Staatspräsident Abdullah Gül und Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan – Bruch der alten Weggefährten

Bruch der alten Weggefährten

Die durch einen weiter andauernden Korruptionsskandal hervorgerufene Regierungskrise in der Türkei schlägt sich zusehends auf das Verhältnis zwischen Staatspräsident Abdullah Gül und Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nieder. Gül distanzierte sich am Mittwoch in der Korruptionsaffäre der Regierung in Ankara mit klaren Worten von Erdogan.

Gül ist Mitbegründer von Erdogans islamisch-konservativer Regierungspartei AKP. Erdogan werden Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt, es wird erwartet, dass er sich für das Amt bewerben wird. Gül hat bisher nicht erklärt, ob er bei der ersten Direktwahl des Staatsoberhaupts am 10. August noch einmal antreten will. Bisher wurde der Präsident vom Parlament gewählt. Hinter den öffentlichen geharnischten Worten Güls gegen Erdogan könnte daher auch politische Taktik stehen.

Türkische Staatspräsident Abdullah Gül und dertürkische Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan

APA/EPA/Turkish Presidential Press Office

Erdogan und Gül beim Besuch eines Flugzeuges der türkischen Luftstreitkräfte Ende Februar 2014

Erdogans These ins Reich der Erfindung verwiesen

Im Gespräch mit türkischen Journalisten während eines Besuchs in Dänemark wies Gül die These Erdogans, bei den Vorwürfen handle es sich um ein Komplott oder eine Verschwörung ausländischer Kräfte, als Äußerungen wie „aus der Dritten Welt“ zurück, wie türkische Zeitungen am Mittwoch berichteten.

Erdogan macht die Bewegung des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen für die Korruptionsvorwürfe verantwortlich und wirft Gülen vor, er wolle mit der Bildung „paralleler Strukturen“ im Staatsapparat die Regierung stürzen. Gül vermied die Verwendung dieses Begriffs und sagte, Staatsbedienstete könnten durchaus „unterschiedliche Ansichten“ haben. Sollte es Verfehlungen gegeben haben, gebe es rechtliche Mittel zu deren Ahndung.

Gül fordert Aufklärung

Gül forderte zudem, die Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung müssten transparent aufgearbeitet werden. Er hatte Anfang März angesichts von Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung die Kontrollbehörden des Landes eingeschaltet. Die Prüfer hätten den Auftrag herauszufinden, über welche gesetzlichen Möglichkeiten der türkische Staat im Kampf gegen die Korruption, unter anderem im Bausektor, verfüge, hieß es in einer Anfand März im Internet verbreiteten Erklärung Güls. Auch müssten die Regeln zur Abhörung von Gesprächen geprüft werden. Zugleich sollten die Kontrollbehörden untersuchen, wie Richter und Staatsanwälte ernannt und wie mit Staatsgeheimnissen umgegangen werde.

Schwerste Krise für Erdogan

Erdogan sieht sich derzeit der schwersten Krise seiner elfjährigen Regierungszeit ausgesetzt. Ihm selbst, Angehörigen seiner Familie und seiner Regierung wird Bestechlichkeit vorgeworfen. Erdogan beschuldigt wiederum seinen Rivalen Gülen, hinter einer gegen ihn gerichteten Kampagne zu stehen, in der auch angebliche Telefongespräche Erdogans an die Öffentlichkeit gelangten. Die Korruptionsvorwürfe hatten zum Rücktritt von vier Ministern geführt. Außerdem entbrannte ein Machtkampf zwischen Erdogan und seinen Widersachern im Lager der religiös-konservativen Kräfte.

Keine Rücksicht mehr

Anders als Erdogan verlangte Gül auch, die am Tod des Jugendlichen Berkin Elvan Schuldigen müssten rasch gefunden werden. Der Bursch war während der Gezi-Proteste im vergangenen Jahr von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen worden und nach monatelangem Koma in der vergangenen Woche gestorben. Gül betonte, der Rechtsstaat müsse sicherstellen, dass sich ein solcher Fall nicht wiederhole. Erdogan hatte das Vorgehen der Polizei gerechtfertigt.

Gül und Erdogan sind politische Weggefährten und zählen zu den Gründern der Regierungspartei AKP. Kritiker werfen Gül vor, aus Rücksicht auf Erdogan die Kontrollbefugnisse des Staatspräsidenten über die Regierung nicht genügend einzusetzen. Gül geriet vor seinen Stellungnahmen auch zunehmend öffentlich unter Druck, sich zu den Korruptionsvorwürfen zu äußern.

