ORF: Mord an Lumumba kann aufgerollt werden

Angehörige brachten Klage ein

Die Ermordung des ersten Premierministers der Demokratischen Republik Kongo, Patrice Lumumba, im Jänner 1961 hat möglicherweise ein juristisches Nachspiel in Belgien. Ein Berufungsgericht in Brüssel entschied am Mittwoch, dass die Staatsanwaltschaft mit Ermittlungen beginnen darf. Unklar war bisher die Frage, ob ein belgisches Gericht überhaupt zuständig sein könnte.

Die Brüssler Kammer urteilte nun, dass die belgische Justiz den Fall aufrollen dürfe, bei dem der charismatische afrikanische Freiheitskämpfer mit mutmaßlicher belgischer Unterstützung verschleppt und getötet wurde. Demnach kann nun die Generalanwaltschaft in Brüssel in dem Fall ermitteln.

Vor zwei Jahren hatten Angehörige von Lumumba in Brüssel Klage gegen rund ein Dutzend Belgier eingereicht, um Licht in die mutmaßliche Verwicklung von belgischen Politikern, Funktionären und Sicherheitskräften in den Mord zu bringen. „Ich will wissen, warum er getötet worden ist“, sagte der Sohn Guy Lumumba 2010. Zwischen 2010 und jetzt war zu klären, ob die belgische Justiz formal zuständig ist. Einige der Angeklagten sind mittlerweile tot.

Charismatischer Freiheitskämpfer

Lumumba war nach fast einem Jahrhundert brutaler kolonialer Herrschaft Belgiens nach der Unabhängigkeit des Landes 1960 zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Der charismatische Regierungschef galt im Westen als gefährlicher linker Radikaler, der vor allem den wirtschaftlichen Interessen Europas im Wege stand, weil er die lukrativen Kupfer- und Uranminen, die in belgischer Hand waren, verstaatlichen wollte.

Der verhaftete Ex-Präsident LumumbaAP/Horst FaasEines der letzten Fotos von Lumumba nach seiner Verhaftung im Dezember 1960

Im September 1960 wurde Lumumba durch einen mit Belgien und den USA abgesprochenen Putsch von Oberst Joseph-Desire Mobutu (dem späteren Diktator Mobutu Sese Seko) gestürzt, in Leopoldville (heute Kinshasa) ins Gefängnis gesperrt und im Jänner 1961 in die abtrünnige Region Katanga gebracht.

Auch USA hatten Mordpläne

Ein US-Senatsausschuss ermittelte 1975, dass auch die US-Regierung einen Plan zur Ermordung Lumumbas ausgearbeitet hatte.

Leiche nie gefunden

Die genauen Umstände von Lumumbas Tod waren der Allgemeinheit lange Zeit unbekannt. Eine 41 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod einberufene Fachkommission des belgischen Parlaments rekonstruierte die Ereignisse um Lumumbas Tod. In ihrem Schlussbericht kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass der belgische König Baudouin von den Plänen zur Tötung Lumumbas wusste.

Demnach wurden Lumumba und seine Begleiter von Mobutus Männern festgenommen, per Flugzeug nach Katanga deportiert und dort in eine Waldhütte gebracht und gefoltert. Am 17. Jänner 1961 wurden sie von katangischen Soldaten unter belgischem Kommando erschossen. Lumumbas Leichnam wurde nie gefunden. Er soll zunächst hastig begraben worden sein. Später sollen belgische Polizisten die Leiche exhumiert und in Säure aufgelöst haben, um zu verhindern, dass das Grab zu einer Pilgerstätte würde.

„Zumindest moralische Verantwortung“

Zahlreiche Historiker sind sich einig, dass belgische Regierungsvertreter und Offiziere sich verschworen hatten, um Lumumba zu stürzen, und schließlich seine Hinrichtung am 17. Jänner 1961 organisierten. Fest steht, dass die belgische Regierung die Lumumba feindlich gesinnten Kräfte im Kongo logistisch, finanziell und militärisch unterstützte. „Sie waren für seine Ergreifung, Entführung und schließlich Ermordung verantwortlich“, sagt etwa der belgische Historiker Luddo de Witte.

Mobutu 1997 gestürzt

Nach dem Mord an Lumumba stützten die USA und Belgien 32 Jahre lang Diktator Mobutu, der ihnen als Bollwerk gegen den Kommunismus galt. Er wurde 1997 gestürzt.

Der belgische Befehlshaber des Erschießungskommandos erhielt einen neuen Namen und wurde zu einer belgischen Brigade nach Westdeutschland versetzt. Die belgische Parlamentskommission kam Anfang der Nullerjahre zu dem Schluss, dass die Ex-Kolonialmacht zumindest eine „moralische Verantwortung“ für die Ermordung von Lumumba trage.

Offizielle Entschuldigung

Brüssel entschuldigte sich daraufhin offiziell für seine Rolle beim Tod des Ministerpräsidenten, verweigerte seiner Familie aber eine Entschädigung und wollte die Verantwortlichen nicht strafrechtlich verfolgen.

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