Unabhängiger Mediendienst zur Arbeit und zur Erwerbslosigkeit
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Working poor:
Viel Arbeit, zu wenig Geld
Yvonne Feri
Sie kommen nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag müde nach Hause: Ihre Kinder rennen Ihnen in die Arme, erzählen, fragen, brauchen Sie. Schnell einen Imbiss vorbereiten, eines der Kinder zum Sport bringen. Zurück zu Hause: das andere Kind braucht Unterstützung bei den Hausaufgaben.
Kaum haben Sie eine Minute, müssen Sie Wäsche waschen und einkaufen gehen. Auf dem Rückweg holen Sie gleich das erste Kind vom Sport wieder ab. Weiter geht’s zuhause mit der Haushaltsarbeit: Kochen, Aufräumen, Geschichten erzählen, Kinder ins Bett bringen. Und endlich kommt auch Ihre Partnerin, ihr Partner nach Hause – müde und geschafft, da das Haushaltsbudget mit einem kleinen Nebenjob am späteren Nachmittag bis in den Abend hinein etwas aufgebessert werden muss.
Zum Glück sind die Kinder nicht mehr ganz so klein, so dass Sie wenigstens eine, maximal zwei Stunden alleine zu Hause sein können, ohne dass Sie sich Sorgen machen müssen. Doch trotz all diesen Anstrengungen: Das Geld reicht kaum für ein Hobby für jedes Kind, geschweige denn für Bio-Produkte (was Ihnen aber ein grosses Anliegen wäre), noch für sehr gesundes Essen (wie mageres Fleisch, viel Gemüse und Früchte), noch für ein Abonnement für die Zeitung, noch für Ferien.
Regelmässig kommen die Kinder von der Schule nach Hause und brauchen da zwei und dort fünf Franken. Sie fühlen sich unwohl dabei, dass Sie es sich kaum leisten können und wollen doch den Kindern ermöglichen, am sozialen Leben teilzuhaben und nicht aus der Gruppendynamik ausgeschlossen zu sein.
Kleine Besonderheiten in Erziehung und Alltag
Zum Glück gibt es noch den einen oder anderen Fonds oder eine Stiftung*, aus welchem die Musikschule oder auch mal etwas Besonderes finanziert werden kann. Trotzdem verzichten Sie als Paar auf gemeinsame Abende im Kino oder in einem Restaurant – das Geld reicht auch dafür nicht. Sie beide fühlen sich müde und ausgelaugt und haben kaum noch Zeit und Energie für die Paarbeziehung – trotz einem gemeinsamen Arbeitspensum von 150 %, in der reichen Schweiz.
Das Bundesamt für Statistik (BFS) hat 2012 folgende neue Zahlen veröffentlicht: In der Schweiz waren 2010 3,5 Prozent aller Erwerbstätigen von Armut betroffen. Dies entspricht rund 120‘000 Personen. Im Vergleich zu 2008 (5,2 Prozent) ist die Armutsquote der erwerbstätigen Bevölkerung somit zum Glück gesunken. Dies kann mit der positiven Arbeitsmarktsituation in den Jahren 2006 bis 2008 erklärt werden, da die Armutsquote jeweils mit einiger Verzögerung der Arbeitsmarktentwicklung folgt. Die mediane Armutslücke der Erwerbstätigen ging im beobachteten Zeitraum ebenfalls von 31,6 Prozent auf 18,9 Prozent zurück. Die Armutslücke misst den mittleren Abstand der Einkommen der armen Bevölkerung zur Armutsgrenze und gibt dadurch an, wie stark diese von Armut betroffen ist.
Alleinerziehende schwer benachteiligt
Mit einer Armutsquote von 19,9 Prozent sind Personen in Einelternfamilien mit Kind(ern) am häufigsten von Erwerbsarmut betroffen. Weitere besonders betroffene Gruppen sind alleinlebende Erwerbstätige (6,7 Prozent), Frauen (4,8 Prozent), Erwerbstätige ohne nachobligatorische Schulbildung (6,7 Prozent) und Personen in Haushalten mit nur einer/einem Erwerbstätigen (7,3 Prozent). Bei zwei Erwerbstätigen im Haushalt beträgt die Armutsquote dagegen lediglich 1,4 Prozent.
