- In den letzten Wochen haben die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der Lohnabhängigen in der sog. Volksrepublik China wiederholt für negative Schlagzeilen gesorgt. Heftigster Einzelfall war sicherlich die aufgedeckte Sklavenarbeit in Ziegeleien und Bergwerken der Provinzen Shanxi und Henan, wo die Polizei nach entsprechenden Hinweisen 576 Arbeiter befreite (darunter 41 Kinder und Dutzende geistig Behinderte). Nicht nur der mit dem Fall betraute Richter Liu Jimin, sondern auch andere Vertreter des Staates haben inzwischen erkannt, dass dies „einen abscheulichen Eindruck“ im Ausland hinterlässt. Dennoch sind die Verhältnisse in vielen anderen Betrieben nur wenig besser und die offiziellen Gewerkschaften weder Willens noch in der Lage dagegen vorzugehen, wie der bekannteste unabhängige chinesische Gewerkschafter Han Dongfang im folgenden Interview für die linke italienische Tageszeitung
- „il manifesto“ von 12.6.2007 berichtet.
Zur Person:
Der 1963 in Peking geborene Han Dongfang war zunächst Militärpolizist, dann Angestellter in einer Pekinger Universitätsbibliothek und schließlich Elektriker bei der chinesischen Eisenbahn. Teilnehmer der Protestbewegung auf dem Tian’anmen-Platz im April und Mai 1989. Wurde am 20.Mai 1989 zum Sprecher der neu gegründeten unabhängigen Autonomen Pekinger Arbeiterunion gewählt. Nach der blutigen Niederschlagung der Proteste war er 22 Monate lang ohne Gerichtsurteil inhaftiert. Wegen einer schweren Tuberkulose, die er sich dabei zuzog, aus medizinischen Gründen freigelassen und aufgrund der Unterstützung des US-Gewerkschaftsbundes AFL-CIO in den USA ärztlich behandelt. Seit 1993 in Hongkong ansässig, wo er seit 1994 Herausgeber und Direktor des „China Labour Bulletin“ (Zhongguo laogong tongxun) ist. Seit März 1997 auch Moderator von Sendungen über die Probleme der chinesischen Arbeiterinnen und Arbeiter auf Radio Free Asia.
Han Dongfang versteht sich nicht als „Dissident“ und distanziert sich von Intellektuellen, die die Unzufriedenheit von Arbeitern nur benutzen wollen, um selbst an die Macht zu kommen und dem US- oder EU-Vorbild nacheifern. Han Dongfang tritt für friedliche und legale gewerkschaftliche Proteste und die Organisierung staats- und parteiunabhängiger Gewerkschaften ein. Mehrfache Angebote einer Rückkehr ins chinesische Kernland durch die KP- bzw. Staatsführung lehnte er ab.
„Unmöglich die chinesische Regimegewerkschaft von oben zu reformieren“
Interview mit Han Dongfang.
1989 auf dem Tian’anmen-Platz versuchte er eine unabhängige Gewerkschaft zu gründen. Von Hongkong aus verteidigt er die Rechte der Arbeiter.
Sind Sie eher überrascht oder eher enttäuscht von den westlichen Konzernen, die damit drohen, China zu verlassen, falls Peking ein arbeiterfreundliches Gesetz verabschiedet?
„Weder das eine noch das andere. Ich habe niemals geglaubt, dass die ausländischen Unternehmen Engel sind, die in China vom Himmel fielen, um Gutes zu tun. Ihr Ziel ist es Geld zu verdienen und den niedrigsten Arbeitskosten hinterher zu jagen. Ich bin allerdings der Meinung, dass die Errichtung von Schutzschilden gegen das Gesetz zur Reform der Arbeitsverträge seitens der westlichen Firmen auch eine positive Seite hat. Es zerbricht einen Mythos, einen Gemeinplatz. Es zwingt die Chinesen (die Regierung inbegriffen) dazu der Realität ins Gesicht zu sehen.“
Wie sieht die Realität aus?
