Für „die da oben“ ein Schreckensbild, eine Hoffnung für „die da unten“ der Auftritt SYRIZA auf die politische Szene Europas, das derzeit in einer schweren Krise begriffen ist ergget Aufsehen . Nachdem es am 6. Mai seine Wählerschaft vervierfacht hatte, fehlte SYRIZA bei den Wahlen vom 17. Juni nur wenig, um die erstgrößte Partei Griechenlands zu werden, und auch eine linke Regierung bilden zu können, die die Sparmaßnahmen abschaffen, die Staatschuld ablehnen und die Troika aus dem Land vertreiben könnte. Kein Wunder also, wenn SYRIZA weit über Griechenlands Grenzen hinaus ein Kuriosum ist und praktisch alle Menschen sich Fragen nach seinem Ursprung und Eigenart, nach seinen Zielen und Vorhaben stellt..
Jedoch ist SYRIZA keine wirkliche Neuerscheinung in der europäischen Linke. Die Koalition der radikalen Linke (SYRIZA*) hätte ab ihrer Entstehung im Jahre 2004 die Aufmerksamkeit der internationalen Politologen und Medien erregen müssen, schon deswegen, weil sie von Anfang an eine nie da gewesene, völlig eigenartige politische Struktur in der griechischen, europäischen, ja globalen Linke war. Erstens auf Grund ihrer Zusammensetzung. Es entstand nämlich aus einem Bündnis zwischen Synaspismos (Koalition), einer linken reformistischen Partei mit einem vagen eurokommunistischen Ursprung, die im Parlament vertreten war und einem Dutzend linksradikaler Organisationen, die beinahe das ganze Spektrum des Trotskismus, Ex-Maoismus und des „Movimentismus“ [Strömung, die den Aufbau einer politischen Organisation auf Sozialbewegungen gründen will, AdÜ] abdecken . Die Koalitionder radikalen Linke bildete also von vornherein eine Ausnahme für die Regel, nach welcher damals – und auch jetzt- die mehr oder weniger traditionellen Parteien links von der Sozialdemokratie sich nie und nimmer mit linksradikalen Organisationen verbünden!.
Nicht nur deswegen ist aber SYRIZA einzigartig. Am Anfang war SYRIZA nur als konjunkturbedingtes Wahlbündnis gedacht (es wurde knapp vor den Wahlen von 2004 gegründet), ist aber fortbestanden und hat ihre Höhen und Tiefen, ihre Erfolge und vor allem ihre Krisen und Niederlagen überdauert und wurde so zum eklatanten Beispiel einer Realität, die die internationale radikale Linke bisher nur mühevoll anstrebt: das Zusammenleben unterschiedlicher Denkarten, Strömungen und sogar Organisationen innerhalb ein und derselben Organisation der radikalen Linke! Acht Jahre nach SYRIZAs Entstehung ist es sonnenklar, was für eine Lehre daraus zu ziehen ist: Ja, eine solche Zusammenarbeit ist nicht nur möglich, sondern auch fruchtbar und kann sogar auf die Dauer große Erfolge bringen.
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Man wird sich aber fragen: wie konnte dieses Dutzend so kunterbunte „Komponenten“ erstens zusammenkommen und dann sich zu einer so langen und einzigartigen Zusammenarbeit organisieren? Eine zutreffende Frage, die eine detaillierte und gründliche Antwort verdient. Nein, das „Wunder“ SYRIZA ist einem nicht in den Schoss gefallen, ist auch kein Zufall. Es ist ziemlich lange herangereift und vor allem hat unter den allergünstigsten Bedingungen gekeimt: innerhalb der altermondialistischen und sozialen Bewegungen jener letzten 15 Jahre..