Die Einkommenssituationen der Erwerbstätigen werden auch wesentlich durch die Arbeitsformen und -bedingungen bestimmt. So sind Personen, die nur einen Teil des Jahres einer Erwerbstätigkeit nachgehen (7,4 Prozent) und überwiegend Teilzeitangestellte (5,2 Prozent) besonders von Armut betroffen. Dasselbe gilt für Selbständige ohne Angestellte (9,9 Prozent), Personen mit befristeten Arbeitsverträgen (6,3 Prozent), Erwerbstätige mit atypischen Arbeitsbedingungen wie Wochenendarbeit, Nachtarbeit und/oder fremdbestimmten unregelmässigen Arbeitszeiten (3,4 Prozent) sowie Personen, die im Gastgewerbe (7,7 Prozent) oder in privaten Haushalten (8,3 Prozent) tätig sind.
Leiden in der Unterschicht
Zahlen sagen nicht alles aus: Auf den ersten Blick erscheinen diese Zahlen zwar erfreulich, da es in gewissen Bereichen eine Senkung der Quote gab. Doch die schweren Zeiten, die betroffene Familien mitmachen, spiegeln sich nicht in einer Statistik. Es lastet eine grosse Verantwortung auf den Schultern dieser Menschen. Eine Familie, die materielle Unterstützung vom Staat bekommt, profitiert auch von anderen Begleitmassnahmen: Sie bekommen mentale Unterstützung, können offen über ihre Situation reden und haben einfacheren Zugang zu Fonds und Stiftungen. Fremdsprachigen Personen wird auch geholfen.
Ich wünschte mir, dass auch selbständige Familien, die an der Armutsgrenze leben, von Dienstleistungen des Staats profitieren können. Dies vor allem, damit die Kinder dieser Familien aus diesem «Armuts-Sog» heraus kommen – mit einer guten Schul- und Ausbildung, mit einer Selbstständigkeit und Startchancen ins Erwachsenenleben, wie es auch Kinder aus sozial besser gestellten Familien erleben. So könnten wir weitere Sozialhilfeausgaben wie auch Gesundheitskosten sparen.
Armut ist öffentliche Sache
Denn wer zufrieden und ausgeglichen durchs Leben geht, lebt gesünder. Als erster Schritt müssen deshalb auch die bürgerlichen PolitikerInnen solche Familien zur Kenntnis nehmen – denn manchmal scheint mir, dass sie sich in einer gar heilen Welt wähnen und die Augen vor solchen Situationen verschliessen. Aber es geht uns alle etwas an – Armut ist keine Privatsache.
*Die Gemeinden sind im Bereich der Musikschul-, Lager- oder Reisekosten sehr unterschiedlich orga-nisiert. Erkundigen Sie sich bei Ihnen auf der Gemeindekanzlei, resp. Stadtkanzlei. Unter http://www.edi.admin.ch/esv/05263/index.html?lang=de befindet sich das schweizerische Stiftungsver-zeichnis. Aber auch für diese Suche sollten Ihnen die Sozialdienste der Gemeinden/Städte behilflich sein.
Zur Person: Yvonne Feri ist Nationalrätin (SP/AG), Gemeinderätin von Wettingen (Dossier Gesundheit) und Präsidentin der SP-Frauen.
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14. November: Europäischer gewerkschaftlicher Aktionstag
Geld ist genug da
Ewald Ackermann
Der Europäische Gewerkschaftsbund hat den 14. November zum europaweiten Aktionstag für Arbeit und Solidarität ausgerufen. In Spanien, Portugal, Griechenland, Malta und Zypern wehren sich die Gewerkschaften an diesem Tag mit einem Generalstreik gegen die desaströse Abbaupolitik. In den deutschsprachigen Ländern kommt es während der ersten Novemberhälfte zu den Aktionswochen „Geld ist genug da“.
„Die Sparpolitik führt in die Sackgasse. Sie bedeutet wirtschaftliche Stagnation, gar Rezession. Folge: das Wachstum bricht ein, die Arbeitslosigkeit steigt massiv an. Lohnabbau und Schnitte in die sozialen Schutznetze bedrohen das europäische Sozialmodell. Sie verstärken soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten.“ So beginnt der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) seinen Aufruf für den 14. November. Dann soll den Regierenden von Reykjavik bis La Valletta, von Helsinki bis Lissabon klar gemacht werden, dass jetzt die Zeit reif ist für die Wende, für einen europäischen Sozialvertrag.
