Musik und Macht im Iran: Instrumentalisierte Klänge

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Musik und Macht im Iran

Instrumentalisierte Klänge

In ihrem Essay beleuchtet Maria Koomen das politische und religiöse Spannungsfeld, in dem sich Musik in der Islamischen Republik seit der Revolution von 1979 bis heute bewegt.

Schon seit dem 7. Jahrhundert, also seit den Tagen unmittelbar nach dem Tod Mohammeds, war die Zulässigkeit von Musik im Iran heftig umstritten, ging es doch den Gefährten des Propheten darum, die sogenannten malahi, also die „verbotenen Gelüste“, von den Männern fernzuhalten: Wein, Frauen und Gesang.

Auch wenn der Koran Musik als solche nicht ausdrücklich verdammt, so argumentieren doch iranische Gelehrte bis heute, dass Musik einen Verlust des Verstandes, „unkontrollierbares Verhalten“ sowie „Leidenschaften entfachen“ könne. Islamische Puristen sammelten Aussprüche des Propheten (Hadithe), von denen einer sagte: „Musik zu hören führt zu Zwietracht, so wie Wasser zum Wachsen der Vegetation führt.“ Solche Hadithe wurden sodann von den „Rechtgläubigen“ benutzt, um Musik faktisch zu verbieten, außer der ausdrücklich von Mohammed tolerierten. Musik im Iran musste in der Folge diese islamischen Standards befolgen und den von Koran und den Hadithen gebildeten Moralkodex entsprechen.

Ganz gleich in welchem Gegensatz Musik und Islam angeblich stehen sollen, so bleibt doch zumidest zu konstatieren, dass Musik in der reichen und vielfältigen Geschichte des Landes tief verwurzelt ist. Zu der Praxis von Musik, die als halal (also erlaubt) angesehen wurde, kam immer auch die der mit dem Attribut makruh gekennzeichneten Musik (tadelnswert, aber toleriert), sowie die Praxis der mit haram (verboten) belegten Musik.

Vor der Zeit der technischen Reproduzierbarkeit von Musik und anderen Informations- und Kommunikations-Technologien (ICT), blieb die Musik immer auf bestimmte physische Orte zu einer festgelegten Zeit beschränkt – egal ob im Untergrund oder nicht, ob halal oder haram – und damit von zentral organisierten Autoritäten in einem räumlich wie zeitlich abgetrenntem Rahmen kontrollierbar.

Internationalisierung der iranischen Musik

Ayatollah Khomeini<br /><br />
                                                während einer<br /><br />
                                                Pressekonferenz in<br /><br />
                                                Teheran am 1. Februar<br /><br />
                                                1979; Foto: AP

Musik als westlich-dekadentes Teufelszeug: „Musik ist wie eine Droge; wer immer sich ihr hingibt, ist nicht mehr in der Lage, sich wichtigen Aktivitäten zu widmen. Wir müssen sie vollständig eliminieren“, erklärte Ayatollah Khomeini 1979 gegenüber der Tageszeitung „Keyhan“.

Die stetige Entwicklung der ICT ab Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts sowie die mit einer zeitweise liberalen Regierungsführung einhergehende Lockerung der Kontrolle kultureller Praktiken führte zu einem verstärkten Import und Export (musikalischer) Ideen. Mit der Einführung von Musik-Reproduktions-Technologien, begab sich die iranische Musik auf den Pfad einer raschen Internationalisierung. Neue und tragbare Medien revolutionierten die Art und Weise, wie, wo und wann Musik am Rande der öffentlichen Sphäre gehört werden konnte, was sie immer schwieriger kontrollierbar machte.

Eine Zäsur bedeutete die Islamische Revolution von 1979: Ayatollah Khomeini erklärte in der „Keyhan“, der wichtigsten konservativen Tageszeitung des Landes:

„… Musik ist wie eine Droge; wer immer sich ihr hingibt, ist nicht mehr in der Lage, sich wichtigen Aktivitäten zu widmen. Wir müssen sie vollständig eliminieren.“

Die Revolution und das Ende der Schah-Dynastie brachten dramatische Veränderungen mit sich. Die neue politische Machtkonstellation verursachte eine Welle der „Säuberung“ der einheimischen Kulturindustrie von äußeren, insbesondere westlichen Einflüssen. Das neue theokratische Regime war bemüht, die Kontrolle über die iranische Gesellschaft und Kultur immer mehr auf sich zu vereinen und zu zentralisieren.

