LEFÖ: Im Europäischen Parlament wird abgestimmt – Report für eine weitere Kriminalisierung von Kunden von SexarbeiterInnen – Petition!

Werte MedienvertreterInnen,

 im Europäischen Parlament wird in dieser Woche (laut unseren Informationen am 25. Februar) über einen Bericht abgestimmt, der eine Bestrafung von Kunden von SexarbeiterInnen vorsieht. Somit wird eine weitere Kriminalisierung dieses bereits so prekären Bereichs vorangetrieben.

 ParlamentarierInnen haben die Möglichkeit ihre Stimme abzugeben für MEHR Rechte statt fortgesetzter Doppelmoral!

Täuschen wir uns nicht darüber hinweg, dass eine Bestrafung von Freiern letztlich wieder auf Kosten der SexarbeiterInnen geht, nämlich durch Abdrängen in unsichtbare und ungeschützte Bereiche. Daher fordern wir: „Nur Rechte für SexarbeiterInnen schützen vor Unrecht, Ausbeutung, Diskriminierung, Stigmatisierung und Kriminalisierung! Nur Rechte verbessern die Lebenssituation von Frauen!

 SexarbeiterInnen, NGOs, Netzwerke, WissenschafterInnen und andere mehr schließen sich zusammen um einer weiteren Ausgrenzung, Schlechterstellung und Diskriminierung einen Riegel vorzuschieben.

 Zu Ihrer Information finden Sie im Attachment eine Stellungnahme von WissenschafterInnen / AkademikerInnen, die direkten inhaltlichen Bezug nimmt zum Report von M. Honeyball und eine Presseaussendung von ICRSE.

Hier eine Petition von ICRSEhttps://www.change.org/en-GB/petitions/members-of-european-parliament-say-no-to-the-criminalisation-of-clients-of-sex-workers#share

Mehr Informationen auch auf www.sexworkeurope.org

 Wir hoffen auf Ihre Unterstützung!

 Mit freundlichen Grüßen

Renate Blum, MAS

Für den Verein LEFÖ

 LEFÖ ist seit 1993 im Bereich TAMPEP: Informations-, Beratungsarbeit und Gesundheitsprävention für Migrantinnen in der Sexarbeit tätig. LEFÖ bietet Unterstützung und Begleitung durch kontinuierliches Streetwork, Beratungsarbeit, peer education für und mit Sexarbeiterinnen. Nationale und internationale Vernetzung und eine vieljährige Auseinandersetzung in diesem Themenfeld kennzeichnen unsere Expertise.

 37 Organisationen gegen Freierbestrafung in der EU

An den Ausschuss für die Rechte der Frau
und die Gleichstellung der Geschlechter des Europäischen Parlaments

25. Januar 2014 / ICRSE
(International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe)
übersetzt aus dem Englischen
für den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V.

Das ICRSE verurteilt die Entscheidung des FEMM (Ausschuss des Europäischen Parlaments für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter / Women’s Rights and Gender Equality Committee), die Kriminalisierung von Kunden sexueller Dienstleistungen zu unterstützen.

Amsterdam, den 24. Januar 2014

Eine reaktionäre Herangehensweise an Rechte, Gesundheit und Sicherheit von Sexarbeiter_innen findet jetzt Unterstützung durch den „Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter“ (FEMM) des Europäischen Parlaments.

Das International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe (ICSRE) verurteilt scharf die Empfehlung des Ausschusses, Kunden von Sexarbeiter_innen zu kriminalisieren.[1]

FEMM hat, entgegen der Empfehlung aller europäischen Sexarbeiter_innen-Organisationen, vieler Gesundheitsorganisationen und anderer Gruppierungen der Zivilgesellschaft beschlossen, eine repressive Maßnahme zu unterstützen, die Frauen unter dem Deckmantel ihres Schutzes nur noch angreifbarer macht.