Es sind die einfachen Leute, die die Krise bezahlen sollen, mit Lohn- und Sozialabbau – die Reichen und die Superreichen dagegen werden geschont. Der EGB fordert deshalb nicht nur Massnahmen für eine nachhaltige jobintensive Wirtschaft und eine gerechte Verteilung; es sollen auch Finanztransaktionen neu besteuert, die Steuerflucht bekämpft, die Unternehmen europaweit einheitlich minimal besteuert, die GAV und die sozialen Grundrechte respektiert werden.
Generalstreik in fünf Staaten
Im Süden Europas ist die Lage äusserst schlimm. Sparpaket reiht sich an Sparpaket. Die Arbeitslosigkeit erreicht Dimensionen, die teils gar die Dreissiger-Depression übersteigen. Deshalb überrascht es nicht, dass Spanien, Portugal, Griechenland, Malta und Zypern an diesem 14. November zum härtesten Mittel gegen die verheerende Politik greifen: zum Generalstreik. Während 24 Stunden soll das wirtschaftliche Leben lahmgelegt werden. In Spanien etwa ist es in der Nach-Franco-Ära, also seit über 30 Jahren, das erste Mal, dass in einem gleichen Jahr zwei Mal zu einem Generalstreik aufgerufen wird. Die vereinten spanischen Gewerkschaften brandmarken zum ersten die Arbeitsmarkt-„Reformen“ der Regierung Rajoy, welche Unternehmens-Verträge auf Kosten der Branchen-Verträge stärkt und dabei den Arbeitgebern mehr Freiraum zubilligt als den Arbeitnehmenden. Die Folge sind massiv zunehmende Massenentlassungen. Zum zweiten bekämpfen sie den unverfrorenen Abbau in Gesundheit, sozialer Unterstützung und Erziehung sowie den Lohnabbau und die Überwälzung neuer steuerlicher Lasten vor allem auf kleine Einkommen.
Geld ist genug da
In den deutschsprachigen Ländern konzentriert sich der gewerkschaftliche Protest nicht bloss auf den 14. November. Vom 1. bis zum 14. November finden länderübergreifende gewerkschaftliche Aktionswochen statt, die unter dem Motto „Geld ist genug da. Zeit für Gerechtigkeit“ stehen. Für die Schweiz sind bis heute rund 20 Aktionen bekannt, an denen – oft unter Teilnahme von Gewerkschafter/innen aus Südeuropa – diskutiert wird, wie ein sozialer Ausweg aus der Krise zu finden wäre. Die Richtung dabei ist klar: Ein Flugblatt der Unia weist darauf hin, dass den 10 Billionen Euro Schulden in Europa 27 Billionen Euro private Vermögen gegenüberstehen. Deshalb sind „hohe Einkommen, Vermögen, Erbschaften und Finanzmarktgeschäfte endlich fair zu besteuern.“ Gleichzeitig sind in der Schweiz im gleichen Rahmen auch weitere dezentrale Aktionen, etwa für die Einführung der Solidarhaftung oder gegen kantonale Sparprogramme geplant. Entsprechende Manifestationen sind bis heute in St. Gallen (15. November) und in Luzern (24. November) bekannt.
Keine Unternehmenssteuergeschenke
„Wenn Europa ein Paradies für Millionäre ist, dann ist die Schweiz der siebente Himmel“, so bewertete Unia-Co-Präsident Andi Rieger vor den Medien anlässlich der Präsentation dieser Aktionswoche die aggressive Rolle der Schweiz im europäischen Steuerwettbewerb. Nach der Unternehmenssteuer-Reform II, „einem neuen, klaffenden Fluchtloch“, das nur den Reichen nütze, solle nunmehr die Unternehmenssteuer in der Schweiz generell auf 15% heruntergedrückt werden. Das zeigt: Die Schweiz ist ein Teil des europäischen Problems. Eine Politik für soziale Gerechtigkeit und korrekte Verteilung aber ist der Schlüssel zu dessen Lösung.
(Newsletter des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB vom 6. November 2012)
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Reiche sollen mehr zahlen
Umfrageergebnisse aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
Berlin. verdi. 2. November 2012 / 83 Prozent der Deutschen finden es richtig, dass die Vermögen von Millionärinnen und Millionären stärker besteuert werden. 81 Prozent sagen, dass die Lasten zur Krisenbewältigung in den Ländern der Europäischen Union zwischen Vermögenden einerseits und Normal- und Geringverdienenden andererseits nicht gerecht verteilt sind.
