15.11.12: CHINA-BERICHTERSTATTUNG ODER DER ABGESANG DES BÜRGERLICHEN JOURNALISMUS
17.1012: Mein erster Arbeitstag
20.10.12: Studieren in China (2.Bericht)
22.10.12: „Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“- 3.Bericht
25.10.12: Fragen der Chines_innen
28.10.12: Alltagsleben in Chinas Staedten
29.10.12: China – Parteitag ante portas
1.11.12: Chinesisch-Japanischer Insel-Konflikt ( 7.Bericht )
3.11.12: China-Reise – Erstes Resümee + Re: Von Gregor neu
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CHINA: Mein erster „Arbeitstag“
Nach einer urlangen Reise von Wien nach Nanching- ich musste in Beijing am Flughafen 5 Stunden warten- hatte ich heute auf der Audit Universitaet in Nanjing meiner ersten „Arbeitstag“.
Das Thema meiner Vorlesung war: „Die Krisen in Europa- Die Antworten der Linken“. Ich entwickelte in vier Thesen meine Position: die Krisen des Kapitalismus sind kombiniert und daher in ihren Auswirkungen viel stearker als in der Vergangenheit; die neoliberale Politik der Regierungen verstaerkt die Krisen; die unzureichende Antwort des Neokeynsianismus; die unterschiedlichen Antworten der Linken- die nationalistische der stalinistischen griechischen KP; die internationalistischen Antworten der radikalen Linken bzw. von Teilen der Sozialforumsbewegung. Ich legte schliesslich dar, warum ich der Meinung bin, dass innerhalb des kapitalistischen Rahmens keine wirkliche Loesung der Krisen moeglich ist und warum es daher notwendig ist „ueber diesen engen Rahmen hinauszudenken, den Kampf um eine sozialistische Gesellschaftsordnung wieder voll ins politische Tagesprogramm zu integrieren“.
Die Debatte war spannend und kontroversiell- etwa ueber meinen Vorschlag Griechenland vollstaendig die Schulden zu streichen. Aus einigen Aeusserungen konnte man/frau entnehmen, dass die Ideolgie „die Griechen sind selbst schuld an der Misere“ auch in China Fuss gefasst hat. Sehr interssant war auch die Diskussion ueber die politische Zukunft der Europaeischen Union- etwa ueber die spezifischen Interessen des britischen Imperialismus. Richtig „heiss“ wurde es jedoch als ich die unruehmliche Praxis chinesischer Firmen in Griechenland ansprach: die chinesische Company Cosco hat- gegen den Willen der ArbeiterInnen- die Haelfte des – bisher oeffentlichenn- Hafens in Piraeus gekauft und dort ein extrem rigides „Modell“ eingefuehrt- Entlassungen um „die Produktivitaet zu steigern“, Abbau von Gesundheitsschutz, wenig bis keine Gewerkschaftsrechte etc. Nach Einschaetzung eines Teilnehmers unserer Debatte ging das Match fifty: fifty aus- was heisst, dass sich nur die Haelfte der Diskutanten in dem universitaeren Bereich „ideologische und politische Theorie fuer internationale Theorie“ fuer eine solidarische, internationalistische Position entschied. Wahrlich kein berauschendes Resultat in einem Land , dass sich auf den „Sozialismus“ beruft.
Hermann Dworczak ( 0043 / 676 / 972 31 10 )
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Betreff: Studieren in China(2.Bericht)
Der neue Campus der Audit Universitaet in Nanjing, auf der ich ueber „Die Krisen in Europa-Die Antwort der Linken“ referierte( siehe meinen ersten Bericht), spielt alle Stueckeln. Studieren in China ist jedoch alles andere als ein Honiglecken- vor allem was die finanzielle Seite betrifft.
Die Audit Universitaet gibt es seit rund dreissig Jahren. Der aeltere Teil im Stadtzentrum beherbergt 3000 StudentInnen, auf dem 2008 fertiggestellten Campus sind 20000 StudentInnen untergebracht. Nur rund 3000 haben Audit (Rechnungswesen) belegt. Insgesamt verfuegt die Uni ueber 13 Departements mit nichtnaturwissenschaftlicher bzw. nichtmedizinischer Ausrichtung.
Die Anlage der Uni ist schlicht eine Wucht- mit viel Gruen und Teichen zwischen den Gebuaeden. Die Atmosphare erscheint mir locker- auch wenn die Blocks fuer StudentInnen und Studenten geschlechtlich getrennt sind.