Kommunalwahlen im Angesicht der Korruptionsaffäre

Für Erdogan gilt es im Angesicht der Korruptionsaffäre die nahenden Kommunalwahlen zu schlagen. Ein neuerlicher Wahlsieg der AKP Ende März hieße für die Regierung Erdogan die Absolution der Wähler von den Korruptionsvorwürfen. Erdogan selbst wird nach eigenen Worten zurücktreten, wenn seine AKP die Kommunalwahlen verliert. Bei einem Misserfolg seiner Partei sei er bereit, aus der Politik auszusteigen, sagte Erdogan Anfang März in Ankara, wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete.

Laut Umfragen von Anfang März dürfte es allerdings kaum dazu kommen, da die AKP trotz der Korruptionsaffäre unangefochten an der Spitze liegt. Einbußen wird die Erdogan-Partei allerdings hinnehmen müssen. Laut Umfragen von Anfang März liegt sie bei rund 36 Prozent. Als Wahlziel nannte Erdogan einen Stimmenanteil von landesweit mindestens 38,8 Prozent, was dem Ergebnis der AKP bei den Kommunalwahlen 2009 entspricht. Bei der Parlamentswahl 2011 erreichte die AKP fast 50 Prozent.

Erdogan dominiert im Fernsehen

Erdogan kann offenbar auf Verbündete in den Medien zählen. Der öffentlich-rechtliche Sender TRT begünstigt nach Angaben der Rundfunkaufsichtsbehörde in unzulässiger Weise die AKP. Ende Februar habe TRT fast 90 Prozent seiner Berichterstattung über den Wahlkampf für die Kommunalwahlen der AKP gewidmet, meldeten türkische Medien am Donnerstag unter Berufung auf die Rundfunkaufsicht RTÜK. Insgesamt habe TRT mehr als 13 Stunden über die AKP berichtet – dagegen erhielten die drei größten Oppositionsparteien zusammen nur gut eineinhalb Stunden Sendezeit.

Das verstoße gegen das Prinzip der Chancengleichheit der Parteien, erklärten RTÜK-Experten den Berichten zufolge. RTÜK werde die Wahlbehörde YSK über die Ergebnisse der Untersuchung unterrichten. Die Wahlbehörde könne eine Verwarnung an TRT aussprechen und den Sender als Strafe sogar vorübergehend abschalten lassen, hieß es weiter. Kritiker werfen der Regierung Erdogan vor, mit Druck auch auf private Medien die Pressefreiheit im Land zu untergraben. Erdogan weist das zurück. Jüngst drohte er, Internetplattformen wie Facebook und YouTube sperren zu lassen, schwächte das später allerdings wieder erheblich ab.

Oppositionschef: Erdogan ist ein Diktator

Der Chef der größten Oppositionspartei Republikanische Volkspartei (CHP), Kemal Kilicdaroglu, hält Erdogan für untragbar: „Er ist ein Diktator. Er unterdrückt die Medien, die Wirtschaft, und die Bürokratie untersteht ihm allein. Er sagt: Ich bin der Staat“, so Kilicdaroglu im Interview mit der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ laut einer Vorabmeldung.

„Er spaltet die Gesellschaft, missbraucht die Religion und pfeift auf das Gesetz.“ Erdogan habe „die Türkei zu einem Paradies der Verbote gemacht“, so der Führer der Oppositionspartei. Die türkische Regierung führe das Land „ins Chaos und in den Bürgerkrieg“, so Kilicdaroglu weiter und ergänzte: „Die Türkei wird von einem Mann geführt, der nicht weiß, was Menschlichkeit ist.“

Erdogan zeigt Kilicdaroglu an

Erdogan stellte unterdessen Strafanzeige gegen Kilicdaroglu. Wie türkische Medien am Dienstag berichteten, ermittelt die Staatsanwaltschaft Ankara aufgrund der Strafanzeige gegen Kilicdaroglu wegen der Veröffentlichung abgehörter Telefonate Erdogans mit seinem Sohn Bilal.

Die Ankaraner Staatsanwälte wollen nun von ihren Istanbuler Kollegen wissen, ob die abgehörten Gespräche echt sind. Kilicdaroglu hatte die im Internet aufgetauchten Mitschnitte der Telefonate im Februar in einer öffentlichen Fraktionssitzung abspielen lassen. In den Gesprächen unterhalten sich angeblich Erdogan und sein Sohn Bilal darüber, wie sie größere Geldsummen vor der Justiz verstecken können. Berichten zufolge wurden die Telefonate im Rahmen von Korruptionsermittlungen der Istanbuler Justiz abgehört.

Erdogan hat die Veröffentlichungen als Manipulation zurückgewiesen. Laut Presseberichten begründete er seine Strafanzeige gegen Kilicadroglu unter anderem mit der Beleidigung von Staatsvertretern und einem Verstoß gegen die Vertraulichkeit staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen.

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