Interview von Marcel Rabe, 17.2.2012: Wie „Adopt a Revolution“ den Widerstand in Syrien unterstützt

Wie „Adopt a Revolution“ den Widerstand in Syrien unterstützt

Interview: Marcel Raabe

Noch vor den jüngsten Gewaltaktionen in Syrien, traf ak im Januar die beiden Aktivisten Elias Perabo und Andre Find zu einem Gespräch üner die Arbeit ihrer Initiative „Adopt a Revolution“. Diese unterstützt die Local Coordination Committees of Syria (LCC) und die Syrian Revolution General Commission (SRGC) finanziell und ideel.

Ihr sammelt seit mehreren Monaten Spendengelder zur Unterstützung lokaler Bürgerkomitees in Syrien und seid inzwischen mit der Kampagne »Adopt a Revolution« in den deutschen Medien sehr präsent. Wie ist die lnitiative entstanden?

Elias Perabo: Ich war 2011 von März bis Juni erst in Syrien, dann im Libanon, wo ich einem Freund beim Aufbau der internationalen Pressearbeit der AktivistInnen geholfen habe. Das lief von Beirut aus, da die Medien nicht nach Syrien einreisen dürfen, und man kann sich entsprechend vorstellen, wie die ihm die Tür eingerannt haben. Später stellte sich die Frage: Wie können wir von Europa aus die Aktivisten und Aktivistinnen unterstützen? Als vollkommen neue Struktur sind Komitees ziemlich prekär aufgestellt gewesen, und in ihnen sind vor allem junge Leute organisiert, die keine Anbindung an frühere oppositionelle Gruppen hatten. Die meisten Komitees finanzieren sich deshalb aus Nachbarschaftsgeldern und lehnen die Unterstützung durch ausländische Regierungen ab, auch wenn es da Angebote gab. Deshalb war die Idee, dass wir Geld »aus der Zivilgesellschaft für die Zivilgesellschaft« akquirieren.

Wie viel Geld benötigen die Komitees?

Andre Find: Wir schaffen es im Moment, monatlich etwa 800 Euro pro Komitee zu überweisen, auch wenn der Bedarf deutlich höher ist. Das meiste davon benötigen Aktivistinnen und Aktivisten, die im Untergrund leben, aber eine Wohnung brauchen und nicht arbeiten können. Aktuell unterstützen wir 20 Komitees — aber syrienweit gibt es rund 300.

Könnt ihr sicherstellen, dass die Spendengelder ankommen?

A.F.: Wir sind die einsammelnde Stelle und geben das Geld gebündelt an die Netzwerke weiter, die es dann nach Jordanien, in den Libanon oder die Türkei überweisen. Von dort kommt es über die Grenze. Es muss alles geschmuggelt werden, was nach Syrien kommt und der Opposition dienen könnte, auch Equipment wie Satellitentelefone, die hier gekauft werden.

E.P.: Ein weiterer Weg, Geld nach Syrien zu bringen, ist, es hier Syrern zu geben und deren Verwandte geben es dort weiter. Zur Überprüfung, ob die Dinge tatsächlich ankommen, bekommen wir Berichte von den Komitees, und wir hören uns über unsere Kontakte um, ob die das bestätigen können. Aber zugegeben, lückenlos lässt sich der Mitteltransport nie klären.

Durch die Kommunikation mit euch werden auch Leute gefährdet. Welche Position nehmt ihr dazu ein?

E.P.: Es war anfangs eine unserer größten Sorgen, aber die Netzwerke haben uns beruhigt. Sie sagen, das Schmuggeln und die heimliche Kommunikation wären das kleinste Problem, wir würden mehr Menschen gefährden, wenn wir kein Geld schicken könnten — und da vertrauen wir auf deren Erfahrung. Wir hatten am Anfang einen ganzen Katalog mit kritischen Punkten, etwa auch: Was machen Spenden mit der Entwicklung von Organisationsformen? Welchen Einfluss hat Geld von außen auf die Politik der Komitees?

A.F.: Gleichzeitig ist es ja nicht so, dass sie nur über uns Kontakt ins Ausland hätten. Die Neuigkeiten kommen alle über Facebook und Skype. Die Leute kennen sich mit Verschlüsselungs- und Verschleierungstechnologien aus und nutzen diese Kanäle sowieso. Wir haben uns zwar auch Gedanken gemacht, aber in Sachen Sicherheitstechnologie sind uns die Aktivisten dort einen ganzen Schritt voraus.

Sind die Netzwerke mit anderen oppositionellen Organisationen im Exil verbunden?

E.P.: Es gibt zum Beispiel den Syrischen Nationalrat, das ist eine Form der Übergangsregierung. Daran ist das eine Netzwerk aktiv mit Vertretern beteiligt.