So weit so gut. Auf meine Fragen erhalte ich auch Antworten, die weniger optimistisch stimmen. Das Studim ist stark verschult- wie bei uns gespickt mit vielen Tests, Pruefungen etc.
Finanziell kann von „freiem Studium“ ueberhaupt keine Rede sein. Die Jahres-Kosten des Studiums (Studiengebuehren, Unterkunft, Essen,…) belaufen sich auf rund 20000 Yuan (1 Euro: etwas mehr als acht Yuan)- also in etwa 2500 Euro. Zur Orientierung: ein durchschnittlich qualifizierter Arbeiter verdient im Monat rund 2500-3000 Yuan. Fuer viele StudentInnen ist diese Summe absolut unerschwinglich- also muss die ganze Familie kraeftig herhalten, wird „nebenbei“ gejobbt etc. Auch das Stipendienwesen macht die Unzulaenglichkeiten nicht wett. Bei den -je nach finanziellem Background und Leistung- gestaffelten Stipendien liegt die Obergrenze bei 10000 Yuan. 10000 Yuan muessen also in jedem fall selbst berappt werden!
Als ich in die Gespraeche und Diskussionen einbrachte, dass Bildung eigentlich generell kostenlos sein sollte, wird mir gesagt, dass diese Forderung schon mehrmals erhoben wurde, aber am Widerstand der Regierung scheiterte.
Interessant auch ein weiterer Aspekt: waehrend frueher Studium eher nicht als „etwas Besonderes“ stilisiert wurde, webt jetzt die Regierung an einem
„Elite“schleier. Und leider -so wurde mir gesagt- verfaengt sich diese Ideologie zunehmend unter der StudentInnenschaft.
Hermann Dworczak (0043/ 676 / 972 31 10 )
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„Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“- 3.Bericht
Zweifelsohne hat China in den beiden letzten Jahrzehnten oekonomisch maechtig zugelegt. Jaehrliche Wachstunsraten um die 10 Prozent- in aktuellen 3.Quartal 7,4 Prozent- lassen die „China-Experten“ nur so staunen. Auch bei der Reduktion der Armut im Lande gab es betraechtliche Fortschritte. So gelang es in dem 1,4 Milliarden EinwohnerInnen zaehlenden Land die extreme Armut um 250 Millionen Menschen zu reduzieren.
Zumindest in den oestlichen Regionen ist die Versorgungslage gut. In Qingdao- auch international wegen seines Biers bekannt- gehe ich in einen Supermarkt in einem Viertel, wo nicht die Gestopften mit ihren Glitzerpalaesten und Luxuskarrossen wohnen. Das Warenangebot ist breit- wenn auch nicht fuer alle so leicht erschwinglich. Ein halbes Kilo Zwetschken kostet 7,90 Yuan, etwas weniger als ein Euro- bei einem ArbeiterInneneinkommen von 2500-3000 Yuan nicht gerade wenig.
Trotz der Aufwaertstrends ist China nach wie vor – auch in der offiziellen Selbsteinschaetzung(!) ein „Entwicklungsland“. Die Mehrheit der Bevoelkerung lebt auf dem Land. Auch wenn es dort Verbesserungen gegeben hat, von einem generellen „take off“ des Landes kann keine Rede sein. Nur von einer „Unterentwicklung des inneren Marktes“ zu sprechen waere eine glatte Untertreibung.
Der oekonomische Fortschritt ist das Ergebnis einer massiven Reform- und Oeffnungspolitik. „Reform“ meint starkes Setzen auf den „Markt“- „Oeffnung“ erfolgt in weit ausholender Manier gegenueber dem inlaendischen und auslaendischen Kapital.
China zaehlt zu den Laendern mit dem staerksten Auseinanderklaffen der Einkommensschere. Die Arbeitsbedingungen in den -multinationalen- Konzernen sind schlicht beschaemend: die Zustaende bei Foxconn, die zu einer Serie von Selbstmorden unter den Beschaeftigten fuehrten, haben international fuer Schlagzeilen gesorgt. Geaendert hat sich bei Foxconn nicht viel- dafuer liess die Firmenleitung an den Gebaueden Netze (!) anbringen, damit es bei Selbstmordversuchen keine weiteren Toten gibt…
Bei mehreren Gelegenheiten habe ich waehrend meines China-Aufenthalts diese Dinge problematisiert. Ich betonte stets , dass in einer „Uebergangsgesellschaft“ zum Sozialismus auf Marktmechanismen NICHT verzichtet werden kann. Ich erwaehnte auch die Lage in der jungen Sowjetunion- Einfuehrung der „Neuen Oekonomischen Politik“ (NEP)-, die damaligen, offen ausgetragenen Debatten und die katastrophalen Folgen der exzessiven Anwendung der „Reform“politik unter der Aegide von Stalin/Bucharin, die die Parole „Bereichert Euch!“ ausgeben hatten.