Zwischen Kontrolle und Selektion

Mit der Politisierung der islamischen Ideologie brachte das Regime die Praxis öffentlicher Musikdarbietungen praktisch zum Erliegen. Systematisch wurde versucht, Musik unter dem Vorwand der Unvereinbarkeit mit der Religion zu unterdrücken. Mit Hilfe von Regierungsstellen und informellen Organisationen wurde eine drakonisch anmutende Kontrolle über die Musikindustrie verhängt. Konzerte wurden verboten.

Selbst diejenigen, die noch vor der Revolution Konzerte besucht hatten oder als Musiker auf Festivals aufgetreten waren, wurden verhört. Auch im Rundfunk wurde keine Musik mehr gespielt. Musikschulen wurden geschlossen. Auch das Sinfonieorchester, die Balletttruppe und das Opernensemble wurden aufgelöst. Das Verbot wurde so strikt vollzogen, dass von Revolutionsgarden berichtet wurde, die sogar durch kleine Dörfer zogen, um Musikinstrumente einzusammeln und zu zerstören.

Mit der Etablierung einer offiziellen (wenn auch sehr vagen) Gesetzgebung, mit der die Zulässigkeit von Musik gemäß islamischer Wertvorstellungen geregelt wurde, wich die Frage der Zulässigkeit de facto einer Frage der Regulierbarkeit von Musik.

Von dieser Selektion waren alle Musikgenres betroffen – abgesehen von revolutionärer und religiöser Musik, die nach Lesart der Regierung dazu geeignet schien, „dem wahren Empfinden der iranischen Kultur“ zu entsprechen. Ausgewählte Stücke persischer Musiktradition wurden kurzerhand zu „revolutionärer Musik“ erklärt, um die angeblich die „kulturelle Reinheit“ der iranischen Geschichte zu bewahren.

Im Dienste der Propaganda

So finanzierte der Staat eine Kampagne, in der traditionelle persische Musik wie die sogenannte tasnif, (eine Art Ballade) mit dem Titel „Iran, Ey Saraye Omid“ (Iran, Land der Hoffnung) von Mohammad-Resa Schadscharian vorgestellt wurde. Es wurde wiederholt vom staatlichen Rundfunk gesendet, um, wie es der Kultursoziologe Motti Nieger ausdrückte, „die Stimmung der Nation in Einklang“ zu bringen.

Das Lied von Schadscharian lässt Ideale sozialen Zusammenhalts anklingen, aber auch der nationalen Eintracht und des Stolzes. Mit diesen Eigenschaften wurde es als geeignet angesehen, den Triumph des neuen Regimes über das alte zu symbolisieren sowie die Hoffnung auf eine neue Ära. Seitdem hat es das kollektive Gedächtnis der Iraner tiefgreifend geprägt und wird mit dem sozialen, politischen und kulturellen Kontext der Revolution von 1979 verknüpft.

"Ershad-Ministerium<br /><br />
                                                in Teheran; Foto: Foto:<br /><br />
                                                www.ric.ir

Das Ministerium für Kultur und islamische Führung („Ershad“) als kulturpolitischer Tugendapparat der Mullahs: Bis heute wacht das Ministerium über die Zulässigkeit von Musikproduktionen und Konzertveranstaltungen im Iran.

Die Macht der Musik ist ein seit langem anerkanntes und dokumentiertes Phänomen, nicht zuletzt durch diejenigen, die an ihrer Zensur gearbeitet haben. Im Iran wurde Musik oft misstrauisch beäugt, stets wurden ihr Interpreten verdächtigt, über eine „Zauber“ zu verfügen oder gar über „diabolische Kräfte, die [den Zuhörer] zu den schlimmsten Exzessen verleiten können“. Irans religiöse und politische Führer haben diese Ressentiments niemals ausgeräumt, sondern ganz im Gegenteil sie als Motivation und Rechtfertigung für ihre Kontrolle und Reglementierung genutzt.

Die Wiederaneignung der musikalischen Macht

Die Macht der Musik wurde von den Autoritäten nicht nur stets gefürchtet, sondern auch als Instrument der Propaganda und der Kontrolle genutzt. Im Falle der epischen Ballade „Iran, Land der Hoffnung“ von Mohammad-Resa Schadscharian geschah dies im Jahr 2009, also zu einer Zeit politischer Unruhen als Folge der Manipulationen während der Präsidentschaftswahl. Zu jener Zeit nahm der staatliche iranische Rundfunk (IRIB) das Lied wieder ins Programm und verschaffte ihm so einen neuen musikalischen Raum.