Diese repräsentativen Umfrageergebnissen hat der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske in Berlin vorgestellt. Mit dabei waren der Vorsitzende der österreichischen Gewerkschaft GPA-djp, Wolfgang Katzian, und der Co-Präsident der schweizerischen Gewerkschaft Unia, Andreas Rieger. Gemeinsam stellen die drei Schwestergewerkschaften in den kommenden Wochen in Betrieben und bei öffentlichen Veranstaltungen die Frage, woher die Schulden kommen. „Wir erleben in allen drei Ländern, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise von einem Marktversagen zu einem Staatsversagen umgedeutet wird“, sagte Frank Bsirske. Diese Umdeutung werde von der Politik zu einem Angriff auf die Sozialsysteme genutzt. Doch seien es Steuergeschenke für die Reichen und Milliarden für die Rettung der Banken gewesen, die in den vergangenen Jahren die öffentlichen Schulden in die Höhe getrieben hätten.
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Zwei Tage Berlin mit meiner polnischen Oma
Anna Alboth*
Zwei Generationen trennen meine Großmutter und mich – heutzutage kommen auch noch 600 Kilometer dazu. Ein typischer Oma-Besuch stand an: Für ein Wochenende kam Wiesia in die deutsche Hauptstadt, um mit ihrer Enkelin und mit ihren dreisprachig aufwachsenden Urenkelinnen im Babyalter ihren 80. Geburtstag zu feiern.
Wiesia hat im Laufe ihres Lebens relativ wenig Kontakt mit Deutschen gehabt. Als die Deutschen am 1. September 1939 in Polen einmarschierten, packte sie gerade ihren Rucksack für den ersten Schultag. Eines Tages, sehr viel später, lernte sie einen gut aussehenden, westdeutschen Fahrradfahrer kennen. Vor 31 Jahren unternahm sie, beladen mit Mitbringseln gefüllten Tüten, mit dem Bus einen Trip von Warschau nach Berlin. Da gab es eine Tanzaufführung auf dem Alexanderplatz, Abendessen am Fernsehturm und das Brandenburger Tor. Doch sie bekam im wahren Sinne des Wortes nur eine Seite Berlins zu sehen – den Osten.
Europa ohne Grenzen
Dann fiel die Mauer in Berlin. Später trat Polen der EU bei. Am gleichen Tag, am 1. Mai 2004, überquerte ich – ihre Enkelin – die Oder-Grenzbrücke Slubice – Frankfurt, ohne meinen Pass zeigen zu müssen.
Und dann lernte Wiesia meinen Ehemann Thomas kennen. Als ich ihr zum ersten Mal erzählte, ich hätte einen fantastischen Deutschen kennengelernt, konnte sie es nicht glauben. Ich spreche Englisch mit Thomas. Aber da er sehr gut Russisch spricht, wechselte er für Wiesia ziemlich schnell ins Polnische. Seitdem ist er zum geliebten Schwieger-Enkel geworden und Wiesia zur großen Botschafterin der deutschen Jungs in Polen. Dann wurden die polnisch-deutschen Urenkelinnen geboren, zu deren Ehren Wiesia gerade Berlin besucht.
Der Bus trifft pünktlich in Berlins ZOB-Busstation ein. Oma ist nach dem 600 Kilometer langen Trip erschöpft. Wir gehen nach Hause: eine WG. Bei Wohngemeinschaften von Menschen, die nicht verwandt sind, geht es nicht nur um das Geldsparen, sondern um das Zusammenleben, das gemeinsame Kochen und das Leben miteinander. Mit uns einem deutsch-polnischen Ehepaar mit zwei kleinen Mädchen – wohnen noch eine Polin, Marta, ein Kinderbuch-Illustrator aus Singapur, ein Grieche… und momentan ein türkischer Couchsurfer. Oma hat, wie alle Omas das nunmal so tun, Geschenke für die Familie mitgebracht. Sie kramt kurz in ihre Tasche und zaubert schnell auch noch ein Geschenk für den Türken und den Griechen hervor.
