„Barbara“ von „adoptrevolution“ hat unter dem Titel „60.000 Tote in
Syrien – Berichte aus Homs“ einen interessantzen Beitrag verfasst, der
sehr aufmerksam gelesen werden sollte
(http://www.scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=31604&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=b9cf36f1da).
In der Menge der wahrscheinlich mehr oder weniger zutreffenden
Informationen über die katastrophale Lage der syrischen Zivilbevölkerung
findet man auch einige Hinweise, die das ganze Projekt „adoptrevolution“
als sehr zweifelhaft erscheinen lassen.
Der m.E. wichtigste ist dieser von Mohammad Alaa Ghanem aus der
„Washington Post“ – hier zusammengefasst von „Barbara“:
„Dagegen hat die FSA in der Stadt sehr schlechte Ressourcen, nicht nur
was Munition und Waffen angeht. Finanzielle Mittel hat allerdings die
Jabhat al-Nusra mehr als genug.
Daher versucht al-Nusra, Kräfte der FSA abzuwerben, was immer besser
gelingt. So überlegt in Hassakeh ein moderater Kommandeur der FSA,
gleich mit seiner ganzen Truppe überzulaufen – um seine Leute dennoch
kontrollieren zu können. Laut Ghanem war es fatal von den USA, die
al-Nusra als Terrororganisation einzustufen. Diese leiste wichtige
Arbeit vor Ort – anders als die USA -, die zudem al-Nusra als einen
Block betrachten.“
Hier wird vorsichtig auf die Tatsache hingewiesen: 1. dass die FSA
zunehmend ein desperater Haufen ist (wobei noch gar nicht erwähnt wird,
dass sich gerade auch in Aleppo viele ihrer Führer immer mehr als üble
Kriegsherren erweisen, die sich mit Waffengewalt untereinander den
Zugriff auf eroberte Nachbarschaften und dort erbeutete Ressourcen
streitig machen). 2. dass die jihadistische Jabhat an-Nusra (die nicht
nur über mehr Ressourcen – weil Unterstützung aus dem staatlich
organisierten wahhabitischen Milieu der arabischen Haölbinsel – verfügt,
sondern auch disziplinierter, durch Jihad-Erfahrungen an anderen Fronten
von Irak, über Tschetschenien, Libyen etc. kamperfahrener und
ideologisch motivierter ist, weit über ihre Verwurzelung in der
syrischen Bevölkerung hinaus von wachsender Bedeutung innerhalb der
Opposition wird. Wenn M. Alaa Ghanem die Entscheidung der US-Regierung,
die Jabhat an-Nusra auf die Terroristenliste zu setzen, kritisiert, dann
entspricht das der Haltung der kürzlich mit internationaler
Unterstützung in Qatar gegründeten neuen Oppositionsfront, die immer
wieder als „gemäßigt“ bezeichnet wird. Die Wahrheit ist jedoch, dass
eine Organisation, die Autobomben platziert, die vor laufender Kamera
gefangene Regimekräfte umbringt, die Menschen mit dem Tod bedroht, nur
weil sie mit Repräsentanten des Regimes verwandt sind (im Einzelnen mag
das nicht der Organisation J.al-N. zuzuornen sein, wohl aber in der
Presse meist nicht erwähnten anderen jihadistischen Gruppen, die in
Syrien ihr Unwesen treiben) gleich für welche Inhalte sie sonst noch
stehen mag im engeren Sinn des Wortes eine terroristische Organisation
ist. Dass die vermeintlich gemäßigte Opposition, die ja bekanntlich in
erster Linie von der Muslimbruderschaft beeinflusst ist, sich von der
J.al-N. nicht distancieren möchte, zeigt entweder, wie schwach sie ist
oder wie weit es mit ihrer „Mäßigung“ her ist.