Man könnte sagen, dass alles vor 15 Jahren – 1997 – mit der Gründung des griechischen Zweigs der BewegungEuropäische Märsche gegen Arbeitslosigkeit begann. Dabei hatten wir nämlich nicht nur mit dem ersten Schritt in Richtung dessen, was etwas später als altermondialistische Bewegung der Sozialforen bezeichnet wurde. Insbesondere in Griechenland haben die Europäischen Märsche eine vielleicht noch wichtigere Folge gehabt, und zwar, dass sie etwas bisher total Undenkbares ermöglichten: eine Einigung der Linke mittels Aktionen. So schlossen sich dank den Europäischen Märschen Gewerkschaften, Parteien und Organisationen aus der griechischen Linke (KKE – die KP Griechenlands – inbegriffen, zumindest für einige Zeit!) – welche einander bisher nie getroffen hatten oder sich sogar gegenseitig ignorierten – zusammen und beteiligten sich an einer nie da gewesenen europäischen Bewegung, und zwar mit ausländischen, bis dahin in Griechenland total unbekannten Gewerkschaften, Sozialbewegungen und politischen Strömungen.
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Kein Zufall also, wenn dieser erste Schlag gegen das der griechischen Linke seit jeher zutiefst innewohnenden Sektierertum sogar Anlass gab für rührende Auftritte des Wiedersehens – beinahe Psychodramen – zwischen Aktivisten, die bis dahin nie begegnet hatten und plötzlich entdeckten, dass der „Andere“ schließlich doch nicht so „anders“ war. Offenbar war die Zusammenkunft gelungen, umso mehr als die griechischen Aktivisten die eigenen Grenzen endlich überschritten und einen europäischen Aktivismus aus Fleisch und Blut entdeckten, dessen Vorhandensein sie vorher nicht mal ahnten.
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Nachdem sie zum ersten Mal gemeinsam gehandelt hatten, was eine um so solidere Grundlage bildete, als das innerhalb einer ganz neuartigen Sozialbewegung geschehen war, machten die verschiedenen griechischen Komponenten der Europäischen Märsche schon 1999 eine zweite, neuartige Erfahrung mit. Ziel war, ihr Bedürfnis nach Einheit zu vertiefen: Es war der Gemeinsame Dialogs- und Handlungsraum, der zugleich die notwendige politische und programmatische Debatte vertiefte und die Gedanken auf die nächste gemeinsame Bewegung vorbereitete – das Sozialforum, das die Entwicklung der griechischen Linke stark prägen sollte. .
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Der riesige Erfolg des Sozialforums in der Bevölkerung förderte die Bildung der Koalition der Radikalen Linke; fast spontan und recht enthusiastisch wurde 2003/2004 der Schritt dazu getan. Die Aktivisten aus den verschiedenen Komponenten von SYRIZA, die einander anlässlich der gemeinsamen Kämpfe kennengelernt hatten, die zu Tausenden miteinander gereist waren und demonstriert hatten in Amsterdam (1997) und Köln (1999), Nizza (2000) und Genua (2001), Firenze (2002), Paris (2003) usw., hatten Zeit genug gehabt, nicht nur politisch sondern auch menschlich näher zu kommen, bevor sie die Koalition der Radikalen Linke gründeten. Jene Koalition steuerte doch gegen den Strom all dessen, was damals sonst in Europa vorging, wo ein solches Bündnis zwischen einer reformistischen Linkspartei und linksradikalen Gruppen schlicht und einfach undenkbar war…
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Doch nach jener eher geglückten Entstehung war die Fortsetzung des Abenteuers SYRIZA bei weitem nicht immer leicht, und mehrmals war es sogar dem Scheitern nahe. Selbstverständlich gab es öfters Vertrauenskrisen zwischen dem Rückgrat von SYRIZA – Synaspismos- und dessen linksradikalen Partnern, was eher „logisch“ war. Mit der Zeit aber wurde SYRIZA immer homogener und folglich gingen die Krisen – übrigens auch die Debatten – nicht nur praktisch quer durch die ganze Koalition und all deren Komponenten, sondern auch vor allem … innerhalb von Synaspismos selber, wo die sich andauernd neu bildenden Strömungen verbissen einander ankämpften.