Habt ihr einen Überblick, wie die Komitees repräsentativ aufgestellt sind? Unter welchen Gesichtspunkten findet die Auswahl für die Unterstützung statt?

A.F.: Es gibt kurdische, sunnitische, christliche, aber auch viele konfessionell und ethnisch gemischte Komitees, die Netzwerke sind ohnehin heterogen. Die sagen: Wir sind ein syrisches Volk. Wir wollen erst mal dieses Regime loswerden und uns dann gemeinsam weiter entwickeln. Die Spaltung nach Ethnien und Religionen ist eine Strategie, die eher vom Regime verfolgt wird, um sich gewaltsam an der Macht halten zu können.

E.P.: Die beiden großen Netzwerke bekennen sich zu unbewaffnetem Widerstand. Sie haben eine klare Haltung pro säkularen Staat. Für den Anfang konzentrieren wir uns auf diese beiden Netzwerke, in denen 50 Prozent der Komitees organisiert sind. Es gibt einen Beirat von sieben Leuten, von denen vier syrischer Herkunft sind, die anderen drei kommen aus Deutschland. Der Beirat sucht die Komitees aus.

Könnte nicht aus syrischer Perspektive jede — auch zivilgesellschaftliche — Intervention aus dem Westen als kolonialistisch betrachtet werden und eventuell Vorwände liefern, um gewaltsam gegen die Opposition vorzugehen?

E.P.: Ich glaube, die Frage nach der Gewalt gegen die Opposition erübrigt sich inzwischen. Die Leute werden bei Demos erschossen, egal, was da der Vorwand wäre. Die Erfahrung mit Kolonialismus ist eine andere. Es gibt eine extreme Skepsis, was die Fremdfinanzierung und den Einfluss anderer Staaten betrifft. Viele Aktivistinnen und Aktivisten haben einen positiven Bezug zu Amerika, lehnen aber auch amerikanische Einmischung ab. Oft heißt es aber auch, der Westen habe in den letzten zehn Jahren auf die arabischen Staaten geschaut und nur Terroristen, eine unterentwickelte Kultur und Fortschrittsfeindlichkeit gesehen. An dieser Stelle wollen wir ganz anders ansetzen und das Zeichen senden: Wir respektieren nicht nur, was ihr macht, sondern wir solidarisieren uns. Diese positive Wirkung für das Selbstbewusstsein der Aktivisten wollen wir mit dem Projekt verstärken.

Ihr arbeitet euch auch an dem Begriff der »Intervention« ab und wollt eine positive, zivile Neubesetzung des Begriffs, der heute vor allem in einem militärischen Kontext Verwendung findet. Was genau meint ihr damit?

E.P.: Die »humanitäre Intervention« im militärischen Sinne ist seit den Jugoslawienkriegen ziemlich präsent. Man greift irgendwo militärisch ein und »klärt das«. Wir müssen uns viel früher überlegen, ob wir als »Zivilgesellschaft« oder als »Linke« einen Beitrag dazu leisten können, ein militärisches Eingreifen zu verhindern. Erst kuckt man sich Entwicklungen einfach so an, aber kommt es zur militärischen Intervention, dann schreit auch die Linke: Auf keinen Fall! Wir müssen anerkennen, dass es reale Konflikte gibt, die teilweise sehr blutig sind. Und unserer Ansicht nach dürfen wir uns nicht darauf beschränken, auf eine Antikriegsdemo zu gehen, wenn die Flugzeuge schon in der Luft sind.

A.F.: Wir haben natürlich auch das Interesse, libertäre Gesellschaften zu fördern, in denen die Leute ihre Meinung sagen und alternative Lebensverhältnisse haben können, ohne dass Kampfjets das auslösen.

E.P.: Dabei ist doch auch die Frage an die Linke: Was ist die Perspektive internationaler Solidarität, von der nach 2001 so viel weggebrochen ist? Welche Rolle spielt eine Bewegungslinke und hat sie ein Verständnis von Internationalismus? Mir ist schon klar, dass das aktuell ein verpönter Begriff ist, aber gibt es da denn keine Inhalte und Formen, an die wir anknüpfen können?

Wie würdet ihr reagieren, wenn es morgen von westlicher Seite oder auch seitens der Arabischen Liga ein militärisches Eingreifen in Syrien gäbe?

E.P.: Das Szenario erscheint mir sehr unwahrscheinlich. Aber gesetzt den Fall, dann müssten wir mit den Netzwerken sprechen, was die dazu sagen. Aber für die Emanzipations- und Selbstermächtigungsprozesse, die momentan in Syrien stattfinden, wäre das erst einmal das Aus. Wenn zu den Waffen gegriffen wird, wird die Geschichte, wer die Revolution zum Ende gebracht hat, männlich umgeschrieben, denn die Männer haben in Syrien fast ausnahmslos eine militärische Grundbildung. Die Aktivistinnen, die jetzt weit vorn dabei sind, verlieren viel von ihren Partizipationsmöglichkeiten. Wir müssten dann intern diskutieren, ob wir »Adopt a Revolution« so oder anders überhaupt weiterführen wollen.