„Der Unternehmer ist der Unternehmer und der Arbeiter ist der Arbeiter. Die Regierung muss in der Mitte zwischen beiden stehen. Das Problem in China ist, dass der öffentliche oder private Unternehmer seinen Standpunkt zum Ausdruck bringt und seine Interessen schützt. Der Arbeiter kann dies nicht, weil es keine unabhängigen Gewerkschaften gibt. Erstmal.“
Wie lange wird dieses „erstmal“ dauern? Einige hoffen auf eine Reform der Staatsgewerkschaft All-China Federation of Trade Unions (ACFTU) von oben. Die Regierung könnte jetzt, wo sich mehr als die Hälfte der Betriebe in Privatbesitz befinden, eine etwas reellere und konfliktbereitere Gewerkschaft benutzen, um die ausländischen Unternehmen in Schach zu halten. Wal Mart, das in der restlichen Welt die Gewerkschaft draußen hält, wurde in China gezwungen, sie zu akzeptieren.
„Das ist eine Hypothese, die mich nicht überzeugt. Eine Gewerkschaft kann nicht von oben verändert werden. Es ist möglich, dass die Regierung die ACFTU gegen die multinationalen Konzerne benutzt. Das bedeutet aber nicht, den Arbeiter Macht und Rechte zu geben.“
Liegen also die europäischen und amerikanischen Gewerkschaften falsch, wenn sie den Bann gegen die chinesische Regimegewerkschaft aufheben? Der China-Besuch des zweitgrößten amerikanischen Gewerkschaftsbundes „Change to win“ hat dazu gedient, Beziehungen zur ACFTU aufzunehmen.
„Der Chef der Teamster-Gewerkschaft Jimmy Hoffa junior ist nach China gekommen, um die Interessen seiner US-Mitglieder zu schützen und nicht die der chinesischen Arbeiter. Die ausländischen Delegationen treffen sich mit den chinesischen Gewerkschaftsapparaten und prominenten Vertretern der Kommunistischen Partei. Sie gehen nicht hin und informieren sich direkt bei den chinesischen Arbeitern. Eine Gewerkschaft ist dann repräsentativ, wenn sie in der Lage ist die Rechte der Arbeiter zu verteidigen. Lasst das die chinesischen Arbeiter entscheiden! Es ist nicht Sache ausländischer Gewerkschaften der chinesischen Gewerkschaft ein Patent für Demokratie und Repräsentativität zu verleihen.“
Ist es nicht möglich, dass – zumindest auf lokaler Ebene – etwas geschieht, das den Käfig der offiziellen Gewerkschaft zerbricht und sie reformiert?
„Nein und ich gebe dafür nur ein Beispiel: Ich beschäftige mich seit Jahren mit den vielen tödlichen Unfällen, die in den Kohlebergwerken geschehen. Um Entschädigungen für die Familien der Opfer zu bekommen, habe ich hunderte lokale Funktionäre der Gewerkschaft kontaktiert und immer dieselbe Antwort erhalten: Unsere Mission im Auftrag der Regierung ist es die Arbeiter davon zu überzeugen, nicht für Unruhen zu sorgen und keine Probleme zu schaffen. Eine derartige Gewerkschaft ist nicht reformierbar und am allerwenigsten von oben.“
Die offizielle Gewerkschaft unreformierbar und diejenigen, die versuchen eine unabhängige ins Leben zu rufen, im Knast. Ein toter Punkt.
„Absolut nicht. Die Streiks vervielfachen sich auf spontane Weise, obwohl sie gesetzlich verboten sind. Die Streiks von unten sind die Wiege der freien und demokratischen Gewerkschaften. Es braucht Zeit, aber es wird auch in China geschehen.“
Das chinesische Gesetz legt die Arbeitszeit auf 40 Stunden pro Woche fest und gesteht maximal 36 Überstunden im Monat zu. Wie lange wird in China wirklich gearbeitet?
„In der Provinz Guangdong, der industrialisiertesten Provinz des Landes, wird mindestens 10 Stunden pro Tag gearbeitet und häufig auch am Sonntag. Der gesetzlich festgelegte Mindestlohn ist de facto der normale Lohn – auch in den Unternehmen, die ausländischen Multis gehören. Darüber hinaus wird fast überall Akkord gearbeitet. Nur 40 Stunden die Woche zu arbeiten, ergäbe einen Hungerlohn. Deshalb arbeiten alle sehr viel mehr. Die Multis behaupten, das sei der natürliche Arbeitseifer der Chinesen. Dabei ist es eine Pflicht.“
Soziale Frage und Umweltfrage. Welche der beiden bringt die chinesische Stabilität mehr in Gefahr?
„Beides ist wichtig. Und ich füge noch das Problem der Energiequellen und der um sich greifenden Korruption hinzu.“
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Gewerkschaftsforum Hannover