Neue Erfahrungen
Unser zeitweise türkischer Mitbewohner kocht Abendessen für alle. Wir verwenden asiatische Gewürze (die Oma noch nie probiert hat) aus einem nahe gelegenen La-den. Aus der Musikanlage ertönen die Beatles; das verbindet Menschen immer. Der Grieche und Oma verbringen eine gute halbe Stunde in der Küche; Wiesia redet und redet, ohne Luft zu holen, bis Thomas hereinkommt und Oma in gebrochenem Polnisch informiert: “Oma, weißt Du, er versteht Dich nicht”. Oma ist überzeugt, dass der Grieche doch versteht, denn schließlich lächele er so liebenswürdig. “Und hast Du eine Freundin oder eine Verlobte ?“, fragt sie weiter. Apostolis ist schwul. Aber es ist nicht einfach über ein solches Thema mit einer Großmutter zu sprechen, unabhängig von ihrer nationalen Abstammung.
Großmutter spricht viel mit Marta über die heutigen Studenten. Wiesia hat lange Zeit an der Universität von Warschau gearbeitet und sie hat dreißig oder mehr Studen-tengenerationen kennengelernt. “Heutzutage studiert jeder. Es ist sehr schade, dass man auf das Studentsein gar nicht mehr stolz sein kann.“
Großmutter bringt ein ausführliches Gespräch über Pussy Riot in Gang. Obwohl sie noch nie Punk Rock gehört hat und auch wenn sie die kirchlichen Institutionen wahrlich respektiert, „können wir doch diese armen Mädchen nicht allein lassen“. Wiesia sieht sich in der Wohnung um; sie schaut die Poster und Postkarten, die sie schmücken an. Was bedeutet das Zeichen an der Wand? ‚Leben, Liebe, Lachen, Oma‘ übersetzen wir aus dem Englischen. ‘Wow, genau das habe ich an die Wände des verfallenen Nachkriegs-Warschau geschrieben’.
Kalter Krieg vorbei
Heutzutage ist Alexanderplatz sehr viel belebter und es gibt bei weitem weniger Tanzclubs als vor drei Jahrzehnten. Oftmals kannst du Ost Berlin nicht vom Westen unterscheiden, meint Wiesia. Sogar die Eintrittskarte für den Fernsehturm ist für ihre schmale polnische Rente zu teuer. Um Wiesia die warmen Erinnerungen vergangener Tage zurückzubringen, besuchen wir den türkischen Markt. Das Maybachufer in Neukölln, ein beliebtes Viertel Berlins, ist an Dienstagen und Freitagen ein sehr beliebter Ort. Leider muss ich bald zurück nach Hause, um an einem Projekt zu arbeiten, dem noch die nötige Werbung fehlt. ‘Hört mal, meine Freunde haben erzählt, dass es im Internet eine Sache gibt wo man, wenn man einen Brief sendet, auch Informationen an sehr viele Menschen verschicken kann. Weißt Du was? Ich rufe die an und sag ihnen, dass sie dir auch diese Nachricht schicken sollen’, bietet Wiesia an.
Wir beenden Großmutters Besuch mit einem Ausflug zum Spielplatz. Prenzlauer Berg ist das kinderfreundlichste Stadtviertel in Europa. Meine Mädchen haben Spaß, wir haben Zeit zu reden. Großmutter ist von dem Spielplatz beeindruckt: seine Farben, das viel verwendete Holz. ‘Weißt Du, ich hatte mal einen Freund, einen deutschen Fahrradfahrer, erinnerst Du Dich’, sagt sie. ‘Das war damals ziemlich schlechtes Timing für die Beziehung. Denk nur, ich würde ihn jetzt hier irgendwo treffen mit unseren Urenkeln! Hey, vielleicht könnten wir mal schauen, ob er nicht auch auf diesem Facebook ist?’
Oma im echten Berlin: “Einverstanden, wir machen das. Aber nur wenn Du mir ver-sprichst, dass Du Dir nicht Deine Haare zurechtmachst und auch kein Make-Up aufträgst. Ich will doch nicht schlechter aussehen!” Lass mich so alt werden.
* Mit freundlicher Genehmigung der Verfasserin. Anna Alboth (28) arbeitet als Journalistin und lebt in Berlin.
Text von Anna Alboth, Übersetzung: Sonia Gigler. Quelle: http://www.cafebabel.de. Publiziert am.10.10.2012. Die Webseite cafebabel.com wird von der Europäischen Kommission und anderen Partnern kofinanziert. Bei cafebabel.com findet eine offene Debatte statt. Die Artikel spiegeln nur die Meinung des jeweiligen Autors wider. Alle veröffentlichen Fakten wurden vorher überprüft.