Bei offiziellen Repraesentanten- auch im Uni-Berteich- gibt es fuer solche triftigen Argumente meist nur die kalte Schulter. Ein beliebtes Argumentationsmuster lautet: „Ja es gibt da und dort Probleme, aber im Kern hat die Partei die Dinge im Griff“. Konkreten Debatten wird gerne ausgewichen. Wenn ich etwa an Hand von Beispielen wie privatem Wohnungsbau, Stadtplanung, Ueberhandnehmen des Individualverkehrs, Kommerzialisierung in immer mehr Bereichen etc. unterstrich, dass das Kapital einer ganz anderen gesellschaftlichen Entwicklungs-Logik folgt und nicht ueber Jahrzehnte hinweg „zur Entwicklung der Produktivkrafte ausgenutzt werden kann“, hoerte ich nur allzuoft ganz allgemein und unverbindlich: „Die Enwicklungsrichtung stimmt schon, und wie lange der Weg zum Sozialismus dauert, kann niemend sagen “
Mittlerweilen haben auch Kapitalisten in der KP Chinas ihren Platz. Die neuen, am kommenden Parteitag (Beginn 8.November) zu waehlenden Fuehrer haben schon jetzt angekuendigt, dass sie noch weiter in Richtung „Reformen“ gehen werden. Und der Fall Bo Xilais dient als Schwungrad fuer diese neuerliche Rechtsentwicklung.
Realistischer weise muss man/frau sagen, dass es nur wenig -sichtbaren-Widerstand gegen diese Negativ-Entwicklung gibt. Das rigide politische System laesst kaum Spielraum zu. Die ArbeiterInnenproteste der letzten Jahre sind zwar ein erstes Fanal, aber verbleiben zumeist auf der („gewerkschaftlichen“) Betriebsebene.
Im akademischen Bereich gibt es einige interessante diesbezuegliche Debatten. Wenn ich am Ende meiner speakers-tour nach Beijing komme, werde ich in der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS)- von der ich eingeladen wurde- im Departement Marxismus folgenden Vorschlag unterbreiten: angesichts der Tatsache, dass in Laendern wie China, Vietnam und Cuba aehnliche Debatten ueber „Marktreformen“ gefuehrt werden, erscheint es sinnvoll eine breit angelegte internationale Konferenz ueber die „Zukunft des Sozialismus“ zu organisieren. Ich bin schon gespannt, wie die Reaktionen auf meinen Vorschlag sein werden…
Hermann Dworczak (0043 / 676 / 972 31 10 )
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FRAGEN VON CHINESINNEN
Egal wo und worueber ich bislang waehrend meiner Speakers-Tour in China referierte, gut 80 Prozent der ZuhoerInnen wollten wissen, wie es China (mit dem Sozialismus) weitergeht.
Meine dreiwoechige Speakers-Tour in China fuehrte mich bisher nach Nanjing, Qingdao und Rizhao- Shanghai und Beijing stehen noch bevor. Ich referierte auf Unis ueber „Die Krisen in Europa- Die Antwort der Linken“ bzw. „Die Methode der Kritik der Politischen Oekonomie“. Dieses erkenntnistheoretische Thema meiner Dissertation behandelt die spezifische Methode mit der Marx „Das Kapital“ schrieb (insbesonders das fuer das umfassende Verstehen sozialer Prozesse notwendige „Aufsteigen von Abstarkten zum Konkreten“).
Ich fand jeweils eine sehr interessierte und diskussionsfreudige ZuhoerInnenschaft vor. Einige wenige Fragen bezogen sich auch auf die zentralen Punkte meiner Vorlesungen. So wurde ich gefragt, ob es in Frankreich nach der Wahl Hollands eine wesentliche Kursaenderung gegeben hat- was ich an Hand einiger konkreter Beispiele verneinte. Eine weitere Punkt war, ob Marx nur in den entwickelten kapitalistischen Laendern eine Revolution erwartete.
Gut 😯 Prozent bezogen sich jeoch auf China- die aktuelle Lage im Land und seine oekonomische und politische Zukunft. Meistens lief die Zeit davon, um alle Fragen ausfuehrlich beantworten zu koennen!