Es gibt ja in Syrien auch einige Versuche, „linker“ Oppositioneller,
sich zu organisieren – so etwa jüngst ein paar Anhänger der
mandelistischen „4.Internationale“ oder die Organisatoren der
Syrienkonferenz, die am 28-29.1. in Genf zusammentreten soll. Allerdings
gibt es bislang keinen ernsthaften Hinweis darauf, dass hier mehr als
linksliberale „Demokratie“forderungen erhoben werden und dass die
Einschätzung, die der syrische Oppositionelle Ghayath Naissé schon im
September 2012 getroffen hat, inzwischen nicht mehr aktuell sei. Er
schrieb (zit. nach SoZ 11/2012): „Keine der politischen Kräfte der
Opposition ist darauf bedacht, in der syrischen Arbeiterklasse zu
agieren, deren Zahl annähernd zwei Millionen beträgt. Auch schlägt keine
ein Programm vor, das deren Intererssen und Forderungen aufgreift oder
gar den Aufbau autonomer Gewerkschaften unterstützt.“
Solche Kräfte, die genau das tun, sollten natürlich unterstützt werden,
auch wenn sie anfangs noch schwach sind. Solche Kräfte könnten
definitionsmäßig noch weniger Berührung zur aktuellen bewaffneten
Oppositionsbewegung haben als zum Regime, weil beide – Opposition und
Regime – zwar sozioökonomisch bürgerliche Kräfte sind, denen außerdem
Demokratie und Menschenrechte ein Buch mit sieben Siegeln ist (auch wenn
sie für die Propaganda im Westen das Gegenteil behaupten mögen – was
wenigstens die Jihadisten ehrlicherweise unterlassen). Die Opposition
ist zudem auch noch originär religiös sektiererisch, während das Regime
in dieser Frage zumindest einen Schritt in Richtung der Errungenschaften
der Aufklärung getan hat und Sektiererei letztlich höchstens zum
Machterhalt taktisch einsetzt.
Wenn Mohammad Alaa Ghanem schreibt, dass sich jedoch viele schlicht aus
materiellem Zwang der Nusra anschließen, aber nicht die Qaida-Ideologie
vertreten, wird er wohl recht haben. Aber diese „Vielen“ haben und
werden nicht das Sagen haben. Im übrigen gilt das auch die mindestens
ebenso Vielen, die nach wie vor das Regime unterstützen – nicht, weil
sie von diesem so begeistert wären, sondern weil sie sich angesichts des
Charakters der Opposition, mit der sie im täglichen Leben konfrontiert
sind (also nicht liberaler Oppositioneller im Ausland) nicht ohne Grund
mehr vor dieser als vor dem Regime fürchten. Das gilt übrigens
keineswegs nur für die Angehörigen religiöser Minderheiten wie Alauiten,
Christen, Schiiten, Drusen, sondern auch für nicht wenige Sunniten,
obwohl die Opposition – zuminderst die bewaffnete – fast nur aus solchen
besteht.
Und zum Schluss noch etwas: diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern
weitestgehend gesetzmäßig und war deshalb schon früh zu erwarten, außer
natürlich von – vornehmlich „linken“ Beobachtern im westlichen Ausland,
die aus der Geschichte der Revolutionen nichts lernen wollen, weil sie –
wenn schon nicht hier – dann doch wenigstens „hinten weit in der Türkei,
wo die Völker aufeinanderschlagen“ noch zu Lebzeiten auf Teufel komm
raus eine erleben wollen. Statt sich Lenin’s Verdikt, dass es ohne
revolutionäre Theorie keine Revolution gibt, klar zu machen, klammern
sie sich an den ebenfalls richtigen Spruch Lenins, dass, wer eine
„reine“ proletarisache Revolution sehen will, nie irgendeine sehen wird,
und schließen daraus völlig falsch, dass sie jeder Bewegung des „Volkes“
hinterhertraben müssten. Aber selbst für das Proletariat/die
Arbeiterklasse, deren führende Rolle die unverzichtbare Voraussetzung
für eine soziale Revolution ist, die beim heutigen Stand der Entwicklung
des weltweiten Kapitalismus die einzige mögliche Lösung der anstehenden
Probleme bietet (auch solcher „politischer“ wie der „Demokratie“ soweit
diese ihren Namen verdienen soll), gilt der Hinweis Leo Trotzkis, dass
die Arbeiterklasse ohne Klassenbewusstsein nur „Ausbeutungsmaterial“
ist. Auf Syrien und ähnliche Länder übertragen heißt das, dass die
verarmten bäuerlichen und exbäuerlichen Massen auf dem Land und in den
Vorstädten, die das Gros der Rebellen stellen, nur als Rammbock für die
politischen und sozialen Interessen bislang zu kurz gekommener
Fraktionen der syrischen Bourgeoisie (wenn nicht für gewisse
ausländische – arabische und außerarabische) sind.