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Besuch in Auschwitz*
Paul Ignaz Vogel
Über die Selektionsrampen fahren heute Autocars (auch für die Auserwählten war der Weg zu den Gaskammern lang), an den Kiosken sind Heftchen erhältlich, mit und ohne Totenkopf, und ein Schild preist Kunsthandwerk der Gegend. Auschwitz heisst heute Oswiecim. Und Oswiecim ist zum Touristenzentrum geworden.
An den Gaskammern, die jeder betreten darf, steht noch nicht „Rauchen verboten“, aber mit der Zeit dürfte auch dies noch nötig werden. Zwar gehen die TouristInnen diszipliniert in Gruppen, so wie es sich auch für sozialistische Menschen gehört, aber irgendwelche Emotionen sind schwer feststellbar. Wie ist es doch mit den TouristInnen? Sie konzentrieren sich auf aus Interessanteste und so kommt es, dass die Besuchsgruppen vor der Genickschusswand warten müssen, bis sie in den SS-Folterkeller zugelassen werden. Auch hier in Oswiecim gilt Ordnung, und jeder und jede darf einmal so ganz für den privaten Gebrauch und bloss in Gedanken Sadist sein und all die Geräte sehen, mit denen echte Sadisten Menschen gefoltert und getötet haben.
Gewiss, die Nazis waren schlimm. Doch das steht ja in Oswiecim nicht zur Diskussion. Viel eher die Pietät. Aber ist sie nichts mehr als Achtung vor dem einzelnen Schicksal, das brutal und sinnlos für jeden und jede war?
Erst als ich im Hotel den feinen hellen Staub von meinen Schuhen bürstete, begriff ich, was ich wegputzte und wo ich eigentlich gewesen war. Und ich musste an einen Polen denken, der vor meinem Oswiecim-Besuch gesagt hatte: „Für uns ist Auschwitz der Friedhof für 4 Millionen ermordete Menschen. Auf einen Friedhof organisiert man keinen Tourismus.“ Dieser Meinung möchte ich mich anschliessen.
* Dieser Text wurde nach dem Besuch des damals sozialistischen Polens verfasst. Polen gehörte zum sowjetisch dominierten Warschaupakt und bildete damit einen anderen Teil des durch den Kalten Krieg geteilten Europas. Das Regime veranstaltete in grossem Ausmass TouristInnenreisen nach dem Konzentrationslager Auschwitz. Diese dienten auch der politischen Propaganda gegen die damalige Bundesrepublik Deutschland (NATO-Land). Der vorliegende Text wurde im November 1966 als Kolumne in der Zeitschrift Neutralität veröffentlicht.
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Beginn des Zweiten Weltkrieges
(WIKI). Mit dem Polenfeldzug löste am 1. September 1939 die nationalsozialistische Regierung des Deutschen Reiches ohne vorherige Kriegserklärung den Zweiten Weltkrieg in Europa aus. Am 3. September 1939 erklärten Frankreich und Großbritannien im Rahmen ihrer Beistandsverträge mit Polen Deutschland den Krieg. Sie eröffneten aber nur minimale militärische Aktivitäten, die Polen keine reale Entlastung brachten. Am 17. September ließ Josef Stalin die Rote Armee auf breiter Front über die Grenzen Polens vorrücken. Hintergrund war das geheime Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939.
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Europäische Union (EU) erhält Friedensnobelpreis 2012
(CaféBabel.) Der Friedensnobelpreis, der in der Vergangenheit bereits an Mutter Teresa, Henry Kissinger und Barack Obama ging, wurde am 12. Oktober 2012 an die Europäische Union verliehen. Die Union aus 27 Nationen und 500 Millionen Bürgern wurde für 67 Jahre friedvolles Zusammenleben ausgezeichnet.
Hier ist die Erklärung des Komitees im Wortlaut:
(SPIEGEL Online) „Das Norwegische Nobelkomitee hat entschieden, dass der Friedensnobelpreis 2012 an die Europäische Union (EU) vergeben wird. Die Union und ihre Vorgänger haben über sechs Jahrzehnte zur Förderung von Frieden und Versöhnung beigetragen. Seit 1945 ist diese Versöhnung Wirklichkeit geworden. Das furchtbare Leiden im Zweiten Weltkrieg zeigte die Notwendigkeit eines neuen Europa. Über 70 Jahre hatten Deutschland und Frankreich drei Kriege ausgefochten. Heute ist Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar. Das zeigt, wie historische Feinde durch gut ausgerichtete Anstrengungen und den Aufbau gegenseitigen Vertrauens enge Partner werden können.
