Wenige Wochen nach dem beeindruckenden Protest der somalischen Flüchtlinge demonstrierten gestern, 10.11.2012, wieder rund 250 Menschen in Wien gegen die unmenschliche Behandlung von Asylsuchenden in der Europäischen Union. Der Protest war ein Zeichen der Solidarität mit den WiderstandskämpferInnen in Berlin (http://refugeetentaction.net), die sich in Hungerstreik befinden, mit den Protesten in Finnland, Polen und andernorts auf unserem Planeten.
Die Demonstration war, besonders wegen der lautstarken Teilnahme hochmotivierter pakistanischer Flüchtlinge, ein Erfolg. Ihr Äußeres war ein Aussage kräftiges Abbild für die unwürdigen Verhältnisse im Lager Traiskirchen. Die Meisten waren für die Jahreszeit und Temperatur viel zu leicht bekleidet. Ein Mann kam gar barfuß in Sandalen. Ein anderer erzählte, dass er Schuhe, die zwei Nummern zu groß für ihn seien, trage. Es gäbe kaum Kleidung in seiner Größe, so habe er eben nicht mehr. Sind diese Zustände schon schlimm genug, klagen die Bewohner des Lagers auch über die schlechte Versorgung mit Lebensmitteln und Hygieneartikel. Selbst medizinische Versorgung sei keine Selbstverständlichkeit, wie der skandalöse Umgang mit Shafi Murtaza, einem 30-jährigen pakistanischen Flüchtling, mit der Diagnose Weichteiltumor, zeigt (Interview mit Hrn. Murtaza: www.youtube.com/watch?v=MLl91KXt0R4). Er braucht dringend fachärztliche Betreuung, bekomme aber vom Lager nicht einmal einen Dolmetscher für seine Arztbesuche zur Verfügung gestellt. Da er nur Urdu spricht, stellt das bei den Untersuchungen ein großes Problem dar. Hr. Murtaza fürchtet um sein Leben. Möglicherweise denkt die Lagerleitung, dass sie nicht zuständig sei, da Shafi Murtaza demnächst ohnehin nach Pakistan abgeschoben werden soll.
Es ist nicht verwunderlich, dass sich im Lager Traiskirchen Widerstand gegen diese untragbaren Zustände formiert. Am 4.11.2012 kam es zu Protesten im Zusammenhang mit der Essensausgabe. Ein Sprecher des Innenministeriums teilte heute mit, die Flüchtlinge hätten nicht erkannt, dass die ausgegebenen Speisen kein Schweinefleisch enthalten hätten. Es sei daher zu einem kleinen Tumult gekommen und deswegen wäre ein Polizeieinsatz zur Vermeidung größerer Unruhe notwendig geworden. Die Flüchtlinge erzählten vom Einsatz von sechs oder sieben Polizeiwägen. Zwei Personen seien von der Polizei mitgenommen worden. Da der Aufenthalt dieser minderjährigen Flüchtlinge unbekannt blieb, bemühten sich AktivistInnen von „Familien und FreundInnen gegen Abschiebung“ (familienundfreundinnengegenabschiebung.wordpress.com) Auskünfte vom Polizeiinspektorat Traiskichen, der Pressestelle des Landespolizeikommandos St.Pölten und vom Lager selbst zu erhalten. Bis heute Vormittag blieb der Aufenthalt unklar. Im Gespräch mit dem Sprecher des Innenministeriums stellte sich heraus, dass die beiden minderjährigen Flüchtlinge in eine andere Einrichtung nach Bad Vöslau verbracht worden wären. Sie wären bei dem Tumult im Lager besonders aufgefallen und um weitere Beunruhigungen im Lager zu vermeiden, hätte man sie räumlich von den anderen Flüchtlingen in Traiskirchen getrennt. An eine Abschiebung sei derzeit nicht gedacht. Sie würden im Asylverfahren bleiben.
Aus Sicht der Flüchtlinge stellt sich der Sachverhalt anders dar. Das Essen, das sie im Lager bekämen, sei nicht halal, also nach islamischen Verständnis nicht zulässig. Generell werde zu wenig Nahrung angeboten. Um Essen zu bekommen, wären sie von der Security gezwungen worden sich im Regen anzustellen. Sie hätten lange zu warten, bis sie an die Reihe kämen und manchmal reiche es einfach nicht für alle! Der Polizeieinsatz und das Verschwinden der zwei minderjährigen Flüchtlinge wurden als Repressionsmaßnahmen wahrgenommen. Beunruhigend war besonders der Umstand, dass die Handys der beiden jungen Männer abgeschaltet waren. Wurden sie von der Behörde entwendet? Die daraus resultierende Angst, dass beide abgeschoben werden würden, war eine natürliche Reaktion auf eine solche Vorgehensweise (Interview mit AktivistInnen: www.youtube.com/watch?v=WTEHkv4_yRw).
Am Umgang mit Flüchtlingen zeigt sich das wahre Gesicht dieses verkommenen politischen Systems. Was sollte diejenigen, die heute unberührt den skrupellosen Aktivitäten von Frontex und der Abschiebeindustrie zu sehen, morgen davon abhalten, ebenso kaltschnäuzig auf streikende Lohnabhängige zu schießen?
Es gilt den Widerstand der kämpfenden Flüchtlinge tatkräftig und ohne jeden Versuch der Instrumentalisierung zu unterstützen, sich daran zu beteiligen, ihn weiter auszubauen und bis zur Abschaffung des Systems der permanenten Menschenrechtsverletzungen zu kämpfen! Die nächste Gelegenheit bietet sich morgen vor der nigerianischen Botschaft ab 14 Uhr (www.labournetaustria.at/12-11-12-kundgebung-ken-sawo-wiwa)
Solidarität mit Shafi Murtaza und den Flüchtlingen aus Traiskirchen!
No Border!
Stopp Deportation!
In Solidarity with all refugees, where ever they are!