Markus Lehner
Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern erlebte Spanien bei der EU-Wahl eine Überraschung von „links“. Neben den etwa 11 Prozent des Wahlblocks der Izquierda Unidad (IU), bekam das erst im März gegründete linke Wahlbündnis „Podemos“ (übersetzt: „Wir können es“) landesweit 8% oder 1,25 Millionen Wählerstimmen und 5 Mandate im EU-Parlament. Dabei hatte es noch ein paar Wochen vor der Wahl Prognosen um die Prozentgrenze gegeben. Doch im Verlauf des Wahlkampfes zeigte sich eine immer größer werdende Dynamik in Richtung Podemos.
Noch im Februar hatte die IU eine gemeinsame Wahlplattform nicht zustande kommen lassen. Dazu kam, dass viele ehemalige Anhänger der IU deren frühere und weiter zu befürchtende Unterstützerrolle für PSOE-Regierungen satt hatten. Wesentlich aber speiste sich die Initiative für das Wahlprojekt Podemos aus den nun seit 3 Jahren anhaltenden massiven Protesten gegen die Krisenpolitik, ob sie nun von PSOE- oder PP-Regierungen im Rahmen der EU-Konsolidierungspolitik verantwortet wurden. Die Platzbesetzungen, die 15M-Bewegung, die Bewegung der „Empörten“ sind nur einige Begriffe, welche die allgemeine und nachhaltige Politisierung vor allem vieler von der Krise betroffener Jugendlicher kennzeichnen. Von Gewerkschaften und der traditionellen Linken kaum noch vertreten, haben sie neue Formen des Protestes und der Organisierung gefunden, durch die Spanien in den letzten Jahren nicht zur Ruhe kam.
Initiative
Die unmittelbare Initiative zu Podemos ging einerseits von einer Reihe links-intellektueller SympathisantInnen der Protestbewegung aus, die z.T. nicht mehr für ein IU-Projekt arbeiten wollten. Dabei ist vor allem Pablo Iglesias zu nennen, ein linker Politikwissenschaftler, der als TV-Moderator bekannt ist. Andere bekannte Personen waren z.B. der Schriftsteller und Philosoph Santiago Alba Rico. Der zweite wesentliche Faktor war die Entscheidung zum Aufbau eines Wahlprojekts durch die Izquierda Anticapitalista (IA), einer Gruppierung, deren Führung durch die Sektion der Vierten Internationale gestellt wird, jahrelang mit Projekten im Rahmen der IU beschäftigt war, aber auch heute noch über tausend Mitglieder zählt. Die Gruppe um Pablo Iglesias konnte die landesweite organisatorische Struktur der IA für den Aufbau des Podemos-Projekts nutzen.
Grundidee des Aufbaus wurden die „Circulos“. Diese Zirkel sind offene und jederzeit erweiterbare Grundstrukturen vor Ort oder in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen (z.B. Gewerkschaften, Ökologiebewegung, Frauenbewegung …), in denen Individuen, aber auch Gruppen und Initiativen sich anschließen können. Es wird betont, dass Podemos existierende Protestinitiativen oder linke politische Initiativen nicht ersetzen will, sondern in einen gemeinsamen politischen Rahmen von Diskussion und Zusammenarbeit bringen will, die Zirkel spielen dabei die organisatorische Rolle.
Sowohl das Programm als auch die Kandidatenaufstellung zur EU-Wahl wurde zuerst in die Zirkel getragen (vom Initiatorenkreis), um dann über einen Prozess der Internetabstimmung auf nationaler Ebene entschieden zu werden. Auf diese Weise wurden 30-40.000 UnterstüzerInnen in diese Diskussion und Abstimmung einbezogen. Durch diese Art der „Partizipation“ konnte Podemos innerhalb kürzester Zeit tausende AktivistInnen für den Wahlkampf gewinnen und Zirkel von beachtlicher Größe selbst in kleinen Orten in der Provinz aufbauen. Wie der Webseite von Podemos leicht zu entnehmen ist, wird die spanische Landkarte heute von Circulos bedeckt. Besonders nach dem Wahlerfolg können die Anfragen nach Mitarbeit und dem Anschluss neuer Zirkel kaum erfasst und bearbeitet werden. Allein die Facebook-Seite von Podemos hat inzwischen eine halbe Million Follower, mit extrem reger Partizipation.
Das Programm von Podemos
Dabei muss gesagt werden, dass der stark basisdemokratische Prozess – sowohl, was die Kandidaten als auch, was das Programm betraf – nicht so viele Überraschungen hervorgebracht hat. Einerseits wurde Pablo Iglesias als eindeutige Führungspersönlichkeit bestätigt und auf Platz zwei der Liste eine Genossin von IA gewählt. Andererseits liest sich das Programm wie ein übliches links-reformistisches Manifest aus der Feder des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale. So wird
ein „soziales Europa“ gefordert, das durch Investitionsprogramme wieder Beschäftigung bringt, es werden ein Schulden-Audit, die Rechenschaftspflicht für Multis, ein Grundeinkommen, die Beschränkung von Politikereinküften auf den Durchschnittslohn, die Abschaffung des repressiven EU-Grenzregimes etc. gefordert. Doch das ist alles nichts, was die Eigentumsverhältnisse fundamental angreift, die Frage der Kontrolle der Arbeiterklasse über die Produktionsmittel auch nur im Ansatz beinhalten würde, oder demokratische Illusionen zugunsten der Notwendigkeit des Bruchs mit dem bürgerlichen Staatsapparat überwinden würde.