Teilung Europas beendet
In den achtziger Jahren sind Griechenland, Spanien und Portugal der EU beigetreten. Die Einführung der Demokratie war Voraussetzung für ihre Mitgliedschaft. Der Fall der Berliner Mauer machte den Beitritt möglich für mehrere zentral- und osteuropäische Staaten. Dadurch wurde eine neue Ära der europäischen Geschichte eingeleitet. Die Teilung zwischen Ost und West ist in weiten Teilen beendet. Die Demokratie wurde gestärkt. Viele ethnisch bedingte Konflikte wurden gelöst.
Die Aufnahme von Kroatien als Mitglied im nächsten Jahr, die Einleitung von Aufnahmeverhandlungen mit Montenegro und die Erteilung des Kandidatenstatus an Serbien wird den Prozess der Aussöhnung auf dem Balkan voranbringen. Im letzten Jahrzehnt hat auch in der Türkei die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft Demokratie und Menschenrechte in diesem Land gefördert.
Blick auf das Wesentliche
Die EU erlebt derzeit ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten und beachtliche soziale Unruhen. Das Norwegische Nobelkomitee wünscht den Blick auf das zu lenken, was es als wichtigste Errungenschaft der EU sieht: den erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie sowie die Menschenrechte; die stabilisierende Rolle der EU bei der Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens.
Die Arbeit der EU repräsentiert ‚Bruderschaft zwischen den Nationen‘ und entspricht einer Form von ‚Friedenskongress‘, wie Alfred Nobel dies als Kriterium für den Friedenspreis 1895 in seinem Testament umschrieben hat.“
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Schweiz als Insel der Seligen
(Swissinfo, 21.10.2012). Am besten wäre es gemäss Cohn-Bendit, wenn die Schweiz der EU beiträte: „Der Schweiz geht es als Insel der Seligen doch nur so gut, weil die EU drum herum ist, weil die EU die Kastanien aus dem Feuer holt und wirtschaftliche Strukturen aufbaut, von denen dann Unternehmen wie Nestlé profitieren.“
(Wikipedia). Marc Daniel Cohn-Bendit (* 4. April 1945 in Montauban, Tarn et Garonne, Frankreich) ist ein Politiker der Partei (Bündnis 90 / Die Grünen und Europe Ecologie-Les Verts) und Publizist.1968 wurde er der prominenteste Sprecher der Studenten während der Unruhen in Paris. Nach seiner Ausweisung aus Frankreich war er in Deutschland im Sozialistischen Deutschen Studentenbund SDS und der Außerparlamentarischen Opposition aktiv. In der Sponti-Szene von Frankfurt am Main spielte er in den 70er Jahren eine führende politische Rolle und war Herausgeber des Stadtmagazins Pflasterstrand. Gemeinsam mit Joschka Fischer engagierte er sich von Beginn an in der alternativen Bewegung, 1994 wurde er in das Europäische Parlament gewählt, wo er seit 2002 Co-Vorsitzender der Fraktion Die Grünen / Europäische Freie Allianz ist. Er kandidierte abwechselnd für die deutschen und die französischen Grünen und er wohnt als deutscher Staatsbürger in Frankfurt a.M.
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Friedenswerk der Europäischen Union (EU)
PIV. „Das furchtbare Leiden im Zweiten Weltkrieg zeigte die Notwendigkeit eines neuen Europa. Über 70 Jahre hatten Deutschland und Frankreich drei Kriege ausgefochten“, hält das Nobel-Komitee zum Friedensnobelpreis für die Europäische Union (EU) fest.
Der Lebenslauf des europäischen Politikers Daniel Cohn-Bendit offenbart, in welchem Mass nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges positive Kräfte in Europa wirken konnten. Und zur europäischen Einigung in der friedensstiftenden EU führten. In Frankreich geboren, in Deutschland Bürger geworden. Europäischer Bürger, der abwechselnd in Frankreich und in Deutschland für das Europäische Parlament kandidiert. Die Zeitgeschichte in Europa beeinflusst auch die direkten Lebensumstände in Europa, und daher auch von uns hier in der Schweiz. Dass heute Frieden und somit Wohlstand herrscht, hat Gründe und ist nicht selbstverständlich.
17. Jahrgang, 13. November 2012 / Mediale Weiterverwendung unter Quellenangabe erwünscht.
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