Dauerbrenner bei Diskussionen war wie mit dem „Markt“ umzugehen ist und ob denn nun China „ein sozialistisches Land ist“. Ich fuehrte aus, dass JEDE „Uebergangsgesellschaft zum Sozialismus“ auf Marktelemente nicht verzichten kann- nicht einmal reiche Laender wie Deutschland, wenn es dort einmal zu revolutionaeren Veraenderungen kommen sollte. Erst recht kann China- ein Land mit einem viel niedrigeren Entwicklungsstand der Produktivkraefte- Marktelemente ausschliessen. Die konkret zu behandelnde Kardinalfrage ist, WIEWEIT auf die „unsichtbare Hand“ (Adam Smith) gesetzt wird. Was in China aktuell zu beobachten ist ist ein regelrechter Wildwuchs des Marktes- bis hin zu (Monopol)kapitalismus der schlimmsten Auspraegung! Und ich legte dar, dass nicht durch eine lineare Entwicklung des status quo „in den Sozialismus hineingewachsen werden kann“: weil Kapital und gesellschaftliches Eigentum einer GAENZLICH ANDEREN (Entwicklungs)logik folgen: Profit versuch Befriedingung gesellschaftlicher Beduerfnisse.
Eh klar, dass ich darauf gefragt wurde, was konkret zu machen waere. An Hand von 2 Beispielen versuchte ich- ohne mich zum „China-Kenner“ aufzuspielen!- die Probleme dingfest zu machen. Das erste was einem in Chinas Grossstaedten-unangenehm- auffaellt, ist das gigantische Ausmass des Individualverkehrs und die durch eine Unzahl von Stadtautobahnen geschaffene „Unwirtlichkeit der Staedte“( Alexander Mitscherlich). Freunde in Qingdao erzaehlten mir, dass schon seit fast 20 Jahren dort an Plaenen fuer eine U-Bahn gebastelt wird, aber es bisher keinen einzigen Kilometer Metro gibt! Mein Argument: anstatt zentral „aufs Auto zu setzen“ und die Individualverkehrshoelle weiter anzuheizen- rasche und verstaerkte Investitionen in den oeffentlichen Verkehr (Metro, Nahverkehrszuege,…).
Zweites Beispiel: selbst die zentralen Nachrichten sind Opfer der voellig aus dem Ruder gelaufenen Kommerzialisierung von immer mehr Lebesbereichen. Auf Kanal 13 gibt es am Beginn, einige(!) Male waehrend und am Ende Werbung! Ich formulierte deftig: dieser Unfug (der allerdings Methode hat!) gehoert schleunigst abgestellt.
Angesichts der weitgehenden Konzentration des „Reichtums “ Chinas im Osten des Landes, des eiseitigen Export-„Modells“, das den inneren Markt straeflich vernachlaessigt, der undemokratischen Zustaende (Marx wurde nicht muede von der SELBSTtaetigkeit der ArbeiterInnen zu sprechen und eben NICHT von einer Zwangsbeglueckung von oben!) kann von -bereits erreichten- Sozialismus keinerlei Rede sein.
Nich unerwaehnt moechte ich lassen, wie die Ohren gespitzt wurden, als ich das Thema „Marx und Natur“ anriss- etwa seine beruehmte Kritik am Arbeitsfetischismus der deutschen Sozialdemokratie („Kritik des Gothaer Programms“), der die Natur schlicht „vergessen“ hatte. Oekologie ist offenkundig auch fuer die chinesische Linke ein zentraler Fokus.
Hermann Dworczak (0043/ 676/ 972 31 10)
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Alltagsleben in Chinas Staedten
Neben meinen Uni-Vorträgen und Diskussionen mit meinen linken FreundInnen versuche ich mir ein Bild vom chinesischen Alltagsleben – in den Städten – zu machen. So weit ich das beurteilen kann, verläuft es in ziemlich engen Bahnen. Von „sozialistischer Alternative“ ist wenig bis nichts zu bemerken.
Selbstredend gilt es vorerst einmal, den enormen Nachholbedarf der chinesischen Gesellschaft voll in Rechnung zu stellen. China wurde im 19.Jahrhundert zu einem begehrten Objekt diverser Kolonialmächte – anders als in Japan gab es keine „Reform von oben“. Die Kaiserinwitwe etwa verwendete den Etat, der für die Modernisierung der chinesischen Marine bestimmt war, dafür, sich den „Sommerpalast“ in Beijing luxuriös umzugestalten…
Die „nationale“ Bourgeosie zeigte sich unfähig und unwillens, das Land aus den Klauen des Imperialismus und einer Unzahl von „warlords“ zu befreien. Erst die „rote“ Revolution -siegreich 1949 und von Stalin nicht gewollt!-schuf die Basis für eine Entwicklung des Landes nach vorne.