Trotz dieses eindeutigen links-reformistischen Charakter des bestehenden (vorläufigen) Programms, ist der Charakter von Podemos noch nicht ein für alle mal festgelegt. Die Offenheit und die Basisbestimmtheit der Organisation, ihre Verbindung zu radikalen sozialen Kämpfen, inzwischen auch innerhalb der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft, erlauben es revolutionären Strömungen in der Organisation, diese zu einem entschiedenen Bruch mit den Elementen der bürgerlich/klein-bürgerlichen Ideologie und ihren VertreterInnen innerhalb von Podemos voranzutreiben.
Wir halten daher sowohl eine Wahluntersützung als auch eine Arbeit innerhalb von Podemos für heute sehr schwache revolutionäre Strömungen für gerechtfertigt.
Die Kritik von Strömungen wie „Klasse gegen Klasse“ (FT), dass Podemos kein revolutionäres Programm habe und zu wenig in die Streiks bei Coca-Cola und Panrico eingreifen würde und die spanischen „Trotzkisten“ statt dessen sich revolutionär umgruppieren sollten, halten wir hier für zu kurz gegriffen. Ein kleiner Kreis von zentristischen Organisationen, die zumeist ebenso wenig programmatisch richtige Konsequenzen aus der Krise der Linken ziehen oder sich als Führung für ArbeiterInnenkämpfe anbieten könnten, kann doch keine Alternative zu einer Massenbewegung sein, die sich zur Organisation formiert, in der RevolutionärInnen für ihr Programm werben können und die tatsächlich in Protesten und Streiks als Führung gefragt wird.
Podemos ist nicht einfach ein Umgruppierungsprojekt von linken Propagandaorganisationen, sondern eine Strömung, die Einfluss unter Hunderttausenden hat. Die Frage ist daher, wie daraus heute eine Arbeiterpartei geschaffen werden kann, die die Avantgarde der spanischen Arbeiterklasse und die politisch aktivsten und dynamischsten Teile der sozialen Bewegungen neu formiert.
Der Wahlerfolg von Podemos stellt das etablierte Kräfteverhältnis in der spanischen Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung in Frage. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die WählerInnen von Podemos nicht nur aus den sozialen Bewegungen kommen. Viele von ihnen waren bei früheren Wahlen UnterstützerInnen der Sozialdemokratie und suchen heute nach einer Alternative zur neo-liberalen Politik der PSOE. Aber trotz der Zugewinne der IU stellt es auch deren Position in Frage. Daher steht für Podemos schon heute die Frage praktisch, welche Politik sie zu den drängendsten Fragen der Klasse und des politischen Geschehens einnimmt wie z.B. Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Entlassungen und Schließung von Betrieben oder die nationale Frage. Podemos steht praktisch vor der Frage, welche Haltung sie zu den anderen Organisationen, zu politischen Kampagnen und Bewegungen einnimmt.
Und Podemos muss dies praktisch als Partei, als eine politische Kraft mit Massenwirkung beantworten. Dazu ist klar, dass Podemos in dem Zustand des unstrukturierten Zirkel-Wachstums und der moderierten Massendemokratie nicht lange existieren kann, wenn sie im politischen Betrieb tatsächlich wirksam werden will – und irgendwann an der Frage der Macht und Regierung nicht herumkommt.
Zu all diesen Fragen muss Podemos rasch klare politische Antworten entwickeln und um präzise Forderungen eine Einheitsfront aller Arbeiterorganisationen und sozialen Bewegungen gegen die Angriffe der Regierung Rajoy und des Kapitals initiieren. RevolutionärInnen in Podemos sollten mit praktischen Vorschlägen hierzu die Initiative ergreifen, von der Führung der Organisation die Umsetzung einer solchen Politik verlangen und gleichzeitig den Aufbau demokratischer, aktiver Basisstrukturen der Partei voranzutreiben.
Zugleich bedarf es in Podemos auch der Klärung der Zukunft der neuen Partei – ihres Programms wie ihre Strukturen – und der Organisierung einer demokratischen, ausführlichen Debatte.
Nur so könnte Podemos wirklich zu einer „Partei neuen Typs“ werden, wenn sie Ausdruck des Kampfes für Arbeiterdemokratie gegen die herrschenden Kapitalverhältnisse wird. Daher sollten RevolutionärInnen ohne jeden Ultimatismus ein revolutionäres Aktionsprogramm vorschlagen und auf dieser Basis für eine demokratisch-zentralistische Partei eintreten.