiterer Sozialabbaus weiterhin jedes Mal mühsam neu
konstituieren. Die letzten zwei Belastungspakete gingen überhaupt schon
fast ohne Gegenwehr durch. Und erst recht peinlich war die fast völlige
Abwesenheit der „Linken“ bei den globalen Protesten der vergangenen zwei
Jahre …
Auch jene politischen Foren, die für die Vernetzung und Schaffung
gemeinsamer Öffentlichkeit gegründet wurden – das Austrian Social Forum
und die Initiative Zivilgesellschaft (Aktive Arbeitslose unterstützen
beides und stoßen zumindest nur bei ersterem auf Ignoranz) – nur Anfangs
gruoßen Zuspruch fanden und nun eher still vor sich hinexistieren, zeigt
den Mangel an politischer Gesinnung in Österreich.
Bezeichnend war auch, wie in einer Pause jemand beim Promi-Auftrieb von
„machen wir uns stark“ jemand in Mikro hauchte: „Bildung schützt vor
Arbeitslosigkeit“ …. (als hätten es die „Ungebildeten“ verdient
arbeitslos zu sein und seien somit selber schuld ?!)
Da gabs mal eine große Demo mit 30.000 Teilnehmern unter dem Slogan „Wir
zahlen nicht für Eure Krise“ und weiter passiert ist dann nichts mehr …
So werden wir nie eine Multitude (Negri), transnationale Guerrilla (Jens
Kastner) oder ein gemischtes Kollektiv (Bruno Latour) schaffen.
In diesem Sinne muß ich feststellen: ***POLITIK*** findet nicht statt in
Österreich
Ketzerische Grüsse
Martin
P.S.: Dass eine auch für eine bürgerliche Demokratie selbtsverständliche
politische Organisierung von Asylwerbern als große Neueheit betrachtet
wird, zeigt wie politisch rückständig Österreich eigentlich ist
(angesichts der zahlreichen politisch engagierten Organisationen in dem
Bereich hätte diese Fehlstelle eigentlich doch schon längst auffallen
müssen!)
(Dass auch Arbeitslose keine politische Vertretung oder öffentlich
wahrnehmbare Stimme haben und weitestgehend von der politischen
Öffentlichkeit ausgeschlossen sind, scheint im stupiden, postfeudalen
Österreich auch kaum wen aufzufallen). (Die Demokratie wurde in
Österreich nie vom Volke erkämpft sondern ist das Ergebnis verlorener
Kriege …)
Dies sei als Denkanstoss gesagt, allfällige Fehlinterpretationen meiner
Sätze muss ich wohl in so einem Land in Kauf nehmen 😉
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Martin Mair, Publizist virtuell& traditionell
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