Voluntaristische „Experimente“ der maoistischen Führung („Grosser Sprung nach vorne“; Kulturrevolution) setzten einer ausgeglichenen Entwicklung jedoch mächtig zu. Die „Reform“politik in den letzten beiden Jahrzehnten führte zwar zu einer sichtbaren ökonomischen Besserung – aber mit enormen Schlagseiten (siehe meine vorherigen 4 Berichte).
Die chinesische Gesellschaft ist auf Grund dieser Historie vor allem mit (Nachhol)konsum beschäftigt. Und die Bürokratie in Partei und Staat fördert diesen für sie ungefährlichen Trend. „Brot und Spiele“ ist sicher die erste Assoziation, die sich einstellt. Selbst der am 8.Nobember beginnende Parteitag spielt – zumindest bislang – im öffentlichen Leben keine besonders prägende Rolle.
Nirgensdwo sah ich bislang in Städten Diskussionsrunden. Alte Männer spielen auf der Straße Karten, die Kaufhäuser sind bummvoll, die Jugend nimmt sich genauso wie bei uns aus: permanentes Hantieren mit dem Handy, „Stöpsel“ in den Ohren etc. In dem Haus, in dem sich in Qingdao mein Hotel befindet, gibt es auch einen grossen Internetladen: fast den ganzen Tag voll mit Youngsters, die sich ein game nach dem anderen hineinziehen…
Spricht man mit ChinesInnen, bekommt man auch einen tieferen Einblick in ihre ökonomische Lage. Ich unterhalte mich etwa mit einer teilzeitarbeitenden Medizin-Studentin in einem „Pizza Hut“-Laden. Während ihre VollzeitkollegInnen monatlich rund 3.000 Yuan verdienen, ist ihr Stundenlohn heisse 9,6 Yuan- also rund 1,2 Euro!
Hermann Dworczak (0043/ 676 / 972 31 10)
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CHINA: PARTEITAG ANTE PORTAS
Am 8.November beginnt hier in China der Parteitag der KP. Bis zum heutigen Tag spielt er im -sichtbaren- oeffentlichen Leben und in der veroeffentlichten Meinung nur begrenzt die zentrale Rolle, die ihm eigentlich zukommt.
Parteitage finden in China nur alle 5 Jahre statt. Sie haben vor allem akklamativen Charakter, die politischen Schluessel- und Personalentscheidungen wurden schon vorher „im engsten Kreis“ getroffen. Innerparteiliche Demokratie ist de facto ein Fremdwort. Ich frage den Parteisekretaer einer Uni, wie denn nun der Parteitag vor Ort vorbereitet wird. Freimuetig bekennt er, dass „unten“, also in den Parteizellen, nix laeuft: Keine Debatte ueber den Rechenschaftsbericht, keine Diskussion ueber einen Text zur Zukunft des Landes. „Unsere Provinzdelegierten werden uns ueber die Ergenisse des Parteitags informieren“.
Natuerlich wird die Bevoelkerung auf den Parteitag entsprechend „eingestimmt“. Die zentralen Nachrichten bringen etwa einen Bericht ueber den Besuch der Parteispitze in einer Ausstellung und aus der Art der Praesentation kann/man frau herauslesen, wie die innerparteiliche Machtkonstellation aussieht und wer die kuenftigen Fuehrer in Partei und Staat sein werden. Dass es weiter in Richtung noch mehr Kapital-Einfluss gehen soll, ist eine ausgemachte Sache. Fast taeglich gibt es im TV eine Serie ueber die juengere Parteigeschichte. Ihr eigentlicher „Held“ ist -nicht Mao- sondern insbesonders Chou Enlai, der dem „grossen Reformer“ Deng Hsiao Ping den Weg ebnet…
Auch Yu Bin, Direktor fuer makrooekonomische Forschung im Entwicklungsforschungs-Zentrum des Staatsrats wird aufgeboten, um den Rechts-Kurs zu propagieren:“ Der Schluessel der kuenftigen Reform ist die Ermutigung des freien Wettbewerbs zu ermutigen, einschliesslich mehr flexibler Preise und mehr aktives Investieren von privatem Kapital, damit die Wirtschaft als ganzes effizienter werden kann.“
Klar, dass angesichts solcher mehr als bedenklicher Entwicklungen bei der -sehr kleinen- chinesischen Linken die Alarmglocken laeuten. Der Leiter der „Abteilung Marxismus“ in der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS) Prof. Cheng Enfu hat einen materialreichen Artikel veroeffentlicht, der die unterschiedlichen, aktuellen ideologischen Stroemungen konkret beim Namen nennt und mit den Neoliberalen hart ins Gericht geht.