Aus strategischem Kalkül war der staatliche Rundfunk dazu übergegangen, systematisch besonders beliebte Stücke aus der persischen Musiktradition zu übertragen, die mit der Revolution von 1979 in Verbindung gebracht wurden, darunter auch die Ballade „Iran, Land der Hoffnung“ von Mohammad-Resa Schadscharian. Augenscheinliches Ziel war es, die Assoziationen von nationaler Eintracht und Patriotismus aus der Zeit der Revolution neu zu beschwören und in einem neuen politischen Kontext zu propagieren.

Die Regierung versuchte also, die grenzüberschreitende Macht der Musik gezielt zu nutzen, indem Radio- und Fernsehsender mit den im Lied enthaltenen Botschaften von Patriotismus und religiös-politischem Optimismus regelrecht überflutet wurden. Damit sollte die Opposition nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes „zerstreut“ werden, vielmehr ging es darum, ihre Meinungen und Loyalitäten ins Gegenteil zu verkehren. Mit der Renaissance eines revolutionären Zeitgeistes sollte die Wahl vom Juni 2009 im Nachhinein legitimiert werden.

Schadscharian drückte in dieser Phase des Protests zusammen mit anderen Musikern, Dichtern, Filmemachern und Künstlern seine Unterstützung der Opposition dadurch aus, indem er Anstrengungen unternahm, sich der Macht seiner Musik wieder selbst zu bemächtigen.

Er verlangte, dass der staatliche Rundfunk die Ausstrahlung seines Stückes beenden sollte. Auf diese Weise versuchte er, der ideologischen Instrumentalisierung durch die Regierung einen Riegel vorzuschieben.

Doch nach mehr als zwei Jahren des Protests und Schadscharians Akt des Widerstandes und der Zivilcourage schlug der Staat zurück. Der IRIB verkündete, dass Schadscharians überaus beliebter Ramadan-Song „Rabanna“ verboten wird. Damit verbot der Staat alle Aufnahmen und Aufführungen von Schadscharian in einem geradezu verzweifelten Akt, die Macht zurückzuerlangen, die ihm durch seine Selbstzensur zugefallen war.

Heute ist Schadscharian der „unumstrittene Meister des traditionellen persischen Gesangs“, geschätzt von Iranern im In- und Ausland gleichermaßen hat sein musikalisches Repertoire „nationalen Kulturstatus“. Seine weltweite Fangemeinde wächst beständig, da sich das Internet und die sozialen Netzwerke dem Zugriff religiös-politischer Zensurbestrebungen weitgehend entziehen.

Dissonanzen im Netz

Während die ICT für einen Teil der Musikbranche und die Konsumenten weiterhin eine wichtige Rolle bei der Ausschaltung des staatlichen Kontrollregimes spielt, hat sich vor allem das Internet zu einer neuen Drehscheibe für unabhängige und unzensierte Musikproduktionen entwickelt.

Die Expansion der Musik in den virtuellen Raum ließ die staatlichen Kontrollmechanismen antiquiert erscheinen und zeigte auf, wo Anstrengungen erfolgen mussten, um verlorenes Terrain wiederzugewinnen. Dieses Mal jedoch sollte sich die Durchsetzung der Zensurprinzipien als sehr viel schwieriger herausstellen als noch zuvor.

Die juristischen, administrativen und technischen Organe auf Seiten der iranischen Regierung sind zurzeit eifrig bemüht, die Zensurmechanismen auf den neuesten Stand zu bringen, was auch angesichts der zunehmenden Vernetzung der virtuellen Community im Land ein immer schwierigeres Unterfangen wird.

Unterdessen findet sich online eine aktive Untergrund-Musikszene, die sich auch von den allgegenwärtigen Filtern und Blockaden im Netz nicht abschrecken lässt. Internetnutzer bringen es zu erstaunlichen Leistungen, wenn es darum geht, solcherlei Barrieren zu umgehen, wenn es um die Verbreitung und den Konsum von zensierter Musik geht.

Musiker im Iran und aus der iranischen Diaspora knüpfen weiterhin Kontakte und bauen Netzwerke, während die Endkonsumenten im Iran immer mehr Talent bei der der Entwicklung neuer Methoden zur Umgehung von Zensurfiltern und Sperren entwickeln, die sie am Konsum und der Verbreitung von Musik hindern.

Auch wenn sich die Untergrund-Musikszene online neue musikalische Spielräume erobert und auch auf neue Technologien zurückgreift, um historisch verankerte Barrieren zu überwinden, stehen Musik-Konsumenten und Interpreten im Iran wohl noch turbulente Zeiten bevor – denn was wird zukünftig die „Stimmung im Land“ beeinflussen und wer wird womöglich erneut versuchen, diese für seine politischen Zwecke zu instrumentalisieren?

Maria Koomen

© Qantara.de 2014

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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