Tina Leisch: Interkultur ist nichts wert in Wien – Brief
Sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin, geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Herren Stadträte, Mit großen Entsetzen höre ich, dass Sie dem Amerlinghaus die Suvbvention berdrohlich kürzen wollen.
Es ist ein weiteres Zeichen bodenloser Ignoranz gegenüber der tatsächlichen Zusammensetzung der Wiener Bevölkerung und damit ein unendlich peinliches Maß für die Enge Ihres Horizonts, wenn Sie in einer Stadt, die gemessen an ihrer Größe kaum interkulturelle Zentren und Begegnungsorte (jenseits der Jugendzentren) aufweisen kann, einen der ältesten, verdientesten und wichtigsten Ort der Begegnung und des gemeinsamen Arbeitens und Lernens und Kulturproduzierens von Roma und Gadsche, Eingewanderten und Altansässigen, arrivierten KünstlerInnen und jungen Talenten bedrohen.
Die Kollateralschäden werden die SteuerzahlerInnen um etliches mehr kosten als die Subvention, die sie einsparen. (Zum Beispiel kann ich Ihnen versichern, dass ganze Generationen von schulabbrechenden Burschen nur deshalb nicht auf die schiefe Bahn geraten sind, weil das Amerlinghaus einen Ort geboten hat, an dem sie Tanzen und Akrobatik proben konnten und nebenbei auch noch Hausaufgabenhilfe erhielten.
Sollte das Amerlinghaus geschlossen werden, können Sie rechnen, dass circa 10 junge Burschen mehr jährlich kriminell werden und sagen wir je einen 6 monatigen Gefängnisaufenthalt kosten werden. Bei hundert Euro Haftkosten am Tag, macht das 180.000 Euro zusätzliche Kosten für die Steuerzahler, die eine Schließung des Amerlinghauses nur in dieser Hinsicht bewirken würde….)
Ohne das Amerlinghaus hätte nicht Frau Prof. Ceija Stojka Generationen von Jugendlichen aus ihrer KZ-Zeit erzählt. Sie können also auch mit einem Anstieg des Rechtsextremismus rechnen.
Was das genau kostet, kann ich Ihnen nicht in Euro ausrechnen, aber Hass in der Stadt kostet Lebensqualität, daher hat das Amerlinghaus als Ort der interkulturellen Begegenung unendlich viel zur Lebensqualität hier beigetragen.
Leute, die vielleicht FPÖ-WählerInnen geworden wären, sind hier in jungen Jahren im Amerlinghaus für immer von diesem Irrtum geheilt worden. Wer weiß wieviele Stimmen die SPö und die Grünen dem Amerlinghaus verdanken?
Ohne das Amerlinghaus wären Dimitré Dinev, Seher Cakir, Julia Rabinovic und Ibrahim Amir vielleicht nie entdeckt worden.
Selbst, wenn Sie persönlich vielleicht keine Gegenwartsliteratur brauchen, kann ich Ihnen versichern, dass die Menschen, die hungrig auf gute Bücher sind, viel zu lange auf diese „Tschuschenliteratur“ warten musste. Jetzt gibt es sie, sie macht Furore, wird gelesen und auf den Theatern gespielt, aber den wichtigsten Ort des Empowerments für schreibende ImmigrantInnen wollen Sie zusperren?
Unzählige politische und kulturelle Initiativen haben hier niederschwellig und billig bis umsonst offene Türen für Treffen, Proben, Selbsthilfegruppen, Empowermentzirkel gefunden. Für alle, die sich treffen wollen und die schon zu alt fürs Jugendzentrum aber noch zu wenig senil und unterwürfig für den Pensionistenclub sind, hat das Amerlinghaus die Türen offen gehalten.
Nicht wenige erfolgreiche Musik-, Theater- und Filmprojekte haben irgendwann mit einem Treffen, ein paar Workshops, ein paar Proben im Amerlinghaus begonnen. Gerade für die Freie Kunst- und Kulturszene, die ja sehr viel Vorarbeit leisten muss, um überhaupt eine Projektförderung zu bekommen, ist so ein offenes Haus unabdingbare Vorraussetzung um Dinge erst einmal so weit zu entwickeln, dass man dann dafür um Geld ansuchen kann.
Da ja leider die mit SPÖ-Parteigünstligen besetzten Grätzelzentren lauter tote, sterile Orte sind, in denen Kultur heißt, dass inkompetente, uninspirierte Leute in Vetternwirtschaft ihren besten Freunden eine fade Ausstellung nach der andren zuschanzen, in denen Gähn-Kultur verordnet wird und in denen nie nirgends nichts Spannendes entsteht und die unfassbar undemokratisch sind, kenne ich nur zwei wirklich lebendige interkulturelle Zentren in Wien, die tatsächlich ein breitgestreutes Programm von und mit und für die Menschen machen: die brunnenpassage und das Amerlinghaus.