Noch schaerfer formulierte es ein Professor einer der Unis, auf denen ich referierte: „Wenn wir die Probleme der chinesischen „Uebergangsgesellschaft“, ausreichend verstehen wollen, brauchen wir Analysen, wie die von Ernest Mandel, dem Autor des „Spaetkapitalismus“ und „Ueber die Buerokratie“. Generell laesst sich sagen, dass die Methoden des revolutionaren Marxismus eines Leo Trotzki fuer uns immer wichtiger werden“.
Hermann Dworczak (0043 / 676 / 972 31 10 )
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Chinesisch-Japanischer Insel-Konflikt ( 7.Bericht )
Der chinesisch-japanische Insel-Konflikt ist von grosser Bedeutung. Er hat sowohl eine historische als auch eine aktuell politische Dimension. Beide sind nicht voellig deckungsgleich.
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Um den Streit um die Diaoyu Inseln hinreichend zu analysieren sind zumindest 3 Ebenen zu unterscheiden:
– historisch gehoerten die 5 unbewohnten Inseln die laengste Zeit zu China. Im Gefolge des chinesisch-japanischen Kriegs Ende des 19. Jahrhunderts kamen sie zu Japan, nach dem Ersten Welkrieg wieder zu China. Im Zuge der japanischen Aggression in den 30er-Jahren wurden sie erneut von Japan annektiert…
– Die unbewohnten Inseln interessierte bis vor kurzem kaum jemanden, der Konflikt entzuendete sich mit den „Kauf“absichten des weit rechtsstehenden (Ex-)Gouverneurs von Tokio Shintaro Ishihara- ein beruechtigter Politiker, der eine grosse rechtsextreme Partei z.T. mit offenen Faschisten („Sonnenroete-Partei“) zimmern will.-
Zusaetzlich goss der japanische Oppositionsfuehrer mit einem demonstrativen und provokativen Besuch des Schreins, in dem fuehrende Kriegsverbrcher begraben sind, ins Feuer. Bei dem Besuch grinste er unverschaemt in die Kamera!
Er -wie viele Rechtspolitiker in Japan- leugnen die Kriegsverbrechen. In der beindruckenden Gedenkstaette in Nanjing konnte ich mich an Hand der Dokumente von den facts ueberzeuigen: 300 OOO Menschen fielen 1937 innerhalb weniger Wochen den Schlaechteren der wuetenden japanischen Soldateska zum Opfer- 20 000 Frauen wurden vergewaltigt!
Die japanischen Revanchisten leugnen nicht nur die Kriegsverbrechen, ihnen ist auch der Artikel 9 der Nachkriegs-Verfassung ein Dorn im Auge, der Japan „Kriege verbietet“.
– China reagierte zu recht empoert auf diese Entwicklungen. Sie sind auch vor dem Hintergrund der „neuen Strategie“ des US-Imperialismus zu sehen, den „chinesischen Einfluss im pazifischen Raum zurueckzudraengen“(die gegenwaertigen Manoever der USA mit Sued-Korea und Japan sind in diesen Kontext eingebettet).
Soweit sind die Dinge, was China betrifft, verstaendlich. Bedenklich ist allerdings die „Funktionalisierung“ des Konflikts. Es entsteht eine „Amalgam“- Situation. Natuerlich muss -auch international- darauf gedraengt werden, dass Japan voll seine historische Schuld einbekennt.
Aber die Kriegsverbrechen der Japaner und der aktuelle Konflikt sind prinzipell 2 verschiedene Paar Schuhe: Wem auch immer die Inseln in der Vergangenheit gehoerten- heute geht es schlicht um den Fischreichtum der Gegend und die Bodenschaetze, die unter den Inseln vermutet werden. DIESEN Konflikt gilt es friedlich, auf dem diplomatischen Verhandlungsweg zwischen China und Japan zu loesen.