Wir sind schockiert darüber, dass Mary Honeyball, Mitglied des europäischen Parlamentes für London und Autorin des heute verabschiedeten Berichtes, so völlig unverhohlen die Tatsache ignoriert, dass die Kriminalisierung von Kunden sich nicht nur als ineffektives Mittel zur Reduktion von Prostitution und Menschenhandel herausgestellt, sondern auch bewiesenermaßen zu erhöhtem Risiko für Sexarbeiter_innen geführt hat.

Neben anderen Belegen stellt ein aktueller Polizeibericht aus Schweden fest: „2009 schätzte die Rikskriminalpolisen (Nationale Ermittlungsstelle u.a. gegen Menschenhandel) die Anzahl der Thaimassage-Studios in Stockholm und Umgebung auf ungefähr 90, von denen bei den meisten ein Angebot sexueller Dienstleistungen angenommen wurde. Zum Jahreswechsel 2011/2012 wurde die Zahl der Thaimassage-Studios im Bereich Stockholm auf ungefähr 250 geschätzt, im gesamten Land auf ungefähr 450.“[2] Solche Zahlen sind klare Anzeichen für die Ineffektivität des Schwedischen Modells in Bezug auf seine Kernzielsetzung.

Viele andere Berichte unterstreichen diese Tatsache. 2012 veröffentlichte Pro-Sentret, Oslos offizielles Hilfszentrum für Sexarbeiter_innen, in Norwegen einen Bericht, der Belege dafür enthielt, dass die Anzahl der Sexarbeiter_innen sich nicht verringert hat und das Maß an Gewalt gegen Sexarbeiter_innen durch das Gesetz ebenfalls nicht beeinflusst werden konnte. Dieser Bericht, der auf einer Umfrage bei 123 aktiven Sexarbeiter_innen basiert, verdeutlicht außerdem, dass Sexarbeiter_innen wegen des verstärkten Stigmas und der Auffassung, dass sie selbst als Kriminelle gesehen werden, jetzt seltener Schutz bei der Polizei suchen.[3]

Ein besorgniserregender Aspekt der Kriminalisierung von Kunden von Sexarbeiter_innen betrifft die Gesundheit der Sexarbeiter_innen, insbesondere in Bezug auf HIV/AIDS und weitere sexuell übertragbare Krankheiten. Es überrascht nicht, dass Ms Honeyball in ihrem heutigen Artikel im Observer diese Frage völlig ausspart. In Frankreich wurde in den Monaten vor der Abstimmung der Nationalversammlung durch eine große Bandbreite von Organisationen der mangelnde Augenmerk von Najat Valaud-Belkacem, der Ministerin für die Rechte der Frauen, auf die HIV-Epidemie und die zentrale Rolle von Sexarbeiter_innen im Kampf dagegen verurteilt. 100 französische und weitere 100 internationale Organisationen, darunter Hilfsanbieter und Gesundheitsorganisationen wie die „Ärzte der Welt“ und natürlich die Sexarbeiter_innen-Organisationen selbst unterzeichneten ein Manifest gegen die Kriminalisierung von Kunden [4].

Wir sind unfassbar erschüttert, dass Ms Honeyball die Empfehlungen von Expert_innen aus ihrem eigenen Herkunftsland ignoriert, wie zum Beispiel die des UKNSWP (UK Network of Sexwork Projects), einem Dachverband von Non-Profit Organisationen im gesamten Vereinigten Königreich, die Unterstützung und Hilfsangebote an vorderster Front anbieten und dadurch mit tausenden von weiblichen und männlichen Sexarbeiter_innen im Vereinigten Königreich in direktem Kontakt stehen. Seine Antworten auf die kürzliche Konsultation in Schottland bezüglich des dort abgelehnten Gesetzentwurfs zur Kriminalisierung von Kunden von Sexarbeiter_innen lassen keinen Zweifel aufkommen, dass Sozialarbeiter_innen und andere Akteure in Schlüsselpositionen, die tagtäglich mit Sexarbeiter_innen arbeiten, das Schwedische Modell nicht befürworten:

