„Offener Brief an den Herrn Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer, den Herrn Bundeskanzler Werner Faymann sowie alle Damen und Herren Nationalratsabgeordneten (zur Abschiebepraxis in Ö)

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

sehr geehrte Nationalratsabgeordnete!

Nach der kürzlich erfolgten Abschiebung von 13 Tschetschenen nach Moskau mittels Chartermaschine ist deren weiteres Schicksal völlig offen. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention dürfen Asylsuchende nicht in ihre Herkunftsstaaten abgeschoben werden, falls dort ihre Freiheit oder ihr Leben in Gefahr ist. Gerade der Fall von Zarema Z., der vor der Abschiebung versucht hat, aus dem Fenster zu springen, beweist den Ernst der Situation. Wie verzweifelt muss man sein, um angesichts einer drohenden Abschiebung einen Selbstmordversuch zu begehen? Dass die Tschetscheninnen und Tschetschenen, die in Österreich leben, zum größten Teil politische Flüchtlinge sind, steht außer Frage.

Gerade auch der Fall von Rasambek I., dem in der Schubhaft eine schwere posttraumatische Belastungsstörung als Folge der in Tschetschenien erlittenen Folterungen und Misshandlungen attestiert wurde, zeugt davon. Leider befand sich auch Rasambek I. unter den nach Russland abgeschobenen Menschen. Wegen eines angeblichen Autodiebstahls im Jahr 2001 sitzt er nun in einem der berüchtigten russischen Gefängnisse. Dass man versucht, Oppositionelle wie Rasambek I. mit fadenscheinigen Beschuldigungen zum Schweigen zu bringen, ist in Russland keine Seltenheit. Man denke nur an das Schicksal des Putin-Gegners Mikhail Chodorkovskii.

Weitere Konsequenzen dieser schändlichen Abschiebung machen sich bereits bemerkbar: Wenige Tage nach der Landung in Russland wurde Salman (Danial) Mamaev verhaftet und nach Tschetschenien gebracht. Zurzeit sitzt er in einem Gefängnis in Grosny ein. Es sind keine Vergehen Mamaevs bekannt, wohl aber seine Oppositionshaltung zum Kadyrov-Regime. Es ist in diesem Falle leider das Schlimmste zu befürchten. Ein Schlag ins Gesicht jeder Menschenrechtskonvention.

Es sei darauf hingewiesen, dass das Regime von Ramzan Kadyrov in Tschetschenien in keiner Weise europäischen Demokratievorstellungen entspricht. Es ist eine Schreckensherrschaft, eine Diktatur in einem völlig rechtsfreien Raum. Auch ist es eine Lüge, dass in Tschetschenien kein Krieg mehr herrscht. Das Land ist noch weit entfernt von einer Befriedung, und die repressiven Methoden Kadyrovs sowie die grassierende Misswirtschaft und Korruption garantieren, dass der Guerillakampf des tschetschenischen Widerstandes weitergeht.

Auch mit den russischen Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit hätten wir, wären wir ihnen ausgesetzt, in keiner Weise einverstanden. Dass Russland eines der am meisten von Korruption und Missachtung der Menschenrechte geplagten Ländern dieser Welt ist, wurde bis vor wenigen Wochen vor allem von Menschenrechtsorganisationen beanstandet. Nun kommt dieser Befund auch von offizieller Seite: Nach einer blutig niedergeschlagenen Gefängnisrevolte in Kopeysk musste der russische Governeur der Region Chelyabinsk, Mikhail Yurevich, eingestehen, dass es zur Folterung und zum Missbrauch der Insassen durch das Wachpersonal gekommen war. Kopeysk ist keineswegs ein Einzelfall. Man kann sich vorstellen, welche Behandlung inhaftierten Tschetschenen, die landesweit unter Generalverdacht stehen und aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden, erwartet. Was man sich besser gar nicht vorstellen will, ist, was oppositionellen Tschetschenen in Kadyrov´s Tschetschenien, wo die Menschenrechtslage unendlich schlimmer ist, zustoßen kann.

Die ganze Geschichte verweist auf historische Parallelen: Man denke etwa an jene Kosaken, die sich in der Nähe von Lienz 1946 lieber in die Drau stürzten, als an die Russen ausgeliefert zu werden. Heute weiß man, warum sie nicht zurückwollten bzw. was mit denen geschah, die tatsächlich zurückkehrten.

Der Umgang mit den tschetschenischen Flüchtlingen in Österreich ist ein dunkles Kapitel in Österreichs politischer Gegenwart, ein Kapitel, das vermutlich in der Zukunft Gegenstand kritischer Geschichtsaufarbeitung sein wird. Denken Sie an die Väter und Mütter, die von ihren Familien getrennt werden und einem ungewissen und oft genug grausamen Schicksal entgegengehen. Denken Sie an sie, denn Sie, meine Damen und Herren, haben dieses Leid zu verantworten, wenn sie diese Vorgangsweise weiterhin befürworten.

Österreich ist ein kleines Land, genauso wie Tschetschenien. Österreich könnte sich, wie in den Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs, von seiner großzügigen Seite zeigen. Es könnte dem gemarterten tschetschenischen Volk helfen. Führt man sich dessen jüngere Geschichte vor Augen, müsste sich jeder Mensch mit Moral und Gewissen für die Unterstützung dieser Menschen entscheiden.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!“

Khuseyn Ishanov

(Vereinigung demokratischer Tschetschenen Österreichs)

Wisita Ibragimov

(Vereinigung demokratischer Tschetschenen Österreichs)

Ruslan Tachaev

(Verein „Österreich-Tschetschenisches HAUS-HUSAM“)

Taysum Amin

(Österreich – Tschetschenische Gesellschaft “ Marsho“)

Magomed Schamajev

(Mitglied des Strassburger Komitees)

Mag. Siegfried Stupnig

(TschetschenInnen – Menschen wie wir: eine private Flüchtlingsinitiative)

Dr. Gabriele Anderl

(Wissenschaftlerin, Journalistin)

Dr. Eva Schobel

(Literaturwissenschaftlerin, Journalistin)

Peter Henisch

(Schriftsteller)

Dr. Evelyn Klein

(Wissenschaftlerin, Psychotherapeutin)

Dr. Klaus Hofstätter

(Sprachwissenschafter)

Mag. Kerstin Kellermann

(Journalistin)

Mag. Marion Kremla

(Psychologin)

Heinz Fronek

(Psychologe)

Laura Grossmann

(AKS Wien)

Eva Fahlbusch

(Systemische Familientherapeutin)