Das Amerlinghaus verdient also eine 200% Erhöhung seines Budgets und in allen Grätzeln sollte es so lebendige, selbstverwaltete, angenehme, sympathische Amerlinghäuser geben. Damit würden sie die Wählerstimmen für die FPÖ in Wien wohl um ein Drittel senken…. Aber nein: Ausgerechnet die rotgrüne Stadtregierung macht dem Amerlinghaus das Leben schwer? Mit Verlaub, das ist schwer fahrlässig, unverantwortlich und dumm. Außerdem langfristig teuer und traurig.
Also erhöhen Sie bitte umgehend die Subvention fürs Amerlinghaus.
Mit freundlichen Grüßen
Tina Leisch
+4369919422209
Kulturzentrum im Amerlinghaus: In eigener Sache
Bis jetzt ist nicht klar, wie hoch die Förderung für das Kulturzentrum im Amerlinghaus im Jahr 2014 sein wird. Es liegt noch kein Beschluss von Seiten Gemeinde vor, und das erste Mal in der Geschichte des Kulturzentrums ist das erste Quartal des Jahres vergangen, ohne dass Subventionsgelder ausbezahlt worden sind.
In der letzten Märzwoche fand ein Gespräch zwischen der Leiterin der für uns zuständigen MA 13 mit unserem Obmann statt, bei dem sie ihm keine wesentlich anderen Informationen mitteilte: es gäbe noch immer keinen Beschluss, vor Mai ist also nicht mit der Auszahlung der Subvention zu rechnen.
Was sie allerdings ankündigte, war eine Kürzung der Förderung – über deren Ausmaß wollte sie keine konkreten Aussagen machen.
Damit stehen wir erstens vor dem Problem, bis Mai Gehälter auszahlen zu können, Rechnungen zu bezahlen und Exekutionen und Konkursanträge zu vermeiden, und zweitens bedeutet eine Subventionskürzung eine akute existenzielle Bedrohung für den Fortbestand des Zentrums.
Wenige Tage später müssen wir aus der U-Bahnzeitung „Heute“ erfahren, dass die Stadt die Subvention von 245.000,- auf 113.000,- kürzen wolle, und davon noch die satten 60.000,- Euro Miete direkt an die GESIBA (zu 99,97 % im Eigentum der Stadt Wien) überweisen statt an den Verein.
Auf unsere dringlichen Nachfragen besteht zumindest die vage Hoffnung, dass die Summe von 113.000,- nicht die gesamte Förderung für das Jahr 2014 ist.
Bedeutet dies nun, dass die Gemeinde tatsächlich Gelder der MA 13 direkt an die Gesiba zahlen will? Soll das bedeuten, dass 113.000,- im April beschlossen, davon nur 53.000,- im Mai ausbezahlt werden? Dann gehen rund 2/3 sofort für die Banküberziehungen an die Bank zurück, mit denen von Jänner bis Mai Ausgaben für Strom, Gehälter, Krankenkasse, Finanzamt, ganz zu schweigen von Telefon und Internet, Papier, Büromaterial, Programmaussendungen usw. überbrückt werden.
Und mit etwa 20.000,- sollen wir dann auskommen, bis irgendwann vielleicht ein weiterer Teil der Förderung – in ungewisser Höhe – beschlossen wird?
Wie soll sich das ausgehen?
Jahrelang wurde um die Grundkosten für das Kulturzentrum verhandelt und an allen Ecken und Enden eingespart, um mit dem immer weniger werdenden Geld auszukommen. Notwendige Renovierungsarbeiten können seit Jahren nicht durchgeführt werden, während der Reparatur- und Instandhaltungstopf der Gesiba für das Amerlinghaus prall gefüllt ist.
Es ist kein Geld da, wird uns immer wieder gesagt. Geht es nicht vielmehr darum, dass Geld nur mehr für „wachstumsrelevante“ Projekte da ist, während an anderer Stelle durch „Einsparungen“ an den Lohnabhängigen gespart wird und an nach neoliberaler Logik nicht wachstumsrelevanten Sektoren wie Sozialversorgung, Basiskultur, politischer Bildung, Trans- und Interkulturellem? Ist es das, was die politisch Verantwortlichen wollen?
Wir sind kein Einzelfall, und wir meinen, dass es im öffentlichen Interesse liegt, vielfältige kritische Denk-, Handlungs-, Lebens- und soziale Räume zu erhalten.
Wir werden weiter kämpfen und nicht aufhören, eine politische Diskussion über den gesellschaftlichen Wert von freier und autonomer Kulturarbeit zu fordern!
Für mehr und nicht weniger Freiräume!
Für mehr und nicht weniger politische, soziale, kommunikative Zentren!
Für mehr emanzipatorische politische Kultur!
KULTURZENTRUM IM AMERLINGHAUS BLEIBT!