Schließlich erlangte SYRIZA doch einige innere Ruhe erst 2010 nach dem Abtritt des sozialdemokratischen Flügels von Synaspismos (der die Demokratische Linke wurde) und der Entfernung seines ehemaligen Präsidenten Alecos Alavanos, der zum Erzfeind seines Günstlings Alexis Tsipras wurde, nachdem er jenen selber „ inthronisiert“ hatte. Von nun an wurde die politische Richtlinie der Koalition klarer (und linksorientierter), während ihr junger Anführer Alexis Tsipras sein Leadership durchsetzte und erste Erfolge anhäufte, was ein immer radikaleres SYRIZA zur notwendigen Glaubwürdigkeit verhalf, um von den durch die Schuldkrise verursachten außergewöhnlichen Umständen profitieren zu können. Nun war SYRIZA so weit, als politische Organisation die Hoffnungen und Erwartungen weiter Teile der gegen die Sparpolitiken, die Troika, die bürgerlichen Parteien und das kapitalistische System überhaupt revoltierenden griechischen Gesellschaft am besten vertreten zu können.
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Als politische Organisation, deren Programm andauernd sich durch gewollte Unklarheit auszeichnete, balancierte die Koalition der radikalen Linke fast ununterbrochen zwischen Linksreformismus und konsequentem Antikapitalismus. Vielleicht übrigens schöpfte sie ihre Kräfte gerade aus dieser ewigen Pendelbewegung. Doch muss etwas klar liegen: was eher positiv fungierte in „normalen“ Zeiten könnte zum Hindernis, ja sogar zum Bumerang werden in Zeiten akuter Krisen und Verschärfung der Klassenkämpfe. Einfacher gesagt ist SYRIZA eben ein meisterhafter Durchbruch gelungen, der es aus einer Minderheitspartei innerhalb einer auch minderheitlichen griechischen Linke zur vorherrschenden regierungsfähigen Partei gemacht hat. Und das nicht in irgendeinem Land zu irgendeiner geschichtlichen Zeit, sondern in jenem Griechenland, das als „Experimentlabor“ und Falltest für ein Europa der Sparpolitik am Rande des Nervenzusammenbruchs fungiert…
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Ein so plötzlicher Größenwechsel kann Schwindel erregen. Indem SYRIZA zum Schreckensbild für die Großen dieser Erde, und zur Hoffnung für die Kleinen und Entrechteten in Griechenland und sogar europaweit wurde, obliegen ihm nun gigantische, gerade epochale Aufgaben, auf welche sie weder politisch noch organisatorisch vorbereitet ist. Dann, was tun? Auf diese Frage gibt es eine klare und kategorische Antwort: Ganz einfach SYRIZA unterstützen! Und zwar mit allen Mitteln. Das heißt vorrangig: es nicht allein lassen. Weder in Griechenland noch in Europa. Mit einfachen Worten: genau das Gegenteil deren tun, die ihre Kritik an SYRIZA nicht mit Solidarität oder Unterstützung gegen den gemeinsamen Feind kombinieren. Kritische Unterstützung vielleicht – aber immerhin Unterstützung! Und nicht morgen, sondern heute. Denn über alle taktischen oder sonstigen Differenzen hinaus führt doch SYRIZA eben unseren Kampf, unser aller Kampf. Und abseits zu stehen ist so gut wie unterlassene Hilfeleistung. Und es handelt sich dabei nicht um einen Einzelnen, sondern um ganze Länder und Bevölkerungen!
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Note
*ΣΥ.ΡΙΖ.Α. heisst: ΣΥνασπισμός (Synaspismos), Koalition; ΡΙΖοσπαστικής (Risospastikis), Radikaler;Αριστεράς (Aristeras), Linker
Der Ursprung des Wortes Ριζοσπαστικός :
Ρίζα (Risa) bedeutet Wurzel
Σπάω (Spao) bedeutet brechen
Folgerichtig bedeutet Ριζοσπαστική durchaus nicht „radikal“, sondern, dass diese Koalition politischLinksorientierter sich für diejenigen halten, die durch „die alten Wurzeln brechende“ Ideologienfortschrittliche (im Gegensatz zu konservative, althergebrachte) Veränderungen erreichen möchten.
(Aus: http://elladazoi.blogspot.com/2012/05/die-als-radikale-linke-bezeichnete.html)