Zweiter Verhandlungstag 19.März
Im Zuge des zweiten Verhandlungstages werden der Sechst- und der Viertangeklagte einvernommen. Ihnen werden Vorwürfe aus den Ermittlungsakten vorgehalten, zu denen sie Stellung beziehen sollen.
Das Chaos, das im Akt herrscht, wird wieder einmal ersichtlich. Ein Anwalt meint zur Richterin, dass er sie um diesen Akt wirklich nicht beneide. Im Zuge der Befragungen wird schnell klar, dass von einer „durchgeplanten Tatbegehung“ keine Rede sein kann. Zum Teil haben die Beschuldigten einander in der Untersuchungshaft zum ersten Mal gesehen, auch nach „Schleppungshandlungen“ wird vergeblich gesucht.
Ein zentrales Thema im Prozess bleiben die Übersetzungen der Telefonüberwachungen. Die Richterin sagt, dass sie den Dolmetscher_innen die eingescannten Telefonüberwachungsprotokolle zukommen lassen wird. Sie sollen dadurch mitlesen können, während die Überwachungsaufnahmen abgespielt werden und auf eventuelle Übersetzungsfehler hinweisen können (Anm.: Wie sich am ersten Prozesstag herausgestellt hat, geht es dabei um Begriffe wie „Schleppungswillige“ statt „Leute“).
Die Beschuldigten werden immer wieder zu ihren angeblichen Aliasnamen befragt und es stellt sich erneut heraus, dass diese in Wahrheit viel verwendete Anreden für Menschen aus Indien oder Nord-Afghanistan in den von den Beschuldigten verwendeten Sprachen sind. Das wird auch von den Gerichtsdolmetscher_innen immer wieder bestätigt.
Im Rahmen der Einvernahme werden den Angeklagten absurde Fragen gestellt. Von einem Angeklagten will die Richterin wissen, ob zwei Menschen, die er zuvor in der Stadt zum ersten Mal gesehen hat und die dann mit ihm in einem Zugabteil saßen, Einreisedokumente nach Österreich bei sich hatten. Ganz so als wäre es selbstverständlich als Privatperson Mitreisende nach ihren Papieren zu fragen. Ein anderes Mal spricht die Richterin im Zuge der Befragung davon, dass ein „abgesondert Verfolgter“, also jemand der in diesem Prozess nicht angeklagt ist, aber gegen den ermittelt wird Menschen „zwischengebunkert“ haben soll. Ein Anwalt bittet darum, die Wortwahl der Landespolizeidirektion nicht unhinterfragt zu übernehmen: „Wenn ich Gäste habe, tu ich sie nicht zwischenbunkern. Da gehts um Leute, nicht um Pakete.“
Dritter Verhandlungstag 20.März
Am Vormittag des dritten Verhandlungstags wird der Siebtangeklagte einvernommen. Im Laufe der Vernehmung wird vor allem klar, dass die Staatsanwältin entweder absolutes Vertrauen in die Arbeit der Polizei hat oder einfach nichts davon wissen will, wie die Realität bei polizeilichen Vernehmungen oftmals aussieht. So sagt der Angeklagte aus, dass ihm anfangs der Grund seiner Festnahme nicht mitgeteilt wurde. Auf sein Nachfragen wurde er stattdessen mit Zeitungs-Bildern von ihm bei den Refugeeprotesten der vergangenen Monaten konfrontiert.
Der Einwand eines Verteidigers, dass das ein Hinweis auf die Kriminalisierung der Proteste sei, wird ignoriert. Auch hätten, so der Angeklagte, ihn die Beamten der SOKO weniger befragt, als ihn vor bereits bestehende „Ermittlungsergebnisse“ zu stellen. Außerdem hätten sie ihm bei seiner Aussage insofern „geholfen“, als dass sie die gestellten Fragen teilweise gleich selbst beantworteten. Die Staatsanwältin interessiert das ebensowenig wie der Hinweis eines Verteidigers auf den enormen Druck, unter dem die Aussage zustande gekommen sei. Im Gegenteil: Die Staatsanwältin warnt den Siebtangeklagten davor, die Polizeibeamt_innen „einer Straftat zu bezichtigen“ anstatt der relevanten Information nachzugehen, ob die Einvernahme überhaupt als Beweismittel brauchbar sein könnte. Auf die Frage, warum er das Protokoll der Vernehmung dann unterschrieben hätte, erwidert der Angeklagte, dass er von Dolmetscher_innen und den Polizist_innen dazu aufgefordert worden sei, bei der nächsten Einvernahme hätte er sich aber nicht „helfen“ lassen und verweigerte daher die Aussage.
Auch bei der Einvernahme des Drittangeklagten am Nachmittag werden Ermittlungsfehler deutlich: So wird dem Angeklagten das Protokoll eines überwachten Telefonats vorgelegt, das einem Zeitpunkt zugeschrieben wird, an dem er inhaftiert war.
Diskutiert wird auch stundenlang über eigentlich alltägliche Tätigkeiten, wie etwa das Abholen und manchmal nur wenige Minuten dauernde Begleiten von Personen oder das Auslegen von Geld für Essen.
Beispielsweise wird ein Angeklagter gefragt wie genau die Abrechnung nach einem Einkauf von Essen funktioniert hat, ob es auf den Cent genau zurückgegeben wurde oder nicht. Ihm wird dabei unterstellt, er hätte daran etwas verdient. Konkrete Geldbeträge, deren Existenz ja schlussendlich ein wesentliches Tatbestandselement des §114 FPG darstellen, werden so gut wie nie genannt. Wenn über konkrete Summen diskutiert wird, dann handelt es sich stets um winzige Beträge. Auch Namen von angeblich „geschleppten“ Personen können nicht genannt werden. Es handelt sich stets um Unbekannte, die auch in und aus oft unbekannten Ländern mit Hilfe von unbekannten „Mittätern“ gebracht worden sein sollen.
Zum Schluss noch ein (sinngemäßes) Zitat eines Angeklagten: „Es war eine Hilfe. Wenn ich gewusst hätte, dass es nach österreichischem Recht eine Straftat ist jemandem zu helfen, hätte ich es nicht gemacht.“
(solidarityagainstrepression/akin)
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Die akin möchte sich an dieser Stelle bei den Betreiberinnen und Betreibern des Blogs http://solidarityagainstrepression.noblogs.org
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April, 6. Mai, jeweils 9-15.30. Adresse: Landesgericht Wiener Neustadt, Schwurgerichtssaal im 1. Stock, Maria-Theresien-Ring 5, 2700 Wiener Neustadt. Das Gericht ist über den Haupteingang barrierefrei erreichbar.