Die Forschung hat gezeigt, dass die Kriminalisierung von Kunden oder Sexarbeiter_innen negative, gefährliche und teilweise tödliche Konsequenzen für Sexarbeiter_innen nach sich ziehen kann, besonders für diejenigen von ihnen, die auf der Straße arbeiten. Bei Sexarbeit auf der Straße führt Kriminalisierung oft zu Verdrängung in häufig dunklere, gefährlichere und unbekanntere Gegenden. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit von Gewalltaten erhöht und diejenigen, die auf der Straße arbeiten, werden leichter Ziel von Ausbeutung. Jenseits der Straße verstärkt die Kriminalisierung der Kunden das mit Sexarbeit verbundene Stigma und Sexarbeiter_innen befürchten, dass Kontakt zur Polizei Ermittlungen gegen sie selbst und ihre Kunden nach sich ziehen wird. Dies stellt eine große Barriere für Sexarbeiter_innen dar, erlebte Straftaten der Polizei und anderen Behörden anzuzeigen. Dadurch wird die Verletzlichkeit in allen Sektoren der Sexarbeit erhöht: viele Straftäter, die sich ihre Opfer unter Sexarbeiter_innen suchen, tun das, weil sie glauben, dass Sexarbeiter_innen keine Anzeige erstatten werden. Das vorgeschlagene Gesetz wir diese Dynamik weiter verschärfen.“[5]

Der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter des Europäischen Parlamentes folgt leider dem Trend, Ideologie höher zu gewichten als die Gesundheit und Sicherheit von Sexarbeiter_innen, und ignoriert dabei die Vielzahl und die Bandbreite der Erfahrungen von Sexarbeiter_innen und Sozialarbeiter_innen genauso wie die Empfehlungen internationaler Organisationen wie die, die im Dezember 2011 durch die UNAIDS Advisory Group on HIV and Sex Work in ihrem Begleitreport zu den UNAIDS Richtlinien zu HIV und Sexarbeitern (2009) veröffentlicht wurden:

Die Staaten sollten von der Kriminalisierung der Sexarbeit oder der Tätigkeiten im Umfeld der Sexarbeit Abstand nehmen. Dekriminalisierung von Sexarbeit sollte die Abschaffung aller strafrechtlichen Sanktionen für den Kauf und Verkauf von Sex, Betriebsführung für Sexarbeiter_innen und Bordelle und weitere Aktivitäten in Bezug zur Sexarbeit beinhalten.

Wie viele weitere Berichte und Empfehlungen müssen noch geschrieben und veröffentlicht werden, bevor Frauengruppen und -organisationen endlich anfangen, Sexarbeiter_innen zuzuhören? Und noch wichtiger: wie viele unserer Kolleg_innen müssen noch umgebracht werden, bevor Sie anfangen, uns zuzuhören? Sexarbeiter_innen haben eine Stimme. Und wir sagen NEIN zum Schwedischen Modell.

Mit freundlichen Grüßen,

Luca Stevenson

Koordinator
International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe (ICRSE)
www.sexworkeurope.org
 

[1] http://www.ibtimes.co.uk/european-parliament-vote-nordic-model-prostitution-that-fines-clients-1433466?utm_source=hootsuite&utm_campaign=hootsuit

[2] http://www.polisen.se/Global/www%20och%20Intrapolis/Informationsmaterial/01%20Polisen%20nationellt/Engelskt%20informationsmaterial/Trafficking_1998_/Trafficking_report_13_20130530.pdf

[3] http://www.thelocal.no/20120622/rip-up-prostitution-law-says-top-oslo-politician

[4] http://site.strass-syndicat.org/2013/09/manifeste-contre-la-penalisation-des-prostituees-et-de-leurs-clients/

[5] http://www.uknswp.org/wp-content/uploads/UKNSWP_Scotland_consultation_response_dec_2012.pdf

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 POLITISCHE.BILDUNG.MIGRANTINNEN

Eine Studie aus der Praxis von Lernzentren für Migrantinnen

LEFÖ / Peregrina / Orient Express

 Die Studie ist bei LEFÖ erhältlich!

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 „Entschädigung für Betroffene des Menschenhandels in Österreich“

LEFÖ ist Mitautorin dieser Studie

 mehr dazu: www.lefoe.at

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