Gibt es einen Fahrplan für die Initiative nach dem Regimewechsel?

A.F.: Die Frage ist etwas absurd und kann so nicht gestellt werden. Das Danach wird natürlich ganz klar davon abhängen, wie der Regimewechsel vonstatten geht. Es wird wichtig sein, beim Aufbau einer Zivilgesellschaft jenseits der dann etablierten Parteien, des Militärs und vielleicht auch noch des Kapitals zu helfen, um eine Struktur zu schaffen, die Meinungen auf die Straße bringen kann. In Ägypten dachte man, das Spiel wäre gewonnen, als Mubarak weg war. Dabei war es erst die zweite Spielminute. Auch in Syrien wird es länger dauern als nur bis zum Sturz von Assad. Aber wir werden sicher erst einmal einen Cut machen müssen und schauen, in welche Richtung es läuft.

E.P.: In Tunesien und Ägypten haben die Akteure der Revolution schnell das Gefühl bekommen, dass sie über den Tisch gezogen werden. Viel von der Organisierung ist nach der Revolution zusammengefallen und bei den Wahlen sind die Revolutionäre wenig präsent gewesen. In Syrien gibt es nun fast ein Jahr Organisierungserfahrung. Das bietet auch eine Chance, dass die Komitees und Netzwerke auch nach dem Sturz des Regimes eine politische Stimme behalten. Vielleicht können wir da einen kleinen Beitrag leisten.

Denkt ihr das Verhältnis zu Israel mit?

E.P.: Da gibt’s nicht viel mitzudenken. Die Aktivistinnen sagen, sie wollen einen säkularen Staat und sie wollen Frieden mit ihren Nachbarn – das schließt Israel ein. Es gibt natürlich auch andere Töne, aber Israel spielt in dieser Revolution derzeit keine Rolle. Eine andere Frage ist dagegen, was passiert in der Region, wenn Syrien fällt? Gibt es einen neuen Bürgerkrieg im Libanon? Was passiert im Iran, wenn sein letzter Verbündeter fällt? Die Aktivisten und Aktivistinnen vor Ort haben jetzt die primäre Aufgabe, sich zu organisieren und sich aus der Bedrohung durch das Regime zu befreien.

Es geht auch darum, ob ihr eine Art Verantwortung empfindet, wenn ihr eine Bewegung unterstützt, bei der im Ergebnis nicht abzusehen ist, ob das für Israel oder andere Nachbarstaaten Konsequenzen haben kann. Man muss ja als Akteur von Deutschland aus irgendeine Position für sich entwickelt haben.

E.P.: Das Dilemma besteht, und es ist in der Tat eine Abwägungsgeschichte. Ich habe viel mehr Angst um den Libanon. Die Hisbollah ist dort an der Regierung, und ohne Syrien und die Geldtransfers aus dem Iran hat die Hisbollah ein riesiges Problem und könnte anfangen, Abwehrgefechte zu führen. Meines Erachtens ist das die viel größere und konkretere Gefahr für Israel als Syrien.

Aber die Möglichkeit seht ihr auch, dass wie in Ägypten und Tunesien religiöse Kräfte eine Wahl gewinnen? Würdet ihr das überhaupt kritisch sehen?

E.P.: Das müssen die Syrer zum Schluss unter sich klären. Natürlich fände ich es nicht gut, wenn die Muslimbrüder an die Macht kämen. Auf der anderen Seite ist das auch ein Teil der Geschichte. Es gibt doch kaum ein historisches Beispiel, bei dem nach der Revolution alles gut geworden wäre. Wir müssen meiner Ansicht nach viel mehr darauf schauen, welche partizipativen Prozesse stattfinden. Wenn es jetzt auf einmal diese Komitees gibt, die das erste Mal seit 40 Jahren so etwas wie eine breite politische Diskussion in Syrien anstoßen, dann können wir doch nicht viel anderes machen, als das zu unterstützen.

Marcel Raabe arbeitet als freier Autor in Leipzig und ist Herausgeber der »Ausgabe – Zeitschrift für Weltverdopplungsstrategien«. 2010 lebte er drei Monate lang in Damaskus.

Adopt a revolution

Die Initiative sucht „RevolutionspatInnen“, die die syrische Revolte aktiv unterstützen. Das Geld geht an lokale Komitees, die Demonstrationen organisieren, Menschenrechtsverletzungen dokumentieren und sich für eine progressive Politik in Syrien einsetzen. Weitere Infos unter http://www.adoptrevolution.org 

Aus: ak 569, 17.2.2012