Editorial
Die alte Welt und ihre Ordnung scheint nicht mehr zu funktionieren. Sie geht
auf ihr Ende zu und die Menschen spüren die Unsicherheit – selbst bei uns.
Die Umbrüche in der arabischen Welt sind der deutlichste und auch
politischste Ausdruck dessen. Dazu gesellt sich die Krise des Euro und der
Europäischen Union als Spitze des Eisbergs einer globalen Kontraktion der
kapitalistischen Wirtschaft. Selbst China bleibt nicht verschont. Schlimmer
wird es wohl noch die Rohstofflieferanten aus der Dritten Welt treffen, die
sich im letzten Jahrzehnt angesichts der Preishausse ihrer Produkte erholen
konnten.
Zentral sind es aber die USA, die wirtschaftlich, politisch und militärisch
– in jeder Hinsicht – immer größere Schwierigkeiten haben, ihre
Führungsrolle zu bewahren. Das American Empire ist nicht mehr zu
realisieren. Selbst wenn die Gegner Obamas zum Zug kommen und es nochmals
versuchen sollten, werden sie kläglich scheitern – und den Niedergang
Amerikas, den Obama auf seine Weise aufzuhalten versucht, beschleunigen.
Doch die neue Welt mag sich noch nicht so recht zeigen. Sie weiß noch nicht
wer, was und wie. Nicht nur der Konflikt um den Iran zeigt das gegenwärtige
Patt. Das herrschende Zentrum kann nicht angreifen, doch die Vertreter des
Multipolarismus wissen keinen Weg vorwärts. In der arabischen Welt sind
einige der alten Regime gefallen, doch die neuen haben noch keine klaren
Konturen, zu sehr sind sie umkämpft, zu unklar die unterschiedlichen
Projekte. Am deutlichsten wird das in Syrien. Die demokratische Volksrevolte
kommt den Multipolaren in die Quere – und droht im Morast des
Konfessionalismus steckenzubleiben. Die Stärke der identitären
Mobilisierung – hier Sunniten gegen Schiiten, andernorts in anderen Formen
– zeigt genau die Schwäche des Neuen. Dabei handelt es sich nicht vor
allem um eine Verschwörung der Herrschenden, die es natürlich auch gibt.
Denn mehr als die globalen Eliten diesen identitären, kommunitaristischen,
konfessionellen Tiger zu reiten versuchen, sind sie selbst Ziel desselben.
Aus dem Krieg der Kulturen geht keiner als Sieger hervor, am wenigsten jedoch
das Zentrum. Siehe die Ergebnisse des Irak-Krieges: Der Volkswiderstand hat
das mächtige US-Zentrum zum Rückzug gezwungen, um selbst im konfessionellen
Streit unterzugehen und der Regionalmacht Iran Platz zu machen.
Just in diesem Moment, in dem es interessant wird, schwächeln wir selbst,
derade jetzt, wo unser Beitrag besonders gefragt und wichtig wäre. Gerade
jetzt müssen Vorschläge zur Überwindung des Kapitalismus, für einen
völlig neuen Sozialismus auf der radikalen Basis des Scheiterns des alten
lanciert werden. Die Frage ist, wie die partikulären Widerstände gegen das
Zentrum verallgemeinert, universalisiert werden können, ohne den
fehlgegangenen Universalismus der Moderne zu wiederholen. Es bedarf einer
post-post-modernen Version von Hegels Figur der Identität in der
Nicht-Identität.
Ein Dutzend Jahre haben wir die Intifada – Zeitschrift für den
antiimperialistischen Widerstand herausgebracht und wollen es auch weiterhin
so halten. Doch wir wollen nicht verhehlen, dass die Schwierigkeiten enorm
sind. Nach Jahren des unentgeltlichen Einsatzes sind die alten AktivistInnen
müde, die neuen sind noch nicht da.
Wir bitten daher die LeserInnen und AbonnentInnen, die unregelmäßige
Erscheinungsform zu entschuldigen, und kontern mit einer Aufforderung: Wer
den Weiterbestand der Zeitschrift Intifada sichern will, kann sich
vielfältig beteiligen: schreiben, vertreiben, spenden.
Aus dem Inhalt:
Syrien:
Gewalt mit Annan-Friedensplan stoppen
Deeskalation, um den Bürgerkrieg in Syrien hintanzuhalten
http://www.intifada.at/node/719
Intervention zerstört Revolution
Warum die USA stattdessen einen geschwächten Assad bevorzugen würden
http://www.intifada.at/node/718
„Der Kollaps steht bevor“
Kommentar zur Situation in Syrien
http://www.intifada.at/node/717
Ägypten:
Niederlage der revolutionären Mehrheit
Kommentar zu den ägyptischen Präsidentschaftswahlen
http://www.intifada.at/node/716
Koketterie oder Widerstand
Die Muslimbrüder und die Proteste gegen die Beleidigung des Propheten
http://www.intifada.at/node/715
Verschiedenes:
Soziales Erdbeben
Der tunesische Aufstand dauert an – diesmal ohne westliches Medieninteresse
http://www.intifada.at/node/712
Die Erpressung zurückweisen
Gedanken zu den zugrunde liegenden Ursachen der gegenwärtigen Krise, der
Verfangenheit der kapitalistischen Oligarchie und Ansätzen einer Lösung
http://www.intifada.at/node/707
Antizionistisches Netzwerk im Aufbau
Konflikte über arabische Volksbewegungen und Geopolitik als Herausforderung
http://www.intifada.at/node/706
Systemkritik und Persiflage
Mit „Ali Hassans Intrige“ ist erstmals ein Werk des syrischen Autors
Nihad Siris ins Deutsche übersetzt. Gemäß seinem Originaltitel erweist
sich der Roman als Gratwanderung zwischen Lärm und Stille.
http://www.intifada.at/node/700