Der „Volkszorn“, der in China in Protesten in 85 Staedten zum Ausbruck kam, war nicht spontan, er hatte ueberwiegend VORBEREITETEN Charakter.
Und es liegt auf der Hand, dass der Konflikt von der Fuehrung in Partei und Staat weidlich dazu benutzt wird, um ueber andere relevante Themen „weniger“ zu berichten- statt auf die soziale wird auf die „nationale“ Karte gesetzt.
Hermann Dworczak (0043 / 676 / 972 31 10 )
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China-Reise: Erstes Resümee
Auf der Basis meiner bisherigen -sieben- politischen Reiseberichte aus mehreren chinesischen Staedten versuche ich ein erstes vorsichtiges Resuemee- keine „definitive Lagebeurteiling“.
1.Der „Reform“prozess in China hat zu einem betraechtlichen Wachstum gefuehrt. Das ehemalige Agrarland China ist heute im weltweiten Ranking der Oekonomien der Laender die Nummer 2! Der blosse Blick auf des Bruttonationalprodukt reicht jedoch in keiner Weise fuer eine umfassende und differenzierte Einschaetzung der Wirtschaftssituation. Die Kehrseiten kommen so ueberhaupt nicht ins Blickfeld: die weitgehende Konzentration des „Reichtums“ in den oestlichen Kuestenregionen, der gigantische Einkommensschere zwischen „oben“ und „unten.
2. Die aus dem Ruder gelaufenen „Marktmechanismen“ laestt nicht wenige hier von einem „Kapialismus mit chinesischen Charakteriska“ sprechen. An allen Ecken und Enden begegnet man/frau Profitheckrei, Kommerzialisierung und ausufernde Werbung. Das dominierende gesellschaftliche Ideal ist zweifelsohne Konsum, Konsum und nocheinmal Konsum.
3. Obwohl ich NICHT die ultralinke Position vertrete, in China waere bereits der „Kapitalismus voll restauriert“, ja China waere bereits „imperialitisch“ kann von den vorherrschenden negativen Tendenzen nicht eindruecklich genug gewarnt werden. So weit ich das beurteilen kann, geht der Trend weiter nach rechts: Ausdehnung des Einflusses des in- und auslaendischen Kapitals („um Wachstum und Effizienz zu steigern“), Heruntermachen ds Offentlichen Eigentums, volles Setzen auf den Individualverkehr etc.
4. In den letzten Jahren ist es zwar zu einer Unzahl von Protesten in Stadt und Land gekommen und auch jetzt sind sie nicht verschwunden, aber bislang haben sie -unter den repressiven Bedingungen!- zu keiner POLITISCHEN Kristallisation gefuehrt. Gesamtgesellschaftliche linke Reflexionen konnte ich bei undogmatischen MarxistInnen bzw. in einem kleinen akademischen Milieu registrieren.
5. Selbst absolute chinesische KennerInnen der Lage im Land getrauen sich nicht eine „sichere Prognose“ zu machen, was konkret bei dem am Donnerstag den 8. November beginnenden 18. Parteitag der KP herauskommen wird. Es gibt etliche Unwaegbarkeiten, die zentralen politischen und personellen Entscheidungen wurden im allerengsten Kreis getroffen. Der Fall Bo Xilais wird zweifelsohne von den -neoliberalen- Rechten dazu benutzt werden, um den Segnungen des „Marktes“ weitere Blumen zu streuen. Eine Schluesselfrage wird sicher sein, ob in den zentralen Parteidokumenten dem Vorrang des oeffentlichen Eigentums der Todesstoss versetzt wird. Schon vor einigen Monaten hat der Leiter der Akademie fuer Marxismus in der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften Professor Cheng Enfu den Antrag gestellt, die Prioritaet des gesellschaftlichen Eigentums weiter festzuchreiben. Man/frau kann gespannt sein, wie der Antag behandelt wird.
Hermann Dworczak
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Gregor, 5.11.2012
Ich habe die Berichterstattung zum Parteitag diesmal nicht genau
verfolgt. Ein wichtiger Hinweis auf die politische Ausrichtung ist
jedenfalls die neue Darstellung der politischen „Erbfolge“: der
Marxismus-Leninismus wurde getilgt und Mao Zedong wird nicht mehr
angeführt; die Legitimierungsabfolge beginnt nun mit Deng Xiaoping,
gefolgt von den „Drei Vertretungen“ und der „Wissenschaftlichen
Anschauung von der Entwicklung“; von „Harmonie“ ist weiterhin die Rede,
aber die „Harmonische Gesellschaft“ wurde ebenfalls eliminiert. Das neue
Parteistatut wurde allerdings noch nicht veröffentlicht.
党的十六大以来以胡锦涛同志为总书记的党中央治国理政纪实
http://cpc.people.com.cn/18/n/2012/1105/c350821-19502048.html
Auszug:
党的十六大以来,面对前所未有的机遇和挑战,面对复杂的国内外形势,以胡锦涛
同志为总书记的党中央,以邓小平理论和“三个代表”重要思想为指导,深入贯彻落
实科学发展观,团结带领全党全国各族人民齐心协力,锐意进取,中国特色社会主
义事业展现出勃勃生机。
Herzliche Grüße,
Gregor
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CHINA-BERICHTERSTATTUNG ODER DER ABGESANG DES BÜRGERLICHEN JOURNALISMUS
Die Ereignisse rund um den Parteitag der chinesishen KP und der Parteitag selbst wären eine gute Gelegenheit gewesen, Substantielles über das Land und seine politische Führung zu erfahren. Realiter gab es meist nur oberflächliches Gewäsch und politische Sterndeuterei.
Die Komplexheit Chinas darzustellen, ist sicher kein leiches Unterfangen. Das Land befindet sich in einem radikalen Umbruch, es gibt extreme Unterschiede zwischen dem -relativ- „reichen Osten“, den Küstenregionen mit seinen Millionen-Städten und dem unterentwickelten Inneren und Westen des Landes. Die Einkommensscheren zwischen „oben“ und „unten“ haben Weltrekord-Format, Proteste in den vielfältigsten Formn haben in den letzten Jahren das Land überzogen.
All dieser reale gesellschaftliche Hintergrund könnte differenziert behandelt und dargelegt werden, in welchen Brechungen er auf dem Parteitag gespiegelt oder schlicht ausgeblendet wird.
Kaum etwas davon war in den letzten Tagen in den bürgerlichen Medien zu vernehmen. Da wurden -oft bloß psychologisierende- Individual-Biographien der ständigen Mitglieder des PB erstellt, erbauliche Gschicterln über die neue First Lady verfaßt und ähnlicher Schmus mehr. Das Magazin „Format“ munkelte gar von einem „Kampf um die Welthherschaft der Giganten USA und China“…
Dem neuen Leader wurde positiv attestiert, daß er gegen die „Korruption“ vorgehen will. Kaum eine ernsthafte Analyse , die in Erinnnerung ruft, daß es schon Dutzende solche „Anti- Korruptions“-Kampagnen in der Vergangenheit gegeben hat, die bekanntlich kaum was fruchteten. Korruption ist ja bekanntlich die Folge spezifischer -z.B. mafioser- Strukturen, also ein Folgephänomen und nicht an sich ein Erklärungsgrund.
China steht heute an einem Scheidewg. Das Export-Modell kann nicht bruchlos fortgesetzt werden- die sozialen und Umwelt-„Kosten“ nehmen dramatische Formen an. Die starre Einparteien-Herrschaft, das Fehlen demokratischer Ausdrucksmöglichkeiten (und nicht bloß Internet-Using) sind ein gewaltiger Hemmschuh. Das Ausufern des „Marktes“- sprich die zunehmende Entfaltung kapitalistischer Pruduktionsverhältnisse und einer darauf basierenden Konsum“kultur“ untergraben mehr und mehr die positiven Errungenschaften der chinesischen Revolution.
All da entgeht dem bürgerlichen Jornalismus weitgehend . Er sehnt sich nach „weiteren Reformen“- worunter er vor allem Privatisierungen, noch mehr Spelraum fürs (Auslands)kapital versteht.
In die Tat umgesetzt wäre das schlicht ein Katastrophen-Kurs. Die Entwicklicklung des Landes wäre bruchlos den „bleiernen Gesetzen der Kapitalakkumulation“ (Marx) unterworfen, China würde -wie so oft in seiner leidvollen Vergangenheit- erneut zu einem Spielball imperialistischer Interessen werden.
Eine positive Wende wird es nur geben, wenn der derzeit recht minoritären chinesischen Linken ( vor allem im akademischen Bereich angesiedelt)- trotz aller Repression- ein Brückenschlag zu den Kämpfen in den Fabriken und auf dem Land gelingt und gemeinsam eine Art „Alternativprogarmm“ zum Kurs der Parteibürokratie entwickelt wird.
Hermann Dworczak (0043/ 676 / 972 31 10 )